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BFH-Urteil vom 30.4.2009 (VI R 54/07) BStBl. 2010 II S. 996
1.
Eine dem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) stellt nicht
nur eine Wissenserklärung (unverbindliche Rechtsauskunft) des
Betriebsstätten-FA darüber dar, wie im einzelnen Fall die Vorschriften über
die Lohnsteuer anzuwenden sind. Sie ist vielmehr feststellender
Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz 1 AO, mit dem sich das FA selbst bindet.
2.
Die Vorschrift des § 42e EStG gibt dem Arbeitgeber nicht nur ein Recht auf
förmliche Bescheidung seines Antrags. Sie berechtigt ihn auch, eine ihm
erteilte Anrufungsauskunft erforderlichenfalls im Klagewege inhaltlich
überprüfen zu lassen.
Leitsätze 1 und 2: Änderung der
Rechtsprechung
EStG § 42e; FGO § 40 Abs. 1; AO § 118
Satz 1, § 89 Abs. 2, § 204, § 207 Abs. 2.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 14.
Oktober 2005 11 K 626/02
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen zur Verteilung von
Direktwerbemitteln. Für verschiedene Kaufleute und Handelsunternehmen
verteilt die Klägerin in zahlreichen Städten und Gemeinden Werbeprospekte,
Flyer, Angebotszettel und sonstiges Werbematerial an Privathaushalte. Hierzu
setzt sie eine größere Anzahl von Mitarbeitern als Zusteller der
Werbeprospekte und Anzeigenblätter ein. Bei den 300 bis 500 Verteilern
handelt es sich vorwiegend um Schüler, Jugendliche, Studenten und Rentner.
Im Zuge einer Verlegung des
Unternehmens der Klägerin von W in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten
und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) beantragte die Klägerin beim
(seinerzeit zuständigen) Betriebsstätten-FA eine Anrufungsauskunft (§ 42e
des Einkommensteuergesetzes - EStG -) dahingehend, wie die vorgenannten
Mitarbeiter steuerlich zu behandeln seien. Die Klägerin erhielt am
11. August 2000 die Auskunft, die Mitarbeiter seien nach dem geschilderten
Sachverhalt als Selbständige anzusehen. Zur Begründung führte das FA u.a.
(wörtlich) an:
"In dem von Ihnen
geschilderten Sachverhalt handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit der
Mitarbeiter, da diese ohne feste Arbeitszeit, Urlaubsanspruch und Anspruch
auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall tätig sind. Sie sind
selbständig in der Organisation und Durchführung der Tätigkeit. Die
Bezahlung erfolgt erfolgsabhängig. Die Mitarbeiter tragen somit das
Unternehmerrisiko. Ein Angestelltenverhältnis ist zu verneinen."
Nach Verlegung ihres
Geschäftssitzes und unter Vorlage eines Mustervertrags mit den Zustellern
erneuerte die Klägerin am 20. Februar 2001 ihre Anfrage. Das FA teilte der
Klägerin daraufhin am 27. April 2001 mit, dass es bei der bisherigen
Einschätzung verbleibe. Zur Begründung führte es die vorgenannten Gründe
nochmals an.
Am 18. März 2002 widerrief
das FA die Anrufungsauskunft mit sofortiger Wirkung. Das FA begründete den
Widerruf mit einem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom
6. Mai 1999 11 K 679/97, veröffentlicht in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 1999, 1015. Nach diesem Urteil seien Zusteller
regelmäßig Arbeitnehmer mit der Folge, dass die ausgezahlten Bezüge
lohnversteuert werden müssten. Das Urteil in EFG 1999, 1015 sei dem FA bei
Erteilung der Anrufungsauskunft nicht bekannt gewesen.
Die Klägerin legte gegen die
Aufhebung der Anrufungsauskunft binnen eines Monats Einspruch ein. Sie
führte u.a. an, sie habe vor der Verlegung des Unternehmenssitzes die
angeführte Anrufungsauskunft eingeholt. Sie - die Klägerin - habe auf der
Grundlage dieser Auskunft mit rd. 400 Verteilern Verträge abgeschlossen und
die gesamte Unternehmensstruktur in wirtschaftlicher Hinsicht auf diese Art
der Zusammenarbeit mit selbständigen Verteilern ausgerichtet. Die rechtliche
und steuerliche Beurteilung der eingesetzten Verteiler als selbständig
Tätige stelle eine unternehmerische Grundlage des Betriebs der Klägerin dar.
