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BFH-Urteil vom 26.11.1980 (II R 139/74) BStBl. 1981 II S. 253

Wird eine Tochtergesellschaft (AG) mit ihrer Muttergesellschaft (AG) ohne Ausgabe neuer Aktien verschmolzen und gehören zum Vermögen der übertragenden Tochtergesellschaft Wertpapiere, so unterliegt die Verschmelzung gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1959 der Börsenumsatzsteuer. Der Senat hält an seinem Urteil vom 13. Februar 1980 II R 21/78 (BFHE 130, 191, BStBl II 1980, 376) fest.

KVStG 1959 § 18 Abs. 2 Nr. 2; AktG 1965 §§ 339 ff.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schloß 1970 mit einer anderen Aktiengesellschaft (AG) einen Verschmelzungsvertrag gemäß § 339 Abs. 1 Nr. 1 §§ 340 und 341 des Aktiengesetzes (AktG), wonach sie das Vermögen der AG übernahm. Nachdem beide Hauptversammlungen der Verschmelzung zugestimmt hatten, wurde diese im Juni 1970 in das Handelsregister eingetragen. Neue Aktien wurden nicht ausgegeben.

Zum Vermögen der AG gehörten Wertpapiere. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) erhob Börsenumsatzsteuer mit der Begründung, das Vermögen der AG sei auf die Klägerin übertragen worden.

Auf die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage hob das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid auf.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der Steueranspruch folgt dem Grunde nach aus § 18 Abs. 2 Nr. 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes i. d. F. vom 24. Juli 1959 (KVStG 1959).

Der Verschmelzungsvertrag zwischen der AG und der Klägerin ist ein Geschäft, durch das im Sinne der genannten Vorschrift bei der Auseinandersetzung der AG mit ihren Gesellschaftern der Klägerin die der AG gehörenden Wertpapiere überwiesen wurden. Eine derartige Auffassung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Februar 1980 II R 21/78 (BFHE 130, 191, BStBl II 1980, 376) vertreten. Er hält nach erneuter Überprüfung an diesem Urteil fest.

a) Entsprechend seinem Sinn und Zweck, den Kapitalverkehr in Form der Übertragung bestimmter, in einem gewissen Grade fungibler vermögenswerter Rechte zu besteuern, erfaßt § 18 KVStG 1959 sämtliche Arten einer solchen Übertragung, also auch diejenige durch Verschmelzung nach den §§ 339 ff. AktG 1965. Sinn und Zweck des Gesetzes gebieten demnach insoweit keine einschränkende Auslegung des § 18. Demzufolge ging auch § 10 des Umwandlungsteuergesetzes - UmwStG - 1957 (BGBl I 1957, 1713) davon aus, daß der Übergang von Wertpapieren im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Börsenumsatzsteuer auslöst. Erkennbar ist lediglich, daß mit dem erwähnten Kapitalverkehr nur freiwillige Übertragungen gemeint sein können und die Versteuerung zwangsweise geschehener Vorgänge daher ausscheidet (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Juni 1959 II 192/58 S, BFHE 69, 422, BStBl III 1959, 420).

b) Der Wortlaut des Gesetzes deckt seinen vorgenannten Sinn und Zweck, soweit die Zuweisung von Wertpapieren bei der Auseinandersetzung einer Kapitalgesellschaft durch Verschmelzung geschieht.

Die Klägerin wendet ein, die Rechtsbegriffe "Auseinandersetzung" bzw. "Liquidation" oder "Abwicklung" einerseits und "Verschmelzung" andererseits seien grundverschieden. Das Wort Abwicklung (§ 264 AktG 1965) werde in den §§ 339 ff. AktG 1965 gerade nicht gebraucht. Dort heiße es im Gegenteil, daß "Aktiengesellschaften ... ohne Abwicklung verschmolzen werden" können. Bei der Auseinandersetzung (Liquidation, Abwicklung) werde die Gesellschaft ihrem wirtschaftlichen Ende zugeführt, bei der Verschmelzung würden die einzelnen Aktiengesellschaften nicht auseinander -, sondern im Gegenteil fortgesetzt. Die Anwendung des § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1959 auf Verschmelzungen sei daher eine unzulässige Analogie.

Der Senat folgt nicht dieser Auffassung der Klägerin. Der Gebrauch des bürgerlich-rechtlichen Begriffes "Auseinandersetzung" (§ 730 BGB) schließt die Anwendung des § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1959 auf die Verschmelzung nicht aus.

