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BFH-Urteil vom 20.5.1981 (I R 229/78) BStBl. 1981 II S. 626

1. Hat das Finanzamt der Körperschaftsteuer-Festsetzung für den Veranlagungszeitraum 1969 den für die Kapitalgesellschaft günstigeren Tarif für Publikumsgesellschaften zugrunde gelegt, obwohl ein Antrag, nach diesem Tarif besteuert zu werden, nicht vorlag, so ist die Behörde an diese Sachbehandlung für den Veranlagungszeitraum 1970 nicht gebunden.

2. Eine personenbezogene Kapitalgesellschaft, die bei der Fertigung der Körperschaftsteuererklärung innerhalb der Frist des § 19 Abs. 4 KStG die Möglichkeit der Wahl des für sie günstigeren Körperschaftsteuertarifs nicht in Betracht gezogen hat, kann aus Anlaß einer nach Ablauf der genannten Frist durchgeführten Betriebsprüfung nicht verlangen, nach dem Tarif für Publikumsgesellschaften besteuert zu werden.

KStG § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 a.F.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH, an deren Stammkapital nur natürliche Personen beteiligt waren - hatte bis zum Veranlagungszeitraum 1969 (einschließlich) keinen Antrag gestellt, sie nach dem für Publikumsgesellschaften maßgeblichen Körperschaftsteuertarif (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - a. F) zu besteuern. Gleichwohl hatte damals das noch zuständige Finanzamt (FA) bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer 1969 den für die Klägerin günstigeren Tarif für Publikumsgesellschaften zugrunde gelegt. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

In der am 30. Dezember 1971 eingegangenen Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 1970 blieb der für personenbezogene Kapitalgesellschaften bestimmte Abschnitt F, hier insbesondere die Frage, ob ein für fünf Jahre unwiderruflicher Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG auf Besteuerung wie eine Kapitalgesellschaft i. S. des § 19. Abs. 1 Nr. 1 KStG gestellt werde, wiederum unausgefüllt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das inzwischen zuständig gewordene FA) wartete mit der Veranlagung bis zum Abschluß einer Betriebsprüfung. Nach deren Beendigung reichte die Klägerin am 10. April 1973 eine berichtigte Körperschaftsteuererklärung 1970 ein, in der vermerkt war, daß ein Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG sowohl für 1969 gestellt worden sei als auch für 1970 gestellt werde. Das FA veranlagte die Klägerin für das Streitjahr 1970 unter Berücksichtigung der Prüfungsfeststellungen, wobei es die Körperschaftsteuer nach dem für personenbezogenen Gesellschaften maßgeblichen Staffeltarif berechnete. In den Erläuterungen des Bescheids heißt es, dem erst nach Ablauf der Betriebsprüfung gestellten Antrag, nach dem Tarif für Publikumsgesellschaften besteuert zu werden, habe wegen Ablaufs der Steuererklärungsfrist nicht entsprochen werden können.

Einspruch und Klage bleiben ohne Erfolg.

In ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie führt aus, der Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG sei zwar an die Steuererklärungsfrist gebunden. Für den Fall, daß sich infolge einer Betriebsprüfung die Grundlagen für die Entschließung des Steuerpflichtigen, den Antrag zu stellen, geändert hätten, müsse die Antragstellung auch später zugelassen werden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Klägerin kann für das Streitjahr 1970 nicht wie eine Publikumsgesellschaft besteuert werden.

Nach § 19 Abs. 4 KStG ist der Antrag einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, schriftlich und unwiderruflich innerhalb der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für das Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) zu stellen, für das der Antrag erstmals gelten soll; die Gesellschaft ist für fünf aufeinanderfolgende Kalenderjahre an den Antrag gebunden.

In der Entscheidung vom 9. April 1975 I R 241/73 (BFHE 115, 384, BStBl II 1975, 587) hat sich der erkennende Senat mit der Frist für die Antragstellung nach § 19 Abs. 4 KStG nochmals eingehend befaßt. Unter "Frist zur Abgabe der Steuererklärung" ist die allgemeine oder die im Einzelfall verlängerte Frist für die Abgabe der Steuererklärung zu verstehen. Sie ist eine Ausschlußfrist, deren Wesen darin besteht, daß nach Ablauf der Frist ein Recht nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die Fristbestimmung des § 19 Abs. 4 KStG ist wirksam. Etwaige Zweifelsfragen lassen sich mit den herkömmlichen Mitteln der Auslegung beantworten (so auch in einer weiteren Entscheidung vom 9. April 1975 I R 164/72, BFHE 115, 372, BStBl II 1975, 589). Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. März 1978 2 BvR 584/75 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Körperschaftsteuergesetz, § 19, Rechtsspruch 70; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1978 S. 252 - HFR 1978, 252 -) ist die Fristbestimmung des § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat weder für 1969 noch für 1970 einen auf fünf Jahre bindenden Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG fristgerecht gestellt.

