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BFH-Urteil vom 12.12.1980 (III R 1/80) BStBl. 1981 II S. 557

1. Bei der Anteilsbewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren bildet der Einheitswert des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft regelmäßig auch dann eine geeignete Grundlage für die Ermittlung des Vermögenswerts, wenn der Einheitswert auf einen vom 31. Dezember abweichenden Abschlußzeitpunkt ermittelt worden ist.

2. In diesem Fall sind wesentliche Änderungen des Vermögens der Kapitalgesellschaft, die zwischen Abschlußzeitpunkt und 31. Dezember eingetreten sind, durch eine Erhöhung oder Ermäßigung des nach den Verhältnissen vom Abschlußzeitpunkt ermittelten Einheitswerts des Betriebsvermögens zu berücksichtigen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn hierbei eine zwischen Abschluß- und Feststellungszeitpunkt eingetretene Erhöhung des Betriebsvermögens mit dem zeitanteiligen Steuerbilanzgewinn wird.

BewG 1965 § 11 Abs. 2 Satz 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg - Außensenate Stuttgart -

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr, das vom 1. Juli bis 30. Juni läuft. Das voll einbezahlte Stammkapital beträgt seit 29. Januar 1965 neun Mio. DM. Ein Drittel der Geschäftsanteile befand sich an dem hier streitigen Stichtag (31. Dezember 1965) im Besitz der Klägerin.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in einem gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten Bescheid vom 29. November 1973 den gemeinen Wert der Anteile gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG 1965 - im folgenden: BewG -) in Verbindung mit Abschn. 76 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien 1966 (VStR 1966 - im folgenden: VStR -) auf 363 DM je 100 DM Stammkapital fest.

Hiergegen wendet die Klägerin ein, das FA habe die in der Steuerbilanz für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1965 ausgewiesene Rückstellung für Gewerbesteuer (92.000 DM) bei der Ermittlung des Vermögenswerts zu Unrecht nicht abgezogen. Nach Abschn. 77 Abs. 1 VStR in Verbindung mit § 106 Abs. 4 BewG sei bei der Ermittlung des Vermögenswerts von dem Einheitswert des Betriebsvermögens auszugehen, der auf den Abschlußstichtag (30. Juni) festgestellt sei. Nach §105 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 BewG seien bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr Gewerbesteuerschulden bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zwar nur insoweit abziehbar, als sie auf die Zeit vor dem Abschlußstichtag entfielen. Diese Einschränkung gelte jedoch nicht bei der Anteilsbewertung.

Einspruch und Klage hatten in diesem nunmehr allein noch streitigen Punkt keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus:

Die ab 1. Januar 1966 entstehende Gewerbesteuerschuld sei als künftige Steuerbelastung bei der Ermittlung des Vermögenswerts auf den 31. Dezember 1965 außer Ansatz zu lassen. Da im Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 30. Juni 1965 nur 6/12 der Jahressteuerschuld 1965 berücksichtigt seien, mußten bei der Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1965 noch die restlichen 6/12 abgezogen werden. Dies habe das FA im Ergebnis beachtet, wenn es vor der Zurechnung des halben Gewinns des Wirtschaftsjahres 1965/1966 die darauf lastende Gewerbesteuer - neben anderen Steuerschulden - abgezogen habe. Da der Gewinn des Wirtschaftsjahres 1965/1966 und dementsprechend auch der nach § 10 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) hierfür festzusetzende einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag 1966 mit 407.610 DM geringfügig höher liege als der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag 1965 in Höhe von 405.655 DM, habe das FA für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1965 sogar eine etwas höhere Gewerbesteuer als Abzugsposten anerkannt, als es nach § 14 Abs. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 GewStG erforderlich gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Klägerin dürfe bei Unternehmen mit einem zum 30. Juni endenden Wirtschaftsjahr nicht sowohl die auf den 1. Juli bis 31. Dezember entfallende Gewerbesteuer als Last und zusätzlich vor der Zurechnung des in dieser Zeit entstehenden anteiligen Gewinns des Wirtschaftsjahres 1965/1966 eine - künftige - Gewerbesteuerschuld abgezogen werden.

Die Klägerin rügt mit der Revision fehlerhafte Auslegung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Rechtliche Grundlage für die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von GmbH-Anteilen auf den 31. Dezember 1965 ist, wie das FG zutreffend entschieden hat, § 11 Abs. 2 BewG. Läßt sich, wie im Streitfall, der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Im Interesse einer möglichst gleichmäßigen und praktikablen Schätzung verfährt die Finanzverwaltung bei der Anteilsbewertung seit der Vermögensteuer-Hauptveranlagung 1953 nach dem sog. Stuttgarter Verfahren (BStBl I 1955, 97). Dieses hält sich, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, im Rahmen des § 11 Abs. 2 BewG und ist daher grundsätzlich auch von den Gerichten zu beachten (zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1979 III R 45/77, BFHE 129, 394, BStBl II 1980, 234).

