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BFH-Urteil vom 25.6.1980 (II R 21/79) BStBl. 1980 II S. 728

Für die (materiell vorläufige) Steuervergünstigung gemäß § 1 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 GrEStEigWoG ist nicht die Nutzung des erworbenen Hauses im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs, sondern die von dem Erwerber beabsichtigte Nutzung als Ein- oder Zweifamilienhaus maßgebend.

GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2.

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom Januar 1977 ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück in Bremen je zur idellen Hälfte. Dieses Grundstück war als Mietwohngrundstück bewertet worden. Im Zeitpunkt des Erwerbs waren die vorhandenen drei zum Treppenhaus abgeschlossenen Wohnungen vermietet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ gegen die Kläger am 8. Februar 1977 getrennte Grunderwerbsteuerbescheide. Die Kläger begehrten im Einspruchswege Steuerfreiheit aufgrund des in Vorbereitung befindlichen Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG). Sie erklärten, es handle sich um den Erwerb eines Einfamilienhauses (ab Eigenbenutzung).

Durch Bescheid vom 27. Juli 1977 nahm das FA die Steuerbescheide gemäß § 5 GrEStEigWoG zurück. Es wies allerdings darauf hin, daß die Befreiung gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) nur vorläufig erfolge. Sollte das Grundstück nicht als Ein- oder Zweifamilienhaus bewertet werden, müsse die Steuer nacherhoben werden.

Am 22. August 1977 erließ das FA erneut Grunderwerbsteuerbescheide gegen die Kläger. Es vertrat die Auffassung, daß eine Steuerbefreiung nicht in Betracht komme, wenn das Haus erst durch bauliche Veränderungen nach dem Erwerb von einem Dreifamilienhaus in ein Ein- oder Zweifamilienhaus umgestaltet werde.

Die Einsprüche der Kläger blieben ohne Erfolg.

Mit ihrer Klage haben die Kläger weiterhin geltend gemacht, daß ihnen Steuerfreiheit nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen zustehe. Das FA sei an seinen Bescheid vom 27. Juli 1977 gebunden. Im übrigen hätten sie ein Einfamilienhaus erworben. Sie hätten mit ihrer Familie von vier Personen Anspruch auf 156 qm Wohnfläche. Die Wohnfläche des erworbenen Hauses liege deutlich darunter. Schließlich enthalte das Haus keine drei Wohnungen. Die Räume im Dachgeschoß wiesen noch keine 40 qm Wohnfläche auf und enthielten weder einen Duschraum noch eine ausreichend ausgestattete Küche.

Die Kläger haben beantragt, die angefochtenen Steuerbescheide aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Das FA sei durch den Bescheid vom 27. Juli 1977 nicht an dem Erlaß der angefochtenen Steuerbescheide gehindert gewesen. Es habe sich um einen vorläufigen Freistellungsbescheid gehandelt, der jederzeit aufgehoben oder geändert werden dürfe.

Die angefochtenen Steuerbescheide enthielten auch keinen materiellen Rechtsfehler. Es komme für die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit auf die Eigenschaft des erworbenen Hauses im Erwerbszeitpunkt an. Die Kläger hätten ein Dreifamilienhaus erworben. Das Haus habe drei in sich abgeschlossene Wohnungen mit eigenem Zugang vom Treppenhaus enthalten. Möge die sanitäre Ausstattung nach heutigen Gesichtspunkten auch primitiv zu nennen sein, so habe sie jedoch die Führung selbständiger Haushalte ermöglicht. Die drei Wohnungen seien auch jahrelang durch Vermietung genutzt worden.

Das FG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zugelassen.

Die Kläger haben Revision eingelegt und ihre Klageanträge aufrechterhalten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der vorangegangenen angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.

1. Unbegründet ist allerdings der Revisionsangriff, daß das FA nicht berechtigt gewesen sei, nach dem Freistellungsbescheid vom 27. Juli 1977 erneut in eine Überprüfung des Steuerfalles einzutreten.