Der gesamte Geschäftsbetrieb bzw. die gesamte wirtschaftliche Konzeption des
Unternehmens, insbesondere die Abrechnung mit den Verteilern, sei auf den
Einsatz der Verteiler als Selbständige ausgerichtet.
Das FA führte daraufhin mit
Schreiben vom 13. Mai 2002 an, es sei zulässig, die Bindungswirkung der
Auskunft für die Zukunft aufzuheben. Das FA sei dabei an keine weiteren
Voraussetzungen gebunden. Insbesondere könne es seine Rechtsauffassung
ändern, auch wenn sich der zugrunde liegende Sachverhalt - wie hier - nicht
geändert habe. Zugleich verschob das FA den ersten
Lohnsteuer-Abführungszeitraum von April 2002 auf Juni 2002.
Gegen die
Einspruchsentscheidung des FA, in der der Einspruch der Klägerin als
unzulässig zurückgewiesen wurde, erhob die Klägerin Klage. In seinem die
Klage abweisenden Urteil führte das FG im Wesentlichen aus, eine
Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) scheide
aus, da es sich bei dem Widerruf nicht um einen Verwaltungsakt handele. Die
Anrufungsauskunft nach § 42e EStG stelle nur eine Wissenserklärung des FA
darüber dar, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die
Lohnsteuer anzuwenden seien. Es fehle an einem Regelungswillen des FA. Die
Bindungswirkung des FA ergebe sich lediglich aus den Grundsätzen von Treu
und Glauben. Die Bindungswirkung entfalle analog § 207 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) für die Zukunft, wenn das FA die Auskunft widerrufe, was
jederzeit möglich sei. Eine Klärung von Rechtsfragen könne
erforderlichenfalls im Besteuerungs- oder Haftungsverfahren erfolgen. Auch
eine subsidiäre Feststellungsklage (§ 41 FGO) sei deshalb nicht zulässig.
Mit der - nach Zulassung
durch den Senat - hiergegen erhobenen Revision rügt die Klägerin die
Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Zur Begründung bringt die
Klägerin im Wesentlichen vor, der Widerruf einer
Lohnsteuer-Anrufungsauskunft stelle einen Verwaltungsakt i.S. des § 118
Satz 1 AO dar. Das FG habe sich in dieser Hinsicht lediglich auf die
(ältere) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) berufen und den Widerruf
- ebenso wie die Anrufungsauskunft - als reine Wissenserklärung angesehen.
Diese Rechtsprechung bedürfe der Korrektur. Die Ansicht der Vorinstanz hätte
letztlich zur Folge, dass es gegen eine rechtswidrige
Lohnsteuer-Anrufungsauskunft bzw. gegen den rechtswidrigen Widerruf einer
richtigen Anrufungsauskunft keinen Rechtsschutz gebe. Dies gelte auch in
Fällen, in denen das Abführen von Lohnsteuer (einschließlich des hiermit
verbundenen Verwaltungsaufwands) dem Arbeitgeber aufgrund einer
rechtswidrigen Lohnsteuer-Anrufungsauskunft nicht zugemutet werden könne und
dies sogar existenzbedrohende Wirkung habe.
Sollte der Widerruf der
Anrufungsauskunft keinen Verwaltungsakt darstellen, müsse der Klägerin
Rechtsschutz in Form einer Feststellungsklage (§ 41 FGO) gewährt werden.
