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BFH-Urteil vom 23.12.1980 (VII R 92/79) BStBl. 1981 II S. 349

Der Finanzrechtsweg ist nicht gegeben, wenn ein Bankinstitut aufgrund eines von der Steuerfahndungsstelle eines Finanzamts beantragten richterlichen Beschlusses zur Vermeidung der möglichen Durchsuchung und Beschlagnahme (§§ 103, 94, 95 StPO) ersucht wird, Auskunft über Konten zu geben, und nach Erteilung dieser Auskunft Entschädigungsansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen geltend macht.

AO 1977 §§ 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, 393, 397, 399, 404; StPO §§ 94, 95, 103; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Das Amtsgericht N erließ auf Antrag der Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) im Rahmen eines Strafverfahrens gegen H. H. wegen Steuerhinterziehung am 28. November 1977 einen auf die §§ 103, 94, 95 der Strafprozeßordnung (StPO) gestützten Beschluß, mit dem die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Bankinstitut, ersucht wurde, "zur Vermeidung der möglichen Durchsuchung und Beschlagnahme" der Steuerfahndungsstelle verbindliche und erschöpfende Auskunft über die Konten und Depots des Beschuldigten und seiner Ehefrau zu erteilen und die einschlägigen Unterlagen zum Zwecke der Ablichtung auf Verlangen herauszugeben. Die Klägerin teilte daraufhin dem FA Einzelheiten über ein vom Beschuldigten und seiner Ehefrau geführtes Kontokorrentkonto mit und legte später der Steuerfahndungsstelle auf deren Anforderung Fotokopien über Kontobewegungen vor. Sie stellte dem FA Auslagen in Höhe von 157 DM in Rechnung. Das FA lehnte eine Kostenerstattung ab. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies auch die dagegen erhobene Beschwerde zurück.

Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Verwaltungsakte auf und verpflichtete das FA, der Klägerin 149 DM Auslagen zu erstatten.

Den Einwand des FA, daß der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei, wies das FG zurück. Es führte aus, die Klägerin sei zwar unmittelbar durch den Beschluß des Amtsgerichts zur Erteilung einer Auskunft veranlaßt worden. Denn nach dem Inhalt des Beschlusses hätte sie bei Verweigerung der Auskunftserteilung mit der Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme rechnen müssen. Die Steuerfahndungsstelle sei jedoch nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich im Rahmen des von ihr selbständig durchgeführten Ermittlungsverfahrens i. S. des § 386 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) tätig gewesen, sondern auch im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens (§ 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977). Denn nach dem von ihr gestellten Antrag sei die verlangte Auskunft erforderlich gewesen, um "die genauen Vermögensverhältnisse des Beschuldigten" zu ermitteln. Soweit die Steuerfahndung im Rahmen des ihr in § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zugewiesenen Aufgabenbereiches tätig werde, seien gemäß § 393 Abs. 1 AO 1977 in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Vorschriften über das Besteuerungsverfahren maßgeblich. Als Rechtsgrundlage für das Auskunftsverlangen der Finanzverwaltung komme deshalb nur § 93 AO 1977 in Betracht, auch wenn es, offenbar um ihm besonderen Nachdruck zu geben, als gerichtliche Aufforderung zur Abwendung einer sonst möglichen Durchsuchung und Beschlagnahme an die Klägerin gestellt worden sei. Damit aber handele es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsanspruch um eine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Mit seiner Revision rügt das FA, daß für die Klage der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei, weil es sich nicht um eine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 FGO handele sondern um eine Maßnahme im Steuerstrafverfahren gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO. Das FG weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Dezember 1976 IV R 2/76 (BFHE 120, 571, BStBl II 1977, 318). ab. Danach lasse sich die Tätigkeit der Steuerfahndung sowohl den Abgabenangelegenheiten "S. des § 33 Abs. 2 Satz , FGO als auch dem Straf- und Bußgeld verfahren i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO zuordnen. Sei ein Strafverfahren bereits eingeleitet, so trete ein Rollenwechsel des FA von der Steuerbehörde zur Strafverfolgungsbehörde ein. Die strafverfahrensrechtliche Seite der Steuerfahndungstätigkeit trete jedoch nunmehr in den Vordergrund. Das FG habe verkannt, daß die Steuerfahndungsstelle in einem eingeleiteten Steuerstrafverfahren gemäß § 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977 als Strafverfolgungsbehörde mit den Befugnissen nach § 404 AO 1977 tätig geworden sei. Das Amtsgericht habe mit seinem Beschluß einen Beamten der Steuerfahndungsstelle mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt. Die Steuerfahndung sei damit nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern zur Ermittlung des objektiven Tatbestandes einer Steuerhinterziehung tätig geworden. Die strafverfahrensrechtliche Seite habe im Vordergrund gestanden. Etwaige Kosten, die der Klägerin bei der Abwendung der angedrohten Beschlagnahme durch erschöpfende Auskunft und Anfertigung von Ablichtungen entstanden seien, seien im Strafverfahren angefallen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält den Finanzrechtsweg für gegeben und weist darauf hin, daß sie in der Beschwerdeentscheidung der OFD ausdrücklich auf den Finanzrechtsweg verwiesen worden sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Die Klage ist unzulässig. Das FG hat zu Unrecht den Finanzrechtsweg bejaht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH und des Bundesgerichtshofs (BGH) ist über die Frage, welcher Rechtsweg gegeben ist, aufgrund des Sachvortrags des Klägers zu entscheiden. Dabei ist auf die Rechtsnatur des Klagebegehrens abzustellen, wie sie sich aus dem dem Klageantrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 120, 571, BStBl II 1977, 318 und vom 20. November 1979 VII R 38/77, BFHE 129, 445, BStBl II 1980, 249). Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung kann dabei den Finanzrechtsweg nicht eröffnen. Im Streitfalle geht das Klagebegehren der Klägerin dahin, das FA zu verurteilen, ihr Kosten zu erstatten, die ihr bei der Erteilung einer Auskunft entstanden sind, um die sie durch den Beschluß des Amtsgerichts N. zur Vermeidung der möglichen Durchsuchung und Beschlagnahme" ersucht worden ist.

