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BFH-Urteil vom 11.2.2010 (V R 38/08) BStBl. 2010 II S. 873
Keine Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten aufgrund fehlender
Buchführungspflicht
Die
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
UStG kommt nur bei besonderen Härten wie z.B. dem Überschreiten der nach §
20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG bestehenden Umsatzgrenze aufgrund
außergewöhnlicher und einmaliger Geschäftsvorfälle, nicht aber allgemein
aufgrund einer fehlenden Buchführungsverpflichtung in Betracht.
UStG 1999 § 20; Richtlinie 77/388/EWG Art.
10.
Vorinstanz: FG Köln vom 26. August 2008 1 K
4430/04 (EFG 2010, 606)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) vermietete und verpachtete als
vermögensverwaltende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein Gebäude mit
23 Wohnungen, sieben Büro- und Gewerbeeinheiten, einem Hotel und einem
Restaurant. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -)
gestattete der Klägerin mit Schreiben vom 12. Oktober 2001 die Berechnung
der Steuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) für die Jahre 1997 und 1998. Zugleich wies
das FA darauf hin, dass diese Art der Steuerberechnung aufgrund des
Überschreitens der Umsatzgrenze nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ab 1999
nicht mehr möglich sei. Die Klägerin berechnete die Steuer gleichwohl auch
in den Jahren 1999 bis 2001 (Streitjahre) nach vereinnahmten Entgelten.
2
Im Rahmen einer Außenprüfung
stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin hinsichtlich der Vermietung und
Verpachtung der Büro- und Gewerbeeinheiten, des Hotels und des Restaurants
sowie hinsichtlich der Vermietung zweier Wohnungen nach § 9 UStG auf die
Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG verzichtet hatte und dass die
steuerpflichtigen Umsätze ab 1998 die Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Nr. 1
UStG überschritten.
3
Im Anschluss an eine
Außenprüfung erließ das FA geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre
1999 bis 2001, in denen es die Steuer nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG berechnete. Hiergegen legte die Klägerin
Einspruch ein. Das FA wies die Einsprüche durch die Einspruchsentscheidungen
vom 19. Juli 2004 als unbegründet zurück.
4
Einen darüber hinaus mit
Schreiben vom 2. Januar 2003 gestellten Antrag auf Erleichterung nach § 148
der Abgabenordnung (AO) lehnte das FA mit Bescheid vom 22. Juli 2003 ab und
wies den hiergegen eingelegten Einspruch gleichfalls mit
Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2004 als unbegründet zurück.
5
Die Klägerin erhob hiergegen
Klage zum Finanzgericht (FG) mit dem Antrag, die Umsatzsteuerbescheide in
Gestalt der Einspruchsentscheidungen für die Jahre 1999 bis 2001 aufzuheben
und das FA anzuweisen, die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu
berechnen, hilfsweise den Bescheid vom 22. Juli 2003 wegen Bewilligung nach
§ 148 AO in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2004 aufzuheben
und das FA anzuweisen, die Bewilligung nach § 148 AO zu erteilen und die
Umsatzbesteuerung ab dem Jahre 1999 nach vereinnahmten Entgelten
festzusetzen.
6
Das FG gab der Klage
insoweit statt, als es unter Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide für die
Jahre 1999 bis 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung und der darin
enthaltenen Versagung der Gestattung zur Berechnung der Steuer nach
vereinnahmten Entgelten dem FA aufgab, über die Gestattung nach § 20 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 UStG sowie in Folge über die Berechnung der Umsatzsteuer nach
pflichtgemäßem Ermessen und nach Maßgabe der Rechtsauffassung des FG neu zu
befinden.
7
Das FG stützte sein in
"Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 606 veröffentlichtes Urteil
darauf, dass mit der Einführung der AO 1977 die Buchführungspflicht
eingeschränkt worden und bei § 20 UStG eine Regelungslücke entstanden sei.
