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BFH-Urteil vom 4.2.1981 (II R 83-84/78) BStBl. 1981 II S. 444

Grundsätzlich wird ein Grundstück auch dann im Sinne das § 1 Abs. 1 das Niedersächsischen GrESt-StrukturG "zur Erweiterung einer Betriebstätte" erworben, wenn der Erwerber nicht bereits Inhaber einer zu erweiternden Betriebstätte ist, sondern die auf dem erworbenen Grundstück vorhandene Betriebstätte erweitert werden soll. Ob es Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt, insbesondere wenn die auf dem erworbenen Grundstück vorhandene Betriebstätte nur geringfügig erweitert werden soll, läßt der Senat offen.

Niedersächsisches GrEStstrukturG § 1 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom 19. Mai, 1974 ein Grundstück, das mit einer Hotel-Gaststätte bebaut war.

Mit zwei Bescheiden setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vorläufig Grunderwerbsteuer fest.

Die Kläger legten Einspruch ein und beantragt an Steuerbefreiung gemäß Art. I § 1 Abs. 1 Nr. 1 des niedersächsischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 22. April 1971 - GrEStStrukturG - (Gesetz- und Verordnungsblatt 1971 S. 149 - GVBl 1971, 149-). Es sei beabsichtigt, die Hotel-Gaststätte zu erweitern. Später reichten sie eine Bescheinigung des Regierungspräsidenten gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStStrukturG ein.

Das FA wies die Einsprüche zurück, wobei es gleichzeitig die Steuer erhöhte und endgültig festsetzte.

Auf die Klagen hob das Finanzgericht (FG) mit Urteilen vom 3. August 1976 III 8/75 und 9/75 die Steuerbescheide auf. Der Regierungspräsident habe bescheinigt, daß das Grundstück zur Erweiterung einer Betriebstätte erworben worden sei und auch die übrigen in § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStStrukturG genannten Voraussetzungen vorlägen. An diese Bescheinigung sei das FA gebunden (§ 2 Abs. 2 letzter Satz GrEStStrukturG). Wenn es die Bescheinigung für unrichtig halte, dann müsse es sich um deren Rücknahme bemühen.

Das in dem Rechtsstreit des Klägers ergangene FG-Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 33 (EFG 1977, 33) veröffentlicht.

2. Auf die vom FG zugelassenen Revisionen des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteilen vom 23. Juni 1977 II R 125/76 und II R 126/76 die Urteile des FG auf und verwies die Sachen an das FG zurück. Die Bescheinigung gemäß § 2 Abs. 2 GrEStStrukturG binde das FA nur insoweit, als dann die Forderungswürdigkeit des Grundstückserwerbs aus volkswirtschaftlicher Sicht bestätigt werde. Sie sage aber nichts darüber aus, ob der Antragsteller i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStStrukturG das Grundstück "zur" Errichtung oder Erweiterung einer Betriebstätte erworben habe. Die Prüfung dieser spezifisch grunderwerbsteuerrechtlichen Frage bleibe dem FA und dem FG vorbehalten (vgl. das in dem Rechtsstreit des Klägers ergangene veröffentlichte Urteil in BFHE 123, 57, BStBl II 1977, 779).

3. Durch Urteile vom 17. Januar 1978 III 278/77 und III 279/77 hat das FG die Grunderwerbsteuerbescheide i. d. F. der Einspruchsentscheidungen aufgehoben und die Revisionen zugelassen. Das in dem Rechtsstreit des Klägers ergangene Urteil ist in den EFG 1978, 506 veröffentlicht.

Entscheidungsgründe

II. Die Revisionen des FA führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. a) Vor Abschluß des Kaufvertrages am 19. Mai 1974 waren die Kläger weder Inhaber noch Eigentümer einer Betriebstätte, welche hätte erweitert werden können. Dieser Umstand allein schließt jedoch entgegen der Ansicht des FA nicht aus, daß das Grundstück im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStStrukturG "zur Erweiterung einer Betriebstätte" erworben wurde.