Unter den im Streitfall vorliegenden Umständen habe die Klägerin nach dem
Widerruf der rechtmäßigen Anrufungsauskunft ein Feststellungsinteresse
hinsichtlich ihrer Lohnsteuer-Verpflichtungen. Die Einrichtung der
Lohnbuchhaltung und die Abführung von Lohnsteuern (und in Folge davon auch
von Sozialabgaben) führten bei einem Arbeitgeber zu einer erheblichen
Belastung. Es sei mit dem Zweck der Anrufungsauskunft nicht zu vereinbaren,
einen (rechtswidrigen) Lohnsteuereinbehalt erst im Haftungsverfahren oder
durch Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldungen zu korrigieren. Im Streitfall
wäre die Klägerin im Übrigen gezwungen, sich durch den Lohnsteuereinbehalt
gegenüber den Prospektverteilern vertragswidrig zu verhalten, nur um einen
rechtsmittelfähigen (Lohnsteuer-)Bescheid zu erhalten.
Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung und den Verwaltungsakt des FA vom 18. März 2002 (Widerruf
der Anrufungsauskunft) in Gestalt des Verwaltungsakts vom 13. Mai 2002 und
der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2002 aufzuheben, hilfsweise
(unter Aufhebung der Vorentscheidung) festzustellen, dass die
vorbezeichneten Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sind.
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 27. November
2002 sowie des Verwaltungsakts des FA vom 18. März 2002 (Aufhebung der
Anrufungsauskunft) in Gestalt des Verwaltungsakts vom 13. Mai 2002. Die
genannten Entscheidungen verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
1. Die von der Klägerin erhobene - auf
Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtete - Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1
FGO) ist zulässig. Sowohl die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) als auch deren
Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) stellen Verwaltungsakte i.S. des § 118
Satz 1 AO dar.
Nach § 42e Satz 1 EStG hat das
Betriebsstätten-FA auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben,
ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer
anzuwenden sind.
a) In seiner bisherigen Rechtsprechung hat
der BFH der - primär auf die Belange des Arbeitgebers zugeschnittenen -
Anrufungsauskunft nach § 42e EStG lediglich den Charakter einer bloßen
Wissenserklärung zuerkannt (z.B. BFH-Urteile vom 9. März 1979 VI R 185/76,
BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451; vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90, BFHE 169,
202, BStBl II 1993, 166; ebenso von Bornhaupt, Deutsches Steuerrecht - DStR
- 1980, 3, 4; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42e EStG Rz 23;
Küttner/Huber, Personalbuch 2009, Stichwort Anrufungsauskunft Rz 9;
Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 42e Rz 6; Dißars, Die Information
für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 2003, 862; Schmieszek in
Bordewin/Brandt, § 42e EStG Rz 11, m.w.N.). Der BFH verneinte das Vorliegen
eines Verwaltungsakts (§ 118 Satz 1 AO), da es an einer Regelung eines
Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen fehle.
Wandte der Arbeitgeber die
lohnsteuerrechtlichen Vorschriften entsprechend der ihm erteilten
Anrufungsauskunft an, so wurde sein Vertrauen auf deren Richtigkeit
gleichwohl geschützt. Grundlage dieses Vertrauensschutzes war der allgemeine
Grundsatz von Treu und Glauben, der die Beteiligten im Rechtsverkehr
verpflichtet, auf die berechtigten Belange des anderen Teils Rücksicht zu
nehmen und sich mit seinem eigenen Verhalten, auf das der andere vertraut
hat, nicht in Widerspruch zu setzen. Die so verstandene Anrufungsauskunft
hatte hauptsächlich die Haftungsrisiken im Blick, die sich aus der
gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einbehaltung der Lohnsteuer
ergeben (vgl. hierzu etwa BFH-Urteil in BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166).
Bestritt der Arbeitgeber die inhaltliche
Richtigkeit der erteilten Anrufungsauskunft, so war ein Rechtsbehelf
hiergegen nicht gegeben. Eine gerichtliche Entscheidung über die in der
Anrufungsauskunft vertretene Rechtsauffassung des FA konnte nur im
nachfolgenden Steuerfestsetzungs- oder im Haftungsverfahren herbeigeführt
werden (vgl. auch Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 42e Rz 13).
b) Diese Rechtsprechung hat zunehmend
Kritik erfahren. Ungeachtet unterschiedlicher Begründungen im Einzelnen wird
die Anrufungsauskunft im Schrifttum überwiegend als - feststellender -
Verwaltungsakt beurteilt (vgl. z.B. Barein in Littmann/ Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 42e Rz 12; Seifert in Korn, § 42e EStG,
Rz 8; Fichtelmann, Finanz-Rundschau - FR - 1980, 236; Blümich/Heuermann,
§ 42e EStG Rz 26; Heuermann, Systematik und Struktur der Leistungspflichten
im Lohnsteuerabzugsverfahren, Diss. 1998, S. 259 ff.; Fumi, EFG 2003, 1106;
Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 42e Rz 7; s.a. Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 89 AO Rz 97 ff., 99; Klein/Rüsken,
AO, 9. Aufl., § 204 Rz 35).
