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BFH-Urteil vom 16.7.1981 (V R 156/78) BStBl. 1981 II S. 720

1. Stellt das FG seine Entscheidung auf einen bisher nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt, können die Beteiligten die Revision nicht auf eine Verletzung des Verfahrensrechts (§ 155 FGO i. V. m. § 278 Abs. 3 ZPO) stützen, wenn das FG durch Vorbescheid entschieden hat.

2. § 149 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1979 geltenden Fassung enthält jedenfalls im Anwendungsbereich des Satzes 1 bezüglich der gesetzlich geregelten Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine Rechtsgrundlage für eine Fristsetzung der Finanzbehörde zur Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung; deshalb kann bei Versäumung dieser Frist kein Verspätungszuschlag nach § 152 AO 1977 festgesetzt werden.

UStG 1967/1973 § 18 Abs. 1 Satz 1; AO 1977 § 149 a.F., § 152; ZPO § 278 Abs. 3.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis zum 31. Dezember 1976 als selbständiger Zimmerer tätig. Da er bereits in früheren Jahren seine Steuererklärungen nur schleppend abgegeben hatte und außer dem aufgrund der Erklärungen mehrfach nicht unerhebliche Umsatzsteuernachzahlungen leisten mußte, forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 11. August 1977 auf, die Steuererklärung für das Jahr 1976 bis spätestens 31. Oktober 1977 einzureichen. Der Kläger kam dieser Aufforderung erst nach Festsetzung von Zwangsgeldern am 20. Januar 1978 nach.

Mit Steuerbescheid vom 30. Januar 1978, der eine Nachzahlung von 19.879 DM (= 29 % des Steuersolls) ergab, setzte das FA einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer in Höhe von 3.000 DM fest. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer. Er meint, das FA habe bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags den Besonderheiten seines Einzelfalles nicht hinreichend Rechnung getragen. Vielmehr sei es darauf erst später eingegangen. Das Nachschieben von Ermessenserwägungen sei jedoch nicht zulässig. Der Verspätungszuschlag sei zu einem Zeitpunkt festgesetzt worden, als noch nicht einmal die Hälfte der Erklärungen beim FA eingegangen sei.

Der Kläger hat beantragt, die Festsetzungsverfügung vom 30. Januar 1978 und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 11. Mai 1978 aufzuheben.

Das FA hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es ist der Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 152 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Festsetzung des Verspätungszuschlags vorgelegen hätten und hierbei auch von dem Ermessen ein rechtmäßiger Gebrauch gemacht worden sei.

Das Finanzgericht (FG) hat durch Vorbescheid der Klage stattgegeben und die Revision zugelassen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 54 - EFG 1979, 54 -).

Zur Begründung hat das FG ausgeführt, die Festsetzung des Verspätungszuschlags entbehre einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage.

Gegen den als Urteil wirkenden Vorbescheid hat das FA Revision eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Gerügt wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs und des sachlichen Rechts (§ 152 Abs. 1 AO 1977).

Die Frage, ob eine gesetzliche Grundlage für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen bei der Umsatzsteuer nach der derzeitigen Rechtslage bestehe, sei zu keiner Zeit Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das Gericht habe daher die Beteiligten mit seiner Rechtsansicht überrascht und damit das rechtliche Gehör verletzt.

Zwar enthalte § 18 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) keine "genaue" Fristbestimmung. Hieraus dürfe jedoch nicht gefolgert werden, daß eine gesetzliche Fristbestimmung fehle. § 149 Satz 2 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1979 geltenden Fassung enthalte eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Fristsetzung zur Abgabe einer Steuererklärung durch das FA. Durch die Überraschungsentscheidung des FG sei es gehindert gewesen, auf die aktenmäßig festliegende Tatsache hinzuweisen, daß auch der dem Berater des Klägers für diesen auf Anforderung im März 1977 übersandte Umsatzsteuer-Erklärungsvordruck 1976 den Aufdruck enthielt: "Die vollständig ausgefüllte und unterschriebene Erklärung muß spätestens am 31. Mai 1977 bei dem Finanzamt eingegangen sein."