Zwar mag der Gesetzgeber davon ausgegangen sein, daß im Regelfall ein Grundstück "zur Erweiterung einer Betriebstätte" erworben wird, um mit Hilfe dieses Grundstückes eine dem Erwerber bereits gehörende Betriebstätte zu erweitern. Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift genügt es jedoch grundsätzlich, daß die auf dem erworbenen Grundstück vorhandene Betriebstätte erweitert werden soll. Daß diese Auslegung des Wortlautes dem erkennbaren Sinn und Zweck des Gesetzes widerspricht, vermag der Senat nicht festzustellen. Ziel des Gesetzes ist es zumindest auch, die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu fördern. Dieser Zweck wird auch dann verwirklicht, wenn die auf dem erworbenen Grundstück vorhandene Betriebstätte erweitert werden soll.

Ob der vorgenannte Grundsatz uneingeschränkt gilt, mag allerdings zweifelhaft sein. Sind die neu zu schaffenden Arbeitsplätze im Verhältnis zu den bereits vorhandenen Arbeitsplätzen der Betriebstätte unbedeutend, so kann es dem erkennbaren Gesetzeszweck widersprechen, auch hier noch den Erwerb eines Grundstückes mit bereits vorhandener Betriebstätte zu begünstigen. Möglich ist daher eine Einschränkung dahin, daß in Fällen der hier behandelten Art eine Erweiterung der Betriebstätte angestrebt werden muß, die in Anbetracht der bereits vorhandenen Betriebstätte erheblich ist, die neugeschaffenen Arbeitsplätze gegenüber den bisher bestehenden ihrer Zahl nach also nicht unbedeutend sein dürfen. Das mag hier dahinstehen. Nach den vom FA nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG wollten die Kläger das erworbene Gebäude um- und ausbauen und haben dies inzwischen auch getan. Nach dem Protokoll über die Ortsbesichtigung, auf welches das FG-Urteil Bezug nimmt, werden nach den vom FA nicht bestrittenen Darstellungen der Kläger in dem Betrieb jetzt - neben den Klägern - etwa vier Dauerarbeitskräfte und etwa fünf Saisonarbeitskräfte beschäftigt, während die Veräußerer - ein Ehepaar - die Gaststätte im wesentlichen ohne fremde Hilfe betrieben hatten. Das FG ist deshalb ohne Rechtsverletzung zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kläger die Absicht hatten, die Betriebstätte erheblich zu erweitern.

b) Die vorgenannte Auffassung widerspricht nicht - wie das FA meint - dem Urteil vom 23. Juni 1977 II R 125/76 (BFHE 123, 57, BStBl II 1977, 779). Der Senat hat dort nicht ausgesprochen, daß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStStrukturG ohne Einschränkung den Erwerb eines Grundstücks mit einem bereits bestehenden Betrieb von der Steuervergünstigung ausschließe. Er hat es nur für zweifelhaft gehalten, ob der Erwerb eines solchen Grundstücks auch dann begünstigt ist, wenn der Betrieb nur geringfügig erweitert werden soll.

Das FA weist weiter darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des BFH der Erwerber eines Grundstücks, der Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (GrEStAgrG) vom 25. März 1959 (GVBl 1959, 57) begehre, bereits Eigentümer von landwirtschaftlichen Grundstücken sein müsse (Urteil vom 23. Mai 1973 II R 14/72, BFHE 110, 62, BStBl II 1973, 763). Dementsprechend müsse auch der Grundstückserwerber, der Steuerfreiheit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStStrukturG begehre, bereits Inhaber einer Betriebstätte sein. Dabei übersieht das FA jedoch den grundlegenden Unterschied zwischen dem Sinn und Zweck beider Gesetze. Das GrEStAgrG soll die freiwillige Flurbereinigung und die hier angesprochene Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 3 die Schaffung ausreichend großer sog. Familienbetriebe begünstigen. Da landwirtschaftlich nutzbarer Grund und Boden aber nur in begrenztem Umfang zur Verfügung steht, schließt die Zielrichtung des Gesetzes eine Vergrößerung der Zahl der Familienbetriebe aus. Dementsprechend begünstigt das GrEStAgrG grundsätzlich nicht den Erwerb von Grundstücken zur "Errichtung" eines neuen landwirtschaftlichen Betriebs. Es unterscheidet sich damit sichtbar von dem GrEStStrukturG, das auch die "Errichtung" einer Betriebstätte fördert und daher gewerbliche Betriebe nicht nur vergrößern, sondern auch vermehren helfen soll. Demnach haben beide Gesetze unterschiedliche Ziele.

Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung des FA auch nicht dem Sachverhalt vergleichbar, über welchen der BFH mit dem Urteil vom 15. Januar 1975 II R 108/67 (BFHE 114, 447, BStBl II 1975, 272) zu entscheiden hatte. Dort war nach Baunutzungsverordnung und Bebauungsplan ein Grundstück in der erworbenen Größe für den geplanten Bau erforderlich; andernfalls hätte dieses beabsichtigte Gebäude nicht errichtet werden können. Daß die Grundstückserwerberin die Benutzung der unbebauten Fläche für öffentliche Zwecke dulden mußte, war daher von untergeordneter Bedeutung, denn auch diese Fläche war als Umland zum Bau des Hauses erforderlich. Beweggrund des Grundstückserwerbs war daher nur der Bau des Hauses, nicht die Schaffung der öffentlichen Straßen und Plätze. Im vorliegenden Fall stehen zwei Beweggründe gleichwertig nebeneinander. Daß die Kläger das Grundstück zwecks Übernahme der Betriebstätte erwarben, schließt daher nicht aus, daß sie es auch i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStStrukturG zu deren Erweiterung kauften.

c) Daß in Nordrhein-Westfalen durch Art. 4 des Änderungsgesetzes vom 8. April 1975 (GVBl NW 1975, 298) das dort geltende GrEStStrukturG ergänzt und der Grundstückserwerb zur Fortführung einer bereits bestehenden Betriebstätte unter bestimmten Voraussetzungen gesondert begünstigt worden ist, hat auf die Entscheidung des vorliegenden Falles keinen Einfluß. Entgegen der Auffassung des FA läßt sich daraus nicht der Schluß ziehen, daß Fälle der vorliegenden Art nach dem niedersächsischen GrEStStrukturG, das nach Ansicht des FA weitgehend dem nordrhein-westfälischen Gesetz nachgebildet ist, nicht begünstigt sein sollen. Es geht hier nicht um den Grundstückserwerb zur bloßen Fortführung, sondern zur Fortführung und Erweiterung der Betriebstätte.

2. Das FG hat jedoch nicht geprüft, ob die Kläger selbst das Grundstück zu dem steuerbegünstigten Zweck verwenden wollten. Die Kläger haben das Grundstück je zur ideellen Hälfte gekauft. Gemeinsam konnten sie jedoch die Hotel-Gaststätte in dieser rechtlichen Form nicht betreiben, sondern nur durch Zusammenschluß in einer Gesellschaft. Das würde die Steuerbefreiung für beide Kläger ausschließen. Betreibt nur einer der Kläger die Hotel-Gaststätte allein, so kann nur er die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen. Auf diesen Fragenkomplex hatte der Senat bereits in seinen zurückverweisenden Urteilen vom 23. Juni 1977 II R 125/76 und II R 126/76 (BFHE 123, 57, BStBl I 1977, 779) hingewiesen und das Urteil vom 22. Januar 1975 II R 62/73 (BFHE 115, 67, BStBl II 1975, 391) zitiert. Ergänzend wird auf das Urteil vom 30. Juli 1980 II R 15/80 (BFHE 131, 406, BStBl II 1980, 755) hingewiesen.

Zur weiteren Klärung des Sachverhaltes wird die nicht spruchreife Sache daher an das FG zurückverwiesen.