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BFH-Urteil vom 29.4.1980 (VII R 4/79) BStBl. 1981 II S. 110

Die auf § 167 AO beruhende und im Einzelfall bis zum 31. März 1977 verlängerte Frist zur Abgabe der Steuererklärungen für des Veranlagungsjahr 1975 bleibt auch nach Inkrafttreten des § 149 AO 1977 rechtswirksam. Bei Nichteinhaltung der Frist können daher Zwangsgelder gemäß §§ 328 ff. AO 1977 verhängt werden.

AO § 167; AO 1977 §§ 149 a.F., 328 ff.; EGAO 1977 Art. 97 §§ 1 und 2.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird steuerlich von seinem Prozeßbevollmächtigten beraten. Auf dessen Antrag gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) dem Kläger für die Abgabe der Steuererklärungen für 1975 Fristverlängerung bis zum 28. Februar 1977. Am 7. März 1977 beantragte der Prozeßbevollmächtigte weitere "stillschweigende" Fristverlängerung bis zum 31. März 1977. Das FA entsprach diesem Antrag mit Schreiben vom 11. März 1977.

Mit Verfügung vom 5. April 1977 drohte das FA dem Kläger ein Zwangsgeld in Hohe von 3 x 50 DM an. Weitere Fristverlängerungsanträge des Prozeßbevollmächtigten wurden abgelehnt. Mit Verfügung vom 6. Mai 1977 setzte das FA die angedrohten Zwangsgelder fest und trieb sie am 7. Juni 1977 bei.

Die Erklärungen wurden am 5. Juli 1977 eingereicht.

Die gegen die Androhungen und Festsetzungen der Zwangsgelder erhobenen Beschwerden und die Klage hatten keinen Erfolg.

Mit seiner vom Senat auf Beschwerde zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 167 AO und der §§ 149 a. F. und 328 AO 1977. Er führt aus, das FA sei im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügungen über die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern nicht mehr berechtigt gewesen, von ihm die Vorlage der Steuererklärungen 1975 zu verlangen. Denn seit dem 1. Januar 1977 bestimme § 149 a. F. AO 1977 die Abgabepflicht allgemein und damit auch zu den Steuererklärungen 1975. Das FA habe seine Verfügungen auf Bestimmungen gestützt, die nicht mehr in Kraft gewesen seien, und auf Erlasse, für die die Rechtsgrundlage seit dem 1. Januar 1977 entfallen sei. Die Abgabenordnung und das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO 1977) enthielten keine Bestimmung, daß § 149 a. F. AO 1977 nicht auf Steuererklärungen anzuwenden sei, die bis zum 31. Dezember 1976 nicht abgegeben worden seien. In Art. 98 (richtig: 97) EGAO 1977 sei zu § 149 a. F. AO 1977 keine Regelung i. S. der Auffassung des FG getroffen worden. Erklärungsfristen seien daher ohne Rücksicht auf das betroffene Veranlagungsjahr ab dem 1. Januar 1977 einheitlich nach Maßgabe des § 149 a. F. AO 1977 zu beurteilen. Fristen zur Abgabe von Steuererklärungen könnten nur Gegenstand des Verfahrens i. S. des Art. 97 § 1 EGAO 1977 sein. Diese Auslegung werde durch Art. 97 § 8 EGAO 1977 bestätigt, in der eine Übergangsregelung für Verspätungszuschläge vorgesehen sei. Die am 28. Februar 1977 ablaufende Frist für die Abgabe der Steuererklärung aus dem Erlaß vom 16. Februar 1976 habe ihre Gültigkeit mit dem 31. Dezember 1976 verloren.

Das FG habe Inhalt und Anwendbarkeit der §§ 328 ff. AO 1977 verkannt. Diese Vorschrift setze voraus, daß der Steuerpflichtige in der Lage sei, der Anordnung zu folgen. Auf das Verhalten Dritter komme es nicht an (Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 202 AO). Wer dies beim besten Willen nicht tun könne, dessen Wille könne nicht kausal für die Nichtausführung der Anordnung sein. Gehindert sei der Pflichtige bei objektiver oder subjektiver Unmöglichkeit oder bei Abhängigkeit von fremdem Willen. Er - der Kläger - sei nicht in der Lage gewesen, die Anordnung auszuführen. Er sei subjektiv und objektiv außerstande, auf die Arbeitsabwicklung seines Prozeßbevollmächtigten Einfluß zu nehmen.

