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BFH-Urteil vom 17.6.2010 (VI R 35/08) BStBl. 2010 II S. 852
Regelmäßige Arbeitsstätte für Leiharbeitnehmer
Ein
Leiharbeitnehmer verfügt typischerweise nicht über eine regelmäßige
Arbeitsstätte.
EStG § 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5
Satz 1, 2, 3, 5.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 18.
Februar 2008 4 K 1/07 (EFG 2009, 242)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob der als
Leiharbeitnehmer im Hafengebiet von X tätige Kläger und Revisionskläger
(Kläger) eine Auswärtstätigkeit ausübte und daher
Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann.
2
Der Kläger ist bei A
angestellt. Der A verleiht seine Bediensteten an verschiedene andere Firmen
im Hafengebiet jeweils kurzfristig entsprechend dem jeweiligen Bedarf. Auf
dieser Grundlage ist der Kläger als Hafenarbeiter für andere Firmen im
Hafengebiet von X tätig.
3
Der Kläger und seine
Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin, begehrten im Rahmen ihrer
gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer die Berücksichtigung von
Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.236 EUR (206 Tage á 6 EUR) bei
den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit. Dazu brachte der
Kläger vor, dass sein Arbeitsgebiet alle Häfen in X mit dazugehörigen Hallen
und Lagerräumen umfasse und die verschiedenen Einsatzorte im nördlichen
Hafengebiet bis zu 5 km auseinander lägen.
4
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte im streitigen
Einkommensteuerbescheid sowie im Einspruchsbescheid die Berücksichtigung von
Verpflegungsmehraufwendungen ab. Der Kläger sei keiner
Einsatzwechseltätigkeit nachgegangen, sondern nur an verschiedenen Stellen
eines einheitlichen weiträumigen Arbeitsgebiets tätig geworden.
Dementsprechend habe der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 11. April 2006
VI R 52/05 (BFH/NV 2006, 2237) die Tätigkeit eines Festmachers in einem
überschaubaren Teil eines Hafengebiets auch als Arbeit an derselben
Tätigkeitsstätte bewertet.
5
Das Finanzgericht (FG) wies
die Klage auf Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen aus den in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 242 veröffentlichten Gründen ab.
6
Der Kläger macht mit der
Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend.
7
Er beantragt sinngemäß, das
Urteil des Niedersächsischen FG vom 18. Februar 2008 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 7. November 2007 aufzuheben und den streitigen
Einkommensteuerbescheid des Veranlagungszeitraums 2006 vom 1. März 2007
dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbstständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.236 EUR
berücksichtigt werden.
8
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
10
1. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes in der im streitigen Veranlagungszeitraum 2006
geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG
kann ein Arbeitnehmer Mehraufwendungen für seine Verpflegung dann als
Werbungskosten abziehen, wenn er vorübergehend von seiner Wohnung und dem
Tätigkeitsmittelpunkt entfernt beruflich tätig ist. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1
EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG gilt dies entsprechend, wenn
er bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an
ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird.
Auf dieser Grundlage ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats
erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwand einkommensteuerrechtlich zu
berücksichtigen, wenn sich der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen auf
einer Auswärtstätigkeit befunden hat (geänderte Rechtsprechung seit den
Senatsurteilen vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005,
782; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, unter II.2.a und II.2.b
der Gründe).
11
a) Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist jeweils jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des
Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig,
fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig im Betrieb des
Arbeitgebers oder im Zweigbetrieb der Fall (vgl. zuletzt Senatsurteile vom
18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475; vom 18.
Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564; vom 21. Januar 2010
VI R 51/08, BFHE 228, 85), nicht aber bei der Tätigkeitsstätte in einer
betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (Senatsurteile vom 10.
Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom 9. Juli 2009 VI
R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822).
12
b) Tätigkeitsmittelpunkt und regelmäßige
Arbeitsstätte im vorgenannten Sinne sind dadurch gekennzeichnet, dass sich
der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege
einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung
von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und
gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann.
Für diesen Fall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip
(vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 2005 VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II
2005, 791; in BFHE 222, 391, BStBl II 2010, 564; in BFHE 224, 111, BStBl II
2009, 475).
