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BFH-Urteil vom 4.6.1980 (II R 22/78) BStBl. 1980 II S. 608

Behält sich ein nichtgeschäftsführender Gesellschafter bei Übertragung seines Gesellschaftsanteils auf einen Mitgesellschafter einen "Nießbrauch" an diesem Gesellschaftsanteil vor, so ist § 16 Abs. 1 BewG 1965 bei der Bewertung dieser Belastung anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn der vorbehaltene "Nießbrauch" nur schuldrechtlich wirksam sein sollte.

BewG 1965 § 16 Abs. 1.

Sachverhalt

Die Großmutter des Klägers und Revisionsbeklagten (Klägers), war persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft. Mit Vertrag vom 24. Juni 1970 übertrug sie ihren Gesellschaftsanteil schenkungshalber auf den Kläger, wobei vereinbart wurde, daß sie sich auf Lebenszeit den Nießbrauch an der geschenkten Beteiligung vorbehalte. Die Großmutter war im Zeitpunkt der Schenkung 70 Jahre alt.

Der Kläger gab den Wert des ihm geschenkten Gesellschaftsanteils mit 625.159 DM an.

Den Jahreswert des vorbehaltenen Nießbrauches schätzte er auf 120.000 DM. Er vertrat die Auffassung, daß § 16 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG 1965) bei der Bewertung des Nießbrauchs nicht anwendbar sei.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ist den Angaben des Klägers hinsichtlich der Bewertung des übertragenen Gesellschaftsanteils gefolgt. Den vorbehaltenen Nießbrauch hat es jedoch nur mit dem Höchstwert des § 16 Abs. 1 BewG 1965 abgezogen.

Der Kläger hat gegen den Steuerbescheid Sprungklage erhoben und die ersatzlose Aufhebung des Steuerbescheides beantragt.

Das Finanzgericht (FG) ist dem Klagantrag gefolgt:

Der steuerliche Wert der der Großmutter des Klägers vorbehaltenen Nutzungen werde nicht durch § 16 Abs. 1 BewG 1965 begrenzt; denn es handele sich insoweit nicht um Nutzungen eines Wirtschaftsgutes. Nutzungen eines Wirtschaftsgutes würden nur dann vorliegen, wenn ein Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil vereinbart worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Es sei zwar in den vertraglichen Abmachungen das Wort Nießbrauch verwendet worden. Nach Auffassung des Senats habe die Großmutter des Klägers jedoch lediglich einen obligatorischen Anspruch auf Zahlung von Gewinn in Höhe von 40 v. H. Bei Abzug des Kapitalwertes des Gewinnanspruchs von dem Wert des geschenkten Gesellschaftsanteils verbleibe kein positiver Wert der Schenkung.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. § 16 Abs. 1 BewG 1965 sei auch dann anzuwenden, wenn im vorliegenden Fall kein Nießbrauchsrecht vorliegen sollte. Diese Vorschrift sei auch auf obligatorische Ansprüche anwendbar, wenn enge rechtliche und wirtschaftliche Bindungen zwischen dem Anspruch des Nutzungsberechtigtgen und dem genutzten Wirtschaftsgut bestünden.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entgegen der Auffassung des FG ist im vorliegenden Fall § 16 Abs. 1 BewG 1965 auf die Bewertung des "vorbehaltenen Nießbrauchs" anzuwenden. Nach dieser Vorschrift kann bei der Ermittlung des Jahreswertes der Nutzungen eines Wirtschaftsgutes der Jahreswert dieser Nutzungen nicht mehr als den achtzehnten Teil des Wertes betragen, der sich nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes für das genutzte Wirtschaftsgut ergibt. Zu den Nutzungen, auf die diese Vorschrift anzuwenden ist, gehört auch der "Nießbrauch", den sich die Großmutter des Klägers bei Übertragung ihres Gesellschaftsanteils auf den Kläger vorbehalten hat. Dabei kann hier offen bleiben, ob aufgrund des Schenkungsvertrages vom 24. Juni 1970 zugunsten der Großmutter des Klägers ein Nießbrauch als dingliche Belastung des auf den Kläger übertragenen Gesellschaftsanteils entstanden ist (vgl. hierzu u. a. Staudinger/Promberger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., Anhang zu §§ 1068, 1069, Tz. 56f., Tz. 70f., Flume, Die Personengesellschaft, § 17 VI S. 359f.).

Auch wenn der Großmutter des Klägers nach der mit Zustimmung aller Gesellschafter vorgenommenen Übertragung ihres Gesellschaftsanteils auf den Kläger (vgl. zur Zulässigkeit der Übertragung von Mitgliedschaftsrechten an einer Personenhandelsgesellschaft Urteil des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 8. November 1965 II ZR 223/64, BGHZ 44, 229) kein dingliches Recht mehr an ihrem bisherigen Gesellschaftsanteil zugestanden haben sollte, ist den Abmachungen zu entnehmen, daß ihr zumindest schuldrechtlich ein Anspruch auf die Nutzungen ihres bisherigen Gesellschaftsanteils zustand.