2. Maßgebende Größe für die Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach dem Stuttgarter Verfahren ist der Vermögenswert (Abschn. 77 VStR), der aufgrund der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu korrigieren ist. Zur Ermittlung des Vermögenswerts ist das Vermögen der Kapitalgesellschaft nicht mit Steuerwerten sondern mit dem tatsächlichen Wert vom Bewertungsstichtag anzusetzen. Dabei wird aus Gründen der Praktikabilitat vom Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft ausgegangen. Dieser ist zur Ermittlung des tatsächlichen Werts des Gesellschaftsvermögens nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. Abschn. 77 Abs. 1 bis Abs. 3 VStR) zu korrigieren (BFH-Urteile vom 12. Dezember 1975 III R 30/74, BFHE 118, 66, BStBl II 1976, 238, und vom 22. Mai 1970 III R 80/67, BFHE 99, 225, BStBl II 1970, 610). Zu diesem Zweck sind z. B. Wirtschaftsgüter hinzuzurechnen, die bei der Einheitsbewertung außer Betracht geblieben sind, weil sie etwa nach den §§ 101, 102 BewG nicht zum Betriebsvermögen gehören. Wirtschaftsgüter, die in der Vermögensaufstellung mit einem vom tatsächlichen erheblich abweichenden Wert angesetzt sind (z. B. Betriebsgrundstücke), sind bei der Ermittlung des Vermögenswertes mit einem den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Wert zu erfassen.

3. Der in dieser Weise dem tatsächlichen Wert angeglichene Einheitswert des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft soll nach der herrschenden Meinung im Schrifttum grundsätzlich auch dann Ausgangswert für die Ermittlung des Vermögenswerts bei der Anteilsbewertung sein, wenn der Feststellung des Einheitswerts gemäß § 106 Abs. 3 und Abs. 4 BewG ein vom Schluß des Kalenderjahres abweichender Abschlußzeitpunkt zugrunde liegt (Bierle, Die steuerliche Anteilsbewertung, 1974, S. 138; Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 11 BewG Anm. 73; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 113 BewG Anm. 14). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Es widerspräche dem insbesondere in § 106 Abs. 3 und 4 BewG zum Ausdruck kommenden und der Anteilsbewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren zugrunde liegenden Grundsatz der Praktikabilität, ausschließlich für die Zwecke der Anteilsbewertung bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr der Kapitalgesellschaft einen besonderen Vermögenswert für das Betriebsvermögen zu ermitteln. Dem Umstand, daß nach § 112 BewG Stichtag für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften der 31. Dezember des Jahres ist, das dem für die Vermögensteuerveranlagung maßgebenden Zeitpunkt vorangeht, kann dadurch Rechnung getragen werden, daß wesentliche Wertabweichungen zwischen dem Abschlußzeitpunkt und dem 31. Dezember durch Erhöhung oder Ermäßigung des nach den Verhältnissen vom Abschlußzeitpunkt ermittelten Einheitswerts des Betriebsvermögens berücksichtigt werden.

a) In Anwendung dieses Grundsatzes hat das FA den nach den Verhältnissen vom 30. Juni 1965 festgestellten Einheitswert um den anteilig auf die Zeit zwischen 1. Juli und 31. Dezember 1965 entfallenden Steuerbilanzgewinn des Wirtschaftsjahres 1965/1966 erhöht. Dieser Korrekturzuschlag findet seine Begründung darin, daß ein möglicher Erwerber bei der Kaufpreisbildung in Rechnung stellen mußte, daß der Wert von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit abweichendem Abschlußzeitpunkt den im Zeitraum zwischen Abschlußzeitpunkt und Feststellungszeitpunkt erwirtschafteten Gewinn mitumfaßt. Gegen die Bemessung des Zuschlags wegen der Vermögensmehrung haben die Beteiligten Einwendungen nicht erhoben. Zwar dürfte der anteilig auf den Zeitraum zwischen Abschluß und Feststellungszeitpunkt entfallende Steuerbilanzgewinn regelmäßig nicht der tatsächlichen Erhöhung des Vermögens wahrend dieses Zeitraums entsprechen. Aus Gründen der Praktikabilität hält es jedoch der Senat im Regelfall für vertretbar, eine Vermögenserhöhung zwischen dem Abschluß und dem Feststellungszeitpunkt mit dem zeitanteiligen Steuerbilanzgewinn anzusetzen.