Der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers, nichtbuchführungspflichtigen
Unternehmern generell die Möglichkeit zur Steuerberechnung nach
vereinnahmten Entgelten zu eröffnen, werde durch die Einschränkung der
Buchführungspflicht bei gleichzeitiger Beibehaltung des § 20 Abs. 1 UStG
nicht mehr Rechnung getragen. Dies beruhe nicht auf einer beabsichtigten
Änderung. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, einem
Vermietungsunternehmer die Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten zu
versagen, wenn dies buchführungspflichtigen, aber aus Billigkeitsgründen
befreiten Unternehmern möglich sei. Das FA habe daher das ihm nach § 20 UStG
zustehende Ermessen bisher nicht ausgeübt, da es davon ausgegangen sei, dass
eine Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten aus rechtlichen Gründen
nicht in Betracht komme. Da keine Ermessensreduktion auf Null vorliege, habe
das FA die Ermessensentscheidung nachzuholen.
8
Hiergegen wendet sich das FA
mit seiner Revision, die es auf die Verletzung materiellen Rechts stützt.
Das Urteil verletze § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG. Eine Befreiung nach § 148
AO liege nicht vor. Eine abweichende Beurteilung komme nach bestehender
Gesetzeslage nicht in Betracht.
9
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
11
Da § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
UStG auf nach § 148 AO von der Buchführungspflicht befreite Unternehmer
anzuwenden sei, gelte dies auch für die der Buchführungspflicht von
vornherein nicht unterliegenden Unternehmer, zumal ansonsten ein Verstoß
gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorliege.
Entscheidungsgründe
II.
12
Die Revision des FA ist begründet. Das
Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klägerin ist zur Steuerberechnung
nach vereinnahmten Entgelten nicht berechtigt, da sie die Voraussetzungen
des § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht erfüllt. Entgegen dem FG-Urteil liegt auch
keine Regelungslücke vor, die eine Steuerberechnung nach vereinnahmten
Entgelten aufgrund einer teleologischen Extension oder Analogie ermöglichen
würde.
13
1. Soweit sich die Klage gegen die
Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 richtet, konnte sie bereits im Hinblick
auf die fehlende Gestattung der Steuerberechnung nach vereinnahmten
Entgelten keinen Erfolg haben.
14
2. Auch der Hilfsantrag der Klägerin auf
Gestattung der Ist-Besteuerung hat keinen Erfolg. Nach den Feststellungen
des FG hat die Klägerin zwar keinen ausdrücklichen Antrag auf Gestattung der
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG
gestellt, sondern mit Schreiben vom 2. Januar 2003 die Bewilligung von
Erleichterungen gemäß § 148 AO beantragt. Dieser Antrag war jedoch so
auszulegen, dass er den Belangen des Antragstellers entspricht und zu dem
von ihm angestrebten Erfolg führen kann (vgl. z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 2008 V R 24/06, Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung - HFR - 2009, 817, unter II.1.b bb). Im Hinblick auf
das eindeutige Begehren der Klägerin, eine Gestattung des FA zur
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten zu erhalten, war das Schreiben
vom 2. Januar 2003 zumindest auch als Antrag i.S. von § 20 Abs. 1 Satz 1
UStG auszulegen.
15
3. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG in der in
den Streitjahren geltenden Fassung konnte das FA auf Antrag gestatten, dass
ein Unternehmer,
1. dessen Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 3 UStG)
im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 250.000 DM betragen hat, oder
2. der von der Verpflichtung, Bücher zu
führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu
machen, nach § 148 AO befreit ist, oder
3. soweit er Umsätze aus einer Tätigkeit
als Angehöriger eines freien Berufs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) ausführt,
die Steuer nicht nach den vereinbarten
Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG), sondern nach den vereinnahmten
Entgelten berechnet.
16
Die Klägerin hat nach den Feststellungen
des FG die Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in 1998 und in den
Streitjahren überschritten und auch keine Umsätze als Angehöriger eines
freien Berufs i.S. von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ausgeführt. Eine
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten war daher nach diesen
Vorschriften nicht möglich.
17
Hiergegen kann sich die Klägerin nicht auf
den von ihr angenommenen Regelungszweck des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
berufen, wonach diese Vorschrift nicht buchführungspflichtigen Unternehmern
die Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten ermöglichen solle. Denn §
20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG stellt auf eine betragsmäßige Umsatzgrenze ab,
bei deren Überschreiten die Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten
nicht in Betracht kommt, wobei die Regelung nicht nach dem Bestehen einer
Buchführungspflicht differenziert.