Der Wortlaut des § 18 KVStG 1959 ist nicht uneingeschränkt an bürgerlich-rechtlicher oder handelsrechtlicher Terminologie zu messen. Das zeigt schon die grundsätzliche Definition des Anschaffungsgeschäftes in Absatz 1. Wörtlich genommen sind Verträge aus bürgerlich-rechtlicher Sicht dann "auf den Erwerb des Eigentums an Wertpapieren gerichtet", wenn - wie z. B. bei Inhaberschuldverschreibungen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1959) - das verbriefte Recht durch Übereignung des Wertpapieres gemäß § 929 BGB übertragen wird (vgl. § 935 Abs. 2 BGB). Handelt es sich um Schuldscheine über Teile eines Gesamtdarlehens (§ 19 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 3 KVStG 1959), so sind die Verträge nicht auf Erwerb des Eigentums an einem Wertpapier gerichtet, sondern auf Abtretung der Darlehensforderung gemäß § 398 BGB; als Nebenfolge der Abtretung steht dem neuen Forderungsinhaber das Eigentum an dem Schuldschein gemäß § 952 Abs. 1 BGB zu. Erweist sich schon hier, daß das Verständnis der Begriffe des § 18 KVStG 1959 streng nach bürgerlichem Recht wegen des kapitalverkehrsteuerrechtlichen Wertpapierbegriffes des § 19 KVStG 1959 nicht möglich ist, so zeigt die eindeutig steuerpflichtige Übertragung von GmbH-Anteilen (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1959) gemäß § 15 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), daß hier nicht einmal als Nebenfolge ein "Papier" übertragen wird. Ist nicht ausnahmsweise ein Anteilsschein über den GmbH-Anteil ausgestellt (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 38. Aufl., § 952 Anm. 2 b), so gibt es überhaupt kein Eigentum (an einem Papier), das dem Inhaber der GmbH-Anteilsrechte zustehen könnte.

Auch die an § 18 Abs. 1 anschließende Vorschrift des Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1959 verwendet erkennbar eigene Terminologie. Sie spricht allgemein von der "Auseinandersetzung" einer Kapitalgesellschaft, ohne die dem Aktiengesetz und dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung eigenen Begriffe der Abwicklung (§§ 205 ff. AktG 1937, §§ 264 ff. AktG 1965) bzw. "Liquidation" (§§ 66 ff. GmbHG) zu gebrauchen.

Gibt es demnach keinen Grund für die Annahme, daß § 18 KVStG 1959 uneingeschränkt bürgerlich-rechtliche Begriffe übernimmt und legt sich überdies der Wortlaut des § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1959 in dem hier entscheidenden Punkt bei der AG nicht auf den technischen Begriff der "Abwicklung" fest, so muß der Begriff "Auseinandersetzung" hier nicht im bürgerlich-rechtlichen Sinne, also nicht als gleichbedeutend mit der Auseinandersetzung nach den - hier ohnehin nicht einschlägigen §§ 730 ff. BGB verstanden werden. Losgelöst von dieser Bindung läßt sich unter dem Begriff der Auseinandersetzung einer Kapitalgesellschaft mit ihren Gesellschaftern zumindest jeder Vorgang einordnen, durch welchen das Vermögen der Gesellschaft im Hinblick auf deren beabsichtigtes und bevorstehendes Erlöschen auf die Gesellschafter oder mit deren Einvernehmen auf einen Dritten übertragen wird. Eine Auseinandersetzung bedeutet auch nicht - und zwar nicht einmal nach den §§ 730 ff. BGB -, daß das Gesellschaftsvermögen "zerschlagen" wird es kann als Ganzes erhalten bleiben, indem es einem Gesellschafter (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Oktober 1974 IV ZR 164/73, Wertpapier-Mitteilungen 1974 S. 1162 - WM 1974, 1162-) oder einem Dritten übertragen wird. Gleiches gilt für die Abwicklung nach den §§ 264 ff. AktG 1965. Die Vorschrift des § 271 Abs. 1 AktG 1965, wonach das Gesellschaftsvermögen - soweit es nicht zur Berichtigung von Verbindlichkeiten benötigt wird - zu versilbern und an die Aktionäre zu verteilen ist, dient nicht dem öffentlichen Interesse und ist nicht zwingend (vgl. Wiedemann im Großkommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., 1973, § 268 Anm. 5).

Ob die Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf einen Dritten (hier die Klägerin) in Form der Einzelrechtsnachfolge oder der Gesamtrechtsnachfolge vor sich geht, ist nur eine Frage des technischen Ablaufes der Übertragung und daher unerheblich. Ihrer Funktion nach ist die Verschmelzung, die ebenso wie die Abwicklung zum Erlöschen der ihr Vermögen übertragenden Gesellschaft führt (§ 273 Abs. 1 Satz 2, § 346 Abs. 4 Satz 1 AktG 1965), nur eine vereinfachte Form der Übertragung von Vermögenswerten einer Gesellschaft. Als Institution verdankt sie ihre Existenz dem Umstand, daß die Übertragung eines größeren Gesellschaftsvermögens in Form der Übereignung sämtlicher einzelner beweglicher Gegenstände und Grundstücke, Abtretung von Forderungen und Übernahme von Verbindlichkeiten bei notwendiger Genehmigung der jeweiligen Gläubiger (§ 415 Abs. 1 BGB) in der Praxis nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten durchzuführen ist. Als Lösung dieser Schwierigkeiten bot sich der Vermögensübergang im ganzen kraft Gesetzes an.

2. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück, damit dieses den Besteuerungsmaßstab ermittelt. Dabei ist zu beachten, daß die Steuer erst mit dem Vermögensübergang entstanden ist (§ 346 Abs. 3 AktG 1965), weil erst in diesem Zeitpunkt feststand, welche Wertpapiere überwiesen wurden.