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BFH-Urteil vom 19.5.2010 (XI R 35/08) BStBl. 2010 II S. 1082
Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung sind kein
umsatzsteuerrechtliches Entgelt
Nach § 257 Abs. 2 SGB V oder § 61 Abs. 2 SGB XI geschuldete
Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- oder Pflegeversicherung sind kein
Entgelt i.S. von § 10 UStG.
UStG 1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1;
Richtlinie 77/388/EWG Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a; SGB V § 257 Abs. 2;
SGB XI § 61 Abs. 2.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 17. Juni 2008
5 K 4522/06 U (EFG 2009, 292)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) ist als freie Journalistin weit überwiegend für
eine Rundfunkanstalt (X) tätig. Sie wird von X jeweils für einzelne
Programmvorhaben verpflichtet.
2
Ihre Tätigkeit wurde von X
nach Tagessätzen vergütet. Die Höhe und Anzahl der Tagessätze für die
jeweils zu erbringende Leistung legte sie vor Beginn der Tätigkeit
unabhängig von der tatsächlich aufgewendeten bzw. aufzuwendenden Zeit fest.
Die Klägerin konnte sodann entscheiden, ob sie die Leistung für dieses
Entgelt ausführte. Für jede Produktion schloss die Klägerin mit X einen
gesonderten so genannten "Mitwirkendenvertrag (Beschäftigungsvertrag)".
3
Neben den Honorarzahlungen
erhielt die Klägerin von X in den Streitjahren 2002 und 2003 Urlaubsgeld und
Beitragszuschüsse zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Der
Anspruch auf diese Zahlungen war im "Tarifvertrag für auf Produktionsdauer
Beschäftigte der X" geregelt. Die so genannten "Arbeitgeberzuschüsse" zur
Kranken- und Pflegeversicherung ließ die Klägerin im Rahmen ihrer
Umsatzsteuererklärungen unberücksichtigt.
4
Anlässlich einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Zuschüsse
der X zur Kranken- und Pflegeversicherung stellten umsatzsteuerrechtliches
Entgelt für die Leistungen der Klägerin dar.
5
Entsprechend den
Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA -) geänderte Umsatzsteuerjahresbescheide für die Streitjahre.
6
Die Klage hatte Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Klägerin sei zwar Unternehmerin i.S.
des § 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG), die Zuschüsse der X zur
privaten Kranken- und Pflegeversicherung stellten jedoch kein Entgelt im
umsatzsteuerrechtlichen Sinne dar. Sie seien kein Bestandteil der
vertraglich vereinbarten Leistungsvergütung. Zu ihrer Zahlung sei X vielmehr
gesetzlich verpflichtet. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den
Beitragszuschüssen und den Leistungen der Klägerin sei nicht erkennbar. Das
Urteil ist veröffentlich in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 292.
7
Das FA trägt zur Begründung
seiner Revision im Wesentlichen vor, entgegen der Würdigung durch das FG
stünden die Beitragszuschüsse in unmittelbarem Zusammenhang mit den
erbrachten Leistungen. Mit der Beauftragung der Klägerin erhalte diese als
"unständig Beschäftigte" unter den weiteren in § 257 des Sozialgesetzbuchs
Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) genannten
Voraussetzungen einen Anspruch auf Zahlung von Beitragszuschüssen zu ihrer
freiwilligen Krankenversicherung. Auch wenn diese Verpflichtung der X nicht
privatrechtlich begründet sei, sondern auf den gesetzlichen Bestimmungen des
§ 257 Abs. 2 SGB V bzw. § 61 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Elftes Buch -
Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) beruhe, ändere dies nichts daran, dass X
diese Beitragszuschüsse ebenso wie die originären Honorarzahlungen aufwende,
um die Leistungen der Klägerin zu erhalten. Der unmittelbare Zusammenhang
zwischen den Leistungen der Klägerin und den Beitragszuschüssen sei nicht
durch die gesetzliche Verpflichtung der X unterbrochen.
8
Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
10
Die Revision ist unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Recht
hat das FG entschieden, dass die von X gezahlten Beitragszuschüsse zur
privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin umsatzsteuerrechtlich
nicht als Entgelt zu beurteilen sind.