Für dieses Klagebegehren ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO (die Nummern 2 bis 4 kommen hier nicht in Betracht) ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben. Der Begriff Abgabenangelegenheiten wird in § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO näher definiert. Dagegen finden nach § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO die Vorschriften des Absatzes 1 auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung, d. h., daß für Strafverfahren der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist, wenn ihm öffentlich rechtliche Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten zugrunde liegen. Das FG ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Finanzrechtsweg gegeben ist, zutreffend davon ausgegangen, daß zu den Aufgaben der Steuerfahndung sowohl die Erforschung von Steuerstraftaten als auch für diesen Fall die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen gehören (§ 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977). Es ist jedoch zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Steuerfahndungsstelle schon deshalb im Rahmen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen tätig geworden sei, weil sie den Antrag an das Amtsgericht auf Anordnung einer Beschlagnahme für erforderlich gehalten habe, um die genauen Vermögensverhältnisse des Beschuldigten ermitteln zu können. Denn auch bei der Erforschung von Steuerstraftaten i. S. des § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 müssen bei dem hier vorliegenden Verdacht einer Steuerhinterziehung in der Person des Beschuldigten H. H. notwendigerweise die Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden. Nur so nämlich kann festgestellt werden, ob Steuern i. S. des § 370 AO 1977 verkürzt worden sind.

Entscheidend für die Frage, ob für das Klagebegehren der Klägerin der Finanzrechtsweg gegeben ist, ist danach, in welcher Funktion und in welchem Verfahren die Steuerfahndungsstelle des FA bei ihrem an das Amtsgericht gerichteten Antrag auf Anordnung einer Beschlagnahme von Bankkonten tätig geworden ist. Nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Streitfalle hat sich die Steuerfahndungsstelle des FA bei ihrem Antrag an das Amtsgericht auf die §§ 94 und 103 StPO gestützt. Es hat damit unmißverständlich i. S. des § 393 AO 1977 von den Rechten Gebrauch gemacht, die den Finanzbehörden und den Steuerfahndungsstellen im Steuerstrafverfahren zur Verfügung stehen (vgl. § 208 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 404 Satz 2, ferner § 399 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Das Amtsgericht hat seinen unter dem Betreff: Strafverfahren gegen H. H. erlassenen Beschluß unter Hinweis auf die §§ 103, 94, 95 StPO damit begründet, daß die Unterlagen als Beweismittel im Strafverfahren gegen H. H. von Bedeutung sein können. Wenn auch der angefochtenen Entscheidung und den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen ist, daß schon vor dem vom Amtsgericht erlassenen Beschluß das Strafverfahren gegen H. H. eingeleitet worden ist, So liegt jedenfalls in dem von der Steuerfahndungsstelle des FA gestellten Antrag und in dem daraufhin ergangenen Beschluß des Amtsgerichts eine Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen den Beschuldigten H. H. wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen (vgl. § 397 Abs. 1 AO 1977).

Daß die Klägerin die grundsätzlich dem Richter vorbehaltene Durchsuchung und Beschlagnahme (die Staatsanwaltschaft bzw. deren Hilfsbeamte, zu denen auch Beamte der Zollfahndung gehören, vgl. § 404 AO 1977, sind nur bei Gefahr im Verzug zuständig, §§ 100 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO) durch Auskunftserteilung und durch Herausgabe der erforderlichen Unterlagen zum Zwecke der Ablichtung abwenden konnte, ändern daran, daß es sich bei den angeordneten Maßnahmen und dem darauf beruhenden Erstattungsanspruch der Klägerin nicht um Abgabenangelegenheiten, sondern um Maßnahmen im Strafverfahren handelt, nichts. Beschlagnahmen und Durchsuchungen sind mit Ausnahme der hier nicht in Betracht kommenden Verdachtsnachschau gemäß § 210 AO 1977 und der Beschlagnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren gemäß § 76 Abs. 3 AO 1977 im Steuerermittlungsverfahren nicht vorgesehen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die gegen die Klägerin angeordneten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem gegen den Beschuldigten H. H. eingeleiteten Strafverfahren stehen und damit, wie der BFH in BFHE 120, 571, BStBl II 1977, 318 es ausgedrückt hat, ein Rollenwechsel des FA von der Steuerbehörde zur Strafverfolgungsbehörde eintritt. Die Maßnahmen betreffen damit keine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO. Das gilt auch für die Erstattungsansprüche bezüglich der Auslagen, die der Klägerin bei Ausführung des amtsrichterlichen Beschlusses entstanden sind. Für eine Klage aber, die Maßnahmen des Steuerstrafverfahrens betrifft, ist der Finanzrechtsweg ausgeschlossen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt, die Sache an ein anderes Gericht zu verweisen, zu dem es den Rechtsweg für gegeben hält (§ 34 Abs. 3 FGO). Die Klage war deshalb unter Aufhebung der Vorentscheidung als unzulässig abzuweisen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 34 Anm. 2).