Der Bundesminister der Finanzen (BdF) hat seinen Beitritt zum Verfahren erklärt und ausgeführt: § 149 Satz 2 AO 1977 in der für den Streitfall geltenden Fassung ermächtige die Finanzbehörden, Steuerpflichtigen für die Abgabe der Unmsatzsteuer-Jahreserklärung eine Frist zu setzen. Diese Fristsetzung habe sowohl durch allgemeine öffentliche Bekanntmachungen (§ 149 Satz 3 AO 1977) als auch durch einzelfallbezogene Verwaltungsakte erfolgen können. Dementsprechend sei der Kläger durch öffentliche Bekanntmachung und ferner persönlich bei der Übersendung der Steuererklärungsvordrucke aufgefordert worden, seine Umsatzsteuererklärung 1976 bis zum 31. Mai 1977 abzugeben. Darüber hinaus sei er durch Einzelverfügung vom 11. August 1977 aufgefordert worden, die Steuererklärung innerhalb einer bis zum 31. Oktober 1977 verlängerten Frist abzugeben. Es sei schon fraglich, ob die Finanzbehörde für den Erlaß solcher Verwaltungsakte einer ausdrücklichen Ermächtigung bedürfe. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß die Finanzämter angemessene Fristen für die Erfüllung steuerlicher Fristen setzen dürften. Für Steuererklärungen ergebe sich dies deutlich daraus, daß § 109 Abs. 1 AO 1977 die Möglichkeit, Fristen zu setzen, als gegeben voraussetze. Dies stimme mit den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen (§ 85 Satz 1 AO 1977) überein, wonach die Finanzbehörden die Steuer nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben haben. Das Finanzamt müsse gemäß § 86 Abs. 2 AO 1977 von Amts wegen das Steuerfestsetzungsverfahren durchführen und nach § 88 Abs. 1 AO 1977 den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Zu dieser Sachverhaltsermittlung gehöre notwendigerweise die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung. Ein solcher gesetzlicher Auftrag ginge ins Leere, wenn die Finanzbehörden den Steuerpflichtigen keine Fristen setzen könnten, innerhalb derer sie Aufforderungen nachzukommen hätten. Nur durch entsprechende Fristsetzung und durch die an eine Fristüberschreitung anknüpfenden Sanktionen könne gewährleistet werden, daß die Finanzbehörden den Gesetzesauftrag, Steuern gleichmäßig festzusetzen, erfüllen können. Die Fristsetzung sei eine zulässige Nebenbestimmung zu den Verwaltungsakten, mit denen der Kläger zur Abgabe seiner Steuererklärung aufgefordert worden sei. Die Fristverlängerung sei eine Vergünstigung i. S. des § 120 Abs. 2 AO 1977, die mit der Befristung - auf den 31. Oktober 1977 - ihr Ende gefunden habe.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Die vom FA erhobene Rüge, das FG habe durch eine Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör verletzt, ist unbegründet.

Das FG hat zwar auf den rechtlichen Gesichtspunkt der fehlenden Rechtsgrundlage für eine Fristsetzung nicht vor Erlaß der Entscheidung hingewiesen. Damit hat es § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 278 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verletzt. Das FA hatte aber in derselben Instanz noch Gelegenheit, sich zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt umfassend zu äußern, denn das FG hat die Entscheidung gemäß 90 Abs. 3 Satz 1 FGO durch Vorbescheid getroffen. Damit war dem FA gemäß § 90 Abs. 3 Satz 2 FGO Gelegenheit gegeben, sich durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu den vom FG aufgeworfenen Rechtsfragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Damit ist die Verletzung von § 278 Abs. 3 ZPO geheilt.