Der Freistellungsbescheid ist nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen ergangen. Er stützte sich auf § 5 Satz 2 Nr. 1 dieses Gesetzes. Das FA wollte die materiell vorläufige Entscheidung auch verfahrensmäßig nur vorläufig treffen und abwarten, ob die Bewertungsstelle das Grundstück nunmehr als Ein- oder Zweifamilienhaus bewerten würde. Deshalb stellte es den Erwerbsvorgang gemäß § 165 AO 1977 nur vorläufig von der Grunderwerbsteuer frei. Ein vorläufiger Bescheid in diesem Sinne - hierzu gehört auch ein Freistellungsbescheid - (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) - darf gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden. Das FA war deshalb berechtigt, unter Aufhebung des Freistellungsbescheides die angefochtenen Bescheide zu erlassen.

Es war an dem Erlaß dieser Bescheide auch nicht dadurch gehindert, daß die Bewertungsstelle noch nicht über den Antrag auf eine Artfortschreibung entschieden hatte. Zwar war das FA in dem Freistellungsbescheid offensichtlich davon ausgegangen, daß eine Nutzungsänderung nach dem Kauf zu berücksichtigen sei. Eine verbindliche Zusage dahingehend, daß es eine Steuer nur dann festsetzen werde, wenn eine Artfortschreibung des Grundstückes in ein Ein- oder Zweifamilienhaus unanfechtbar abgelehnt werde, ist hierin nicht zu sehen. Deshalb konnte das FA die Steuerbescheide vom 22. August 1977 erlassen und hierbei von seiner vorher vertretenen Rechtsauffassung abweichen.

2. Die Steuerbescheide vom 22. August 1977 waren jedoch materiell fehlerhaft. Die Kläger sind (materiell vorläufig) von der Grunderwerbsteuer freizustellen, weil sie ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück erworben haben, das sie nach ihren aufgrund der objektiven Verhältnisse des Hauses glaubhaften Erklärungen als Einfamilienhaus nutzen wollen. Der vom FG vertretenen Auffassung, daß eine Freistellung von der Grunderwerbsteuer deshalb nicht möglich sei, weil im Erwerbszeitpunkt drei abgeschlossene Wohnungen vorhanden und von verschiedenen Mietparteien genutzt waren, vermag der Senat nicht zu folgen.

Durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrEStEigWoG ist von der Grunderwerbsteuer ausgenommen der Erwerb eines Grundstückes mit einem Ein- oder Zweifamilienhaus, wenn das Einfamilienhaus bzw. eine Wohnung des Zweifamilienhauses innerhalb von fünf Jahren mindestens ein Jahr lang von dem Erwerber, seinem Ehegatten oder einem Verwandten in gerader Linie ununterbrochen bewohnt wird. Wenn auch eine isolierte Betrachtung der einzelnen Bestandteile des gesetzlichen Tatbestandes die Auffassung als möglich erscheinen lassen könnte, daß Gegenstand des Kaufvertrages ein Ein- oder Zweifamilienhaus sein muß, so ergibt die Auslegung der Vorschriften nach ihrem systematischen Zusammenhang und nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, daß es für die Verwirklichung des Tatbestandes ausreicht, wenn der Erwerber das erworbene Haus in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise als Ein- oder Zweifamilienhaus nutzt, mag es auch nicht als Ein- oder Zweifamilienhaus Gegenstand des Kaufvertrages gewesen sein (so auch das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 19. Februar 1979 IV 282/77, Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 353 - EFG 1979, 353 -).

