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BFH-Urteil vom 29.10.1980 (II R 5/79) BStBl. 1981 II S. 41

1. Ein in einem Wochenendhausgebiet gelegenes Grundstück mit einem Gebäude, das nur eine Wohnung enthält, deren Räume zur Führung eines selbständigen Haushaltes zu jeder Jahreszeit geeignet sind, ist ein Grundstück mit einem Einfamilienhaus i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG.

2. Der Umstand, daß das Wochenendhaus planungsgemäß nur dem zeitlich begrenzten Aufenthalt zum Zwecke der Erholung an Wochenenden, in den Ferien oder im Urlaub dient, steht der materiell vorläufigen Befreiung von der Grunderwerbsteuer nicht entgegen.

GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 18. Juli 1977 ein als Einfamilienhaus bewertetes Grundstück mit aufstehendem Gebäude um 120.000 DM. Das Grundstück liegt in einem im Bebauungsplan als Wochenendgebiet ausgewiesenen Bereich.

Unter Ablehnung des Antrags auf Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG) vom 11. Juli 1977 (BGBl l 1977, 1213) setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gegen den Kläger Grunderwerbsteuer im Betrag von 8.400 DM fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Der auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung materiellen Rechts. Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG ist von der Grunderwerbsteuer auf Antrag ausgenommen der Erwerb eines Grundstucks mit einem Einfamilienhaus, wenn es vom Erwerber, seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie binnen fünf Jahren mindestens ein Jahr ununterbrochen bewohnt wird, und wenn es zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dient. Die Steuerbefreiung tritt nur ein, soweit der für die Berechnung maßgebende Wert den Betrag von 250.000 DM nicht übersteigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG) wobei dieser Freibetrag für das Grundstuck im ganzen gilt und bei Erwerb von Miteigentum anteilig zu gewähren ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 GrEStEigWoG). Der die Befreiung in Anspruch nehmende Erwerber ist verpflichtet, den Bezug des Einfamilienhauses durch sich selbst oder eine Person aus dem begünstigten Personenkreis anzuzeigen und hat spätestens einen Monat nach Ablauf der Fünfjahresfrist (zu deren Lauf vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 GrEStEigWoG) nachzuweisen, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt sind (§ 2 GrEStEigWoG). Wird die in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG bezeichnete Voraussetzung nicht erfüllt, entfällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 3 Abs. 1 GrEStEiGWoG).

Durch das Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen sind mit Wirkung vom 1. Januar 1979 an u. a. die meist an der Grundsteuerbegünstigung nach den Wohnungsbaugesetzen orientierten landesrechtlichen Vorschriften über die Befreiung von Erwerbsvorgängen, die bebaute Grundstücke betreffen, außer Kraft gesetzt worden (§ 4 GrEStEigWoG). Die allgemeine Zielsetzung des Bundesgesetzes liegt auf vermögenspolitischem, städtebaulichem und wohnungspolitischem Gebiet, wobei positive Auswirkungen auf die Mobilität der Wohnungseigentümer erwartet wurden (Bundestags-Drucksache 8/286 S. 1).

Zutreffend hat das FG das Vorliegen der Voraussetzungen für die (materiell vorläufige) Befreiung des der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgangs (§ 1 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG -) nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG bejaht.

