| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 19.5.2010 (I R 65/09) BStBl. 2010 II S. 967
Rechnungsabgrenzung für Kfz-Steueraufwand
Für
in einem Wirtschaftsjahr gezahlte Kfz-Steuer ist ein
Rechnungsabgrenzungsposten zu aktivieren, soweit die Steuer auf die
voraussichtliche Zulassungszeit des Fahrzeugs im nachfolgenden
Wirtschaftsjahr entfällt.
EStG § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1.
Vorinstanz: Thüringer FG vom 25. Februar
2009 I 443/06 (EFG 2009, 1738)
Sachverhalt
I.
1
Zwischen den Beteiligten ist
streitig, ob für Kraftfahrzeugsteuern (Kfz-Steuern) ein aktiver
Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) gebildet werden muss, soweit die gezahlte
Steuer auf die voraussichtliche Zulassungszeit von Fahrzeugen im
nachfolgenden Wirtschaftsjahr entfällt.
2
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Spedition in der Rechtsform der
GmbH. Für das Streitjahr 2002 machte sie in ihrem Jahresabschluss 97.984,94
EUR Kfz-Steuern als Betriebsausgaben geltend. Davon entfielen rechnerisch
43.797 EUR auf die Zulassungszeit der Fahrzeuge im nachfolgenden
Wirtschaftsjahr.
3
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) war der Auffassung, in Höhe des
Betrags von 43.797 EUR sei ein aktiver RAP zu bilden, so dass er den Gewinn
der Klägerin im Streitjahr entsprechend erhöhte.
4
Die dagegen erhobene Klage
hatte Erfolg (Urteil des Thüringer Finanzgerichts - FG - vom 25. Februar
2009 I 443/06, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2009,
1738).
5
Das FA rügt mit seiner
Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Für die gezahlten Kfz-Steuern ist
ein aktiver RAP in Höhe des Betrages zu bilden, der auf das Halten der
Fahrzeuge zum Verkehr auf öffentlichen Straßen im nachfolgenden
Wirtschaftsjahr entfällt.
8
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes 2002 i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) ist ein RAP zu aktivieren, wenn und
soweit Ausgaben vor dem Abschlussstichtag vorliegen, die Aufwand für eine
bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Dies gilt gemäß § 7 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes auch für Zwecke der Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags.
9
Die Entrichtung der Kfz-Steuern war in dem
vom FA angenommenen Umfang Aufwand der Klägerin für eine bestimmte Zeit nach
diesem Tag. "Aufwand für eine bestimmte Zeit" ist grundsätzlich in dem Sinne
zu verstehen, dass einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte
zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai
1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802; Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. April 1993 VIII R 86/91, BFHE 171, 221,
BStBl II 1993, 709; vom 19. Juni 1997 IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II
1997, 808, jeweils m.w.N.). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 betrifft zwar
typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags i.S. der
§§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs; die Vorschrift ist aber nicht auf
synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt (vgl. Senatsurteile
vom 24. Juli 1996 I R 94/95, BFHE 181, 64, BStBl II 1997, 122; vom 29.
November 2006 I R 46/05, BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; Senatsbeschluss
vom 7. April 2010 I R 77/08, BFH/NV 2010, 1339, BFHE 228,
10
Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist
auch die gezahlte Kfz-Steuer, soweit sie auf die voraussichtliche
Zulassungszeit von Fahrzeugen im nachfolgenden Kalenderjahr entfällt, aktiv
abzugrenzen (ebenso Urteil des Hessischen FG vom 6. November 20089 K
2244/04, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2010, 329; Hoffmann,
Unternehmensteuern und Bilanzen 2010, 81; i.Erg. auch Tiedchen,
Finanz-Rundschau 2010, 160).
11
a) Der Kfz-Steuer unterliegt grundsätzlich
das Halten inländischer Fahrzeuge zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (zu
Sonderfällen vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
- KraftStG -), das mit der verkehrsrechtlichen Zulassung des Fahrzeugs
beginnt und nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bis zu dessen
verkehrsrechtlicher Abmeldung andauert. Der Besteuerungstatbestand wird
durch das fortdauernde Halten des Kraftfahrzeugs verwirklicht. Die
Kfz-Steuer entsteht vorbehaltlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 letzter Halbsatz
KraftStG tageweise (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 16. November 2004 VII R
62/03, BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309). Von dem Entstehen der
Kfz-Steuerschuld unterscheidet die Rechtsprechung die Steuerzahlungsschuld,
die mit Beginn des jeweiligen Entrichtungszeitraums (§ 6 KraftStG) entsteht.
Entrichtungszeitraum ist nach § 11 Abs. 1 KraftStG ein Jahreszeitraum, da
die Steuer grundsätzlich für die Dauer eines Jahres im Voraus zu leisten ist
(zu Sonderfällen vgl. § 11 Abs. 2 bis 4 KraftStG). Es handelt sich um eine
gesetzlich vorgeschriebene Vorauszahlung auf eine noch nicht entstandene
Steuer (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309).
12
Aus dieser Systematik des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes wird deutlich, dass es sich bei der im
Streitfall für die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG entrichtete Kfz-Steuer in
Höhe von 43.797 EUR um Ausgaben vor dem Abschlussstichtag 31. Dezember 2002
handelt, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen.
