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BFH-Urteil vom 20.5.2010 (V R 42/08) BStBl. 2010 II S. 955
Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen
Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen auf
Grund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten
Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu
erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die AdV der
Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die - weitere - AdV dieser Beträge
nach Ergehen des Jahressteuerbescheides allein an den Regelungen der §§ 361
Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO scheitert.
AO § 227, § 240, § 361 Abs. 2 Satz 4; FGO §
69 Abs. 2 Satz 8.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 22.
Februar 2007 5 K 262/02
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist der Erlass von
Säumniszuschlägen.
2
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) entwickelt Computerprogramme. In ihren
Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis Dezember 1998 sowie für Januar bis
September 1999 meldete sie Umsätze zum ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs.
2 Nr. 7 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) von 7 % an. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf die Umsätze
der Klägerin demgegenüber dem jeweiligen Regelsteuersatz und setzte die
Umsatzsteuervorauszahlungen entsprechend fest. Auf Antrag der Klägerin
setzte das FA die Vollziehung dieser Vorauszahlungsbescheide in Höhe des
Unterschiedsbetrages aus, der sich zwischen der Anwendung des ermäßigten
Steuersatzes und der Anwendung des Regelsteuersatzes ergab.
3
In den
Umsatzsteuerjahresbescheiden 1998 und 1999 hielt das FA an seiner
Rechtsauffassung fest und unterwarf diese Umsätze der Klägerin dem
Regelsteuersatz. Die festgesetzte Jahresumsatzsteuer entsprach der Summe der
vom FA festgesetzten monatlichen Vorauszahlungen.
4
Nachdem das FA zunächst -
wie in den Vorauszahlungsbescheiden für die Streitjahre - auch die
Vollziehung des Umsatzsteuerjahresbescheides
5
Auf Antrag der Klägerin
setzte das Finanzgericht (FG) durch Beschluss vom 23. Mai 20015 V 124/01
("Entscheidungen der Finanzgerichte" - EFG - 2001, 1228) die Vollziehung der
Umsatzsteuerjahresbescheide 1998 und
6
In der Hauptsache (Klage
gegen die Jahressteuerfestsetzungen) hat der BFH der Klage stattgegeben,
weil die Umsätze der Klägerin dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen
und hat die Umsatzsteuer entsprechend niedriger festgesetzt (BFH-Urteil vom
25. November 2004 V R 26/04, BFHE 208, 479, BStBl II 2005, 419).
7
Im Folgenden machte das FA
Säumniszuschläge für den Zeitraum zwischen dem Widerruf bzw. der Ablehnung
der AdV (1. März 2001 bzw. 12. März 2001) bis zum Zeitpunkt der Zahlung (9.
Oktober 2002) in Höhe von 837.314,91 EUR geltend.
8
Den Antrag auf Erlass der
Säumniszuschläge lehnte das FA unter Hinweis auf die zum BFH eingelegte
Beschwerde gegen die Gewährung der AdV durch das FG ab. Den hiergegen
eingelegten Einspruch wies es nach Ergehen der Beschwerdeentscheidung zurück
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 519).
9
Die hiergegen erhobene Klage
hatte keinen Erfolg. Zur Begründung seines Urteils hat das FG im
Wesentlichen ausgeführt, die Erhebung von Säumniszuschlägen widerspreche
auch dann nicht der Billigkeit, wenn die Steuerforderung später aufgehoben
worden sei, denn der Gesetzgeber habe in § 240 Abs. 1 Satz 4 der
Abgabenordnung (AO) ausdrücklich geregelt, dass spätere Ermäßigungen der
festgesetzten Steuer nicht zu berücksichtigen seien. Er habe damit in Kauf
genommen, dass Säumniszuschläge auf unberechtigte Steuerforderungen zu
zahlen seien. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des BFH nur dann,
wenn das Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung Erfolg gehabt habe und der
Steuerpflichtige alles getan habe, um die AdV zu erreichen und diese von der
Finanzbehörde "obwohl möglich und geboten" abgelehnt worden sei. Das sei
jedoch nicht der Fall, denn - wie sich aus dem BFH-Beschluss über die
Ablehnung der AdV ergebe - sei eine AdV in Höhe der in den
Vorauszahlungsbescheiden festgesetzten Steuer nach § 361 Abs. 2 Satz 4 FGO
rechtlich nicht möglich gewesen.
