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BFH-Urteil vom 17.2.1981 (VII R 87/80) BStBl. 1981 II S. 406

Reichen die bei dem zweijährigen Besuch einer Fachschule für Wirtschaft erworbenen Kenntnisse nicht aus, um die die Allgemeinbildung betreffende Zulassungsvoraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG zu erfüllen, so kann das bestehende Defizit nicht durch Kenntnisse ausgeglichen werden, die der Bewerber während der Lehrzeit im kaufmännischen Beruf beim damit verbundenen Besuch der Berufsschule erworben hat (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG). Die die Allgemeinbildung und die Berufsausbildung betreffenden Zulassungsvoraussetzungen sind nicht gleichwertig, nicht vergleichbar und nicht auswechselbar.

StBerG § 156 Abs. 2 Nrn. 1 und 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bestand nach ordnungsmäßiger Lehrzeit am 19. Januar 1972 die Abschlußprüfung zum Bürokaufmann. Vom 1. April 1973 bis zum 31. März 1975 studierte er an der Fachschule für Wirtschaft in Bremen und bestand die Prüfung als "Staatlich geprüfter Betriebswirt". In dem Zeugnis sind als "Allgemeine Grundfächer" Deutsch, Englisch, Mathematik und Volkswirtschaftslehre aufgeführt. In dem Zwischenzeugnis über die Grundstufe vom 2. April 1973 bis zum 30. März 1974 ist ferner Geographie als Fach der Allgemeinbildung ausgewiesen. In der Zeit vom 1. Juli 1970 bis zum 31. März 1973 war der Kläger als Sachbearbeiter in verschiedenen Firmen tätig und ab 1. Juni 1975 bei verschiedenen Steuerberatern.

Mit Bescheid vom 11. Juli 1980 lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (die Oberfinanzdirektion - OFD -) den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung mit der Begründung ab, daß die Ausbildung an der Fachschule für Wirtschaft nicht der einer zweijährigen Handelsschulausbildung entspreche (vgl. § 156 Abs. 2 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -). Sie stützte sich dabei auf eine Auskunft des Senators für Bildung in Bremen, wonach die Abschlüsse der Fachschule für Wirtschaft und der Handelsschule nicht vergleichbar seien, weil die Handelsschule in verstärktem Maße Allgemeinbildung vermittle, während die Fachschule für Wirtschaft mehr Gewicht auf betriebswirtschaftliches Fachwissen lege.

Auf die Klage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) den ablehnenden Bescheid der OFD auf und verpflichtete diese, den Kläger zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe neben den anderen unstreitig vorliegenden Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung auch die des StBerG erfüllt. Er habe sich auf andere Weise Kenntnisse verschafft, die denen entsprechen, wie sie nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule erworben werden könnten. Die Schulausbildung, die der Kläger nach dem Hauptschulabschluß genossen habe, entspreche in ihrer Gesamtheit bezüglich der Allgemeinbildung mindestens der, die er nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule hätte erlangen können. Hierbei sei einmal von Bedeutung, daß an der Fachschule für Wirtschaft in Bremen in erheblichem Maße auch allgemeinbildende Fächer unterrichtet worden seien. Dieser Unterricht habe zwar nach der Bescheinigung des Senators für Bildung in Bremen nicht ganz den Umfang, wie Allgemeinbildung an der zweijährigen Handelsschule gelehrt werde. Dieses Defizit werde aber dadurch ausgeglichen, daß nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die von einem in Schulfragen erfahrenen ehrenamtlichen Richter des Senats bestätigt worden seien, auch an der Berufsschule ein großer Teil des Unterrichts auf allgemeinbildende Fächer entfalle. Dort werde, wie in der Handelsschule, Deutsch, Englisch, Mathematik, Geographie und Gemeinschaftskunde unterrichtet. Dieser Unterricht habe drei Jahre lang zweimal wöchentlich stattgefunden. Zusammenfassend sei festzustellen, daß der Kläger mit dem Zeugnis über die Abschlußprüfung zum Bürokaufmann und dem Zeugnis über die Prüfung als staatlich geprüfter Betriebswirt i. V. m. der Auskunft des Senats für Bildung in Bremen eine entsprechende Allgemeinbildung nachgewiesen habe, wie sie nach zweijährigen Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule vermittelt zu werden pflege.

