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BFH-Urteil vom 16.12.2009 (II R 44/07) BStBl. 2010 II S. 1097
Schadenszahlungen und Regulierungskosten eines Versicherungsnehmers kein
Versicherungsentgelt
Schadenszahlungen und Regulierungskosten, die ein Versicherungsnehmer in der
Kfz-Haftpflichtversicherung entsprechend einer mit dem Versicherer
getroffenen Vereinbarung selbst trägt, sind kein Versicherungsentgelt i.S.
des § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG.
AO § 41; KfzPflVV § 2, § 4; PflVG § 1, § 3;
VerStG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 26.
September 2007 3 K 142/06 (EFG 2008, 345)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Versicherungsgesellschaft, schloss am 26.
April 2005 mit der A GmbH & Co. KG (A) als Versicherungsnehmerin eine
Rahmenvereinbarung über Kfz-Haftpflichtversicherungen für
Selbstfahrervermietfahrzeuge und versicherte auf dieser Grundlage ca. 5 000
Fahrzeuge der A in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Die von A zu zahlende
Jahresstückprämie betrug 285 EUR zuzüglich Versicherungsteuer.
2
Nach der Rahmenvereinbarung
betrug die Deckungssumme in der Kfz-Haftpflichtversicherung 50 Mio. EUR
pauschal für Sach-, Vermögens- und Personenschäden und maximal 8 Mio. EUR je
geschädigte Person. Sach- und sonstige Vermögensschäden gehörten jedoch nur
zum Versicherungsumfang, soweit diese je Versicherungsfall 100.000 EUR
überstiegen (§ 3 Abs. 1 des Rahmenvertrags). Im Fall ihrer direkten
Inanspruchnahme durch Dritte war die Klägerin im Außenverhältnis auch für
solche Sach- und Vermögensschäden voll einstandspflichtig, für die im
Innenverhältnis eine Einstandspflicht gegenüber A nicht bestand. Dies sollte
auch für den Fall der Zahlungsunfähigkeit der A gelten. Nach der Anlage 4
zur Rahmenvereinbarung sollte A die geltend gemachten Sach- und
Vermögensschäden einschließlich der Nebenforderungen in eigener
Verantwortung bis zu einer Schadenshöhe von 100.000 EUR je Versicherungsfall
regulieren. Sofern ein Schaden von der Klägerin reguliert wurde, hatte A
dieser den Sach- und Vermögensschadensaufwand bis zu der vereinbarten Höhe
von 100.000 EUR zu erstatten.
3
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat gegenüber der Klägerin die
Rechtsauffassung, ein im Innenverhältnis zwischen Versicherer und
Versicherungsnehmer vereinbarter sog. Selbstbehalt sei als ein zur
Begründung und Durchführung des Versicherungsverhältnisses an den
Versicherer zu zahlender Regress zu behandeln. Dieser führe
versicherungsteuerrechtlich zu einer Erhöhung des in der Prämienabrechnung
ausgewiesenen Versicherungsentgelts. Die Klägerin teilt diese Auffassung
nicht, bezog aber in ihre Versicherungsteueranmeldung für Dezember 2005 vom
16. Januar 2006, berichtigt durch Versicherungsteueranmeldung vom 15.
Februar 2006, die bei A in den Monaten September bis Dezember 2005
angefallenen Kosten der Eigenbehalts-Vorgänge in Höhe von 92.682,60 EUR ein;
die daraus errechnete Versicherungsteuer betrug 14.829,22 EUR. Der gegen die
Versicherungsteueranmeldung erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.
4
Das Finanzgericht (FG) hat
der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 345
veröffentlichten Urteil stattgegeben. Die von A aufgewendeten
Schadenszahlungen und Regulierungskosten seien kein Versicherungsentgelt
i.S. des § 3 Abs. 1 des Versicherungsteuergesetzes (VersStG), weil es an
einem Geldfluss im Verhältnis zur Klägerin und an einer Gegenleistung für
die Gewährung von Versicherungsschutz fehle. A habe insoweit keine Leistung
an die Klägerin bewirkt. Ein Versicherungsentgelt ergebe sich auch nicht
daraus, dass die Klägerin im Außenverhältnis zu den Geschädigten ihre
Inanspruchnahme nicht habe ausschließen können. Soweit die Klägerin das
Ausfallrisiko für den Fall der Insolvenz der A zu tragen habe, könne ein
hierfür anzusetzendes Entgelt jedenfalls nicht aus den eingetretenen Schäden
und dem angefallenen Regulierungsaufwand berechnet werden.