13
c) Auf Grundlage der gesetzlich angelegten
und in der vorgenannten Weise gerechtfertigten Zweiteilung der
Berücksichtigung von Erwerbsaufwendungen unterscheiden sich regelmäßige
Arbeitsstätte/Tätigkeitsmittelpunkt von Auswärtstätigkeit nach der
mittlerweile ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht danach,
ob der Arbeitnehmer aus einer ex post-Betrachtung tatsächlich an einem
bestimmten Ort für längere Zeit tätig gewesen war, sondern danach, ob sich
der Arbeitnehmer zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit ("ex ante") darauf hatte
einrichten können, dort dauerhaft tätig zu sein. Deshalb hatte der Senat
auch die Frage, ob eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers eine
regelmäßige Arbeitsstätte sein kann, verneint. Denn selbst dann, wenn der
Arbeitnehmer jahrelang bei einem bestimmten Kunden seines Arbeitgebers tätig
gewesen sein sollte, hatte sich der Arbeitnehmer darauf typischerweise nicht
einstellen können.
14
2. Gemessen daran lag beim Kläger eine
Auswärtstätigkeit vor, die grundsätzlich zum Abzug erwerbsbedingter
Verpflegungsmehraufwendungen berechtigt.
15
a) Denn der Kläger kam weder an einer
regelmäßigen Arbeitsstätte noch an einem Tätigkeitsmittelpunkt im
vorgenannten Sinne zum Einsatz. Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen
Tätigkeit an jeweils verschiedenen Orten des Hafens von X bei jeweils
unterschiedlichen Auftraggebern seines Arbeitgebers tätig. Der Kläger ging
seiner beruflichen Tätigkeit in keinen betrieblichen Einrichtungen seines
Arbeitgebers, sondern jeweils in solchen der diversen Kunden seines
Arbeitgebers nach. Und der Kläger konnte sich als Leiharbeitnehmer
insbesondere nicht darauf einrichten, an einem bestimmten
Tätigkeitsmittelpunkt/regelmäßigen Arbeitsstätte dauerhaft tätig zu sein.
Denn als Leiharbeitnehmer war er typischerweise stets bei Kunden seines
Arbeitgebers tätig. Damit war es zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kläger
auch längerfristig an einer bestimmten Tätigkeitsstätte zum Einsatz hätte
kommen können, dies war aber letztlich von der konkreten Ausgestaltung und
Dauer der jeweiligen vertraglichen Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und
dessen Kunden abhängig.
16
b) Das FA kann sich schließlich auch nicht
auf das Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2237 berufen, das davon ausgegangen
war, dass ein Festmacher im Hafen von X keine Einsatzwechseltätigkeit
ausübte. Denn nach dem in jenem Verfahren festgestellten und mit
Revisionsrügen nicht angegriffenen Sachverhalt hatte dort kein
Leiharbeitnehmerverhältnis vorgelegen. Andererseits liegen im Streitfall
nach dem festgestellten Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass
der Kläger bei den jeweiligen Auftraggebern seines Arbeitgebers jeweils
länger als drei Monate ununterbrochen tätig war (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5
Satz 5 EStG).
17
c) Für den Streitfall kann schließlich auch
dahinstehen, ob dann, wenn ein Leiharbeitnehmer vom Verleiher für die
gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses dem Entleiher überlassen wird,
etwas anderes gilt (in diesem Sinne offensichtlich Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 21. Dezember 2009 IV C 5 - S
2353/08/10010, BStBl I 2010, S. 21, Beispiel 3). Denn im Streitfall war der
Kläger jeweils nur kurzfristig für diverse Kunden seines Arbeitgebers tätig,
so dass jedenfalls kein solcher Sonderfall vorgelegen hat.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG
hat - auf Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht - noch keine
Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger tatsächlich, wie mit der
Einkommensteuererklärung geltend gemacht, an 206 Tagen des Streitjahrs 2006
jeweils zwischen 8 und 14 Stunden an den verschiedenen Einsatzorten im Hafen
als an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten beschäftigt gewesen war. Die
diesbezüglichen Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen
haben. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das FG zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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