Auch auf einen derartigen schuldrechtlichen Anspruch auf die Nutzungen eines Wirtschaftsgutes ist § 16 Abs. 1 BewG 1965 anzuwenden, wie der III. Senat in seinem Urteil vom 24. April 1970 III R 36/67 (BFHE 99, 208, BStBl II 1970, 591), dem sich der erkennende Senat anschließt, entschieden hat.

Die vom III. Senat für die Anwendung des § 16 Abs. 1 BewG 1965 auf schuldrechtliche Nutzungsansprüche geforderten engen rechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen dem Anspruch des Nutzungsberechtigten und dem genutzten Wirtschaftsgut (hier: dem übertragenen Gesellschaftsanteil) sind im vorliegenden Fall vorhanden. Der Großmutter des Klägers ist nicht - losgelöst von der Übertragung ihres Gesellschaftsanteils - lediglich ein Gewinnbezugsrecht in Höhe von 40 v. H. des Gesamtgewinnes der Personenhandelsgesellschaft eingeräumt worden, wie das FG meint. Der Schenkungsvertrag vom 24. Juni 1970 ergibt vielmehr eindeutig, daß ihr diese 40 v. H. aufgrund des "vorbehaltenen Nießbrauches" zustehen. In dem Schenkungsvertrag heißt es, daß die Großmutter des Klägers durch den vorbehaltenen Nießbrauch Anspruch auf 40 v. H. des von der Gesellschaft erzielten Jahresgewinnes habe. Durch diese Formulierung wird deutlich gemacht, daß die Großmutter des Klägers auch nach der Übertragung ihres Gesellschaftsanteils auf den Kläger berechtigt ist, die mit ihrem Gesellschaftsanteil verbundenen Gewinnansprüche gegen die Gesellschaft geltend zu machen. Dies wurde noch dadurch abgesichert, daß das Recht der Großmutter des Klägers auf ihre Gewinnansprüche in den Text des neu gefaßten Gesellschaftsvertrages aufgenommen wurde. Dort heißt es, daß die Großmutter des Klägers als Nießbraucherin 40 v. H. des Gewinnes erhalte. Auch wenn nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf den anteiligen Gewinn bestehen sollte, ist nach allem der enge rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang zwischen dem Gewinnanspruch der Großmutter des Klägers und ihrem bisherigen Gesellschaftsanteil im Sinne der Rechtsprechung des III. Senats zu bejahen.

Die Anwendung des § 16 Abs. 1 BewG 1965 auf den vorliegenden Fall scheitert auch nicht daran, daß bei einer Personenhandelsgesellschaft der Gewinn nicht allein durch den Einsatz der dem Unternehmen gewidmeten Wirtschaftsgüter, sondern auch durch die Tätigkeit der geschäftsführenden Gesellschafter erzielt wird. Für die geschäftsführenden Gesellschafter mag danach zwischen dem Gewinnanteil, den sie aufgrund ihres Gesellschaftsanteils erhalten, und der Vergütung zu unterscheiden sein, die ihnen für ihre geschäftsführende Tätigkeit zusteht. Die Großmutter des Klägers jedenfalls, die in der Gesellschaft nicht mehr tätig ist, hat ihren Gewinnanteil in Höhe von 40 v. H. allein aufgrund des "vorbehaltenen Nießbrauchs" erhalten. Ihr standen aufgrund ihres Nutzungsrechtes die entnahmefähigen Erträge zu, die auf ihren bisherigen Gesellschaftsanteil entfielen (vgl. BGH-Urteil vom 20. April 1972 II ZR 143/69, BGHZ 58, 316, 317f., ferner Staudinger / Promberger, a. a. O., Tz. 73). Diese Erträge sind Früchte ihres bisherigen Gesellschaftsanteils. Auf sie ist in vollem Umfang § 16 Abs. 1 BewG 1965 anzuwenden.

Der erkennende Senat ist gleichwohl nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides aufgrund der bisherigen Feststellungen zu bejahen.

Es fehlen ausreichende Feststellungen über den Wert des dem Kläger von seiner Großmutter geschenkten Gesellschaftsanteils. Gemäß § 23 Abs. 6 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG 1959) ist der Gesellschaftsanteil aus dem Wert des Betriebsvermögens der Gesellschaft auf den 1. Juli 1970 zu ermitteln (vgl. § 3 BewG 1965). Über diesen Wert gibt es jedoch keine konkreten Feststellungen.