Mit ihrer Revision rügt die OFD die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt aus, dem FG sei ein gedanklicher Fehlschluß unterlaufen. Baue nämlich nach der Auskunft des Senators für Bildung die Fachschule Wirtschaft auf dem kaufmännischen Berufsabschluß, also dem dreijährigen Besuch der Berufsschule und der anschließenden kaufmännischen Gehilfenprüfung auf und führten danach Berufsschulen mit kaufmännischer Gehilfenprüfung und zusätzlichem Abschluß der Fachschule Wirtschaft nicht zu einem mittleren Bildungsabschluß, so könne man nicht unter Berufung auf eben diese Auskunft des Senators für Bildung schließen, das Gegenteil sei der Fall. Die Auslegung, die das FG der Auskunft des Senators für Bildung gegeben habe, verstoße gegen deren eindeutigen Wortlaut.

Das FG habe § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt. Wenn es sich über die Auskunft des Senators habe hinwegsetzen wollen oder ihr keine eindeutige Stellungnahme habe entnehmen können, dann hatte es sich nicht nur mit der Unterrichtung durch den in Schulverwaltungsangelegenheiten in Niedersachsen erfahrenen Beisitzer, der Leiter des Schulamtes Oldenburg sei, begnügen dürfen.

Mangelnde Sachaufklärung ergebe sich auch daraus, daß das FG sich für die Inhalte des Unterrichts an der Berufsschule neben der Bestätigung durch den ehrenamtlichen Richter allein auf die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung bezogen habe. Nach dem Zeugnis der Berufsschule sei entgegen der Darstellung des Klägers statt Deutsch lediglich Schriftverkehr und statt Mathematik nur Wirtschaftsrechnen aus dem Rechnungswesen gelehrt und benotet worden. Ein Englisch-Unterricht habe entweder nicht stattgefunden oder der Kläger habe daran nicht teilgenommen. Unter diesen Umständen hätte es sich dem Senat aufdrängen müssen, weiteren Beweis über den Inhalt des Unterrichts an der Berufsschule zu erheben. Daraus folge auch eine Verletzung des § 96 FGO.

Die OFD beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Nach § 156 Abs. 2 StBerG ist ein Bewerber zur Prüfung als Steuerbevollmächtigter zuzulassen, wenn er bestimmte, die Allgemeinbildung betreffende schulische Voraussetzungen erfüllt (Nr. 1), wenn er weiter eine bestimmte Berufsausbildung abgeschlossen hat, die auch durch den Besuch anerkannter Verwaltungsakademien oder gleichwertiger Lehranstalten ersetzt werden kann (Nr. 2) und wenn er nach Erfüllung der letzteren Voraussetzung vier Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich tätig gewesen ist (Nr. 3). In welcher Reihenfolge die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 StBerG erfüllt werden, ist nach dem Gesetz ohne Bedeutung. Für die Entscheidung käme es deshalb nicht darauf an, daß der Kläger einen Teil der nach Meinung des FG zu bejahenden Vorbildungsvoraussetzungen bezüglich der Allgemeinbildung, nämlich den Besuch der Fachschule für Wirtschaft, erst nach Abschluß der Lehrzeit erfüllt hat.

In Übereinstimmung mit der OFD teilt aber der Senat nicht die Auffassung des FG, der Kläger habe mit dem Zeugnis über die Abschlußprüfung zum Bürokaufmann und dem Zeugnis über die Prüfung als staatlich geprüfter Betriebswirt in Verbindung mit der Auskunft des Senators für Bildung in Bremen eine entsprechende Allgemeinbildung nachgewiesen, wie sie nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule vermittelt zu werden pflege. Es kann zwar nicht beanstandet werden, daß das FG bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger auf andere Weise Kenntnisse erworben hat, wie sie durch das Zeugnis der mittleren Reife oder durch den Besuch einer zweijährigen staatlich anerkannten Handelsschule vermittelt werden, auch den Besuch der Fachschule für Wirtschaft in Bremen berücksichtigt hat. Die dort abgelegte Prüfung als staatlich geprüfter Betriebswirt reicht aber allein zum Nachweis der erforderlichen Allgemeinbildung nicht aus. Nach den Feststellungen des FG, die sich auf die Auskunft des Senators für Bildung in Bremen stützt, sind die Abschlüsse der Fachschule für Wirtschaft und der Handelsschule nicht vergleichbar, weil die Handelsschule in verstärktem Maße Allgemeinbildung vermittelt, während die Fachschule für Wirtschaft mehr Gewicht auf betriebswirtschaftliches Fachwissen legt. Es ist, wie es in der Auskunft weiter heißt, nicht das Ziel der Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt, den mittleren Bildungsabschluß zu vermitteln. Daß nach der Auskunft das kaufmännische Wissen der Absolventen der Fachschule für Wirtschaft größer ist als das der Handelsschüler, beweist lediglich die geringere Bedeutung der die Allgemeinbildung betreffenden Fächer an der Fachschule für Wirtschaft gegenüber der Handelsschule. Größeres Fachwissen der Absolventen der Fachschule für Wirtschaft kann aber die nach dem Gesetz geforderten Voraussetzungen von Kenntnissen, wie sie der mittleren Reife oder der Abschlußprüfung einer staatlich anerkannten Handelsschule oder einer gleichwertigen Anstalt entsprechen, nicht ersetzen.

