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BFH-Beschluß vom 27.1.1981 (VII B 56/80) BStBl. 1981 II S. 324

Gegen Vorabentscheidungsersuchen der FG nach Art. 177 Abs. 2 EWGV ist keine Beschwerde gegeben.

FGO § 128; EWGV Art. 177.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Mit dem angefochtenen Beschluß setzte das Finanzgericht (FG) das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) nach Art. 177 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag - EWGV-) eine Frage zur Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) vor. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Beschwerde mit dem Antrag ein, den Beschluß aufzuheben. Sie macht u. a. geltend, der Vorlagebeschluß sei unrechtmäßig, weil das FG durch vorausgegangene Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) und eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) in der Vorabentscheidungsfrage gebunden gewesen sei. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt - HZA -) hält die Beschwerde für nicht begründet.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Gegen Vorabentscheidungsersuchen der FG nach Art. 177 Abs. 2 EWGV ist keine Beschwerde gegeben. Das entspricht der im Schrifttum fast einhellig geäußerten Auffassung (vgl. Goose, Einschränkung der Vorlagebefugnis nach Art. 177 Abs. 2 EWGV durch die Rechtsmittelgerichte?, Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1975 S. 660, 662 - RIW/AWD 1975, 660, 662-, und das dort in der Fußnote 22 zitierte Schrifttum, Riegel in RlW/AWD 1976, 110 sowie in Deutsches Verwaltungsblatt 1978 S. 469, 477 - DVBl 1978, 469, 477-; Tomuschat in Zeitschrift für Europäische Grundrechte 1979 S. 257 - EUGRZ 1979, 257-). Der erkennende Senat hält an seiner im Beschluß vom 14. August 1973 VII B53/73 (BFHE 11 O, 12, BStBl II 1973, 761), geäußerten entgegengesetzten Rechtsauffassung nicht mehr fest.

Die angefochtene Entscheidung enthält sowohl das Vorabentscheidungsersuchen des FG als auch die Aussetzung des Verfahrens. Die Aussetzung kann für die Entscheidung der Frage, ob gegen den Beschluß des FG die Beschwerde gegeben ist, außer Betracht bleiben. Es handelt sich dabei nicht um eine Aussetzung nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO), sondern um einen beiläufigen und im Grunde überflüssigen Teil des Vorabentscheidungsersuchens (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: September 1979, § 80 Anm. 289 und 305 mit Fußnote 3 und weiteren Nachweisen; die dort für das gleichartige Problem der Aussetzung und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - nach § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG - angeführten Gesichtspunkte gelten hier entsprechend). Die wesentliche Bedeutung des angefochtenen Beschlusses liegt im Vorabentscheidungsersuchen selbst.

Nach § 128 Abs. 1 FGO ist gegen Entscheidungen der FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, die Beschwerde gegeben, soweit die Finanzgerichtsordnung nichts anderes bestimmt. Etwas anderes bestimmt hat die Finanzgerichtsordnung in § 128 Abs. 2 für prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen sowie über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen. Zu diesen gerichtlichen Entscheidungen zählt dem Wortlaut nach ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 177 Abs. 2 EWGV nicht. Ein solches Ersuchen kann auch entgegen der Auffassung von Wohlfahrt/Everling/Glaesner/Sprung (Die EWG, Art. 177 EWGV Anm. 7) nicht als prozeßleitende Verfügung i. S. des § 128 Abs. 2 FGO angesehen werden, weil es nicht dem äußeren Fortgang des Verfahrens dient, sondern der Entscheidung in der Sache selbst. Es fehlt also an einer ausdrücklichen Bestimmung der Finanzgerichtsordnung, nach der das durch § 128 Abs. 1 grundsätzlich eingeräumte Beschwerderecht gegen Vorlagebeschlüsse nach Art. 177 Abs. 2 EWGV ausgeschlossen ist. Sinn und Zweck des § 128 Abs. 2 FGO ergeben jedoch, daß der in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahmekatalog erweiternd dahin auszulegen ist, daß er auch den vom Gesetzgeber offenbar nicht bedachten Fall des Vorabentscheidungsersuchens umfaßt.