1. a) Der Begriff des Einfamilienhauses ist im Gesetz ebensowenig definiert wie etwa in § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Eine dem Inhalt des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG entsprechende Begriffsbestimmung findet sich in § 75 Abs. 5 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG), wonach Einfamilienhäuser Wohngrundstücke sind, die nur eine Wohnung enthalten. Von dieser gesetzlichen Beschreibung kann auch für das Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetz ausgegangen werden. Unter einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne ist nach der ständigen Rechtsprechung des III. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sind, daß sie die Führung eines selbständigen Haushaltes ermöglichen. Die Räume müssen insgesamt eine gewisse Mindestfläche aufweisen, die erforderlichen Nebenräume wie Küche oder Raum mit Kochgelegenheit und Toilette müssen vorhanden sein (vgl. Urteil vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126,565, BStBl II 1979, 255). Der III. Senat stellt für die Frage, welche Voraussetzungen im einzelnen erfüllt sein müssen, auf die Verkehrsauffassung ab; er versteht darunter die gerichtsbekannte Anschauung die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger haben oder gewinnen, wenn sie sich mit der Sache befaßt haben, und räumt den jeweiligen Wohngepflogenheiten und den örtlichen Verhältnissen Bedeutung für die Beurteilung ein (vgl. Urteil vom 25. Mai 1979 III R 101/77, BFHE 128, 263, BStBl II 1979, 542). Da diese Rechtsprechung somit an ein allgemeines Vorstellungsbild anknüpft, kann sie auf den Wohnungsbegriff des Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes übertragen werden. Im Hinblick auf die erforderliche mindestens einjährige Nutzungsdauer zu überwiegenden Wohnzwecken ist dabei grunderwerbsteuerrechtlich dieselbe Forderung aufzustellen, die auch bewertungsrechtlich erhoben wird (vgl. BFH-Urteil vom 25. Mai 1979 III R 41/78, BFHE 128, 259, BStBl II 1979, 543), nämlich daß die Räume zur Führung eines selbständigen Haushalts zu jeder Jahreszeit, insbesondere auch während des Winters, geeignet sein müssen.

b) Ebensowenig wie bewertungsrechtlich die Belegenheit des Grundstücks in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet der Artfeststellung als Einfamilienhaus entgegensteht (vgl. BFHE 128, 259 und 263, BStBl II 1979, 543), steht dieser Umstand der Annahme entgegen, daß ein derartig gelegenes Grundstück mit aufstehendem Gebäude als Einfamilienhaus i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG anzusprechen ist.

In einem Wochenendhausgebiet sind nach § 10 Satz 1 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) i. d. F. vom 20. Dezember 1968 (BGBl I 1969, 119) ausschließlich Wochenendhäuser (als Einzelhäuser) zulässig. Nach § 10 Abs. 3 BauNVO i. d. F. vom 15. September 1977 (BGBl 1977, 1763) gilt dies mit der Maßgabe, daß die zulässige Grundfläche der Wochenendhäuser im Bebauungsplan, begrenzt nach der besonderen Eigenart des Gebiets unter Berücksichtigung der landschaftlichen Gegebenheiten festzusetzen ist. Das Wochenendhausgebiet dient - anders als das Wohngebiet (§ 3 BauNVO 1977) - nicht dem dauernden Wohnen, sondern dem zeitlich begrenzten Aufenthalt zum Zwecke der Erholung an Wochenenden, in den Ferien oder im Urlaub. Diese schon im Geltungsbereich des § 10 BauNVO 1968 allgemein herrschende Ansicht wird durch § 10 Abs. 1 BauNVO 1977 deutlich belegt, wonach Wochenendhausgebiete zu den Sondergebieten gehören, die der Erholung dienen. Wird ein Wochenendhaus zu dauernden Wohnzwecken genutzt, so handelt es sich ggf. um eine nach Landesrecht genehmigungspflichtige Nutzungsänderung. Im Hinblick auf die rechtsverbindliche Festsetzung im Bebauungsplan kann die Erteilung der Genehmigung kaum in Betracht kommen. Die genehmigungslose Nutzungsänderung wäre rechtswidrig und könnte wohl nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts untersagt bzw. als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (vgl. hierzu u. a. Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 4. Aufl., § 10 Tz. 23).

Im Hinblick auf die rechtliche Unzulässigkeit dauernden Bewohnens hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ständiger Rechtsprechung Wochenendhäusern die Anerkennung als steuerbegünstigte Wohnungen i. S. von § 82 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) versagt (Urteile vom 14. November 1968 VIII C 65/65, BVerwGE 31,50, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Zweites Wohnungsbaugesetz, § 82, Rechtsspruch 4, und vom 27. März 1974 VIII C 21/73, BVerwGE 45,120, StRK, Zweites Wohnungsbaugesetz, § 82, Rechtsspruch 8). Maßgeblich für die Rechtsauffassung des BVerwG ist im Ausgangspunkt die Überlegung, daß die Forderung des Wohnungsbaues - auch durch Steuerbegünstigung nach § 82 II. WoBauG - nicht von bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Gesichtspunkten getrennt werden könne und es widersinnig sei, die unzulässige bauliche Nutzung eines Grundstückes wohnungsbaurechtlich zu fördern. Denn die Zweckrichtung in § 1 Abs. 2 Satz 1 II. WoBauG - die Linderung der Wohnungsnot - setzte voraus, daß die Wohnung rechtlich und tatsächlich zur Dauernutzung geeignet sei (BVerwG-Urteile vom 3. Dezember 1975 VIII C 20/75, BVerwGE 50, 29, StRK, Zweites Wohnungsbaugesetz, § 82, Rechtsspruch 13, und vom 27. April 1977 VIII C 43/76, StRK, Zweites Wohnungsbaugesetz, § 82, Rechtsspruch 18).