Das FG habe sich nicht mit dem Inhalt des § 328 Abs. 2 AO 1977 auseinandergesetzt, wonach das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen müsse. Ein Steuerpflichtiger sei übermäßig belastet, wenn von ihm Unterlagen verlangt würden, die er trotz eigener Bemühungen vorzulegen nicht imstande sei, wenn die Zwangsmittel im Grunde genommen nicht gegen ihn, sondern gegen seinen Prozeßbevollmächtigten wirken sollten. Die Allgemeinheit sei u. a. deshalb übermäßig belastet, weil das Zwangsgeld nicht geeignet sei, den Steuereingang zu sichern, sondern im Gegenteil der im Wege der Schätzung zu erreichende Steuereingang verzögert werde. Die Schätzung erscheine, worauf es bei der Ermessensüberprüfung ankomme, als angemessenes Mittel.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und die angefochtenen Verfügungen des FA und der Oberfinanzdirektion aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Im Streitfall geht es nicht um Steuererklärungen für das Jahr 1976, für die die Rechtslage wegen des Fortfalls des § 167 Abs. 3 Satz 1 AO (danach hätten sie bis zum Ende des Monats Februar 1977 abgegeben werden müssen) und wegen der abweichenden Fassung des § 149 Satz 2 a. F. AO 1977 zweifelhaft sein konnte (vgl. den Beschluß des erkennenden Senats vom 28. November 1978 VII B 43/78, BFHE 126, 370, BStBl II 1979, 167). Steuererklärungen für das hier in Betracht kommende Jahr 1975 waren gemäß § 167 Abs. 3 Satz 1 AO grundsätzlich bis zum 29. Februar 1976 abzugeben. Diese Frist ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, gestützt auf § 167 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 AO i. V. m. § 56 Abs. 3 EStDV 1975, § 25 Abs. 2 GewStDV 1974 und § 18 Abs. 1 UStG zunächst allgemein für alle Steuerpflichtigen, die von Angehörigen steuerberatender Berufe vertreten waren, bis zum 30. September 1976 und im vorliegenden Fall später bis zum 28. Februar bzw. 31. März 1977 verlängert worden. Gegenstand der Fristverlängerung war danach die in § 167 Abs. 3 Satz 1 AO bestimmte gesetzliche Frist. Diese Rechtsgrundlage ist nicht dadurch mit rückwirkender Kraft entfallen, daß während der laufenden Frist die Abgabenordnung und damit § 149 a. F. AO 1977 in Kraft getreten ist, der bis zu seiner Änderung im Gegensatz zu § 167 AO keine gesetzliche Frist zur Abgabe von Steuererklärungen vorsah.

Art. 97 § 1 EGAO 1977, auf den sich der Kläger zur Begründung seiner Auffassung beruft, daß für die Friststellung bzw. die Fristverlängerung ab 1. Januar 1977 nicht mehr § 167 Abs. 3 AO, sondern § 149 a. F. AO 1977 maßgebend sei, ist hier nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift werden Verfahren, die am 1. Januar 1977 anhängig sind, nach den Vorschriften der Abgabenordnung zu Ende geführt, soweit in den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist. Gemäß Art. 97 § 2 EGAO 1977 werden Fristen, deren Lauf vor dem 1. Januar 1977 begonnen haben, nach den bisherigen Vorschriften berechnet (soweit in den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist, was für Fristen zur Abgabe der Steuererklärungen nicht zutrifft). Nach den vorstehenden Ausführungen kann es nicht Sinn und Zweck dieser Übergangsvorschriften sein, nach dem alten Recht bestehende Fristsetzungen außer Kraft zu setzen, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um mehrfach verlängerte Fristen handelt. Dem entspricht es, Art. 97 § 2 EGAO 1977 weit auszulegen und unter Fristberechnung i. S. dieser Vorschrift jeweils die Berücksichtigung der Daten zu verstehen, die für den Beginn und den Ablauf der Frist (unter Einbeziehung von Fristverlängerungen) maßgebend sind. Die in § 167 Abs. 3 Satz 1 AO vorgesehene Frist zur Abgabe der Steuererklärungen für das Jahr 1975 bis Ende Februar 1976 hat vor dem 1. Januar 1977 zu laufen begonnen. Diese Frist ist durch gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16. Februar 1976 im Streitfalle bis ins Jahr 1977 hinein verlängert worden. Das bedeutet, daß die zugunsten des Steuerpflichtigen verlängerte gesetzliche Frist sich auch dann nach altem Recht richtet, wenn die letzte Fristverlängerung erst nach Inkrafttreten der Abgabenordnung gewährt worden ist.