b) Aus entsprechenden Erwägungen ist der zum Abschlußzeitpunkt 30. Juni 1965 ermittelte Einheitswert des Betriebsvermögens zum Zweck der Ermittlung des für die Anteilsbewertung maßgebenden Vermögenswerts um die in der Steuerbilanz zum 30. Juni 1965 für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1965 ausgewiesene Rückstellung für Gewerbesteuer (92.000 DM) zu ermäßigen. Dieser Abschlag ist gerechtfertigt, weil das FA bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens gemäß § 105 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 BewG die Gewerbesteuerschuld 1965 - abweichend von der Steuerbilanz - nur zu 6/12 berücksichtigt hat (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 5. November 1971 III R 32/71, BFHE 104, 93, BStBl II 1972, 168; Abschn. 37 Abs. 6 Nr. 2 VStR), jedoch ein möglicher Erwerber von Geschäftsanteilen berücksichtigen würde, daß die Rückstellung für Gewerbesteuer 1965 nach Ablauf des Erhebungszeitraums 1965 den Wert des Vermögens und damit der Anteile mindert.

c) Dem Abzug der Gewerbesteuerrückstellung 1965 im Betrag von 92.000 DM (vorstehend Buchst. b) steht nicht entgegen, daß der anteilig auf die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1965 entfallende Steuerbilanzgewinn des Wirtschaftsjahres 1965/1966, den das FA dem Einheitswert des Betriebsvermögens als Korrekturposten hinzugerechnet hat (vorstehend Buchst. a), um Steuerschulden, und zwar auch um Rückstellungen für Gewerbesteuerschulden, ermäßigt ist. Entgegen der Auffassung des FA bewirkt dies nicht eine doppelte Berücksichtigung der Gewerbesteuerschuld 1965. Soweit in der Steuerbilanz vom 30. Juni 1965 für die auf den Erhebungszeitraum 1965 entfallende Gewerbesteuer eine Rückstellung gebildet wurde (vgl. hierzu BFH-Gutachten vom 24. Januar 1961 I D 1/60 S, BFHE 72, 505, BStBl III 1961, 185), belastet sie den Steuerbilanzgewinn des Wirtschaftsjahres 1964/1965, nicht den des Wirtschaftsjahres 1965/1966. Soweit in der Steuerbilanz vom 30. Juni 1966 eine Rückstellung für Gewerbesteuer 1966 ausgewiesen ist, handelt es sich um Steuerschulden, die den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1965/1966 belasten und deshalb bei der Ermittlung der nach dem 30. Juni 1965 eingetretenen Erhöhung des Gesellschaftsvermögens zu Recht außer Ansatz geblieben sind. Weil diese Steuerschulden das Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1965/1966 tatsächlich belasten, verstößt der Zuschlag für die Vermögensmehrung nur in Höhe des hälftigen Nettogewinns nicht gegen den Grundsatz, wonach bei der Ermittlung des Vermögenswerts künftige ertragsteuerliche Belastungen nicht berücksichtigt werden dürfen, da sie keine am Stichtag bestehende wirtschaftliche Belastung darstellen (BFH-Urteile vom 18. Dezember 1968 III R 135/67, BFHE 95, 266 BStBl II 1969, 370; vom 20. Dezember 1968 III R 122/67, BFHE 95, 280, BStBl II 1969, 373, und vom 20. Oktober 1978 III R 31/76, BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34). Im Gegensatz zu den den Entscheidungen in BFHE 95, 266, BStBl II 1969, 370 und in BFHE 95, 280, BStBl II 1969, 373 zugrunde liegenden Sachverhalten handelt es sich im Streitfall um die Gewerbesteuer für das folgende Wirtschaftsjahr (1965/1966), also eine im Feststellungszeitpunkt gegenwärtige, jedenfalls bereits konkretisierte und auch berechenbare wirtschaftliche Belastung. Es kommt hinzu daß auch der Gewinn des folgenden Wirtschaftsjahres 1965/1966 bei der Ermittlung des Vermögenswerts angesetzt ist. Unter diesen Umständen ist das Begehren der Klägerin gerechtfertigt, die bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens zum 30. Juni 1965 nicht berücksichtigte Rückstellung für Gewerbesteuer 1965 (92.000 DM) bei der Anteilsbewertung zum 30. Juni 1965 vermögensmindernd zu berücksichtigen.

An diesem Ergebnis ändert nichts, daß im Falle einer fiktiven Umstellung des vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres auf das Kalenderjahr möglicherweise die Gewerbesteuer mit einem niedrigeren Betrag anzusetzen wäre (vgl. Abschn. 67 Abs. 4 Beispiel E Buchstabe b der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR -). Im Streitjahr lagen für eine von der Klägerin beabsichtigte Umstellung des Wirtschaftsjahres keine Anhaltspunkte vor.

4. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist entscheidungsreif. Der gemeine Wert der Anteile wird antragsgemäß auf 362 DM je 100 DM Stammkapital festgestellt.

Auf die Frage, wie sich etwaige Gewinnausschüttungen auf den Zuschlag wegen des Mehrvermögens der Gesellschaft auswirken, braucht der Senat im Streitfall nicht einzugehen, da dem Klagebegehren der Klägerin voll stattgegeben ist.