10
Hiergegen wendet sich die
Klägerin mit der Revision. Ein Erlass gemäß § 227 AO sei geboten, weil die
Steuerfestsetzung aufgehoben worden sei und sie, die Klägerin, alles getan
habe, um die AdV zu erreichen. Es komme nicht darauf an, ob die Aussetzung
rechtlich "möglich und geboten" gewesen sei. Entscheidend sei allein, dass
die Steuerfestsetzungen schließlich aufgehoben worden seien. Zudem habe das
FA zu Unrecht Säumniszuschläge auch für den Zeitraum berechnet, in dem das
FG die Vollziehung der Jahresbescheide ausgesetzt hatte (BFH-Beschluss vom
14. September 1978 V R 35/72, BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58).
11
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. August 2001 sowie der
Einspruchsentscheidung vom 12. April 2002 Säumniszuschläge in Höhe von
837.314,91 EUR zu erlassen,
12
hilfsweise, das FA zu
verpflichten, über den Erlassantrag ermessensfehlerfrei zu entscheiden.
13
Das FA erklärt sich bereit,
den Differenzbetrag zwischen 837.314,91 EUR und 605.507,57 EUR zu erlassen
und beantragt im Übrigen die Zurückweisung der Revision.
14
Säumniszuschläge, die auf
den Zeitraum der durch das FG gewährten AdV entfallen (der Differenzbetrag
zwischen 837.314,91 EUR und 605.507,57 EUR = 231.806,74 EUR) seien zu
erlassen. Im Übrigen komme ein Erlass von Säumniszuschlägen nach Aufhebung
der materiell rechtswidrigen Steuerforderung nur dann in Betracht, wenn eine
AdV vom FA versagt worden war, obwohl diese "möglich und geboten" gewesen
sei. Die Aussetzung im beantragten Umfang sei jedoch wegen der Regelung des
§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO bzw. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO nicht möglich gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
15
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1
FGO).
16
Das FG hat das Vorliegen der
Voraussetzungen eines Erlasses der Säumniszuschläge nach § 227 AO zu Unrecht
abgelehnt. Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und
deswegen aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten
Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu
erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die AdV der
Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die - weitere - AdV dieser Beträge
nach Ergehen des Jahressteuerbescheides allein an den Regelungen der §§ 361
Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO scheitert.
17
1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn
deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen
Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen
einschließlich der nach § 240 Abs. 1 AO entstehenden Säumniszuschläge.
18
a) Die Entscheidung über ein Erlassbegehren
ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den durch § 102
FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen
Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB
3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die
gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu
ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei
ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder
von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Gleichwohl kann das Gericht
ausnahmsweise eine Verpflichtung des FA zum Erlass aussprechen (vgl. § 101
FGO), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist,
dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur
sog. Ermessensreduzierung auf Null: z.B. BFH-Urteile vom 21. Januar 1992
VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3; vom 11. Januar 2006 XI R
31/04, BFH/NV 2006, 943). Das war hier der Fall.
19
b) Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus
sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im
Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge,
nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen
Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des
Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH-Urteile vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE
165, 178, BStBl II 1991, 906; vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193,
BStBl II 1998, 7; BFH-Beschluss vom 14. Mai 2008 II B 49/07, BFH/NV 2008,
1438). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
20
aa) § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bestimmt u.a.
für den Fall der Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung, dass bis
dahin verwirkte Säumniszuschläge unberührt bleiben. Der Grundsatz der
Akzessorietät, nach dem Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen (§
3 Abs. 4 AO) grundsätzlich vom Bestehen der ihnen zugrunde liegenden
Steuerschuld abhängig sind, wird durch diese Vorschrift nach dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 7/4292 S. 39)
durchbrochen (z.B. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 240 AO
Rz
21
bb) Diese Regelung ist im Hinblick auf den
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75 (BFHE 117,
352, BStBl II 1976, 262) geschaffen worden, wonach sich im Anwendungsbereich
der Reichsabgabenordnung die verwirkten Säumniszuschläge ermäßigten, wenn in
einem Rechtsbehelfsverfahren die für die Bemessung der Säumniszuschläge
maßgebende Steuer herabgesetzt wurde. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung
in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO daher zwar bewusst in Kauf genommen, dass
Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die
Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist (BFH-Urteile vom 7. Juli
1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161; vom 30. März 2006 V R 2/04, BFHE 212, 23,
BStBl II 2006, 612, unter II.2.a). § 240 Abs. 1 Satz 4 AO ist aber - wie das
BVerfG im Beschluss vom 30. Januar 19862 BvR 1336/85 (nur z.T.
veröffentlicht in Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1986, 101) betont - nur
deshalb verfassungsgemäß, weil dem Rechtsschutzbedürfnis des
Steuerpflichtigen durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes
gegen die Steuerfestsetzung selbst hinreichend Genüge getan ist.