Die Grundsätze dieser Rechtsprechung sind auf das Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen nicht übertragbar. Die Zielsetzung dieses Gesetzes ist eine dem Zweiten Wohnungsbaugesetz gegenüber andere; es dient nicht der Linderung der Wohnungsnot, sondern primär der Vermögensbildung, daneben der Verfolgung städtebaulicher, wohnungspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Ziele. Der Gesetzgeber hat Abstand von der Koppelung an das Zweite Wohnungsbaugesetz genommen. Auch hat er sich nicht der Begriffe "Eigenheim", "Familienheim" oder "eigengenutzte Eigentumswohnung" aus diesem Gesetz bedient, sondern steuerrechtlich vorgeprägter Begriffe bzw. des Rechtsbegriffs der Eigentumswohnung.

Auch die Urteile des VIII. Senats des BFH vom 25. April 1972 VIII R 59/69 (BFHE 106, 53, BStBl II 1972, 670; ergangen zu § 54 EStG 1965) und vom 18. Juli 1978 VIII R 94/77 (BFHE 125, 454, BStBl II 1978, 593), wonach es bei Anwendung von § 7b EStG stets erforderlich ist, daß die Wohnung rechtlich und tatsächlich zur Dauernutzung geeignet ist, können zur Auslegung der Begriffe des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen nicht herangezogen werden. Zweck der Steuervergünstigung des § 7b EStG war ursprünglich lediglich die Förderung des Wohnungsbaues (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1977 VIII R 110/76, BFHE 123,560, BStBl II 1978,82); die Zielrichtung entsprach insoweit der des § 1 Abs. 2 Satz 1 II. WoBauG. Dieser Zweck ist auch bis zum Erlaß des Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vom 11. Juli 1977 (BGBl I 1977, 1213), dessen Art. 3 das GrEStEigWoG bildet, im Vordergrund geblieben. Nunmehr aber ist die Abschreibungsvergünstigung des § 7b EStG i. d. F. durch Art. 1 Nr. 1 des genannten Gesetzes auf alle Anschaffungen von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen erstreckt worden, und zwar ohne Rücksicht darauf, wann sie hergestellt worden sind. Diese veränderte Rechtslage hat ihren Grund in der veränderten Zielsetzung. Die bisherigen Entscheidungen des VIII. Senats können deshalb auf das Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetz nicht übertragen werden, das wohnungsbaufördernde Ziele nicht unmittelbar verfolgt.

2. Die Grunderwerbsteuerbefreiung für das als solches begünstigte Objekt kann auch nicht deshalb schon von vornherein versagt werden, weil die Bedingung der mindestens einjährigen ununterbrochenen Nutzung zu Wohnzwecken im Ausmaß von mehr als 66 2/3 v. H. innerhalb des Fünfjahreszeitraumes nicht eintreten könnte. Das Bewohnen einer Wohnung ist in erster Linie ein rein tatsächlicher Zustand, der von seiner planungs- und bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit unabhängig ist (vgl. auch § 40 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Die Frage, ob dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist oder die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit mangels Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals entfällt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 GrEStEigWoG), stellt sich erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist. Für die materiell vorläufige Befreiung muß es jedenfalls genügen, daß der Erwerber in glaubhafter Weise erklärt, er werde die Bedingung erfüllen, und dies nach den objektiven Gegebenheiten möglich erscheint. Nicht entgegengehalten werden kann dem Erwerber in diesem Stadium, daß die beabsichtigte Nutzung planungswidrig sei, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung die planungswidrige Nutzung häufig geduldet, insbesondere nicht vor Ablauf eines Jahres beendet wird.