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BFH-Urteil vom 7.8.1980 (II R 119/77) BStBl. 1981 II S. 409

1. Mit einer Betriebsprüfung begonnen i.S. des § 146a Abs. 3 AO ist bereits dann, wenn der Prüfer nach Übergabe der entsprechenden Anordnung sich zunächst dem Aktenstudium widmet.

2. Obwohl nach dem Kapitalverkehrsteuergesetz 1959 die GmbH & Co KG nicht Schuldnerin der Gesellschaftsteuer war, trat Ablaufhemmung der Verjährung dieser Steuer gemäß § 146a Abs. 3 AO durch Beginn der Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse bei der KG zumindest dann ein, wenn auch die Prüfung der diesbezüglichen Verhältnisse bei der Komplementärin angeordnet worden war.

AO § 146a Abs. 3.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Komplementärin der A GmbH & Co KG (A KG), die ihrerseits am 24. Dezember 1968 als alleinige persönlich haftende Gesellschafterin in die nunmehrige B KG eintrat. Kommanditistin der B KG ist die X-GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 30. Dezember 1968 zwischen der A KG und der X-GmbH leistete die X-GmbH eine Kommanditeinlage in Höhe von 33.800 DM. Sie verpflichtete sich darüber hinaus, der B KG zwei unverzinsliche Darlehen in Höhe von 1.107.000 DM (Darlehen I) und 209.200 DM (Darlehen II) zu gewähren. Das Darlehen II sollte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in Kommanditkapital umgewandelt werden. Nach dem Inhalt der gleichzeitig mit dem Gesellschaftsvertrag geschlossenen Darlehensverträge war das Darlehen I grundsätzlich erst mit Ausscheiden des Kommanditisten, frühestens am 31. Dezember 1974, fällig. Kommanditeinlage und Darlehensvaluten leistete die X-GmbH noch im Dezember 1968.

Im Jahre 1970 wurde das Darlehen II in Kommanditkapital umgewandelt (Handelsregistereintragung erfolgte am 9. März 1971). Der Gesellschaftsvertrag vom 30. Dezember 1968 wurde anläßlich der Gründung dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereicht. Bei der B KG fand in der Zeit vom 5. November 1973 bis zum 28. April 1976 eine Betriebsprüfung statt. Nach der Prüfungsanordnung hatte sich die Prüfung auch auf kapitalverkehrsteuerrechtlich relevante Vorgänge zu erstrecken. Der Prüfungsbericht wurde am 5. Oktober 1976 erstellt.

Nachdem das FA die Kommanditeinlage von 33.800 DM durch Bescheid vom 18. August 1969 der Gesellschaftsteuer unterworfen hatte, setzte es für die Kapitalerhöhung im Jahre 1970 durch Umwandlung des Darlehens II und für die Überlassung der Darlehensvaluta I gestützt auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1959 mit Bescheid vom 8. Juni 1976 gegen die Klägerin insgesamt 32.905 DM Gesellschaftsteuer fest.

Mit der nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage begehrt die Klägerin die ersatzlose Aufhebung dieser Gesellschaftsteuerfestsetzung. Sie ist der Auffassung, die Steuer sei verjährt. Die Betriebsprüfung habe den Ablauf der Verjährungsfrist nicht gehemmt, weil sie sich nicht auf die Kapitalverkehrsteuern erstreckt habe. Am 5. November 1973 seien bei ihrem steuerlichen Berater zwei Betriebsprüfer mit Prüfungsanordnungen für 13 Gesellschaften - darunter auch für die Klägerin und die B KG - erschienen. Am 28. April 1976 habe die Schlußbesprechung u.a. in Sachen B KG stattgefunden. Für die Klägerin sei kein Prüfungsbericht erstellt worden. Es müsse deshalb bezweifelt werden, ob bei ihr überhaupt eine Prüfung stattgefunden hätte, denn Prüfungshandlungen bei unterstöckigen Kommanditgesellschaften könnten die Verjährung der Kapitalverkehrsteuern nicht berühren. Zudem sei es unerfindlich, wie noch im Jahre 1973 gleichzeitig bei 13 Gesellschaften mit ernstlicher Prüfung hätte begonnen werden können. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Sie rügt Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Unbegründet ist die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das FG konnte die Aktenvermerke der Betriebsprüfungsstelle vom 9. Mai 1977 und vom 15. Juli 1976 zur Grundlage seiner Entscheidung machen, weil sie der Klägerin bekannt waren bzw. ihr gegenüber als bekannt gelten. Ausweislich der Akten des FG ist die Stellungnahme der Betriebsprüfungsstelle vom 9. Mai 1977, die das FA mit seinem Schriftsatz vom 20. Mai 1977 dem FG vorgelegt hatte, der Klägerin am 24. Mai 1977 zur Kenntnis übersandt worden. In dieser Stellungnahme bezieht sich der Betriebsprüfer auf die Stellungnahme vom 15. Juli 1976, die im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides abgegeben worden war und sich auch bei den dem FG vom FA vorgelegten Akten befindet. Wenn der Klägerin dieser Aktenvermerk nicht schon bekannt war, so hätte sie sich die Kenntnis entweder dadurch verschaffen können, daß sie Akteneinsicht genommen hätte, oder sie hätte um Überlassung einer Ablichtung dieser Stellungnahme nachsuchen können. Da sich der Prüfer ausdrücklich auf die Stellungnahme vom 15. Juli 1976 bezog, bestand für die Klägerin Anlaß, Akteneinsicht zu nehmen. Hat sie trotzdem von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so stand das der Verwertung dieser Aktennotiz, deren wesentlicher Inhalt noch dazu in der zweiten Stellungnahme wiedergegeben wurde, nicht entgegen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es dem Gericht insbesondere bei Vorliegen solcher spezieller Umstände nicht, den Kläger auf Aktenbestandteile ausdrücklich hinzuweisen.

2. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob - wie sie behauptet - die die Kapitalverkehrsteuern betreffenden Ausführungen nachträglich in den Prüfungsbericht eingeschoben worden seien, ist die Rüge deshalb unbegründet, weil nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG die Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht nur den Inhalt des der Kapitalverkehrsteuerstelle bereits am 19. Mai 1976 übersandten Aktenvermerks der Betriebsprüfung wiedergibt, der vor Beginn des Streites über die Verjährungsfrage erstellt wurde.

3. Das FG hat keine Feststellungen darüber getroffen, durch welche Maßnahmen die Betriebsprüfung noch im Jahre 1973 begonnen hat. Insoweit ist seine Entscheidung nicht von tatsächlichen Feststellungen getragen. Nach dem bisher erkennbaren Sachverhalt dürfte allerdings die Gesellschaftsteuer noch nicht verjährt gewesen sein, als der angefochtene Gesellschaftsteuerbescheid vom 8. Juni 1976 erging.

Wird vor Ablauf der Verjährungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen, so verjähren nach § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) die Ansprüche, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Unter Betriebsprüfung ist dabei eine besonders qualifizierte Maßnahme zu verstehen, die wegen ihres besonderen Gewichts für den Betroffenen keine Zweifel darüber läßt, daß sie hinsichtlich des betreffenden Steuerfalles zur Überprüfung vorgenommen wird, ob die Steuer richtig erhoben wurde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juni 1979 VII R 27/77, BFHE 128, 153, BStBl II 1980, 31). Durch die Übergabe der Prüfungsanordnungen wurde die Klägerin über eine Betriebsprüfung in diesem Sinne ausreichend informiert. Anhaltspunkte dafür, daß die Prüfungsanordnungen nur zum Schein übergeben worden seien, sind nicht ersichtlich; auch die Klägerin hat das nie behauptet. Allerdings ist die Übergabe der Prüfungsanordnungen allein noch nicht dem Beginn der Betriebsprüfung gleichzusetzen. Begonnen wird die Prüfung vielmehr erst dann, wenn der Prüfer Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalles vornimmt. Diese Handlungen müssen aber nicht stets dem Betroffenen gegenüber sofort evident werden; es genügt vielmehr, daß der Prüfer mit dem Studium der den Steuerfall betreffenden Akten beginnt. Unerheblich für den Eintritt der Ablaufhemmung ist, mit welcher der zu prüfenden Steuerarten der Prüfer seine Ermittlungen beginnt; entscheidend ist lediglich, daß vor Ablauf der Verjährung überhaupt mit der Prüfung begonnen wurde und im Zuge der Prüfung auch die jeweilige Steuerart entsprechend der Anordnung aufgegriffen wird. Für den Eintritt der Ablaufhemmung ist es weiter nicht erforderlich, daß durch die Betriebsprüfung neue tatsächliche Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einer Änderung von Steuerbescheiden führen. Das ergibt sich bereits aus dem Gesetz selbst, wonach die Verjährung u.a. dann nicht eintritt, bevor dem Steuerpflichtigen die Mitteilung zugegangen ist, daß eine Festsetzung unterbleibt.

Das FG hat tatsächliche Feststellungen darüber zu treffen, ob entsprechend den vorherigen Ausführungen mit der Betriebsprüfung noch im Jahre 1973 begonnen worden ist.

Die Hemmung der Verjährung erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Steueransprüche gegen denjenigen, bei dem mit einer Betriebsprüfung begonnen wurde. Bei einer GmbH & Co KG, die nach dem Kapitalverkehrsteuergesetz 1959 nicht selbst Schuldnerin der Steuer war, führt aber bezüglich der gesellschaftsteuerrechtlich erheblichen Vorgänge die Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse in dieser KG zumindest verbunden mit der Anordnung, die diesbezüglichen Verhältnisse der Komplementärin zu prüfen, die Ablaufhemmung herbei. Denn relevante Vorgänge können in einem solchen Fall nur bei der KG selbst auftreten; die Prüfung der GmbH wäre als Ermittlungshandlung (§ 204 AO) untauglich.

4. Kommt das FG erneut zum Ergebnis, daß die Verjährung durch die Betriebsprüfung gehemmt worden ist, so stellt sich die Frage, welche verfahrensrechtliche Bedeutung dem angefochtenen Bescheid im Verhältnis zum Bescheid vom 18. August 1969 zukommt. Das FA hat zwar angenommen, daß es durch den angefochtenen Steuerbescheid andere Steueransprüche erfaßt hat als durch den Bescheid vom 18. August 1969. Indessen hat der erkennende Senat mit Urteil vom 21. Juli 1976 II R 66/74 (BFHE 120, 73, BStBl II 1977, 6) entschieden, daß bei einer im Zeitpunkt der Gründung einer GmbH & Co KG eingegangenen Verpflichtung der Kommanditisten zur Gewährung unverzinslicher Darlehen an die GmbH & Co KG zu den Gegenleistungen für den ersten Erwerb der Kommanditanteile auch die Darlehensvaluta gehört. Hieraus kann sich ergeben, daß der angefochtene Bescheid ein Berichtigungsbescheid ist, obwohl das FA dies nicht in dem Bescheid zum Ausdruck gebracht hat, weil es anderer Meinung war. Das FG wird die hiermit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen zu prüfen haben. Soweit es dabei auf das Vorliegen neuer Tatsachen ankommt, wird entscheidend sein, ob diese Tatsachen der Kapitalverkehrsteuerstelle bei Erlaß des Bescheides vom 18. August 1969 unbekannt waren.