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BFH-Urteil vom 17.10.1980 (III R 75/79) BStBl. 1981 II S. 249

1. Über die Gewährung der Steuerbegünstigung gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ist im Vermögensteuer-Veranlagungsverfahren zu entscheiden (Änderung der Rechtsprechung).

2. Der negative Einheitswert eines Kraftwerks bleibt, wenn die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 erfüllt sind, bei der Ermittlung des Gesamtvermögens außer Ansatz.

BewG 1965 § 117 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden an dem hier streitigen Stichtag (1. Januar 1974) zur Vermögensteuer zusammenveranlagt. Sie sind Teilhaber des X-Kraftwerks (Kraftwerk), einer atypischen stillen Gesellschaft. Dieses dient unmittelbar und nachhaltig der Erzeugung und Lieferung von Strom zur öffentlichen Versorgung. Für das Kraftwerk wurde zum 1. Januar 1974 der Einheitswert des Betriebsvermögens auf - 566.000 DM (Einheitswert-Anteil des Ehemanns: - 592.200 DM, Einheitswert-Anteil seiner Ehefrau: + 26.200 DM) festgestellt. Der Kläger ist außerdem an der X-OHG (im folgenden: OHG) beteiligt. Sein Einheitswert-Anteil an der OHG betrug zum 1. Januar 1974 580.393 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die Einheitswert-Anteile des Klägers und seiner Ehefrau an dem Kraftwerk bei deren Vermögensteuerveranlagung außer Ansatz und ging von einem steuerpflichtigen Betriebsvermögen von 580.393 DM (Einheitswert-Anteil des Klägers an der OHG) aus.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren berücksichtigte das Finanzgericht (FG) den negativen Anteil des Klägers an dem Kraftwerk. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus: Betriebsvermögen, das unmittelbar und nicht nur vorübergehend der Erzeugung, Lieferung und Verteilung von Strom zur öffentlichen Versorgung dient, werde nur mit 50 v.H. des Einheitswerts oder des darauf entfallenden Teils des Einheitswerts angesetzt (§ 117 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1965 - im folgenden: BewG 1965 -, BGBl I 1965, 1861, BStBl I 1966, 2). Diese Vorschrift, die gemäß Art. 8 des Vermögensteuerreformgesetzes (VStRG) vom 17. April 1974 (BGBl I 1974, 949, BStBl I 1974, 233) zum 1. Januar 1974 anwendbar sei, sei jedoch dahingehend zu verstehen, daß negatives Betriebsvermögen in vollem Umfang zu berücksichtigen sei. Eine andere Auslegung würde die durch die Regelung des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 erstrebte Begünstigung in ihr Gegenteil verkehren und zu einer steuerlichen Benachteiligung führen. Dies sei mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar.

Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Über die Gewährung der Steuerbegünstigung gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ist im Vermögensteuer-Veranlagungsverfahren zu entscheiden. Dies folgt aus dem Wortlaut der Regelung, wonach Betriebsvermögen der in § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 genannten Art "bei der Ermittlung des Gesamtvermögens" - also im Vermögensteuer-Veranlagungsverfahren - nur mit 50 v.H. des Einheitswerts angesetzt wird, sowie aus der systematischen Stellung der Vorschrift. Die Worte "bei der Ermittlung des Gesamtvermögens" bringen gleichermaßen zum Ausdruck, daß es sich bei § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 um eine - sachliche - Befreiung bestimmter Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nur von der Vermögensteuer, nicht auch von der Gewerbesteuer, handelt und daß hierüber nicht bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, sondern erst bei der Vermögensteuerveranlagung zu entscheiden ist. Die Stellung des § 117 BewG 1965 macht deutlich, daß es sich bei dieser Vorschrift - ähnlich wie bei § 116 BewG 1965 hinsichtlich des Betriebsvermögens von Krankenhäusern - um eine bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigende Sonderregelung zu § 114 BewG 1965 für die Ermittlung des Gesamtvermögens bei Versorgungs- und Verkehrsunternehmen handelt. Dies bestätigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