18
4. Überschreitet ein Unternehmer die
Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, kann die Steuerberechnung
nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG zu
gestatten sein. Diese Vorschrift setzt seit ihrer zum 1. Januar 1977 in
Kraft getretenen Änderung durch Art. 17 Nr. 9 des Einführungsgesetzes zur
Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694)
voraus, dass der Unternehmer von der Verpflichtung, Bücher zu führen und auf
Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach §
148 AO befreit ist. Nach § 148 Satz 1 AO können die Finanzbehörden für
einzelne Fälle oder bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen bewilligen,
wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-,
Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die
Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird. Derartige
Erleichterungen können gewerblichen Unternehmern sowie Land- und Forstwirten
bewilligt werden, die nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet sind, Bücher
zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen.
19
Da die Klägerin Einkünfte aus Vermietung
und Verpachtung unbeweglichen Vermögens gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
erzielte, unterlag sie nicht der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 1 Satz
1 AO und konnte daher auch nicht von dieser gemäß § 148 AO befreit werden,
so dass die Voraussetzungen für eine Steuerberechnung nach vereinnahmten
Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG nicht vorliegen. Das FA hat
deshalb die von der Klägerin beantragte Erleichterung nach § 148 AO
zutreffend abgelehnt.
20
5. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG enthält
für den Fall, dass ein nicht zur Buchführung verpflichteter Unternehmer
andere als die in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG bezeichneten Umsätze
ausführt und dabei die Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
ständig überschreitet, keine Regelungslücke und kann daher entgegen dem
Urteil des FG nicht erweiternd ausgelegt werden.
21
a) Eine Regelungslücke liegt vor, wenn ein
bestimmter Sachbereich zwar gesetzlich geregelt ist, jedoch keine Vorschrift
für Fälle enthält, die nach dem Grundgedanken und dem System des Gesetzes
hätten mitgeregelt werden müssen (BFH-Urteile vom 9. August 1989 X R 30/86,
BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891, unter 2.a, und vom 8. Dezember 1994 V R
33/93, BFH/NV 1995, 666, unter II.3.). Dies ist insbesondere dann der Fall,
wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h.
ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber
beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass
eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig
anzusehen ist ("rechtspolitische Fehler"), reicht nicht aus (BFH-Urteil vom
12. Oktober 1999 VIII R 21/97, BFHE 190, 343, BStBl II 2000, 220, unter
II.2.b aa; ebenso BFH-Urteile vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329,
BStBl II 1974, 295, unter 2.a; vom 13. Juli 1989 V R 110/84, BFHE 158, 157,
BStBl II 1989, 1036, unter II.4.a; vom 14. September 1994 I R 136/93, BFHE
175, 406, BStBl II 1995, 382, unter II.3.; vom 25. Juli 1995 VIII R 25/94,
BFHE 178, 418, BStBl II 1996, 684, unter II.2.a; vom 26. Februar 2002 IV R
39/01, BFHE 199, 374, BStBl II 2002, 697, unter 2.b aa, und vom 29. März
2006 X R 55/04, BFH/NV 2006, 1641, unter II.3.b aa).
22
Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein
sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des
Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die
Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist (BFH-Urteil in BFHE
190, 343, BStBl II 2000, 220, unter II.2.b aa; ebenso BFH-Urteile in BFHE
111, 329, BStBl II 1974, 295, unter 2.b; in BFHE 175, 406, BStBl II 1995,
382, unter II.3.; in BFHE 199, 374, BStBl II 2002, 697, unter 2.b aa, und in
BFH/NV 2006, 1641, unter II.3.b aa). Die Unvollständigkeit muss sich bereits
aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer
selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes (BFH-Urteil vom 19. Juli
1972 I R 164/68, BFHE 106, 441, BStBl II 1972, 858, unter I.3.). Auch bei
einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen
(BFH-Urteile vom 2. Juli 1997 I R 32/95, BFHE 183, 496, BStBl II 1998, 176,
unter II.2.b aa, und vom 21. Oktober 1997 IX R 29/95, BFHE 184, 466, BStBl
II 1998, 142, unter 3.a).