5
Mit seiner Revision rügt das
FA Verletzung des § 3 Abs. 1 VersStG. Versicherungsentgelt seien im
Streitfall die vereinbarten Stückprämien, die von A geleisteten
Schadenszahlungen sowie die mit der Schadensregulierung erbrachten
Dienstleistungen. Die in der Rahmenvereinbarung begründete Pflicht der A zur
Schadenstragung und -abwicklung diene der Erfüllung einer
versicherungsvertraglichen Leistungspflicht der Klägerin gegenüber den
Geschädigten. Aus den in der Rahmenvereinbarung übernommenen Verpflichtungen
der A ergäbe sich keinerlei Haftungsausschluss oder -beschränkung der
Klägerin, weil sich diese ihrer aus dem Pflichtversicherungsgesetz in der
für den Streitfall maßgeblichen Fassung (PflVG) i.V.m. §§ 2 und 4 der
Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV) ergebenden
Leistungspflichten nicht habe entziehen können. Versicherungsteuerrechtlich
liege kein von dem Innenverhältnis der Klägerin zu A zu unterscheidendes
Außenverhältnis zu den Geschädigten vor. Auch die von A übernommene
Verpflichtung zur Schadensregulierung gehöre zu den originären Aufgaben des
Versicherers.
6
Das FA beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
8
Das dem Verfahren
beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich dem Vorbringen
des FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat
zutreffend erkannt, dass lediglich die von A zu zahlenden Stückprämien von
285 EUR je Fahrzeug der Versicherungsteuer unterliegen und die von A
entsprechend der mit der Klägerin geschlossenen Rahmenvereinbarung
übernommenen Schadenszahlungen und Regulierungskosten nicht der
Versicherungsteuer unterworfen sind.
10
1. Der Versicherungsteuer unterliegt nach
näherer Maßgabe des § 1 VersStG die Zahlung des Versicherungsentgelts
aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen
Versicherungsverhältnisses. Unter dem Versicherungsverhältnis sind das durch
Vertrag oder auf sonstige Weise entstandene Rechtsverhältnis des einzelnen
Versicherungsnehmers zum Versicherer und seine Wirkungen zu verstehen
(Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. August 1961 II 234/58 U, BFHE
73, 628, BStBl III 1961, 494; vom 29. April 1964 II 187/60 U, BFHE 79, 510,
BStBl III 1964, 417; vom 5. Februar 1992 II R 93/88, BFH/NV 1993, 68; vgl.
auch bereits Urteil des Reichsfinanzhofs vom 18. Januar 1929 II A 609/28,
RStBl 1929, 145). Wesentliches Merkmal für ein "Versicherungsverhältnis"
i.S. des § 1 Abs. 1 VersStG ist das Vorhandensein eines vom Versicherer
gegen Entgelt übernommenen Wagnisses (BFH-Urteile vom 15. Juli 1964 II
147/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965, 85; vom 29. November
2006 II R 78/04, BFH/NV 2007, 513).
11
Versicherungsentgelt ist gemäß § 3 Abs. 1
Satz 1 VersStG jede Leistung, die für die Begründung und zur Durchführung
des Versicherungsverhältnisses an den Versicherer zu bewirken ist. Zahlung
des Versicherungsentgelts ist jede Leistung, die die Schuld des
Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer erlöschen lässt (BFH-Urteil
vom 20. April 1977 II R 47/76, BFHE 122, 559, BStBl II 1977, 748). Davon
ausgenommen ist, was zur Abgeltung einer Sonderleistung des Versicherers
oder aus einem sonstigen in der Person des einzelnen Versicherungsnehmers
liegenden Grund gezahlt wird (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VersStG).