§ 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 geht zurück auf § 3a Nr. 3 des Vermögensteuergesetzes (VStG) in der für Stichtage vor dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung. Danach war Betriebsvermögen von Energieversorgungsunternehmen im Eigentum von juristischen Personen des öffentlichen Rechts von der Vermögensteuer befreit. Daß das nach § 3a Nr. 3 VStG qualifizierte Vermögen der Gewerbesteuer unterlag, ergab sich daraus, daß in § 3a Nr. 3 VStG die Anwendung des § 59 BewG a.F. ( = § 101 BewG 1965) ausdrücklich ausgeschlossen war. Durch die Einfügung des § 73c Nr. 1 BewG (durch das Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes und des Vermögensteuergesetzes vom 24. März 1965, BGBl I 1965, 153, BStBl I 1965, 102) - des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 - wurde der Zweck verfolgt, die früher in § 3a Nr. 3 VStG geregelte Vermögensteuerbefreiung auch privaten Versorgungsunternehmen - und zwar im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen unter den gleichen Voraussetzungen wie bei öffentlichen Unternehmen dieser Art - zu gewähren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 6. Oktober 1972 III R 137/71, BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41). Mit der Gesetzesänderung war nicht beabsichtigt, die Steuerbegünstigung auch auf die Gewerbesteuer auszudehnen. Dies wurde dadurch sichergestellt, daß die Begünstigung des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG erst "bei der Ermittlung des Gesamtvermögens" und damit erst im Rahmen der Vermögensteuerfestsetzung zu berücksichtigen ist. Damit entfiel das Erfordernis, in § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ausdrücklich auszusprechen, daß § 101 BewG 1965 keine Anwendung findet. Hieraus folgt zugleich, daß über die Vermögensteuerbegünstigung des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 nicht im Verfahren zur Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens, sondern erst bei der Veranlagung zur Vermögensteuer zu entscheiden ist (so Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 117 BewG Anm. 2).

Diese Auffassung liegt auch der - allerdings erst für die Stichtage ab 1. Januar 1977 geltenden - Regelung des § 180 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zugrunde, wonach "der Wert der vermögensteuerpflichtigen Wirtschaftsgüter (§§ 114 bis 117 des Bewertungsgesetzes)" unter den dort im einzelnen umschriebenen Voraussetzungen gesondert festgestellt wird. Dieser Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn die zur Gewährung der Steuervergünstigung der §§ 115 bis 117 BewG 1965 erforderlichen Feststellungen ohnehin in einem besonderen Feststellungsverfahren, nämlich bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, zu treffen wären.

Mit Urteil vom 8. November 1974 III R 76/73 (BFHE 114, 501, BStBl II 1975, 470) hat der erkennende Senat zwar entschieden, über die sachliche Vermögensteuerbefreiung nach § 3a Nr. 1 Satz 2 VStG sei im Verfahren zur Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens zu befinden. An dieser Rechtsprechung hält der Senat im Hinblick auf die Gesetzesänderungen nicht mehr fest.

2. Gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 wird Betriebsvermögen unter den gesetzlich näher umschriebenen und hier unstreitig vorliegenden Voraussetzungen "nur mit 50 vom Hundert des Einheitswerts oder des darauf entfallenden Teils des Einheitswerts" angesetzt. Ist der Einheitswert negativ, weil die Schulden, die mit dem nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 qualifizierten Betriebsvermögen zusammenhängen, dieses wertmäßig übersteigen, hat er nach Auffassung des erkennenden Senats außer Ansatz zu bleiben.

a) Der Wortlaut des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ist insoweit nicht eindeutig. Im Schrifttum sind die Auffassungen geteilt. Unter Berufung auf das zu § 73b BewG a.F. ( = § 116 BewG 1965) ergangene Urteil des Senats vom 21. November 1969 III 68/65 (BFHE 97, 567, BStBl II 1970, 200) gehen Rössler/Troll/Langner (a.a.O.) davon aus, daß auch ein negativer Einheitswert berücksichtigt werden sollte. Demgegenüber vertreten Gürsching/Stenger (Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 117 BewG Anm. 20) die Auffassung, daß ein negativer Einheitswert nicht anzusetzen sei. Der Senat folgt der letzteren Auffassung aus der Erwägung, daß die Begünstigungsvorschrift des § 117 BewG 1965 in diesem Punkt für die in Nr. 1 und Nr. 2 geregelten Tatbestände einheitlich auszulegen ist. Zweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen dafür, einen negativen Einheitswert nicht zu berücksichtigen.