Das FA war bei der Veranlagung des Streitjahres 1970 nicht daran gebunden, daß es die Klägerin für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum ohne daß ein entsprechender Antrag vorlag nach dem für sie schon 1969 günstigeren Körperschaftsteuertarif für Publikumsgesellschaften veranlagt hatte. Aus einem für einen abgelaufenen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid können grundsätzlich keine Schlüsse für die Zukunft gezogen werden, es sei denn, das FA hat eindeutig zu erkennen gegeben, daß der Steuerpflichtige mit einer anderen Behandlung nicht zu rechnen brauche, oder das FA hat dem Steuerpflichtigen eine Zusage erteilt, die dieser zur Grundlage seiner Dispositionen gemacht hat (Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 1. April 1966 VI 122/64, BFHE 85, 437, BStBl III 1966, 519). Von diesen Ausnahmen abgesehen, ist bei jeder Veranlagung der Sachverhalt neu festzustellen und rechtlich selbständig zu beurteilen, so daß das FA an die Sachbehandlung früherer Jahre nicht gebunden ist. Der Steuerpflichtige muß damit rechnen daß das FA im Rahmen der Prüfung der Besteuerungsgrundlagen bei der nächsten Veranlagung aufgrund neuer Erkenntnisse einen anderen Standpunkt einnimmt (BFH-Urteil vom 14. November 1972 VII R 100/69, BFHE 108, 304, BStBl II 1973, 289).

Das FA brauchte bei der Klägerin auch nicht besonders anzufragen, ob sie den für sie günstigeren Tarif für Publikumsgesellschaften wählen und einen entsprechenden Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG stellen wolle. Das FA ist seiner Ermittlungspflicht (§§ 204, 205 der Reichsabgabenordnung - AO -) dadurch nachgekommen, daß es der Klägerin einen Steuererklärungsvordruck übersandt hat, der die Frage enthielt, ob ein diesbezüglicher Antrag gestellt werde (BFH-Urteil vom 24. Januar 1979 I R 126/76, BFHE 127, 177, BStBl II 1979, 389).

Die vor der Veranlagung des Streitjahres durchgeführte Betriebsprüfung, die zu Gewinnerhöhungen geführt hat, hat keinen Einfluß auf den Lauf der Antragsfrist nach § 19 Abs. 4 KStG (vgl. das zu einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 und 2 AO ergangene BFH-Urteil vom 26. Juni 1968 I R 27/67, BFHE 93, 139, BStBl II 1968, 694). Das Gesetz hat diese Frist ausdrücklich an die Steuererklärungsfrist gebunden. Die Frist kann nicht dadurch wieder in Gang gesetzt werden, daß die Gesellschaft - wie im Streitfall ihre Handelsbilanz an die vom Betriebsprüfer erstellte Steuerbilanz anpaßt und beschließt, den Mehrgewinn an die Gesellschafter auszuschütten. Es kann auf sich beruhen, ob das Festhalten an einer getroffenen Tarifwahl ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben sein kann, wenn sich insbesondere durch eine spätere Betriebsprüfung die ursprünglichen Besteuerungsgrundlagen wesentlich geändert haben und die Steuerpflichtige - hätte sie bei ihrer früheren Wahl die neueren Besteuerungsgrundlagen gekannt eine andere Wahl getroffen hätte. Im Streitfall ergibt sich aus den Angaben in der Steuererklärung über die Höhe des Einkommens und der ausgeschütteten Gewinne, daß für die Klägerin schon damals Anlaß bestand zu prüfen, ob sie einen Antrag nach § Abs. 4 KStG stellen und das Risiko einer zeitlichen Bindung auf fünf Jahre übernehmen will. Der Gesetzgeber wollte die Kapitalgesellschaft an ihren eigenen Willensentschluß binden. Durch die Unwiderruflichkeit der getroffenen Wahl und die Bindung für fünf Jahre wollte der Gesetzgeber willkürliche Gestaltungen, etwa einen jährlichen Wechsel des anzuwendenden Tarifs, ausschließen (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, zu Drucksache 2706, schriftlicher Bericht des Finanzausschusses, S. 6). Die vor der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1970 durchgeführte Betriebsprüfung kann, die Grundlage für eine Tarifwahl durch die Steuerpflichtige nicht wesentlich geändert haben, wenn die Steuerpflichtige die Möglichkeit der Wahl eines günstigeren Steuertarifs im Zusammenhang mit der Abgabe der Steuererklärung 1970 innerhalb der Steuererklärungsfrist nicht in Betracht gezogen hatte (vgl. zu Vorstehendem das zu dem Tarifwahlrecht nach § 32 b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1951 ergangene Urteil vom 21. November 1957 IV 206/56 U, BFHE 66, 124, BStBl III 1958, 49).