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BFH-Urteil vom 23.7.1980 (II R 95/79) BStBl. 1980 II S. 754

1. Die Antragsfrist des § 5 Satz 2 Nr. 1 GrEStEigWoG galt auch dann, wenn der Grunderwerbsteuerbescheid erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes formell bestandskräftig wurde.

2. Durch das Inkrafttreten des GrEStEigWoG war der Bayerische Landesgesetzgeber nicht am Erlaß des GrEStVertrG gehindert.

GrEStEigWoG §§ 1, 4, 5; Bayer. GrEStVertrG.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Ehemann erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 22. November 1976 als Miteigentümer zu je ein Halb ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes, in Bayern belegenes Grundstück um 350.000 DM Gesamtkaufpreis. Die zu diesem Vertrag erforderliche Genehmigung wurde am 11. Januar 1977 erteilt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -), der zunächst mit Bescheid vom 13. Dezember 1976 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 12.250 DM festgesetzt hatte, ermäßigte die Grunderwerbsteuer antragsgemäß mit Bescheid vom 27. September 1977 um 3.500 DM nach dem bayerischen Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge, Verfolgte und politische Häftlinge (Bayerisches GrEStVertrG). Auf Antrag der Klägerin vom 18. Januar 1978, ihr zusätzlich Befreiung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (GrEStEigWoG) zu gewähren, setzte das FA mit Bescheid vom 16. Februar 1978 die Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin auf 1.750 DM herab. Die Vertriebenenbegünstigung gewährte es nun nicht mehr.

Der nach erfolgloser Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erhobenen Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der Steuerfestsetzung begehrt, hat das Finanzgericht (FG) mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 305 (EFG 1979, 305) veröffentlichten Entscheidung stattgegeben.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Klägerin teilweise Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG zustand. Die formelle Unanfechtbarkeit des Änderungsbescheides vom 27. September 1977 stand der Stattgabe des Antrages nach § 5 Satz 2 Nr. 1 GrEStEigWoG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt § 1 GrEStEigWoG für Erwerbsvorgänge vor dem Inkrafttreten des Gesetzes - im Juli 1977 - mit der Maßgabe, daß in Fällen, in denen keine Steuerbefreiung aufgrund Landesrechtes eintrat, der ergangene Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben ist, wenn der Antrag auf Steuerbefreiung bis zum Ablauf des sechsten Kalendermonates nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wird. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten es, die Antragsmöglichkeit auf Fälle zu beschränken, in denen die Grunderwerbsteuerfestsetzung im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes bereits formell unanfechtbar war. Da das Gesetz nur antragsgebundene Befreiungen von der Grunderwerbsteuer vorsieht und auch die unverschuldete Unkenntnis von der Befreiungsmöglichkeit vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) als Rechtsirrtum, der sich nicht auf Form oder Frist bezieht, entgegenstehen würde (anderer Ansicht offenbar FG Rheinland Pfalz, EFG 1980, 304), hat der Gesetzgeber für eine genau bemessene Übergangszeit eine längere Frist zur Stellung des Befreiungsantrages gewährt. Dieser Übergangsfrist liegt die vernünftige Erwägung zugrunde, daß demjenigen, der ein Grundstück erst erwirbt, unschwer zugemutet werden kann, Erkundigungen darüber einzuholen, ob der Erwerb möglicherweise von der Grunderwerbsteuer befreit ist. Ist aber der Grundstückserwerb bereits abgeschlossen, und wird später mit Wirkung für derartige Vorgänge eine Befreiungsvorschrift gesetzlich normiert, wäre es unangemessen, den Erwerber allein auf die relativ kurze Rechtsbehelfsfrist zu verweisen. § 5 Satz 2 Nr. 1 GrEStEigWoG bezieht sich auf "ergangene" Grunderwerbsteuerbescheide, die vor Antragstellung (innerhalb der normierten Frist) ergangen sind.

2. Zutreffend ist das FG auch zu dem Ergebnis gelangt, daß die (teilweise) Befreiung des Erwerbsvorganges nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 GrEStEigWoG der Gewährung der Vergünstigung aus dem bayerischen GrEStVertrG, soweit deren Voraussetzungen vorliegen, nicht entgegensteht.

Während die genannten Vorschriften des GrEStEigWoG für den Erwerb eines Grundstückes mit einem Zweifamilienhaus einen Freibetrag von 300.000 DM vorsehen, der beim Erwerb zu Miteigentum anteilig zu gewähren ist, wird nach Art. 3 Abs. 1 des bayerischen GrEStVertrG für die begünstigten Grundstückserwerbe von der Steuerschuld ein Betrag von 3.500 DM nicht erhoben. Eine Beschränkung dahin, daß diese Vergünstigung nur eintritt, wenn der Erwerbsvorgang voll steuerpflichtig ist, enthält das Gesetz nicht. Hätte der Landesgesetzgeber die an bestimmte persönliche Eigenschaften des Erwerbers anknüpfende Vergünstigung in den Fällen nicht gewähren wollen, in denen nur deswegen eine Steuerschuld "verbleibt", weil der für die Berechnung der Steuer maßgebende Wert den Freibetrag nach dem Bundesgesetz übersteigt, so hätte es, weil das Landesgesetz erst nach Ergehen des Bundesgesetzes vom 11. Juli 1977, nämlich erst am 22. Juli 1977, erlassen wurde, einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Der Landesgesetzgeber verstieß durch den Erlaß des GrEStVertrG nicht gegen Art. 72 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Das GrEStVertrG wurde zwar erst verkündet, als das GrEStEigWoG bereits in Kraft war. Dieses enthielt aber - entgegen den Ausführungen in dem Bericht des Finanzausschusses (Bundestags-Drucksache 8/463 S. 6 zu § 4) - keine abschließende Regelung der Grunderwerbsteuerbefreiung fertigen Wohnraums. Daraus, daß die landesrechtlichen Vorschriften über die Grunderwerbsteuerbefreiung des Erwerbs von Wohngrundstücken durch Vertriebene in § 4 GrEStEigWoG nicht erwähnt werden, muß vielmehr geschlossen werden, daß diese Vorschriften nicht zu den Vorschriften gehören sollten, die durch das GrEStEigWoG ersetzt wurden. Bei dieser Rechtslage wurde der bayerische Gesetzgeber nicht gehindert, noch nach Inkrafttreten des GrEStEigWoG das bayerische GrEStVertrG zu verkünden.

Er war auch nicht etwa deshalb an dem Erlaß eines Landesgesetzes gehindert, weil der Bund mit dem GrEStEigWoG damit begonnen haben könnte, von seinem Recht zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Grunderwerbsteuer umfassend Gebrauch zu machen (vgl. den Fall in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 34 S. 9, 28 ff., und Anm. Engelhardt, Juristenzeitung 1973, S. 691). Dies ist nicht der Fall. Das GrEStEigWoG ist nicht Teil einer Gesamtplanung. Es dient vielmehr nur der Rechtsvereinheitlichung auf einem begrenzten Gebiet. Es läßt deshalb auf anderen Teilgebieten des Grunderwerbsteuerrechts weiterhin Landesgesetze zu.