Das FG ist folgerichtig auch von einem Defizit der Allgemeinbildung bei der Fachschule für Wirtschaft ausgegangen. Dieses Defizit kann aber entgegen der Auffassung des FG nicht durch die Allgemeinbildung betreffende Kenntnisse ausgefüllt werden, die der Kläger nach den vom FG getroffenen (und von der OFD mit Verfahrensrügen angegriffenen) Feststellungen beim Besuch der Berufsschule erworben hat. Diesen Feststellungen liegt die unzutreffende Rechtsauffassung zugrunde, daß der die Ausbildung im kaufmännischen Beruf begleitende Besuch der Berufsschule, der der in § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG geregelten Zulassungsvoraussetzungen einer speziellen Berufsausbildung zuzuordnen ist, gleichzeitig und daneben noch als Nachweis entsprechender, die Allgemeinbildung betreffender Kenntnisse i. S. des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG anerkannt werden kann. Wie der Senat mit seinem Urteil vom 4. April 1978 VII R 100/77 (BFHE 125, 228, BStBl 1978, 511) entschieden hat, kann der eine Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllende Besuch einer höheren Handelsschule nicht zugleich als Erfüllung einer Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG anerkannt werden. In den Gründen hat der Senat ausgeführt, die in der Nr. 1 geregelten Erfordernisse der Allgemeinbildung und die fachlichen Vorbildungserfordernisse der Nrn. 2 und 3 seien nicht gleichwertig, nicht vergleichbar und nicht auswechselbar (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Februar 1966 VII 283/64, BFHE 84, 491, BStBl III 1966, 178, zu den mit § 156 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 StBerG übereinstimmenden Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StBerG a. F.). Deshalb kann, wie der Senat in dem ersterwähnten Urteil weiter ausgeführt hat, eine Lücke bei der Erfüllung der Voraussetzungen, die Nr. 1 an die Allgemeinbildung stellt, nicht durch einen in den Bereich der fachlichen Vorbildungserfordernisse der Nrn. 2 oder 3 fallenden Sachverhalt ausgefüllt werden; dasselbe gilt im umgekehrten Sinne (vgl. BFH-Urteil vom 22. Dezember 1970 VII R 111/69, BFHE 101, 340, BStBl II 1971, 311). Für den Streitfall bedeutet das, daß der die ordnungsmäßige Lehrzeit im kaufmännischen Beruf begleitende Besuch einer Berufsschule (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG) nicht zugleich als Erfüllung der die Allgemeinbildung betreffenden Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG gewertet werden kann.

Da die Vorentscheidung wegen der unzutreffenden Rechtsauffassung des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen war, kommt es auf die von der OFD geltend gemachten Verfahrensrügen nicht an. Der Senat braucht deshalb ferner auch nicht zu prüfen, ab § 32 Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften vom 12. November 1979 (BGBl I, 1922) verletzt ist, wonach der Erwerb entsprechender, auf andere Weise erworbener Kenntnisse i. S. des 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG, wie ihn das FG aufgrund der Einlassungen des Klägers und der diese bestätigenden Ausführungen eines ehrenamtlichen Richters angenommen hat, durch Zeugnisse nachzuweisen ist (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 1966 VII 255/64, BFHE 84, 496, BStBl II 1966, 180).