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BFH-Urteil vom 26.5.1981 (IV R 17/81) BStBl. 1981 II S. 668

Auch bei einer KG, die gesellschaftsrechtlich noch nicht aufgelöst ist, kann im Einzelfall feststehen, daß künftige Gewinnanteile nicht mehr entstehen werden; es ist dann einkommensteuerrechtlich unzulässig, einem Kommanditisten einen Verlustanteil insoweit zuzurechnen, als dies zu einem negativen Kapitalkonto führen würde.

EStG § 15 (Abs. 1) Nr. 2.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war alleinige Kommanditistin der am 10. November 1969 gegründeten Reederei X-KG (im folgenden KG). Ihre Kommanditeinlage betrug 1,5 Mio DM. Komplementärin ohne Einlage war ab 25. November 1969 die J-KG, die Beigeladene. Einziger Kommanditist der Beigeladenen und Alleingesellschafter der J-GmbH, der Komplementärin der Beigeladenen, war Herr C.

Diese Firma hatte die KG mit Vertrag vom 10. November 1969 zum Vertragsreeder bestellt.

Gegenstand des Unternehmens der KG war der Betrieb der Seeschiffahrt mit dem MS A und aller damit zusammenhängenden Geschäfte. Über die Gewinn- und Verlustverteilung war im Gesellschaftsvertrag der KG bestimmt, daß die Komplementärin eine feste Vorwegvergütung erhält, daß im übrigen der Gewinn an die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Kommanditeinlage ausgeschüttet wird und daß an einem evtl. Verlust die Kommanditisten im Verhältnis ihrer Kommanditanteile teilnehmen, ohne jedoch zu Nachschußleistungen verpflichtet zu sein.

Durch Vertrag vom 30. November 1969 erwarb die KG das 1958 gebaute MS A von der Firma MS A-Schiffahrt GmbH & Co. KG, deren Komplementärin die J-KG, die Beigeladene, und deren Kommanditist Herr C. waren. Die Anschaffungskosten betrugen 3,6 Mio DM.

Es war beabsichtigt, das Schiff auf vier Jahre zu einer Tagesrate von rd. 4.800 DM fest zu verchartern. Tatsächlich konnte das Schiff nur jeweils kurzfristig an verschiedene Charter verchartert werden. Dabei waren ab Juli 1971 die Brutto-Tagessätze rückläufig. Von Oktober 1971 bis Januar 1972 lag das Schiff still, weil eine kostendeckende Vercharterung nicht möglich war. Durch Vertrag vom 30. März 1972 veräußerte die KG das Schiff an eine ausländische Gesellschaft zum Preis von rd. 1,5 Mio DM; dieser Preis entsprach annähernd dem Buchwert zuzüglich Veräußerungskosten.

Durch Gesellschafterbeschluß vom 31. Dezember 1972 wurde die KG aufgelöst. Die nach dem Verkauf des Schiffes noch vorhandenen Vermögenswerte und Schulden übernahm die Komplementärin; eine Liquidation fand deshalb nicht statt. Im Handelsregister wurde die KG im Juli 1973 gelöscht.

Die KG wies in ihren Gewinnfeststellungserklärungen 1969 bis 1971 Verluste aus, und zwar für 1969.126.360,48 DM, für 1970.510.984,10 DM und für das Streitjahr 1971 1.121.194,91 DM. Diese Verluste rechnete sie jeweils in voller Höhe der Klägerin als einziger Kommanditistin zu. In 1971 führte die Verlustzurechnung erstmals zu einem negativen Kapitalkonto der Klägerin in Höhe von 258.539,49 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) vertrat bei der Gewinnfeststellung 1971 für die KG die Auffassung, daß der Verlust der KG insoweit nicht der Klägerin, sondern der Beigeladenen als Komplementärin zuzurechnen sei, als die Verlustzurechnung bei der Klägerin zu einem negativen Kapitalkonto führen würde (258.539,49 DM). Denn am 31. Dezember 1971 habe objektiv bereits festgestanden, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos durch künftige Gewinnanteile nicht mehr möglich sein werde.

Den Einspruch wies das FA zurück. Dabei begründete das FA nochmals eingehend seine Auffassung, daß nach den Verhältnissen am 31. Dezember 1971 bei Aufstellung der Bilanz zu diesem Stichtag festgestanden habe, ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos durch künftige Gewinne werde nicht mehr möglich sein (Überschuldung der KG; keine Möglichkeit zur kostendeckenden Vercharterung; mangelnde Liquidität der KG, die nur durch letztlich verlorene Zuwendungen der Komplementärin auszugleichen war; keine stillen Reserven im Gesellschaftsvermögen; Veräußerungsabsicht bereits vor dem 31. Dezember 1971).