2. Die Revision ist auch in der Sache unbegründet. Die auf § 152 AO 1977 beruhende Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist rechtswidrig, weil die Festsetzung eines Verspätungszuschlags voraussetzt, daß der Steuerpflichtige eine mit dieser Rechtswirkung bewehrte Frist zur Abgabe der Erklärung versäumt hat. Dies ist hier nicht der Fall, weil es sowohl an einer gesetzlich geregelten Frist als auch an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer derartigen Frist durch die Finanzbehörde fehlt. Auf die Frage, ob das FA von seinem Ermessen zutreffenden Gebrauch gemacht hat, kommt es daher nicht an.

Das Veranlagungsverfahren zur Umsatzsteuer 1976 ist erst nach dem 1. Januar 1977 beim FA anhängig geworden, weil die Umsatzsteuer-Jahreserklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967/1973 nach Ablauf des Kalenderjahres 1976 abzugeben war. Somit sind hier die Vorschriften der neuen Abgabenordnung (AO 1977) anzuwenden. Im Gegensatz zum (bis zum 31. Dezember 1976 geltenden) § 167 Abs. 3 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO), demzufolge die Steuererklärungen für die Umsatzsteuer bis zum Ende des Monats Februar abzugeben waren, regeln nach § 149 Satz 1 AO 1977 a. F. die Steuergesetze, wer zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet und wann diese abzugeben ist. Damit enthält sich § 149 AO 1977 a. F. einer Fristbestimmung und verweist dazu auf die Einzelsteuergesetze. Der für die Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung maßgebliche § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967/1973 bestimmt jedoch nur, daß der Unternehmer "nach Ablauf des Kalenderjahres eine Steuererklärung auf einem Vordruck nach amtlich bestimmtem Muster abzugeben" hat. Eine Regelung darüber, wann bzw. innerhalb welcher Frist diese Erklärung abzugeben ist, fehlt. Im Gegensatz dazu regelt § 18 Abs. 2 UStG 1967/1973 die Fristen für die Abgabe der Voranmeldungen auch in dieser Beziehung abschließend. Demnach geht hinsichtlich der Umsatzsteuer-Jahreserklärung die Verweisung in § 149 Satz 1 AO 1977 a. F. ins Leere. § 149 Satz 2 AO 1977 in der für den Streitfall maßgebenden Fassung der Jahre 1977 bis 1979 befugt die Finanzbehörde dem Wortlaut nach lediglich, eine Person zur Abgabe einer Steuererklärung aufzufordern.

3. Entgegen der Auffassung des BdF und des FA enthält der Satz 1 des § 149 AO 1977 a. F. keine rechtliche Grundlage für eine nicht nur verfahrensleitende, sondern eine mit dem Risiko eines Verspätungszuschlags nach § 152 AO 1977 bewehrte Fristsetzung durch die Finanzbehörde, wenn der Unternehmer, wie hier, kraft Gesetzes zur Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung verpflichtet ist. Diese Befugnis kann weder aus § 109 Abs. 1 AO 1977 noch aus § 85 Satz 1, § 86 Satz 2 oder § 88 Abs. 1 oder aus § 120 AO 1977 hergeleitet werden. Auch der Satz 2 des § 149 AO 1977 a. F. vermag die Fristsetzung nicht zu rechtfertigen, denn er ergänzt lediglich Satz 1 der Vorschrift in der Weise, daß der Personenkreis der zur Abgabe einer Steuererklärung Verpflichteten über den Kreis der gesetzlich Verpflichteten (Satz 1) auf solche Personen ausgedehnt wird, die vom Finanzamt zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert werden (was nach Satz 3 auch im Wege einer öffentlichen Bekanntmachung geschehen kann). Den Sätzen 1 bis 3 ist aber gemeinsam, daß sie eine gesetzliche Ermächtigung für die Finanzverwaltung, zur Abgabe der Steuererklärung eine Frist, deren Versäumung eine im Gesetz bezeichnete Rechtsfolge auslösen kann, zu setzen, nicht enthalten. Aus § 109 Abs. 1 AO 1977, der vorsieht, daß Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen und Fristen, die von einer Finanzbehörde gesetzt sind, verlängert werden können, kann nicht ein allgemeiner Grundsatz abgeleitet werden, daß Finanzbehörden deshalb auch zur erstmaligen Setzung von Fristen vorbezeichneter Art ohne besondere Rechtsgrundlage ermächtigt seien, da die Vorschrift gerade die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen (erstmaligen) Fristsetzung voraussetzt, nicht aber begründet.