22
c) Ein Erlass verwirkter Säumniszuschläge
aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt demnach nicht allein deshalb in
Betracht, weil die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen
herabgesetzt worden ist oder möglicherweise geändert werden wird (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906; in BFHE 212, 23, BStBl II
2006, 612). Dagegen ist nach ständiger Rechtsprechung die Erhebung der
Säumniszuschläge dann eine unbillige Härte i.S. des § 227 AO, wenn das
Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte
und der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde alles getan hat, um die
AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich
und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt wurde (BFH-Urteil in BFHE 165,
178, BStBl II 1991, 906; BFH-Beschlüsse vom 4. Februar 1999 IX B 170/98,
BFH/NV 1999, 908; vom 18. März 2003 X B 66/02, BFH/NV 2003, 886).
23
d) Aufgrund dieser Erwägungen ist im
vorliegenden Fall die Entstehung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig.
Die Klägerin hat alles getan, um die AdV der rechtswidrigen
Umsatzsteuerjahresbescheide zu erreichen. Sie hat sowohl - mit Erfolg - die
AdV der Vorauszahlungsbescheide für die Streitjahre in Höhe des
Unterschiedsbetrags zwischen dem ermäßigten Steuersatz für ihre Umsätze und
dem vom FA angewandten jeweiligen Regelsteuersatz wie auch in derselben Höhe
- im Ergebnis erfolglos - die AdV der Umsatzsteuerjahresbescheide beantragt.
Deren Aussetzung war dem Grunde nach auch möglich und geboten. Denn im
beantragten Umfang bestanden - wie der Erfolg ihrer Klage bestätigt -
weiterhin ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anwendung des
Regelsteuersatzes für ihre Umsätze und der darauf entfallenden Umsatzsteuer.
Die AdV der Umsatzsteuerjahresbescheide ist allein deshalb nicht möglich
gewesen, weil ihr die durch das Jahressteuergesetz 1997 (JStG) vom 20.
Dezember 1996 (BGBl I 1996, 2049) eingeführte Regelung des § 361 Abs. 2 Satz
4 AO entgegenstand.
24
aa) Gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 AO sind bei
Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die
festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge,
um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten
Vorauszahlungen beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder
Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Einführung dieser verfassungsgemäßen Regelung (BFH-Beschluss
vom 24. Januar 2000 X B 99/99, BFHE 192, 197, BStBl II 2000, 559) war eine
Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.
Juli 1995 GrS 3/93 (BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730), wonach im Wege der
Aufhebung der Vollziehung auch eine Auskehrung bereits einbehaltener oder
vorausgezahlter Steuerbeträge zu erreichen sein sollte. Mit der Einführung
des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO wollte der Gesetzgeber der Gefahr von
Steuerausfällen entgegentreten, die bei der Auskehrung von
Steuerabzugsbeträgen nach gewährter Aufhebung der Vollziehung und einem
späteren Misserfolg in der Hauptsache entstehen konnten (Begründung zum
Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks 13/5359 S. 131). Darüber hinaus wurde