23
Liegt nach diesen Grundsätzen eine
Gesetzeslücke vor, ist diese in einer dem Gesetzeszweck, der
Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu
schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische
Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 183, 496, BStBl II
1998, 176, unter II.2.b cc). Dies ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. z.B.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1990 1 BvR 1186/89,
BVerfGE 82, 6, Neue Juristische Wochenschrift 1990, 1593, unter C.I.1.).
24
b) § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG enthielt
bei seinem Inkrafttreten 1967 keine Regelungslücke. Für die Klägerin bestand
bereits nach damaliger Rechtslage keine Berechtigung zur Steuerberechnung
nach vereinnahmten Entgelten.
25
Die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1967
mögliche Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten aufgrund einer nach §
161 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (RAO) zu erteilenden Befreiung kam nach
dem BFH-Urteil vom 17. September 1987 IV R 31/87 (BFHE 151, 64, BStBl II
1988, 20, unter II.2.) nur bei besonderen Härten in Betracht, die sich z.B.
aus dem Überschreiten der nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 1967
bestehenden Umsatzgrenze von 250.000 DM durch außergewöhnliche und einmalige
Geschäftsvorfälle ergeben konnten.
26
Danach war die Klägerin unter der Geltung
des UStG 1967 nicht zur Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten
berechtigt, da das Überschreiten der Umsatzgrenze bei ihr nicht auf einem
einmaligen und außergewöhnlichen Geschäftsvorfall beruht.
27
c) Eine Regelungslücke ist auch nicht
aufgrund der Einschränkung der Buchführungspflicht durch die AO 1977
entstanden.
28
aa) Seit dem Inkrafttreten der AO 1977
verweist § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht mehr auf § 161 Abs. 2 RAO,
sondern auf § 148 AO. Danach können die Finanzbehörden Erleichterungen
bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten
Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich
bringt und die Besteuerung nicht beeinträchtigt wird. Nach § 148 AO kann der
Steuerpflichtige von der seit Inkrafttreten der AO 1977 gemäß § 141 AO nur
noch für gewerbliche Unternehmer sowie für Land- und Forstwirte bestehenden
Buchführungspflicht befreit werden.
29
Da gemäß § 141 AO nicht mehr alle
Unternehmer, sondern nur noch gewerbliche Unternehmer sowie Land- und
Forstwirte der Buchführungspflicht unterliegen, kommt bei anderen als den
von dieser Vorschrift genannten Unternehmern wie z.B. bei Vermietern mit
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG eine Befreiung von
der Buchführungspflicht nicht mehr in Betracht.
30
bb) Für Unternehmer, die mit ihren Umsätzen
die Grenze von 250.000 DM überschreiten und daher bereits nach dem UStG 1967
nicht zur Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten berechtigt waren,
hat sich aufgrund des Entfallens der Buchführungspflicht durch die AO 1977
die Rechtslage nicht geändert. Sie sind weiterhin nach § 20 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 UStG nicht berechtigt, die Steuer nach vereinnahmten Entgelten zu
berechnen.
31
Zu einer Änderung ist es daher nur insoweit
gekommen, als für alle Unternehmer, die aufgrund einmaliger
Geschäftsvorfälle die Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
überschreiten, eine Befreiung nach § 161 Abs. 2 RAO und damit eine
Steuerberechnung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in Betracht kam, während
diese Möglichkeit nach § 148 AO i.V.m § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG nur noch
für gewerbliche Unternehmer sowie für Land- und Forstwirte besteht.
32
Ob aufgrund dieser Änderung für
Unternehmer, die weder gewerbliche Unternehmer noch Land- und Forstwirte
sind, und die aufgrund einmaliger Geschäftsvorfälle die Umsatzgrenze des §
20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG überschreiten, eine Regelungslücke entstanden
ist, die eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG
rechtfertigt, braucht der Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht
zu entscheiden, da das Überschreiten der Umsatzgrenze durch die Klägerin
nicht auf einem einmaligen Geschäftsvorfall beruht.
