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BFH-Urteil vom 30.9.1981 (II R 64/80) BStBl. 1982 II S. 76

Der Erwerb des Pflichtteilsberechtigten, der vom Erben statt Geldes ein Nachlaßgrundstück erhält, ist stets gemäß § 3 Ziff. 2 GrEStG als Erwerb von Todes wegen von der Grunderwerbsteuer befreit, sofern und soweit das Grundstück nur für den Pflichtteil hingegeben wird (Aufgabe des Urteils vom 17. November 1955 II 70/55 U, BFHE 62, 16, BStBl III 1956, 7).

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 2; ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 4; BGB § 2303, § 364 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin (Alleinerbin) ihrer Mutter S, die mit dem Stiefvater der Klägerin, G, im Güterstand der Gütertrennung lebte. G setzte seinen Vetter, M, durch Testament als Alleinerben ein.

Durch einen privatschriftlichen Vertrag hatten S und M am 21. April 1975 "zur Regelung der Erbschaftsauseinandersetzung" u. a. die Aufteilung der zum Nachlaß gehörenden Grundstücke festgelegt.

Dieser Vertrag wurde durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. April 1975 bestätigt, nach dessen Inhalt S drei zum Nachlaß gehörige Grundstücke erwarb. In der Präambel dieses Vertrages erklärten die Vertragschließenden, daß S gegen den Alleinerben Pflichtteilsansprüche und Ansprüche auf Zugewinnausgleich geltend gemacht habe und daß der Vertrag zum Ausgleich dieser Ansprüche geschlossen werde. Dies wurde im Abschn. III des Vertrages dahingehend erläutert, daß "zwischen den Parteien Einigkeit darüber besteht, daß sämtliche gegenseitigen Ansprüche zwischen ihnen aus dem Nachlaß des am 10. November 1974 verstorbenen Erblassers, insbesondere aus Pflichtteilsrechten und Ansprüchen aus Zugewinnausgleich ... ausgeglichen sind". Darüber hinaus bestehe zwischen den Vertragschließenden Einverständnis darüber, daß der Wert der Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüche ca. 1 Mio. DM, der Wert der Grundstücke ca. 920.000 DM betrage.

Die zunächst festgesetzte Grunderwerbsteuer wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) nach Überprüfung der angesetzten Verkehrswerte durch Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 1977 auf 67.613 DM herabgesetzt, im übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Der auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben. Das FG stützte die Befreiung von der Grunderwerbsteuer auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i. V. m. § 3 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG), da zwischen diesen beiden Alternativen des Erbschaftsteuergesetzes eine Unterscheidung praktisch nicht möglich und darüber hinaus unsinnig sei.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Die beiden Alternativen des Erbschaftsteuergesetzes seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sehr wohl zu unterscheiden und im vorliegenden Fall ergebe sich aus der eindeutigen Präambel des Vertrages, daß die Grundstücke an Erfüllungs Statt zur Abgeltung eines bereits geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs hingegeben worden seien. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegende Erwerbsvorgang ist nach § 3 Nr. 2 Halbsatz 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen, weil S die Grundstücke von Todes wegen im Sinne des Erbschaftsteuergesetzes erworben hat. Zweck der Vorschrift des § 3 Nr. 2 Halbsatz 1 GrEStG ist es, zu vermeiden, daß ein der Erbschaftsteuer unterliegender Grundstückserwerb zusätzlich mit Grunderwerbsteuer belastet wird; die tatsächliche Belastung mit Erbschaftsteuer ist jedoch nicht Voraussetzung für die Grunderwerbsteuerbefreiung.

Der Senat unterscheidet für die Erbschaftsteuererhebung zwischen dem Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974) und der Abfindung für den Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG 1974) und knüpft daran unterschiedliche Folgen für das Entstehen der Steuerpflicht (Urteil vom 18. Juli 1973 II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl II 1973, 798). Er hat jedoch zum Ausdruck gebracht, daß trotz verschiedener Ausgangspunkte sich unter bestimmten Umständen die beiden Besteuerungstatbestände angleichen können (BFHE 110, 200). Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur Grunderwerbsteuer war der Erwerb eines Grundstücks zur Erfüllung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs nicht dem Erwerb des Grundstücks als Abfindung für den Verzicht auf den entstandenen, aber noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch gleichzustellen. Die Übertragung eines Grundstücks zur Erfüllung eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs wurde als grunderwerbsteuerpflichtige Hingabe an Erfüllungs Statt angesehen (BFH-Urteil vom 17. November 1955 II 70/55 U, BFHE 62, 16, BStBl III 1956, 7). An dieser Rechtsprechung zur Grunderwerbsteuer hält der Senat nicht mehr fest.

2. Die Vorschriften des § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 4 ErbStG dienen der lückenlosen erbschaftsteuerlichen Erfassung aller Zuwendungen aufgrund eines Pflichtteilsanspruchs. Dabei erfaßt § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als der Erbschaftsteuer unterliegende Bereicherung dasjenige, was dem Pflichtteilsberechtigten aufgrund des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs vom Erben zugewendet wird. Dagegen erfaßt § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG als erbschaftsteuerrechtliche Bereicherung des Pflichtteilsberechtigten dasjenige, was dem Pflichtteilsberechtigten als Abfindung aus dem Vermögen des Erben oder eines Dritten für den Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch zugewendet wird. Die Abfindung tritt hier an die Stelle der erbrechtlichen Ansprüche. Sie wird deshalb steuerlich wie ein Erwerb behandelt, der aus dem Nachlaß des Erblassers stammt (Troll, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 3. Aufl., § 3 Tz. 87). Die erbschaftsteuerrechtliche Fiktion dessen, was als Bereicherung aus dem Nachlaß anzusehen ist, geht hier so weit, eine Bereicherung zu erfassen, die, im Fall der Abfindung durch einen Dritten, jeder direkten Verbindung mit erbrechtlichen Ansprüchen entbehrt, wenn auch diese Ansprüche Motiv für die Leistung des Dritten sind. Wenn aber eine Leistung, die nicht im Zusammenhang mit erbrechtlichen Ansprüchen von einem Dritten erbracht wird, kraft erbschaftsteuerrechtlicher Fiktion als Erwerb von Todes wegen gilt, ist es folgerichtig, daß auch eine Leistung an Erfüllungs Statt zur Befriedigung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs als Erwerb von Todes wegen angesehen wird. Denn der Erbe leistet an den Pflichtteilsberechtigten in Erfüllung seiner erbrechtlichen Verpflichtung.