2. Nach erneuter Prüfung hält der
erkennende Senat an seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr fest. Er
schließt sich dem überwiegenden Schrifttum an, wonach die Anrufungsauskunft
nach § 42e EStG als - feststellender - Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.
a) Nach § 118 Satz 1 AO ist ein
Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche
Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des
öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen
gerichtet ist. Unter einer "Regelung" ist dabei nicht nur eine Entscheidung
zu verstehen, welche die Begründung, Änderung und Aufhebung, sondern auch
die verbindliche Feststellung von Rechten und Pflichten sowie von
rechtserheblichen Tatsachen und Eigenschaften zum Gegenstand hat (sog.
feststellender Verwaltungsakt; vgl. u.a. Schenke, Verwaltungsprozessrecht,
11. Aufl., Rz 195; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl.,
§ 35 Rz 51 ff.).
b) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des
§ 42e EStG hat das Betriebsstätten-FA Auskunft zu erteilen. Der Arbeitgeber
hat demnach einen - auch gerichtlich durchsetzbaren - Anspruch auf Erteilung
der Auskunft über die Anwendung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften. Nach
Ansicht des erkennenden Senats bezieht sich dieser Anspruch jedoch nicht nur
darauf, dass der Arbeitgeber förmlich zu bescheiden ist. § 42e EStG
vermittelt dem Arbeitgeber auch einen Anspruch darauf, dass die
Anrufungsauskunft inhaltlich richtig ist.
c) Die Anrufungsauskunft erschöpft sich
auch nicht nur in einer bloßen Wissenserklärung. Die mit dem erforderlichen
Bindungswillen versehene Erklärung des FA geht darüber hinaus und ist
zusätzlich auf die Selbstbindung seines zukünftigen Handelns gerichtet. Der
erkennende Senat ist schon bisher davon ausgegangen, dass der
Anrufungsauskunft Bindungswirkung zukommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
16. November 2005 VI R 23/02, BFHE 212, 59, BStBl II 2006,
d) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats
besteht nur eine einseitige Bindung des Betriebsstätten-FA an die
Anrufungsauskunft. Die Auffassung, die Anrufungsauskunft stelle deshalb
keine "Regelung" i.S. des § 118 Satz 1 AO dar, weil der Arbeitgeber sich
hieran nicht halten müsse, teilt der Senat nicht. Für die
Lohnsteuer-Anrufungsauskunft, in der die maßgeblichen Rechte und Pflichten
des Arbeitgebers festgestellt werden, gilt insoweit nichts anderes als für
verbindliche Auskünfte (Zusagen) i.S. des § 89 AO n.F. und des § 204 AO.
Auch insoweit wird allgemein angenommen, dass lediglich eine einseitige
Bindung der Verwaltung ohne Fremdbindung des Steuerpflichtigen besteht (vgl.
auch Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 204 AO Rz 2).
e) Diese Grundsätze greifen auch ein,
soweit es sich um die Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) einer
Anrufungsauskunft handelt. Stellt die Anrufungsauskunft einen Verwaltungsakt
dar, so muss dies erst recht für deren Aufhebung gelten. Das FA geht
insoweit zutreffend selbst davon aus, dass die von ihm ausgesprochene
Aufhebung (sog. actus contrarius) die Rechtswirkungen der ursprünglichen
Anrufungsauskunft zum Wegfall bringt (vgl. hierzu auch FG München, Urteil
vom 18. August 2008 7 K 742/06, EFG 2008, 1915 mit Anm. Loose). Auch
dies erhellt, dass einer Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) Regelungscharakter
zukommt.