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrEStEigWoG ist eine Vorschrift, deren Tatbestandsmerkmale in ihrem wesentlichen Umfang erst in der Zukunft erfüllt werden können. Die Erfüllung dieser Tatbestandsmerkmale (das Bewohnen durch den Erwerber, seinen Ehegatten oder einen Verwandten in gerader Linie) hängt von dem zukünftigen Verhalten des Erwerbers ab. Gefördert werden soll das Wohnen im eigenen Heim (innerhalb eines Ein- oder Zweifamilienhauses). Bei dieser Zweckbestimmung ist es ohne Bedeutung, ob der Veräußerer in dem Haus wohnte oder ob er es vermietet hatte. Bei Berücksichtigung des Zwecks der Befreiungsvorschrift muß es auch ohne Bedeutung sein, ob das Haus schon in der Hand des Veräußerers ein Ein- oder Zweifamilienhaus war oder ob es dies erst in der Hand des Erwerbers wird.

Eine Auslegung der Vorschrift dahin, daß Gegenstand des Kaufvertrages ein Ein- oder Zweifamilienhaus sein muß, wäre zu eng. Sie würde die vom Zweck des Gesetzes erfaßten Fälle unberücksichtigt lassen, in denen erst der Erwerber das Haus als Ein- oder Zweifamilienhaus nutzt. Die Vorschrift ist deshalb dahin auszulegen, daß auch die Fälle erfaßt werden, in denen erst der Erwerber eine Nutzungsänderung im Sinne der Befreiungsvorschrift vornimmt.

Diese Auslegung ist mit der Auslegung der Vorschriften über die Befreiung des Erwerbs eines unbebauten Grundstücks zur Bebauung vergleichbar. Dort hat der Senat den Erwerb eines unbebauten Grundstücks auch dann angenommen, wenn ein bebautes Grundstück erworben wurde, das vorhandene Gebäude jedoch vor der Bebauung abgerissen werden sollte (Urteil vom 16. Juni 1976 II R 117/72, BFHE 119, 306, BStBl II 1976, 645). Wenn es dort gleichgültig war, ob der Veräußerer oder der Erwerber durch Abriß des vorhandenen Gebäudes ein unbebautes Grundstück schuf, so muß es im vorliegenden Fall ohne Bedeutung sein, ob das erworbene Grundstück bereits als Ein- oder Zweifamilienhaus zum Gegenstand des Kaufvertrages gemacht wurde oder nicht.

Für die Auslegung, wie sie der Senat im vorliegenden Fall vertritt, spricht im übrigen, daß sie zu einem sinnvollen Nebeneinander des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen und der landesrechtlichen Vorschriften über die Befreiung des Erwerbs eines unbebauten Grundstücks zur Bebauung führt. Befreit ist danach der Erwerb eines unbebauten Grundstücks zur Bebauung mit steuerbegünstigten Wohnungen und der Erwerb eines bebauten Grundstücks zum Bewohnen durch den Erwerber, seinen Ehegatten oder einen Verwandten in gerader Linie, wenn eine Wohnung in einem Ein- oder Zweifamilienhaus (oder eine Eigentumswohnung) bewohnt wird. Bei der Auslegung des FA wären z. B. die Fälle von der Steuerfreiheit ausgeschlossen, in denen zwar ein Ein- oder Zweifamilienhaus durch den Erwerber bewohnt wird, das Haus aber erst in seiner Hand ein Ein- oder Zweifamilienhaus wird. Eine derartige Auslegung würde, selbst wenn sie als vertretbar anzusehen sein sollte, eine Gesetzeslücke sichtbar machen, die jedenfalls nach den Regeln über die Rechtsfortbildung gemäß dem Zweck der Befreiungsvorschriften (zugunsten der Steuerpflichtigen) zu schließen wäre.

Aus allem folgt, daß derjenige, der z. B. ein Dreifamilienhaus erwirbt, um es als Einfamilienhaus zu bewohnen, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStEigWoG Steuervergünstigung erlangt. Für die (materiell vorläufige) Steuervergünstigung im Zeitpunkt des Erwerbes ist es ausreichend, daß der Erwerber erklärt, er wolle das Haus in der gesetzlich gebotenen Weise bewohnen, vorausgesetzt, daß dies nach dem Sachverhalt nicht unmöglich ist. Die Revision hat deshalb Erfolg.