in der Gesetzesfassung nicht nur die Auskehrung tatsächlich gezahlter
Vorauszahlungen über die Aufhebung der Vollziehung ausgeschlossen, sondern
auf die festgesetzten Vorauszahlungen abgestellt, um eine Besserstellung
derjenigen Steuerpflichtigen zu vermeiden, die ihre Vorauszahlungsschulden
pflichtwidrig nicht getilgt hatten (eingehend zur Gesetzgebungsgeschichte
der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO vgl. BFH-Beschluss vom
2. November 1999 I B 49/99, BFHE 190, 59, BStBl II 2000, 57).
25
bb) Dieser Gesetzeszweck des § 361 Abs. 2
Satz 4 AO wird jedoch bei einer im Vorauszahlungsverfahren vom FA gewährten
AdV nicht berührt; denn wegen der bereits gewährten AdV kann es zu einer -
nach dem Gesetzeszweck zu vermeidenden - Auskehrung von
Steuervorauszahlungen nicht kommen. Auch handelt es sich - soweit
Vorauszahlungsbescheide ausgesetzt worden sind (wie im Streitfall bei der
Klägerin) - nicht um einen säumigen Steuerpflichtigen, der seinen
Zahlungspflichten zur Tilgung der Vorauszahlungsschuld pflichtwidrig nicht
genügt hat und nach dem Regelungszweck keine Besserstellung gegenüber dem
pünktlichen Steuerzahler erhalten sollte. Im Streitfall hatte das FA
vielmehr die Vorauszahlungsschuld im streitigen Umfang ausgesetzt und hatte
anschließend das FG im entsprechenden Umfang durch den Beschluss vom 23. Mai
20015 V 124/01 die Vollziehung der Umsatzsteuerjahresbescheide ausgesetzt.
Zu einer Säumnis konnte es nur deshalb kommen, weil dieser Beschluss des FG
durch den Beschluss des BFH in BFH/NV 2002, 519 mit Wirkung ex tunc
aufgehoben worden ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58;
BFH-Beschluss vom 14. Februar 1975 VI B 72/74, BFHE 115, 95, BStBl II 1975,
452). Unter diesen Umständen führt die Erhebung von Säumniszuschlägen, die
nur auf einer zwar dem Wortlaut, nicht aber dem Sinn und Zweck des § 361
Abs. 2 Satz 4 AO entsprechenden Beschränkung der AdV bei Erlass eines
Jahresbescheides zu einem Gesetzesüberhang, der für den Steuerpflichtigen
einen Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen
Billigkeitsgründen begründet.
26
2. Unter den Umständen des Streitfalles
sind die Säumniszuschläge in vollem Umfang zu erlassen.
27
a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der
Steuerpflichtige gemäß § 237 AO bei Gewährung einer AdV zwar grundsätzlich
Aussetzungszinsen zu zahlen hat, dies jedoch nur dann gilt, wenn er mit
seinem Rechtsbehelf im Ergebnis keinen Erfolg gehabt hat (§ 239 Abs. 1 Satz
1 AO). Ist er - wie im Streitfall die Klägerin - in der Hauptsache
erfolgreich, sodass sich die gewährte AdV als berechtigte Abwehr gegen eine
rechtswidrige Steuerforderung erweist, hat er nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO
keine Aussetzungszinsen zu tragen. Daraus ergibt sich, dass auch im Falle
eines gesetzlichen Ausschlusses der AdV durch § 361 Abs. 2 Satz 4 AO, der
aber zu einem mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbaren
Gesetzesüberhang führt, der Steuerpflichtige so gestellt werden muss, als
hätte er eine AdV nicht nur der Vorauszahlungen, sondern auch der
Jahressteuerschuld in derselben Höhe erlangt (im Ergebnis so auch BFH-Urteil
in BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58).
28
b) Der Senat kann über den beantragten
Billigkeitserlass unabhängig davon entscheiden, ob möglicherweise in dem
Zeitraum der vom FG gewährten vorübergehenden AdV (zwischen dem 23. Mai 2001
bis zum 19. Dezember 2001) die Säumniszuschläge bereits nicht entstanden
sind (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 23. November 1994 V B 166/93, BFH/NV 1995,
29
c) Durch die Erklärung des FA in der
mündlichen Verhandlung, es sei bereit, Säumniszuschläge zu erlassen, soweit
sie den Zeitraum der AdV durch das FG betreffen, hat sich der Rechtsstreit
nicht teilweise erledigt. Abgesehen davon, dass eine teilweise Erledigung
der Hauptsache nur hinsichtlich eines abtrennbaren Teils des
Streitgegenstands eintreten und nur insoweit zur Beendigung des Verfahrens
führen kann (BFH-Beschluss vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl
II 1979, 378) fehlt es im Streitfall bereits daran, dass kein
Abhilfebescheid des FA vorliegt und im Hinblick auf die möglicherweise in
der Erklärung zu sehende Zusage keine übereinstimmenden
Erledigungserklärungen abgegeben worden sind.
30
d) Da das dem FA eingeräumte Ermessen nur
in der Weise fehlerfrei ausgeübt werden kann, dass die verwirkten
Säumniszuschläge zu erlassen sind (Ermessensreduzierung auf Null), war das
FG-Urteil aufzuheben und das FA zum Erlass der Säumniszuschläge zu
verpflichten.
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