Entgegen der Rechtsauffassung des FG lässt sich die Zeitbestimmung auch bei
der Kfz-Steuer feststellen, da es nicht auf die zeitlich unbegrenzte
Festsetzung der Steuer, sondern auf die zeitlich begrenzte Festsetzung der
Entrichtungsschuld für die Dauer eines Jahres im Voraus ankommt.
13
b) Soweit das FG die Aktivierung eines RAP
ablehnt, weil einer Steuer i.S. des § 3 der Abgabenordnung (AO) keine
Gegenleistung gegenüber stehe, ist dies unerheblich. Es kommt allein darauf
an, dass die Kfz-Steuer für das berechtigte Halten von Fahrzeugen zum
Verkehr auf öffentlichen Straßen zeitbezogen auf die Dauer der Zulassung des
Fahrzeugs und jährlich im Voraus erhoben wird. Dieser Zusammenhang reicht
für die Bilanzierung eines RAP aus. Es bedarf keiner unmittelbaren zivil-
oder öffentlich-rechtlichen Verknüpfung der gezahlten Abgaben mit einer
Leistung der öffentlichen Hand. Unerheblich ist daher, dass weder die
Zulassung eine rechtliche Gegenleistung für die Zahlung der Kfz-Steuer ist
noch die öffentliche Hand durch die Zahlung der Steuer eine rechtliche
Verpflichtung gegenüber dem Steuerpflichtigen eingeht. Allerdings kann die
Zulassung nach § 14 KraftStG entzogen werden, wenn die Steuer nicht
entrichtet wird. Auch hat der Steuerpflichtige im Falle der vorzeitigen
Beendigung der Steuerpflicht gemäß § 37 Abs. 2 AO einen Anspruch auf
Rückzahlung der auf die nach Beendigung der Steuerpflicht entfallenden
Beträge (Neufestsetzung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG). Dies
verdeutlicht, dass die Zahlung der Kfz-Steuer mit dem berechtigten Halten
von Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen in einem wirtschaftlichen
Zusammenhang steht (vgl. Plückebaum, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp
- 1970, 249, 259; vgl. auch Söffing, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach
17a, S.
14
Dass auch die widerrechtliche Benutzung von
Fahrzeugen zur Besteuerung führt, ist für die Rechnungsabgrenzung im
Streitfall unerheblich, da es sich insofern um einen anderen
Steuergegenstand handelt.
15
2. Das FA ist nicht an die von der Klägerin
bei der Bilanzaufstellung vertretene Rechtsauffassung, ein RAP sei nicht zu
aktivieren, gebunden. Zwar ist Ausgangspunkt für die steuerliche
Gewinnermittlung die von der Klägerin beim FA eingereichte (Steuer-)Bilanz.
Von dieser darf (und muss) das FA nur abweichen, wenn und soweit sie den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002) oder
den zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben des Einkommensteuergesetzes nicht
entspricht (vgl. Senatsurteil vom 5. Juni 2007 I R 47/06, BFHE 218, 221,
BStBl II 2007, 818; Senatsbeschluss vom 7. August 2008 I B 161/07, BFH/NV
2008, 2053). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein objektiv falscher
Bilanzansatz nur unter der weiteren Voraussetzung fehlerhaft, dass der
Steuerpflichtige den Fehler nach den Erkenntnismöglichkeiten eines
ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - bezogen auf die
am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse - erkennen konnte.
Dieser sog. subjektive Fehlerbegriff gilt nach bisheriger Rechtsprechung
nicht nur für Tatsachenerkenntnisse, sondern auch für die Beurteilung von
Rechtsfragen (z.B. BFH-Urteile vom 14. August 1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44,
BStBl II 1976, 88; vom 12. November 1992 IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II
1993, 392, sowie Senatsurteile vom 5. April 2006 I R 46/04, BFHE 213, 326,
BStBl II 2006, 688; vom 23. Januar 2008 I R 40/07, BFHE 220, 361, BStBl II
2008, 669). Für die Fälle, in denen die Rechtslage zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung ungeklärt ist, weil noch keine Rechtsprechung zu der in
Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, hat der Senat deshalb
entschieden, dass dann jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende
Bilanzierung als "richtig" anzusehen ist (vgl. Senatsurteile in BFHE 213,
326, BStBl II 2006, 688; in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818; vom 17. Juli
2008 I R 85/07, BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924). An den in diesem Sinn
zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung subjektiv "richtigen" Bilanzansatz ist
das FA gebunden, auch wenn die Rechtsfrage nach diesem Zeitpunkt durch eine
höchstrichterliche Entscheidung im gegenteiligen Sinne entschieden worden
ist (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818).
16
Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten
ist (dazu Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1339), bedarf im Streitfall keiner
Entscheidung. Denn nach Maßgabe dieser Rechtsprechung hat die Klägerin durch
das Unterlassen der Bildung eines aktiven RAP eine der kaufmännischen
Sorgfalt nicht entsprechende Entscheidung getroffen. Bis zum Ergehen des
angefochtenen FG-Urteils war die Frage der Aktivierung eines RAP für
vorausbezahlte Kfz-Steuer nicht streitig, sondern entsprach im Anschluss an
das BFH-Urteil vom 10. Juli 1970 III R 112/69 (BFHE 100, 110, BStBl II 1970,
779) der gängigen Bilanzierungspraxis (vgl. Thiel, Steuerberater-Jahrbuch
1969/70, S. 255, 262; Mies, Der Betrieb 1970, 1798; Plückebaum, StBp 1970,
249, 259; Söffing, NWB Fach 17a, S.
|