3. Die geänderte Rechtsauffassung des
Senats steht mit der Rechtsentwicklung in ähnlichen Normenbereichen im
Einklang und vermeidet ansonsten auftretende Wertungswidersprüche.
a) Der Gesetzgeber hat durch das
Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl I 2006, 2098,
2106) die Vorschrift des § 89 Abs. 2 AO in die Abgabenordnung eingefügt.
Danach kann der Steuerpflichtige aus Gründen der Planungs- und
Entscheidungssicherheit eine verbindliche Auskunft (Zusage) darüber
verlangen, wie ein in der Zukunft liegender Besteuerungstatbestand
steuerlich zu beurteilen ist. Die Vorschrift stellt die bisher schon
unbestrittene Befugnis des FA zur Erteilung verbindlicher Auskünfte nunmehr
gesetzlich klar.
Bei der verbindlichen Auskunft nach § 89
Abs. 2 AO handelt es sich nach zutreffender und unbestrittener Auffassung um
einen Verwaltungsakt nach § 118 Satz 1 AO mit allen Konsequenzen der Form
der Bekanntgabe (§ 122 AO), der Abänderbarkeit (§§ 129 bis 131 AO, § 2
Abs. 3 der Steuer-Auskunftsverordnung) und der Einspruchs- und
Klagemöglichkeit (vgl. auch die amtliche Begründung der
Steuer-Auskunftsverordnung, BRDrucks 725/07 S. 5 und Anwendungserlass zur
Abgabenordnung - AEAO - zu § 89 Tz. 3.5.5; s.a. Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Dezember 2007
IV A 4 - S 0062/07/0003, DStR 2008, 99 ff.). Dies gilt unabhängig davon, ob
die Auskunft der Rechtsauffassung des Antragstellers entspricht ("positive
Auskunft") oder nicht ("negative Auskunft"). Auch nach der damit
übereinstimmenden Auffassung der Finanzverwaltung stellt die verbindliche
Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO einen - begünstigenden - Verwaltungsakt
(besonderer Art) dar, gegen den der Einspruch (§ 347 AO) gegeben ist (s.
AEAO zu § 89 Tz. 3.7). Sie enthält die Zusicherung einer bestimmten
künftigen steuerlichen Behandlung (vgl. auch Franke/von Cölln,
Betriebs-Berater 2008, 584 ff.).
b) Nach § 204 AO soll die Finanzbehörde dem
Steuerpflichtigen auf Antrag verbindlich zusagen, wie ein für die
Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in
Zukunft steuerlich behandelt wird. Auch die Erteilung und Ablehnung dieser
verbindlichen Zusage sind Verwaltungsakte, gegen die Einspruch bzw.
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegeben sind (allg. Meinung; vgl. z.B.
Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 204 AO Rz 2; Klein/Rüsken, a.a.O., § 204
Rz 15; Barein in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 42e Rz 12; Fumi, EFG 2003,
1106).
c) Bereits der Blick auf diese angeführten
Vorschriften erhellt, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtigen aus Gründen der
Planungs- und Entscheidungssicherheit (zunehmend) Rechtsschutz in Form
verbindlicher Auskünfte/Zusagen bereits vor der eigentlichen
Steuerfestsetzung gewährt. Wird indessen ein solcher Rechtsschutz schon aus
den bezeichneten Gründen gewährt, so darf der Rechtsschutz im Bereich des
§ 42e EStG für den Arbeitgeber, der zudem Entrichtungspflichtiger ist und
für Lohnsteuerzwecke vom Fiskus in Anspruch genommen wird (zu den
einschlägigen Arbeitgeberpflichten vgl. auch Drüen, FR 2004, 1134 ff.),
nicht schwächer ausfallen.
4. Die bisherige Rechtsauffassung über die
Anrufungsauskunft wurde der besonderen Stellung des Arbeitgebers nicht
gerecht. Sie war im Wesentlichen und einseitig auf die Minderung bzw. den
Ausschluss des Haftungsrisikos des Arbeitgebers (§ 42d EStG) fokussiert
(vgl. hierzu Drüen, Inanspruchnahme Dritter für den Steuervollzug, Deutsche
Steuerjuristische Gesellschaft 31, 167, 196). Der Arbeitgeber ist indes
nicht nur durch ein latentes Zahlungs- und Haftungsrisiko, sondern bereits
durch potentielle Lohnsteuerpflichten und einer damit einhergehenden
Pflicht, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, belastet (ebenso
Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 42e Rz 13, unter c). Wie der Streitfall zudem in
besonderer Weise aufzeigt, können bereits die Einrichtung einer bestimmten
Lohnbuchhaltung, mannigfaltige lohnsteuerliche Pflichten und die Abführung
von Lohnsteuern zu einer erheblichen (Kosten-)Belastung führen.