Eine solche Befugnis zur allgemeinen oder individuellen Fristsetzung durch eine Finanzbehörde mit der oben bezeichneten Rechtsfolge kann auch nicht aus den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen gefolgert werden, weil dem schon § 149 Satz 1 AO 1977 a. F. widerspricht. Auch wenn man in einer derartigen Fristsetzung nur eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt sieht, bedürfte diese nach § 120 Abs. 1 AO 1977 einer Rechtsgrundlage. Abgesehen davon liegt bei der Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung kein Verwaltungsakt i. S. des § 120 Abs. 1 AO 1977 vor. Schließlich geht auch die Auffassung fehl, die Fristverlängerung sei eine Vergünstigung i. S. des § 120 Abs. 2 AO 1977, da diese Betrachtung voraussetzen würde, daß jedenfalls die erste Fristsetzung rechtmäßig ist.

Daß damit die notwendige und gebotene Sachverhaltsermittlung durch die Finanzbehörden möglicherweise leidet, mag zutreffen. Jedoch enthalten Fristsetzungen durch die Finanzbehörden zur Abgabe von Steuererklärungen bei Versäumung dieser Fristen durch den Steuerpflichtigen wegen der bei Versäumung drohenden Sanktionen (Zwangsgelder und Verspätungszuschläge) Eingriffe in die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen, die nach Fristversäumung häufig nicht mehr behebbar sind. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt daher, daß die Fristsetzung selbst auf einer eindeutigen und klaren Rechtsgrundlage beruht, wenn die Fristversäumung als solche mit Sanktionen geahndet werden kann.

4. Dies bedeutet nicht, daß beim Fehlen einer solchen Rechtsgrundlage für eine Fristsetzung im Anwendungsbereich des § 149 Satz 1 AO 1977 a. F. das Finanzamt gehindert wäre, eine Veranlagung aufgrund einer Schätzung vorzunehmen. In einem derartigen Fall wäre der Steuerpflichtige noch bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG in der Lage, die Steuererklärung nachzureichen und damit die Festsetzung auf eine andere Grundlage zu stellen. Ist eine Fristsetzung aber Grundlage für die Festsetzung von Zwangsgeldern oder Verspätungszuschlägen, so hat die Fristsetzung ungeachtet einer jeweils vom Finanzamt noch zu treffenden Ermessensentscheidung ausschließende Wirkung, die nach der Versäumung der Frist kaum mehr rückgängig gemacht werden kann. Der Senat ist daher der Auffassung, daß es sowohl zur generellen als auch zur individuellen Bestimmung einer nicht nur verfahrensleitenden, sondern einer mit dem Risiko eines Verspätungszuschlags bewehrten Frist zur Abgabe einer Steuererklärung durch die Finanzbehörden bei gesetzlicher Verpflichtung dazu einer Rechtsgrundlage bedarf, die für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung weder in § 149 Sätze 2 und 3 AO 1977 in der bis zum 31. Dezember 1979 geltenden Fassung noch in § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967/1973 zu sehen ist. Zu derselben Erkenntnis ist auch der Gesetzgeber gekommen; er hat die bestehende Lücke inzwischen durch die Neufassung des § 149 AO 1977 durch das Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl I 1979, 1953, BStBl I 1979, 654; II. Kapitel Art. 1 Nr. 4) neu und abweichend von § 149 AO 1977 a. F. geregelt.