11
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der
Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer
im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Es kann
offen bleiben, ob die Klägerin Unternehmerin i.S. des § 2 UStG war. Denn
jedenfalls handelte es sich bei den von X gezahlten Zuschüssen zur privaten
Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin nicht um Entgelt i.S. der §§ 1
Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 UStG.
12
a) Der Umsatz wird bei Lieferungen und
sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) gemäß § 10 Abs. 1 Sätze
1 und 2 UStG nach dem Entgelt bemessen, wobei Entgelt alles ist, was der
Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich
der Umsatzsteuer. Diese Regelung beruht auf Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a
der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach ist bei Lieferungen von
Gegenständen und Dienstleistungen Besteuerungsgrundlage alles, was den Wert
der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese
Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten
erhält oder erhalten soll. Gemäß Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 77/388/EWG sind in die Besteuerungsgrundlage die Steuern, Zölle,
Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst
einzubeziehen.
13
b) Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Zahlung/Aufwendung grundsätzlich (nur) dann
Entgelt/Gegenleistung für eine bestimmte Leistung, wenn sie "für die
Leistung" bzw. "für diese Umsätze" gewährt wird bzw. der Leistende sie
hierfür erhält (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 V R 75/98, BFH/NV 2002, 547,
unter II.3.c der Gründe). Zahlt eine Rundfunkanstalt aufgrund einer
satzungsmäßigen Verpflichtung zugunsten ihrer freien Mitarbeiter Beiträge an
eine Pensionskasse für freie Mitarbeiter der Deutschen Rundfunkanstalten,
gehören auch diese Beiträge zum Entgelt für die Leistungen der Mitarbeiter
(vgl. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 73/01, BFHE 200, 130, BStBl II
2003, 217).
14
Gesetzlich geschuldete
Sozialversicherungsbeiträge können hingegen kein Entgelt i.S. von § 10 UStG
sein, da der Leistungsempfänger in diesen Fällen eine eigene Verbindlichkeit
tilgt (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 2009 V R 37/08, BFHE 226, 415, BStBl II
2009, 873). Nicht zum Entgelt nach § 10 UStG gehören öffentlich-rechtliche
Abgaben, die der Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden
Verpflichtung schuldet, auch wenn sie durch die bezogene Leistung veranlasst
sind. Kein Entgelt ist daher beispielsweise die vom Erwerber gezahlte
Grunderwerbsteuer, auch wenn die Zahlung der Grunderwerbsteuer durch den
Erwerber den Grundstückslieferer von seiner Grunderwerbsteuerschuld befreit.
Dementsprechend erhöhen auch andere öffentlich-rechtliche Abgaben, die der
Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden Verpflichtung zu entrichten
hat (wie nach dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - für den Arbeitgeber von Gesetzes
wegen bestehenden Beitragspflichten) nicht das Entgelt (vgl. zum Ganzen
BFH-Urteil in BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873).
15
c) Die zitierten BFH-Urteile stimmen mit
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) überein.
Hiernach ist Besteuerungsgrundlage einer Lieferung von Gegenständen i.S. des
Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG alles, was in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Lieferung als Gegenleistung erlangt wird,
in Geld ausgedrückt werden kann und einen subjektiven Wert darstellt (vgl.
EuGH-Urteile vom 23.
November 1988 Rs. C-230/87 - Naturally Yours Cosmetics -, Slg. 1988, 6365;
vom 3. Juli 2001 Rs. C-380/99 -
Bertelsmann -, Slg. 2001, I-5163, BFH/NV 2001, Beilage 3, 192, Randnr. 17).
Sowohl nach der BFH- als auch nach der EuGH-Rechtsprechung sind gezahlte
Beträge somit nur dann Entgelt, wenn der Anspruch auf Zahlung unmittelbar
mit der erbrachten Leistung zusammenhängt (vgl. allgemein hierzu BFH-Urteil
in BFH/NV 2002, 547, unter II.3.c der Gründe).
16
d) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das
FG zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den von X gezahlten
Zuschüssen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin nicht
um Entgelt i.S. der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 UStG handelt.
17
aa) Die Klägerin hat diese Beträge nicht
für die von ihr ausgeführten Leistungen erhalten, sondern weil X hierzu
gesetzlich und unabdingbar verpflichtet war.