Das Vorabentscheidungsersuchen des FG bezieht sich auf die Entscheidung in der Sache selbst; es soll diese vorbereiten. Die Sachentscheidung aber unter liegt - unter den Voraussetzungen der §§ 115 ff. FGO - der Überprüfung durch das Revisionsgericht, also auch ggf. die Frage, ob das FG die Vorabentscheidung des EGH zu Recht berücksichtigt hat oder ob dies z. B. deswegen hätte unterbleiben müssen, weil die vom EGH entschiedene Frage nicht entscheidungserheblich ist. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Entscheidungskompetenz des Revisionsgerichts ganz oder teilweise in das Beschwerdeverfahren verlagert werden sollte. Dadurch entstünde eine Doppelbelastung des BFH und außerdem die Gefahr abweichender Entscheidungen, wenn etwa der BFH im Beschwerdeverfahren die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bejahte, im Revisionsverfahren (in anderer Besetzung) aber zum gegenteiligen Ergebnis gelangte.

Dieser Gedanke, der gegen die Einräumung einer Beschwerdemöglichkeit spricht, liegt der Regelung des § 128 Abs. 2 FGO zugrunde. In dem Ausnahmekatalog dieser Bestimmung sind auch Beweisbeschlüsse und Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen genannt. Auch solche Entscheidungen dienen der Vorbereitung der Sachentscheidung. Sie einer gesonderten Beschwerde zugänglich zu machen, bedeutete ebenfalls eine teilweise Vorverlegung der sachlichen Entscheidung in das Beschwerdeverfahren, ohne daß ein entsprechendes Schutzinteresse des Beteiligten vorläge. Denn gegen die endgültige Entscheidung ist - unter den Voraussetzungen der §§ 115 ff. FGO - die Revision gegeben, in deren Rahmen die sachliche Prüfung ohnehin vorgenommen wird. Sind also Beweisbeschlüsse und Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 128 Abs. 2 FGO der Beschwerde nicht zugänglich, so muß dies auch für Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 177 Abs. 2 EWGV gelten.

Die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigt der Umstand, daß nach allgemeiner Meinung Vorlagebeschlüsse nach Art. 80 BVerfGG an das BVerfG ebenfalls unanfechtbar sind, obwohl eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Frage fehlt (vgl. Maunz/Schmidt - BIeibtreu/Klein/Ulsamer, a. a. O., § 80 Anm. 305 und die dort in Fußnote 1 zitierte Literatur). Zwar weist dieses Vorlageverfahren gegenüber dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 Abs. 2 EWGV Unterschiede auf. Hinsichtlich der hier wesentlichen Gesichtspunkte entsprechen sich aber beide Verfahren weitgehend.

Bereits die Auslegung der nationalen Vorschrift des § 128 FGO ergibt also, daß gegen Vorabentscheidungsersuchen der FG die Beschwerde nicht gegeben ist. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Frage, ob ein national etwa vorgesehenes Beschwerderecht wegen Verstoßes gegen Art. 177 EWGV unwirksam wäre, wie die eingangs zitierten Stimmen des Schrifttums meinen (vgl. zusätzlich auch Bebr, Anm. zum EGH-Urteil vom 12. Februar 1974 Rs. 146/73, Europarecht 1974 S. 358). Ferner kann unentschieden bleiben, ob die in diesem Schrifttum geäußerte Kritik an der Auffassung des EGH gerechtfertigt ist, das Gemeinschaftsrecht stehe der Einräumung einer Beschwerde gegen einen Vorlagebeschluß nach Art. 177 Abs. 2 EWGV durch den nationalen Gesetzgeber nicht entgegen (Entscheidungen vom 6. April 1962 Rs. 13/61, EGHE 1962/99, 110; vom 3. und 16. Juni 1969 Rs. 31/68, EGHE 1970, 403 und vom 12. Februar 1974 Rs. 146/73, EGHE 1974, 139, 148). Denn diese EGH-Rechtsprechung schließt jedenfalls nicht aus, daß der nationale Gesetzgeber von sich aus ein Beschwerderecht versagt.