12
Gegenstand der Besteuerung ist nicht das
Versicherungsverhältnis als solches (Begründung zum VersStG 1937, RStBl
1937, 839), sondern vielmehr die Zahlung des Versicherungsentgelts durch den
Versicherungsnehmer, d.h. durch den zur Zahlung Verpflichteten. Die
Versicherungsteuer ist eine Verkehrsteuer auf den rechtlich erheblichen
Vorgang des Geldumsatzes. Entscheidend ist, dass eine geschuldete Leistung
an den Gläubiger so bewirkt wird, dass die Schuld durch Zahlung des
Versicherungsentgelts erlischt (BFH-Urteile in BFHE 73, 628, BStBl III 1961,
494, und in BFH/NV 1993, 68, m.w.N.).
13
2. Soweit A gemäß der Rahmenvereinbarung
Schäden bis zu einer Höhe von 100.000 EUR selbst getragen hat, erfüllen die
von ihr insoweit aufgewendeten Beträge nicht die Merkmale eines
Versicherungsentgelts i.S. des § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG.
14
a) Nach der mit der Klägerin getroffenen
Vertragsabrede hatte A diese Aufwendungen allein zu tragen. Das
entsprechende Zahlungsrisiko war - von dem noch nachfolgend zu behandelnden
Fall der Zahlungsunfähigkeit der A abgesehen - nicht, wie für eine
Versicherung im Sinne des VersStG erforderlich, auf einen größeren Kreis von
Teilnehmern verteilt. Demgemäß fehlt es bei den von A unmittelbar an die
Geschädigten erbrachten Schadensleistungen an der von § 1 VersStG
vorausgesetzten Tilgung einer Schuld zwischen dem Versicherungsnehmer als
Schuldner und dem Versicherer als Gläubiger (vgl. BFH-Urteil in BFHE 79,
510, BStBl III 1964, 417).
15
Ein Versicherungsentgelt liegt auch nicht
vor, soweit zunächst die Klägerin Schadenszahlungen aufgrund ihrer im
Verhältnis zu den Geschädigten gemäß §§ 1 und 3 PflVG i.V.m. §§ 2 und 4
KfzPflVV unbeschränkten Haftung an Geschädigte zu leisten hatte und sodann
von A erstattet bekam (Ziff. II. 4. der Anlage 4 der Rahmenvereinbarung).
Denn insoweit fehlte es wegen der alleinigen Risikotragung der A an einem
von der Klägerin gewährten Versicherungsschutz.
16
Schließlich sind die von A vertragsgemäß zu
leistenden Schadenszahlungen erst recht kein Versicherungsentgelt, soweit -
abweichend von dem im Streitfall gegebenen Sachverhalt - A zahlungsunfähig
geworden wäre und die Klägerin die entsprechenden Schadensbeträge endgültig
hätte tragen müssen. In einem solchen Fall fehlte es mangels
Zahlungsfähigkeit der A von vornherein an einem die Voraussetzungen des § 1
Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG erfüllenden Zahlungsvorgang. Gegenleistung für
das mit der Zahlungsunfähigkeit der A verbundene und insoweit von der
Klägerin übernommene Risiko ist allein die von A zu zahlende Stückprämie.
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b) Demgemäß kann den von A erbrachten
Schadensleistungen wegen der fehlenden gemeinsamen Risikotragung - entgegen
der Auffassung des FA - auch unter dem Gesichtspunkt der Begründung und
Durchführung des Versicherungsverhältnisses (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VersStG)
nicht die Eigenschaft eines Versicherungsentgelts zukommen. Der von A aus
eigenem Vermögen zu bewirkende Schadensausgleich kommt einer "Eigendeckung"
gleich, die als Nichtversicherung keine Versicherungsteuerpflicht auslöst
(BFH-Urteil in BFHE 79, 510, BStBl III 1964, 417). An dieser Beurteilung
ändert sich auch dann nichts, wenn sich diese Eigendeckung - wie im
Streitfall - wegen ihrer betragsmäßigen Beschränkung nur auf einen Teil des
gesamten Risikos der Kfz-Haftpflichtversicherung erstreckt. Allein der
Umstand, dass es darüber hinaus wegen der Vorgaben des PflVG der Begründung
eines Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrags mit einer unbeschränkten Haftung
auch des Versicherers (vgl. § 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflVG) bedurfte, lässt eine
Behandlung der durch Eigendeckung des Versicherungsnehmers bewirkten
Schadensleistungen als Versicherungsentgelt nicht zu. Maßgebend für das
Versicherungsentgelt i.S. des § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG ist allein
das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer, nicht aber
das (Außen-)Verhältnis zwischen Versicherer und Geschädigtem. Es ist daher
unerheblich, ob - wie das BMF geltend macht - versicherungsrechtlich das von
der Klägerin übernommene Kfz-Haftpflichtrisiko durch den vereinbarten
Selbstbehalt weder dem Grund noch der Höhe nach eingeschränkt worden ist.
