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BFH-Urteil vom 20.5.1980 (VI R 241/77) BStBl. 1980 II S. 582

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit einem Taxi können Werbungskosten sein.

EStG 1975 § 9 Abs. 1 Nr. 4.

Sachverhalt

Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1975 (Streitjahr) machte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 1.153 DM als Werbungskosten geltend. Dieser Betrag setzt sich aus Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel, und zwar für eine Netzkarte in Höhe von 234 DM und für Sammelkarten in Höhe von 46 DM, sowie für Taxifahrten in Höhe von 873 DM zusammen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr neben den Kosten der Netzkarte die Aufwendungen für Sammelkarten in Höhe von 22 DM und für Taxifahrten im Betrag von 721 DM zum Abzug zu. In der Einspruchsentscheidung berücksichtigte das FA die Kosten für Taxifahrten nicht mehr.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zum Teil statt. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung, die in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 473 (EFG 1977, 473) veröffentlicht ist, aus: Bei Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nicht entscheidend, ob und in welchem Umfang diese Aufwendungen notwendig seien. Der Arbeitnehmer sei in der Wahl des Beförderungsmittels in der Regel frei. Aufwendungen für Taxifahrten könnten daher nicht grundsätzlich vom Abzug als Werbungskosten ausgeschlossen werden. Wer jedoch für eine Beförderung die nicht unerheblichen Kosten einer Taxe aufwende, tue dies meistens nicht nur, um von Ort zu Ort zu kommen. Mitbestimmend für die Inanspruchnahme einer Taxe sei je nach Mentalität auch die Bequemlichkeit oder das Bedürfnis, sich einen gewissen Luxus zu leisten. Manchmal handele es sich auch nur um einen leichtsinnigen Umgang mit Geld. In diesen Fällen mischten sich beruflicher Anlaß und Mitbestimmung durch außerberufliche Motive derart, daß der Aufwand mangels Trennbarkeit dieser Motive insgesamt der Lebensführung zuzurechnen sei. Übrig blieben nur die verhältnismäßig wenigen Fälle, in denen jemand etwa bis in die Abendstunden gearbeitet habe und wegen langer Fahrtzeit oder aus Besorgnis vor einem Fußweg im Dunkeln öffentliche Verkehrsmittel nicht benutze. Hier überwiege die Berufsbezogenheit der Aufwendungen.