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß einem Kommanditisten ein Anteil am laufenden Verlust nur bis zum Betrag seiner Einlage zugerechnet werden könne. Die streitige Frage, ob bei Aufstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1971 bereits festgestanden habe, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos der Klägerin mit späteren Gewinnen nicht mehr in Betracht komme, könne daher offenbleiben. Vorsorglich weise das FG jedoch darauf hin, daß die Möglichkeit einer Verrechnung eines negativen Kapitalkontos erst dann entfalle, wenn künftige Gewinne des Kommanditisten aus seiner Beteiligung wegen seines Ausscheidens aus der KG oder wegen der Auflösung der KG ausgeschlossen seien.

Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und ihr in Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids 1971 einen weiteren Verlustanteil von 258.539 DM zuzurechnen. Die Klägerin rügt Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG.

1. Mit Beschluß vom 10. November 1980 GrS 1/79 (BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164) hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden:

Einem Kommanditisten, dessen gesellschaftsrechtliche Stellung sich im Innen- und Außenverhältnis nach den Vorschriften des HGB, insbesondere des § 167 Abs. 3 HGB, bestimmt, ist ein Verlustanteil, der nach dem allgemeinen Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel der KG auf ihn entfällt, einkommensteuerrechtlich auch insoweit zuzurechnen, als er in einer den einkommensteuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften entsprechenden Bilanz der KG zu einem negativen Kapitalkonto des Kommanditisten führen würde. Dies gilt nicht, soweit bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag, feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen des Kommanditisten nicht mehr in Betracht kommt.

Danach kann im Streitfall entgegen der Auffassung, die der Vorentscheidung zugrunde liegt, der Klägerin die beantragte höhere Verlustzurechnung nicht schon deshalb verwehrt werden, weil diese Verlustzurechnung zu einem negativen Kapitalkonto der Klägerin führt. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

2. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da tatsächliche Feststellungen zu der Frage fehlen, ob und ggf. inwieweit bei Aufstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1971 nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag festgestanden hat, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen der Klägerin nicht mehr in Betracht kommt. Entgegen der von der Vorentscheidung "vorsorglich" vertretenen Rechtsansicht erübrigen sich derartige Feststellungen nicht etwa deshalb, weil im Streitfall weder die KG am Bilanzstichtag (31. Dezember 1971) gesellschaftsrechtlich aufgelöst noch die Klägerin zu diesem Zeitpunkt aus der KG ausgeschieden war, und weil die Möglichkeit einer Verrechnung eines negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten mit künftigen Gewinnanteilen nur bei Verwirklichung eines dieser beiden Tatbestände ausgeschlossen sei.

Nach den Umständen des Einzelfalles kann auch bei einer KG, die gesellschaftsrechtlich noch nicht aufgelöst ist (§ 161 Abs. 2 HGB i.V.m. §§ 131 f. HGB), feststehen, daß künftige Gewinnanteile nicht mehr oder nicht mehr in einer zum vollen Ausgleich des negativen Kapitalkontos notwendigen Höhe entstehen werden, z.B. weil die KG ihre werbende Tätigkeit tatsächlich eingestellt hat, oder offensichtlich aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen alsbald einstellen muß und das Gesellschaftsvermögen keine stillen Reserven, insbesondere auch keinen Geschäftswert enthält. Hiervon geht auch der Beschluß des Großen Senats aus. Umgekehrt schließt allein die gesellschaftsrechtliche Auflösung einer KG noch nicht aus, daß z.B. im Rahmen der Liquidation stille Reserven realisiert werden und deshalb noch Gewinne zu erwarten sind, durch die ein negatives Kapitalkonto eines Kommanditisten ganz oder teilweise ausgeglichen wird.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird sich das FG mit der in der Einspruchsentscheidung eingehend begründeten Ansicht des FA auseinanderzusetzen haben, bei Bilanzaufstellung habe festgestanden, daß künftige Gewinnanteile der Klägerin zum Ausgleich des negativen Kapitalkontos nicht mehr in Betracht kommen, und in diesem Zusammenhang z.B. auch zu prüfen haben, ob es zutrifft, daß die KG bereits vor dem 31. Dezember 1971 beabsichtigte, das Schiff zu veräußern. Dabei wird das FG in rechtlicher Hinsicht davon ausgehen müssen, daß eine rein theoretische, mehr oder weniger spekulative Möglichkeit, eine KG werde durch Fortführung der bisherigen Tätigkeit oder durch Aufnahme einer andersartigen Betätigung wieder Gewinne erzielen, die Annahme nicht hindern kann, es habe insgesamt oder wenigstens für einen Teilbetrag des negativen Kapitalkontos bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung festgestanden, daß künftige Gewinnanteile zum Ausgleich des negativen Kapitalkontos nicht mehr in Betracht kommen.