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c) Versicherungsteuerrechtlich ist es
schließlich auch ohne Bedeutung, ob die vertragliche Vereinbarung einer
Selbstbeteiligung in der Kfz-Haftpflichtversicherung überhaupt rechtlich
zulässig ist und welchen versicherungsrechtlichen Grenzen die zwischen der
Klägerin und A getroffenen Vereinbarungen ggf. unterliegen. Es kann
insbesondere offen bleiben, ob die von der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungen mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 gegenüber der
Klägerin geäußerte Rechtsauffassung über eine grundsätzlich gegebene
Möglichkeit zur Vereinbarung von Selbstbehalten in der
Kfz-Haftpflichtversicherung zutrifft. Diese Frage betrifft allein die
versicherungsrechtliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen der
Klägerin und A. Sie lässt den für die Versicherungsteuer maßgebenden
Gegenstand der Besteuerung unberührt. Für das Versicherungsteuerrecht kann
das allgemeine Versicherungsrecht nur insoweit maßgebend sein, als das
VersStG nichts anderes erkennen lässt (BFH-Urteil in BFHE 79, 510, BStBl III
1964, 417).
19
Sollte die zwischen der Klägerin und A
geschlossene Rahmenvereinbarung - bzw. die darauf beruhenden einzelnen
Kfz-Haftpflichtversicherungsverträge - gegen ein gesetzliches Verbot
verstoßen und daher nichtig sein (§ 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), wäre
dies, da die Vertragsbeteiligten im Streitfall das wirtschaftliche Ergebnis
der Rahmenvereinbarung gleichwohl haben eintreten und bestehen lassen, gemäß
§ 41 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) für die Besteuerung unerheblich. Auf der
Grundlage des § 41 AO ist - entgegen der Meinung des FA - für eine den
gesetzlichen Wertungen des VersStG widersprechende Ausdehnung des
Gegenstands der Versicherungsteuer auf Zahlungen, die nicht die Merkmale
eines Versicherungsentgelts i.S. des § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG
erfüllen, kein Raum. Auch das vom BMF herausgestellte fiskalische Interesse
an einer Sicherung des Versicherungsteueraufkommens rechtfertigt nicht die
Preisgabe der vom VersStG vorgegebenen Besteuerungsgrundsätze.
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Es kann schließlich offen bleiben, ob A
hinsichtlich der selbst zu tragenden Schäden im Verhältnis zu seinen Kunden
die Eigenschaft eines Versicherers zukommt. Eine etwa insoweit begründete
Steuerpflicht der A betrifft einen anderen als den hier besteuerten
Lebenssachverhalt.
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3. Auch die von A getragenen Kosten zur
Abwicklung der Schadensregulierung sind kein Versicherungsentgelt i.S. des §
1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG. Insoweit hat A zwar die Klägerin von deren
eigener Verpflichtung zur Befriedigung begründeter und der Abwehr
unbegründeter Schadensersatzansprüche (§ 2 Abs. 1 KfzPflVV) entlastet. Dies
rechtfertigt jedoch aus den in II.2. dargelegten Gründen nicht die Annahme,
die von A aufgewendeten Regulierungskosten seien zur Begründung und
Durchführung des Versicherungsverhältnisses erbracht worden und damit als
Versicherungsentgelt i.S. des § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 VersStG zu
behandeln.
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