Wie oft die Klägerin eine Taxe aus diesem Anlaß genommen habe, sei zu schätzen, da ihre zahlreichen Taxifahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte nicht alle in diesem Sinne berufsbezogen gewesen sein könnten und sie auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, daß sie so häufig, wie es die Belege auswiesen, bis spät abends gearbeitet habe. Bei der Schätzung habe sich das Gericht an den Kosten ausgerichtet, die die Klägerin hätte als Werbungskosten geltend machen können, wenn sie ein eigenes Kraftfahrzeug (Kfz) für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt hätte. Neben den Kosten der Netzkarte sowie weiterer 22 DM für Sammelkarten seien daher 250 DM für Taxifahrten als Werbungskosten anzuerkennen.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie führt aus, Werbungskosten könnten auch dann vorliegen, wenn die Aufwendungen weder notwendig noch objektiv zweckmäßig seien. Der Abzug dürfe nicht auf den üblichen Aufwand begrenzt werden. Da der Steuerpflichtige ein Wahlrecht habe, welche Kosten er für die Beförderung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufwende, dürften Aufwendungen für die Benutzung einer Taxe nicht vom Abzug ausgeschlossen werden. Eine Schätzung der berufsbezogenen Aufwendungen anhand der Kosten, die bei der Benutzung eines eigenen Kfz entstanden wären, widerspreche dem Sinn des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Es sei im übrigen nicht zutreffend, daß einem Steuerpflichtigen bei einer Beförderung durch eine Taxe so erhebliche Kosten entstünden, daß die Annahme des FG, private Gesichtspunkte spielten eine entscheidende Rolle, gerechtfertigt sei. Wenn sie ausschließlich oder überwiegend für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein eigenes Fahrzeug gehalten hätte, wären ihr höhere Aufwendungen als die angefallenen Taxikosten entstanden. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß sie bei einer einfachen Fahrt mit einer Taxe gegenüber der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel unter Einrechnung des dann erforderlichen Fußweges einen Zeitgewinn von etwa 30 Minuten erziele.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Aufwendungen der Klägerin für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitstätte mit dem Taxi sind entgegen der Auffassung der Vorinstanz in vollem Umfang gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG als Werbungskosten abziehbar. Durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I 1954, 373, BStBl I 1954, 575) wurde § 9 Nr. 4 EStG in der bis einschließlich 1954 geltenden Fassung dahin geändert, daß nach der Neufassung des § 9 EStG 1955 die Beschränkung der absetzbaren Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf die notwendigen Kosten wegfiel. Nach dem Rechtszustand seit dem Jahre 1955 steht es dem Arbeitnehmer daher grundsätzlich frei, mit welchem Verkehrsmittel er die entsprechenden Fahrten durchführen will (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. September 1970 VI R 85/68, BFHE 100, 202, BStBl II 1971, 55 unter I.; vgl. auch Abschn. 24 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1978). Dementsprechend hat auch der Große Senat des BFH in dem Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105) unter B, II, 3, e, allerdings für den Sonderfall, daß dem Steuerpflichtigen die Fahrerlaubnis entzogen war, ausgeführt, Aufwendungen für Fahrten mit dem Taxi zur Arbeitsstätte könnten wegen der eindeutigen Berufsbezogenheit dieser Kosten Werbungskosten sein (vgl. auch Lademann/Lenski/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 9 Anm. 69; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" I, 3; Oberfinanzdirektion - OFD - Düsseldorf, Rundverfügung vom 11. Juni 1955, Der Betrieb 1955 S. 883 - DB 1955, 883 -). An dieser Rechtslage ändert sich nichts dadurch, daß die Klägerin im Streitfall die Möglichkeit gehabt hätte, die fraglichen Fahrten statt mit dem Taxi kostengünstiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchzuführen.

a) Der Senat teilt die Auffassung des FG nicht, außerberufliche Motive seien für die Inanspruchnahme einer Taxe für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in der Regel derart mitbestimmend, daß die Aufwendungen mangels Trennbarkeit der beruflichen von der privaten Veranlassung nach § 12 Nr. 1 EStG insgesamt der Lebensführung zuzurechnen seien. Es mag dahinstehen, ob auch Gesichtspunkte, wie sie von der Vorinstanz genannt wurden, für die Klägerin bei der Wahl einer Taxe als Beförderungsmittel mitbestimmend waren. Diesen möglicherweise der Privatsphäre zuzurechnenden Umständen könnte jedoch im Streitfall kein solches Gewicht beigemessen werden, daß durch sie die bei weitem überwiegende berufliche Veranlassung der Fahrten in Frage gestellt wäre. Denn in erster Linie dient die Inanspruchnahme einer Taxe dem Zweck, sich an einen anderen Ort befördern zu lassen. Angesichts der Verbreitung des Taxiverkehrs kann entgegen der Vorentscheidung nicht davon ausgegangen werden, daß den verhältnismäßig kurzen Fahrten innerhalb einer Großstadt, wie sie im Streitfall vorliegen, etwas derart aus dem Rahmen Fallendes anhafte, daß Gesichtspunkte der privaten Lebensführung entscheidendes Gewicht erhielten.