Aus Art. 97 § 8 EGAO 1977 kann der Kläger nichts für seinen Rechtsstandpunkt herleiten. Diese Vorschrift befaßt sich mit der Festsetzung von Verspätungszuschlägen und nicht mit der Frage der rechtlichen Behandlung von bereits nach altem Recht laufenden Fristen zur Abgabe der Steuererklärungen.

Die Androhung und Festsetzung der zutreffend auf §§ 328, 332 und 333 AO 1977 gestützten Zwangsgelder ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 328 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung - hier der Abgabe der Steuererklärungen - gerichtet ist, mit Zwangsmitteln erzwungen werden. Es liegt im Ermessen der Finanzbehörde, ob sie mit Zwangsmitteln gegen den Pflichtigen vorgeht. Das FG konnte danach nur prüfen, ob das FA bei Androhung und Festsetzung der Zwangsgelder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Es hat diese Frage zu Recht verneint.

Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei den in § 328 AO 1977 vorgesehenen Zwangsmitteln um in die Zukunft gerichtete Beugemittel. Es ist nicht ihr Zweck, in der Vergangenheit begangenes Unrecht zu sühnen. Zwangsmittel haben keinen Strafcharakter; sie setzen kein Verschulden des Steuerpflichtigen voraus (so zutreffend Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 328 AO 1977 Anm. 16; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., vor § 328 AO 1977, Rdnr. 18; Klein/Orlopp, Abgabenordnung' 2. Aufl., § 328 Anm. 3). Dies ist auch dem Wortlaut des § 335 AO 1977 zu entnehmen, wonach der Vollzug des Zwangsverfahrens einzustellen ist, wenn die Verpflichtung nach Festsetzung des Zwangsmittels erfüllt wird. Das bedeutet im Ergebnis, daß bereits festgesetzte Zwangsgelder nicht mehr beigetrieben werden können. Damit ist die im Urteil des erkennenden Senats vom 9. Mai 1967 VII 238/64 (BFHE 88, 363, BStBl III 1967, 401) zu § 202 AO vertretene Rechtsauffassung überholt, daß es sich bei dem Erzwingungsgeld, da es Strafcharakter habe und gewisse nicht kriminelle strafrechtliche Elemente enthalte, um "strafrechtliche Sanktionen" handele und daß das FA die Festsetzung eines Erzwingungsgeldes zu unterlassen habe, wenn die Nichtbefolgung des Finanzbefehls entschuldbar sei. Soweit der Vortrag des Klägers, er sei beim besten Willen nicht in der Lage gewesen, die Anordnung zu erfüllen, so verstanden werden sollte, daß ihn an der Nichtabgabe der Steuererklärungen durch seinen steuerlichen Berater und jetzigen Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden treffe, kommt es deshalb darauf nicht an. Zur Anwendung der Zwangsmittel genügt es vielmehr, daß der Kläger als Steuerpflichtiger objektiv der Anordnung zur fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen nicht nachgekommen ist. Dabei muß er sich das Verhalten des von ihm zum Zwecke der Abgabe der Steuererklärungen eingeschalteten Beraters anrechnen lassen, der nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG "seit eh und je" mit der Abgabe von Steuererklärungen in Verzug ist. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die Steuererklärungen fristgerecht abzugeben. Er hätte nicht nur, wie das FG ausgeführt hat, auf beschleunigte Abgabe der Steuererklärungen dringen können und sollen, sondern auch einen anderen Berater damit beauftragen können. Das hing von seinem Willen ab. Die Anwendung von Zwangsmitteln gegen den Kläger war danach nicht ermessensfehlerhaft.

Das gilt auch, soweit der Kläger einwendet, daß das FA bei seiner Ermessensentscheidung nicht zwischen der Möglichkeit der Schätzung und der Anwendung von Zwangsmitteln abgewogen habe. Das FG hat dazu festgestellt, daß Schätzungsveranlagungen, verbunden mit der Festsetzung von Verspätungszuschlägen, in der Vergangenheit keine Besserung der Veranlagungssituation bei von Prozeßbevollmächtigten beratenen Steuerpflichtigen bewirkt haben und ist bei seiner Ermessensüberprüfung zu dem nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen, daß Ermessensfehler des FA oder der OFD auch insoweit nicht zu erkennen seien und daß die Zwangsgelder auch nach Höhe und Abfolge dem zu erreichenden Zweck entsprochen haben, die Veranlagung alsbald zum Abschluß zu bringen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel (§ 328 Abs. 2 AO 1977) vermag der Senat nicht zu erkennen.