3. Auch aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 folgt, daß das an Erfüllungs Statt Geleistete als Erwerb von Todes wegen anzusehen ist. Danach gilt als Erwerb von Todes wegen der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs. Der Rechtsgrund für die Bereicherung muß also in dem zwischen Pflichtteilsschuldner und Pflichtteilsberechtigten bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis, dem Pflichtteilsanspruch, liegen. Bei der Leistung an Erfüllungs Statt bleibt aber der Rechtsgrund der Leistung gerade das ursprüngliche Schuldverhältnis (vgl. Münchner Kommentar - Heinrichs, § 364, Rdnr. 1; Erman, BGB-Handkommentar § 364 Rdnr. 2).

Dabei kommt es nicht darauf an, ob man in der Leistung an Erfüllungs Statt einen entgeltlichen Austausch- oder Veräußerungsvertrag (Leistung gegen Forderung) erblickt, wie die herrschende Meinung, oder die Erfüllung der lediglich abgeänderten Schuld. Denn auch wenn man mit der herrschenden Meinung das durch den Austauschvertrag entstandene Schuldverhältnis als Rechtsgrund für die ersatzweise erbrachte Leistung betrachtet, so kann dieses Schuldverhältnis nicht losgelöst von dem ihm zugrunde liegenden gesetzlichen Schuldverhältnis des Pflichtteilsanspruchs gesehen werden. Denn hier ist der Pflichtteilsanspruch nicht nur Motiv für die Leistung, sondern Rechtsgrund des Austauschvertrages, und der Anspruch aus dem Austauschvertrag (Anspruch auf Grundstücksübereignung) tritt, wie in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG die Abfindung, an die Stelle der erbrechtlichen Ansprüche. Daß ein direkter rechtlicher Zusammenhang zwischen Erfüllungsleistung und dem Rechtsgrund Pflichtteilsanspruch notwendig ist, läßt sich dem Wortsinn der Vorschrift nicht entnehmen. Damit ist gewährleistet, daß dem Grundsatz des Erbschaftsteuerrechts entsprechend, die wirkliche Bereicherung - und nur diese - erfaßt wird (vgl. die Entscheidung des Senats vom 24. Juli 1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972, 886).

4. Auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes erscheint diese Auslegung als richtig. Die Entstehungsgeschichte zeigt, daß der Pflichtteilsanspruch (vgl. § 1 ErbStG 1906) zunächst unabhängig von seiner Geltendmachung besteuert wurde. Um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, hat dann das Erbschaftsteuergesetz 1919, entsprechend den Entwürfen von 1908 und 1913, die Steuerpflicht an die Vorbedingung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs geknüpft. Nachdem die Besteuerung dadurch eingeengt war, hat der Gesetzgeber zur Vermeidung von Steuerumgehungen (wie es das Erbschaftsteuergesetz 1906 in § 2 Nr. 2 schon für einen Erbverzicht oder die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses vorsah) als Auffangtatbestand den Verzicht des Pflichtteilsberechtigten zur Geltendmachung seines Anspruchs gegen Abfindung in das Gesetz aufgenommen. Dieser Erwerb ist als Erwerb von Todes wegen seit jeher grunderwerbsteuerfrei. Es wäre aber mit Sinn und Zweck des § 3 Ziff. 2 GrEStG nicht zu vereinbaren, den Auffangtatbestand steuerfrei zu lassen, den Grundtatbestand aber zu besteuern.

5. S hat die Grundstücke aufgrund ihres Pflichtteilsanspruchs erworben. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß S nicht im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat. Da die Verwaltung und Nutznießung des Ehemanns durch Ehevertrag vom 27. Mai 1947 ausgeschlossen worden war, lebten die Ehegatten gemäß § 1436 BGB a. F. im Güterstand der Gütertrennung, der Güterstand der Zugewinngemeinschaft wurde für sie gemäß Art. 8 I Nr. 5 Satz 1 des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 nicht eingeführt. Dies ergibt sich auch aus der privatschriftlichen Vereinbarung zwischen S und M, die nur zur "Regelung der Erbauseinandersetzung" geschlossen wurde, und die zur Auslegung herangezogen werden muß. Die Anführung der Zugewinnausgleichsansprüche in der notariellen Vereinbarung erweist sich insofern als Leerformel des beurkundenden Notars.

6. Der Senat schließt sich damit der Auffassung von Boruttau-Klein-Egly-Sigloch, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 10. Aufl., § 3 Rdnr. 25 c, an, daß der Erwerb des Pflichtteilsberechtigten, wenn er vom Erben statt Geldes ein Nachlaßgrundstück erhält, stets von der Grunderwerbsteuer befreit ist, sofern und soweit das Grundstück nur für den Pflichtteil hingegeben wird. Das FG hat deshalb im Ergebnis zu Recht die Frage offengelassen, ob die eine oder andere Alternative des § 3 ErbStG gegeben ist.