18
Nach den mit der Revision nicht
angegriffenen Feststellungen des FG war die Klägerin in den Streitjahren
eine nach § 232 Abs. 3 SGB V so genannte "unständig Beschäftigte" bei X. Als
solche war sie grundsätzlich gemäß §§ 5 Abs. 1 SGB V, 23 Abs. 1 SGB XI in
der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen Pflegeversicherung
versicherungspflichtig. Wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze
war sie in den Streitjahren jedoch gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der
gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei. Sie hatte deshalb gegen
X einen Anspruch auf Zahlung eines Beitragszuschusses. Denn nach § 257 Abs.
2 Satz 1 SGB V erhalten Beschäftigte, die von der Versicherungspflicht
befreit und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert
sind und unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen
Vertragsleistungen beanspruchen können, die der Art nach den Leistungen des
SGB V entsprechen, von ihrem Arbeitgeber einen Beitragszuschuss. § 61 Abs. 2
SGB XI enthält eine weitgehend inhaltsgleiche Regelung für den Bereich der
sozialen Pflegeversicherung. Der Zuschuss beträgt gemäß §§ 257 Abs. 2 Satz 2
SGB V, 61 Abs. 2 Satz 2 SGB XI höchstens die Hälfte des Betrages, den der
Beschäftigte für seine Kranken- bzw. Pflegeversicherung zu zahlen hat.
Darüber hinausgehende Beitragszuschüsse hat X nach den Feststellungen des FG
nicht gezahlt.
19
Im Gegensatz zu zivilrechtlich geschuldetem
Entgelt standen diese Beitragszuschüsse nicht zur Disposition der Klägerin
und der X. Denn der Anspruch auf den Beitragszuschuss nach § 257 SGB V ist
unabdingbar, so dass ein Verzicht des Arbeitnehmers darauf unzulässig ist
(vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 8. Oktober 1998 B 12 KR
19/97 R, BSGE 83, 40; Engelhard in: Schulin, HS-KV, § 54 Rz 405).
20
bb) Zwar unterscheiden sich die
Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung von
Sozialversicherungsbeiträgen dadurch, dass der Arbeitgeber Erstere gegenüber
dem Beschäftigten, Letztere hingegen gegenüber den
Sozialversicherungsträgern schuldet (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 226, 415,
BStBl II 2009, 873). Jedoch handelt es sich bei beiden um
öffentlich-rechtliche Ansprüche (vgl. zu § 257 SGB V BSG-Urteil in BSGE 83,
40; sowie Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes vom 4. Juni 1974 GmS-OGB 2/73, BSGE 37, 292, zu der mit § 257 SGB V
weitgehend inhaltsgleichen Regelung in § 405 der
Reichsversicherungsordnung). Zudem ist der Zuschuss nach § 257 SGB V das
Gegenstück zum vom Arbeitgeber gemäß § 249 Abs. 1 SGB V geschuldeten Anteil
zur gesetzlichen Krankenversicherung des Beschäftigten (vgl. Knispel in
Peters, Handb KV II SGB V § 257 Rz 7). Es ist daher nicht gerechtfertigt,
die von X gezahlten Beträge umsatzsteuerrechtlich anders zu beurteilen als
gesetzlich vom Arbeitgeber geschuldete Sozialversicherungsbeiträge. Dabei
ist auch zu berücksichtigen, dass es unter Umständen nur von Zufälligkeiten
abhängt, ob die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird und statt der
Pflichtversicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse ein Anspruch auf
Beitragszuschuss gemäß § 257 SGB V besteht.
21
cc) Die von der Klägerin gegenüber X
ausgeführten Leistungen hingen ferner nur mittelbar mit den von X gezahlten
Zuschüssen zusammen. Denn X hätte keine Beitragszuschüsse nach den §§ 257
Abs. 2 SGB V, 61 Abs. 2 SGB XI zahlen müssen, wenn die Klägerin sich nicht
privat krankenversichert hätte. Außerdem hatte die Klägerin einen Anspruch
auf einen Zuschuss zu ihrer privaten Krankenversicherung auch für Zeiten, in
denen sie von X Urlaubsgeld erhielt und keine Leistungen ausführte (vgl.
Knispel in Peters, a.a.O., § 257 Rz 32).
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