b) Zweck des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ist es, bestimmtes, der Energieversorgung dienendes Betriebsvermögen (teilweise) von der Vermögensteuer freizustellen. Unter "Betriebsvermögen" i. S. von § 117 BewG 1965 sind die einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens zu verstehen (vgl. BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41). Dies folgt daraus, daß für eine wirtschaftliche Einheit, die sich aus einer Mehrzahl selbständiger Wirtschaftsgüter zusammensetzt, nur jeweils für das einzelne Wirtschaftsgut bestimmt werden kann, ob es unmittelbar und nicht nur vorübergehend der Erzeugung etwa von Strom zur öffentlichen Versorgung dient. In BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41 hat der Senat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von § 117 BewG 1965 eingehend dargelegt, daß es das Ziel der Neuregelung war, das Vermögensteuerprivileg der öffentlichen Hand zu beseitigen und "eine gleichheitliche steuerliche Belastung der öffentlich-rechtlichen, der gemischt-wirtschaftlichen und der privaten Unternehmen herzustellen". Dieser Zweck wird dadurch erreicht, daß das begünstigte Betriebsvermögen, soweit ein positiver Einheitswert festgestellt ist, mit 50 v.H. angesetzt und Betriebsvermögen, für das ein negativer Einheitswert festgestellt ist, außer Ansatz bleibt. Auch bei Nichtansatz eines negativen Einheitswerts bleibt das nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 qualifizierte Vermögen als solches von der Vermögensteuer befreit. Die Berücksichtigung eines negativen Einheitswerts hätte jedoch zur Folge, daß ein Teil des übrigen steuerpflichtigen Vermögens vermögensteuerfrei bliebe. Eine solche Befreiung stände dem Zweck des § 117 BewG 1965 entgegen, das Vermögensteuerprivileg der öffentlichen Hand dadurch zu beseitigen, daß das Betriebsvermögen privater Energieversorgungsunternehmen vermögensteuerrechtlich in jeder Hinsicht dem von öffentlich-rechtlichen Versorgungsunternehmen gleichgestellt wird. Bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen dieser Art besteht nämlich - im Gegensatz zu privaten Unternehmen - in aller Regel eine Identität zwischen dem nach § 117 BewG 1965 qualifizierten Vermögen und dem steuerpflichtigen Vermögen, so daß hier eine Möglichkeit zum Ausgleich mit positivem Betriebsvermögen, das nichtbegünstigten Zwecken dient, regelmäßig fehlt (vgl. hierzu den Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1967 GrS 4/66, BFHE 88, 3, BStBl III 1967, 240).

An dieser Beurteilung ändert nichts, daß eine niedrigere Vermögensteuer festzusetzen wäre, wenn die Befreiungsvorschrift des § 117 BewG 1965 nicht anzuwenden wäre. Dies beruht darauf, daß die Steuerbegünstigung des § 117 BewG 1965 nicht antragsgebunden ist. Daß der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Umstandes (vgl. BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41) in die Vorschrift auch nachträglich ein Antragserfordernis nicht eingefügt hat, läßt erkennen, daß er diese Regelung als tragbar angesehen hat. Dies erscheint vertretbar, weil die Einfügung des § 117 BewG 1965 etwa für die privaten Energieversorgungsunternehmen insgesamt betrachtet eine Besserstellung und - wegen des Wegfalls des Vermögensteuerprivilegs der öffentlichen Hand - eine Schlechterstellung der öffentlich-rechtlichen Energieversorgungsunternehmen zur Folge hatte. Auch vom wirtschaftlichen Ergebnis her erscheint es nicht unvertretbar, daß die Gewährung der Steuerbegünstigung nur in Betracht kommt, wenn dem Energieversorgungsunternehmen eigene Mittel zugeführt und somit zu dem vom Gesetzgeber gewollten Zweck nutzbringend angelegt sind.

c) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die Senatsentscheidung in BFHE 97, 567, BStBl II 1970, 200 berufen. Wie der Senat dort ausgeführt hat, war es nicht alleiniger Zweck der Einfügung des § 73b BewG a.F. (= § 116 BewG 1965), die auf gemeinnütziger Basis betriebenen privaten Krankenanstalten mit den Krankenanstalten der öffentlichen Hand und den von gemeinnützigen Körperschaften unterhaltenen Krankenanstalten gleichzustellen. Darüber hinaus sollte den Inhabern von privaten Krankenanstalten, die auf gemeinnütziger Basis betrieben werden, ein zusätzlicher steuerlicher Vorteil gegenüber den Inhabern von den übrigen privaten Krankenanstalten eingeräumt werden. Diese gezielte Steuerbegünstigung für Inhaber von auf gemeinnütziger Basis betriebenen privaten Krankenanstalten wäre in ihr Gegenteil verkehrt worden, wenn man den negativen Einheitswert bei den auf gemeinnütziger Basis betriebenen privaten Krankenanstalten außer Ansatz gelassen hätte. Im Gegensatz hierzu bezweckt § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 ausschließlich die Gleichstellung öffentlich-rechtlicher und privater Stromversorgungsunternehmen. Im Hinblick hierauf erscheint die gegenüber § 116 BewG 1965 abweichende Auslegung des § 117 BewG 1965 gerechtfertigt.

3. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die Streitsache ist entscheidungsreif. Nach den vorstehenden Ausführungen ist der negative Einheitswert-Anteil des Klägers an dem Kraftwerk nicht zu berücksichtigen und die Klage abzuweisen. Da eine Verböserung im gerichtlichen Verfahren unzulässig ist, braucht der Senat nicht dazu Stellung zu nehmen, ob der (positive) Einheitswert-Anteil der Ehefrau des Klägers mit 50 v.H. anzusetzen ist.