Diesen besonderen Belastungen des
Arbeitgebers trug die bisherige Rechtsauffassung, ausreichender Rechtsschutz
könne auch noch durch Anfechtung einer Lohnsteuer-Anmeldung oder ggf. eines
Nachforderungs- und Haftungsbescheids gewährt werden, nicht hinreichend
Rechnung. Effektiver Rechtsschutz gebietet vielmehr, dass der Arbeitgeber
frühestmöglichst und definitiv Klarheit über die Anwendung
lohnsteuerrechtlicher Normen erhält. Hierzu räumt ihm die Vorschrift des
§ 42e EStG das Recht ein, nicht nur die Auffassung des FA zu erfahren,
sondern auch Sicherheit über die zutreffende Rechtslage zu erlangen und
seine - des Arbeitgebers - Rechte und Pflichten in einem besonderen
Verfahren im Voraus (ggf. gerichtlich) verbindlich feststellen zu lassen
(zur Absicherung zukünftiger Dispositionen durch Vorwegentscheidungen, vgl.
auch Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 697 ff.). Nur
auf diese Weise wird dem Zweck der Anrufungsauskunft hinreichend
entsprochen, präventiv Konflikte zwischen dem Betriebsstätten-FA und dem
Arbeitgeber zu vermeiden und auftretende lohnsteuerliche Fragen, die häufig
auch die Kostenkalkulation des Arbeitgebers und - wie hier - die
zivilrechtliche Ausgestaltung von Verträgen mit Mitarbeitern berühren,
zeitnah einer Klärung zuzuführen. Die Klägerin weist insoweit zu Recht auch
darauf hin, dass es mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens schwerlich
vereinbar erscheint, dem vom Fiskus in die Pflicht genommenen Arbeitgeber,
der mit dem Inhalt einer Anrufungsauskunft nicht einverstanden ist, anheim
zu stellen, die Lohnsteuer zunächst (rechtswidrig) einzubehalten und
abzuführen, den einschlägigen Rechtsschutz jedoch erst später durch
Anfechtung entsprechender Lohnsteuer- bzw. Haftungsbescheide zu suchen.
5. Die Klage ist auch begründet. Die
Voraussetzungen für eine Aufhebung der erteilten Anrufungsauskunft liegen
nicht vor.
Der Senat kann offen lassen, ob sich die
Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) der Anrufungsauskunft nach den §§ 130 ff. AO
richtet oder - wie das FG meint - eine analoge Anwendung der Vorschrift des
§ 207 Abs. 2 AO zutreffend ist. In beiden Fällen hatte das FA jedenfalls
eine Ermessensentscheidung zu treffen und hierin die für und gegen eine
Aufhebung sprechenden Umstände sorgfältig abzuwägen. Dies ist nicht
geschehen. Schon deshalb können die angefochtenen Entscheidungen keinen
Bestand haben. Im Übrigen hat sich das FA in seiner Aufhebungsverfügung in
der Frage der Beurteilung der Mitarbeiter der Klägerin lediglich auf das
vorbezeichnete - zum Zeitpunkt der Erteilung der Anrufungsauskunft überdies
bereits veröffentlichte - Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 1999, 1015
berufen (zur einschlägigen Rechtsprechung des Senats vgl. auch Beschluss vom
9. September 2003 VI B 53/03, BFH/NV 2004, 42). Auch dies reicht nicht aus.
Eine neuerliche, andersartige Gewichtung und Abwägung der Umstände, die die
ursprüngliche (nunmehr fortwirkende) Anrufungsauskunft als nicht rechtmäßig
hätten erscheinen lassen können, hat das FA nicht vorgenommen.
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