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BFH-Urteil vom 22.2.1980 (VI R 132/79) BStBl. 1980 II S. 398

Wird ein Urteil nicht verkündet, so entspricht das FG auch dann der Vorschrift des § 104 Abs. 2 FGO, wenn es das von den Berufsrichtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergibt. Die Überschreitung dieser Frist für sich allein ist jedoch kein in der Revision beachtlicher Verfahrensmangel.

FGO § 104 Abs. 2, § 105 Abs. 4 Satz 2, § 119 i.V.m. § 120 Abs. 2 Satz 2.

Sachverhalt

Auf die Klage hatte das Finanzgericht (FG) auf den 8. November 1978 mündliche Verhandlung anberaumt, die mit der Verkündung des Beschlusses geschlossen wurde, daß die Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Da das bis zum 21. Dezember 1978 nicht geschehen war, fragte die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin schriftlich unter diesem Datum beim Vorsitzenden des FG an,

a) an welchem Tag das Urteil der Geschäftsstelle übergeben worden sei (§ 104 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und

b) welchen Ausgang die Sache gefunden habe.

Hierauf antwortete der Berichterstatter des FG unter dem 28. Dezember 1978 u. a. wie folgt:

"Zu Ihrer Information teile ich Ihnen nachfolgend den Tenor des am 8. November 1978 beschlossenen Urteils mit:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zustellung des vollständigen Urteils wird baldmöglichst erfolgen."

Die Entscheidung wurde am 13. Januar 1979 zugestellt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin der Vorinstanz unterlaufene Formfehler sowie die Verletzung materiellen Rechts.

Einen Formfehler sieht die Klägerin vor allem darin, daß die Urteilsformel des am 8. November 1978 nach mündlicher Verhandlung beschlossenen, aber nicht verkündeten Urteils vom FG nicht innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben worden sei.

Ihre - der Klägerin - Prozeßbevollmächtigte habe am 14. Dezember 1978 - also nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 104 Abs. 2 FGO - beim FG telefonisch angefragt und sich sowohl bei der Geschäftsstelle als auch beim Berichterstatter nach dem Ergebnis des Verfahrens erkundigt. Die Geschäftsstelle habe ihr keine konkrete Auskunft erteilt und ihr zu verstehen gegeben, vom Ausgang der Sache nicht unterrichtet zu sein. Der Berichterstatter, auf dessen dienstliche Äußerung sie sich berufe, habe ihrer Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt, er habe nach der Verhandlung Urlaub genommen; die Anruferin möge dafür Verständnis aufbringen, daß er das Urteil in der Zwischenzeit noch nicht ausgearbeitet habe. Die erbetene Auskunft sei der Prozeßbevollmächtigten auf ihre schriftliche Anfrage hin erst durch die Verfügung des Berichterstatters vom 28. Dezember 1978 zuteil geworden. Aber auch dabei sei er der weiteren Frage, wann die Urteilsformel hinterlegt worden sei, - offenbar bewußt - ausgewichen.

Daraus könne nur geschlossen werden, daß die Urteilsformel innerhalb der Zweiwochenfrist des § 104 Abs. 2 FGO noch nicht unterzeichnet und der Geschäftsstelle übergeben gewesen sei. Auf diesem Verfahrensverstoß gegen § 104 Abs. 2 FGO könne das Urteil beruhen. Bei der langen Zeit zwischen der Beschlußfassung über das Urteil und der Übergabe an die Geschäftsstelle ließe sich nicht ausschließen, daß das Urteil nicht auf dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat des FG beruhe, insbesondere, daß der Verfasser des Urteils nach dem Urlaub das Beratungsergebnis nur noch in undeutlicher Erinnerung gehabt habe und genötigt gewesen sei, es bei der Absetzung des Urteils zu rekonstruieren.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die von der Klägerin erhobenen, formellen Rügen greifen nicht durch.

Die Klägerin bezweifelt nach ihrem Vortrag nicht, daß das angefochtene Urteil am 8. November 1978 nach der mündlichen Verhandlung von den beteiligten Richtern beschlossen worden ist. Sie rügt lediglich, daß das nicht verkündete Urteil nicht binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung - wie das § 104 Abs. 2 FGO vorschreibt - der Geschäftsstelle übergeben worden sei. Dieser Vorschrift hätte das FG - wenn die vollständige Abfassung des Urteils in dieser Zeitspanne aus bestimmten Gründen, z. B. wegen Erkrankung oder Urlaub des damit betrauten Richters, nicht möglich sein sollte - auch dadurch entsprechen können, daß es analog § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO die von den Berufsrichtern unterschriebene Urteilsformel bei der Geschäftsstelle niederlegte (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85 [87], BStBl II 1975, 232 [233]; Gräber, Finanzgerichtsordnung, München 1978, § 104, Rdnr. 9; so ferner zu den im wesentlichen gleichlautenden Vorschriften der §§ 116, 117 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auch das Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - in den Beschlüssen vom 24. August 1970 I B 129/67, Neue Juristische Wochenschrift 1970 S. 2132 - NJW 1970, 2132 -, und vom 24. Juni 1971 I CB 4/69, NJW 1971, 1854). Aber auch dies sei nach den Darlegungen der Klägerin anscheinend nicht geschehen.

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Vermutung der Klägerin insoweit zutrifft. Denn der gerügte Verfahrensmangel gehört nicht zu den abschließend in § 119 FGO aufgeführten sog. absoluten Revisionsgründen, für die der Gesetzgeber im Grundsatz die unwiderlegliche Vermutung aufstellt, daß das Urteil auf dem Mangel - wenn er erwiesen wird - beruht (Gräber, a. a. O., § 119, Rdnr. 1). Daher muß in einem solchen Fall der Beteiligte jeweils dartun und beweisen, daß die Entscheidung, d. h. die Urteilsformel, bei rechtzeitiger Niederlegung anders gelautet hätte, als sie ihm mitgeteilt worden ist. Das aber hat die Klägerin nicht einmal behauptet.

Darauf, daß der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils in Einzelheiten möglicherweise anders ausgefallen wären, wenn der Berichterstatter das Urteil unverzüglich abgefaßt hätte, kommt es nicht an. Daß die Urteilsformel möglicherweise nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 104 Abs. 2 FGO der Geschäftsstelle übergeben worden ist, ist insbesondere deshalb unbeachtlich, weil es sich insoweit nur um eine Ordnungsvorschrift handelt, deren Nichtbefolgung keine prozessuale Bedeutung hat.