b) Der Abzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist allerdings zu versagen, soweit die Kosten nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Insoweit enthält § 4 Abs. 5 Nr. 7 EStG einen auch auf Werbungskosten anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsatz (Urteile des Senats vom 10. November 1978 VI R 21/76, BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219 und VI R 112/75, BFHE 126, 518, BStBl II 1979, 222). Nach dem zur Unangemessenheit von Betriebsausgaben ergangenen BFH-Urteil vom 4. August 1977 IV R 157/74 (BFHE 123, 158, BStBl II 1978, 93) ist dabei im Rahmen der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles insbesondere zu prüfen, inwieweit die Aufwendungen zweckmäßig, zur Verfolgung des mit der jeweiligen Maßnahme erstrebten Zieles erforderlich und durch wirtschaftlich vernünftige Gründe zu rechtfertigen sind. In dem zum Abzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ergangenen Urteil in BFHE 126, 518, BStBl II 1979, 222 führte der Senat aus, derartige Aufwendungen seien dann unangemessen, wenn sie die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer unter sonst vergleichbaren Umständen voraussichtlich nicht auf sich nehmen würde.

Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob bei den hier fraglichen Aufwendungen Momente der Privatsphäre so weit hineinspielen, daß sie die Lebensführung i. S. des § 4 Abs. 5 Nr. 7 EStG berühren. Jedenfalls überschreiten die der Klägerin für Fahrten mit dem Taxi zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstandenen Aufwendungen die Grenze des nach allgemeiner Verkehrsauffassung Angemessenen nicht. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß, worauf die Klägerin in der Revision zutreffend hingewiesen hat, die Beförderung mit einer Taxe gegenüber der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig einen so beträchtlichen Zeitgewinn erbringt, der es unter Berücksichtigung der dadurch ermöglichten längeren produktiven Arbeitszeit bzw. der entsprechend erhöhten Freizeit bereits als zweckmäßig und gerechtfertigt erscheinen lassen kann, eine Taxifahrt der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorzuziehen.

Hinzu kommt, daß sich die Kosten für ihre Fahrten mit dem Taxi zwischen Wohnung und Arbeitsstätte offenbar nicht so wesentlich von denen unterscheiden, die die Klägerin aufzuwenden hätte, wenn sie die Fahrten mit einem eigenen PKW ausführte, den sie ausschließlich oder überwiegend nur für diese Fahrten hielte. Bei den von ihr aufgewandten Taxikosten handelt es sich somit nicht um Aufwendungen, die andere Arbeitnehmer in dieser Höhe grundsätzlich nicht auf sich nehmen würden. Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, daß die Klägerin für Fahrten mit dem eigenen Kfz lediglich Werbungskosten in Höhe des Pauschbetrages gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Buchst. a EStG hätte absetzen können. Denn mit der Pauschbetragsregelung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG verfolgte der Gesetzgeber nicht den Zweck, als unangemessen anzusehende Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem eigenen Kfz auf angemessene Beträge zu beschränken. Die Pauschsätze gemäß § 9 Nr. 4 EStG 1955 dienten vorrangig der Vereinfachung (BFH-Urteil vom 3. Dezember 1974 VI R 189/72, BFHE 114, 482, BStBl II 1975, 354). Für die Kappung und Vereinheitlichung des Pauschbetrages durch das Steueränderungsgesetz vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2) waren verkehrs-, finanz- und haushaltsrechtliche Erwägungen des Gesetzgebers maßgebend (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140; BFH-Urteil vom 30. November 1979 VI R 83/77, BFHE 129, 346, BStBl II 1980, 138).

c) Die Aufwendungen der Klägerin sind auch nicht lediglich in Höhe des Pauschbetrages gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Buchst. a EStG abziehbar. Denn die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß es sich um ein eigenes Kfz des Arbeitnehmers handelt. Wie der Senat im Urteil in BFHE 114, 482, BStBl II 1975, 354 entschieden hat, ist darunter in erster Linie ein Kfz zu verstehen, das im bürgerlich-rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentum des Arbeitnehmers steht (vgl. § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes bzw. § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung). Diese Voraussetzungen liegen bei der Benutzung einer Taxe nicht vor.

2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da die Vorinstanz von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend, keine Feststellungen zu der Anzahl der aus beruflichem Anlaß durchgeführten Fahrten getroffen. Die Sache wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).