33
d) Die Klägerin kann sich auch nicht auf
eine Ungleichbehandlung zu den von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Abs. 2 UStG
erfassten Umsätzen berufen.
34
aa) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG kann
die Steuer für Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien
Berufs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach vereinnahmten Entgelten
berechnet werden. Nach der amtlichen Gesetzesbegründung soll die Vorschrift
sicher stellen, dass "den Angehörigen der freien Berufe, deren Gesamtumsatz
im vorangegangenen Kalenderjahr mehr als 250 000 Deutsche Mark betragen hat,
auch künftig die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet werden
kann. Die Ergänzung war erforderlich, da § 141 AO 1977 - im Gegensatz zur
Regelung in § 161 RAO - die Angehörigen der freien Berufe nicht mehr zur
Buchführung verpflichtet und somit auch § 148 AO 1977, der die Bewilligung
von Erleichterungen vorsieht, für Angehörige der freien Berufe nicht mehr
gilt" (BTDrucks 7/5458 S. 13).
35
bb) Die zwischen den nicht
buchführungspflichtigen Angehörigen der freien Berufe und den gleichfalls
nicht buchführungspflichtigen nichtgewerblichen Vermietern bestehende
Differenzierung hinsichtlich der Steuerberechnung nach vereinnahmten
Entgelten führt nicht zu einer nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beanstandenden
Ungleichbehandlung.
36
Anders als bei den steuerpflichtigen
Umsätzen der Angehörigen der freien Berufe beruht die Steuerpflicht der
gemäß § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Vermietung unbeweglichen Vermögens auf
dem Verzicht nach § 9 UStG. Aufgrund dieser Besonderheit ist eine
Gleichbehandlung des auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze verzichtenden
Vermieters mit den Angehörigen der freien Berufe, deren Umsätze nicht
aufgrund eines derartigen Verzichts, sondern kraft Gesetzes steuerpflichtig
sind, nicht geboten. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass für die
z.B. nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Umsätze freier Berufe keine
Möglichkeit zum Verzicht nach § 9 UStG besteht. Im Hinblick auf diese
Unterschiede war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die Möglichkeit zur
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten bei Überschreiten der
Umsatzgrenze nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG auch nicht
buchführungspflichtigen Unternehmern einzuräumen, bei denen die
Steuerpflicht auf einem Verzicht nach § 9 UStG beruht. Aus diesem Grund ist
auch keine Gleichbehandlung zu den dem § 20 Abs. 2 UStG unterliegenden
Unternehmern geboten.
37
e) Ein Anspruch auf Steuerberechnung nach
vereinnahmten Entgelten ergibt sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 2 Unterabs.
3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG
(Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 der
Richtlinie 77/388/EWG treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem
Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung
bewirkt wird. Unterabs. 3 dieser Bestimmung ermächtigt die Mitgliedstaaten
Sonderregelungen zu treffen:
38
"Abweichend von den vorstehenden
Bestimmungen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch
für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen zu den
folgenden Zeitpunkten entsteht:
- entweder spätestens bei der Ausstellung
der Rechnung ...
- oder spätestens bei der Vereinnahmung des
Preises
- oder im Falle der Nichtausstellung oder
verspäteten Ausstellung der Rechnung ..., binnen einer bestimmten Frist nach
dem Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands."
39
Nach der zu Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 der
Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) hat der "Gemeinschaftsgesetzgeber ... den
Mitgliedstaaten einen erheblichen Spielraum einräumen wollen" (EuGH-Urteil
vom 26. Oktober 1995 C-144/94, Italittica S.P.A., Slg. 1995, I-3653, HFR
1996, 100 Rdnr. 15). Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung bei
Überschreiten der Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG auch den
nicht buchführungspflichtigen Unternehmern die Steuerberechnung nach
vereinnahmten Entgelten zu ermöglichen, wenn die Steuerpflicht ihrer Umsätze
auf einem Verzicht nach § 9 UStG beruht, besteht danach nicht.
40
6. Das Urteil des FG entspricht nicht
diesen Grundsätzen und war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die
Klage ist abzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Gestattung der
Steuerberechnung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG
nicht vorliegen.
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