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BFH-Urteil vom 29.10.1981 (I R 142/78) BStBl. 1982 II S. 104

Ist aufgrund des DBA-Niederlande ein Teil der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zu erstatten, sind auf einen erfolgreich eingeklagten Erstattungsbetrag Prozeßzinsen zu gewähren.

FGO § 111 a.F.; DBA-Niederlande Art. 13.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in den Niederlanden - war an einer inländischen GmbH beteiligt. Die GmbH hatte im Geschäftsjahr 1967 Gewinne an die Klägerin ausgeschüttet und Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 v. H. der Ausschüttung einbehalten. Die Klägerin hatte beantragt, die Kapitalertragsteuer gemäß Art. 13 Abs. 3 des Deutsch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommens vom 16. Juni 1959 - DBA-Niederlande - (BGBl II 1960, 1781, BStBl I 1960, 381) in Höhe von 10 v. H. der ausgeschütteten Dividende zu erstatten. Diesen Antrag hatten die Finanzbehörden abgelehnt. Durch rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde der Beklagte und Revisionskläger (das Bundesamt für Finanzen) zur Erstattung in der beantragten Höhe verurteilt. Die Behörde überwies am 2. Januar 1974 den Erstattungsbetrag an die Klägerin.

Nach Abschluß dieses Verfahrens begehrte die Klägerin von dem Bundesamt für Finanzen Prozeßzinsen von ... DM. Die Behörde hat mit Bescheid vom 7. August 1974 und mit Einspruchsentscheidung vom 29. April 1975 den Antrag der Klägerin abgelehnt. Die Klägerin erhob Klage.

Das FG gab der Klage statt und verpflichtete die Behörde zur Zahlung von ... DM Zinsen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich das Bundesamt für Finanzen mit der Revision. Die Behörde rügt Verletzung materiellen Rechts. Steuer-, Erstattungs- und Vergütungsansprüche seien nur zu verzinsen, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei (§ 4 des Steuersäumnisgesetzes - StSäumG -). § 111 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a. F. sei eine solche Ausnahmevorschrift. Aus ihrem Wortlaut gehe eindeutig hervor, daß eine Verzinsung erstatteter Kapitalertragsteuerbeträge - gleich auf welchem Rechtsgrund die Erstattung beruhe - nicht stattfinde. Ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers scheide aus. In § 111 Abs. 1 FGO a. F. werde als Erfordernis für die Verzinsung die Festsetzung einer Abgabenschuld vorausgesetzt, die dann später durch gerichtliche Entscheidung herabgesetzt werde. Hieran fehle es im Erstattungsverfahren aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens. Eine erweiterte Auslegung des § 111 FGO a. F. lasse sich weder aus der Regelung über die Verzinsung von Vergütungsansprüchen (Abs. 4) noch aus dem Zweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift herleiten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin kann die Verzinsung des ihr mit rechtskräftigem Urteil zugesprochenen Erstattungsbetrags verlangen.

Rechtsgrundlage für den Zinsanspruch der Klägerin ist im Streitfall noch § 111 FGO a. F., der erst am 1. Oktober 1975 durch § 4 b StSäumG (Art. 3 i. V. m. Art. 11 § 6, Art. 14 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1975 - 3. StBerÄndG -, BGBl I, 1509, BStBl I, 733) ersetzt worden ist. Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 FGO a. F. ist ein zuviel entrichteter Steuerbetrag vom Tage der Rechtshängigkeit ab zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige Entscheidung oder aufgrund einer solchen eine "festgesetzte" Abgabenschuld herabgesetzt wird. Entsprechendes gilt für Vergütungsansprüche (§ 111 Abs. 4 FGO a. F.).

Die Steuererstattung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens ist in § 111 FGO a. F. zwar nicht erwähnt, so daß daraus gefolgert werden könnte, eine Verzinsung sei nach § 4 StSäumG, der eine Verzinsung nur zuläßt, wenn dies in den einzelnen Steuergesetzen vorgeschrieben ist, ausgeschlossen. Nach Auffassung des erkennenden Senats ergibt sich aber im Wege der Auslegung der hier in Betracht kommenden Verzinsungsvorschriften, daß eine Verwaltungsentscheidung, mit der über einen auf Art. 13 Abs. 3 DBA-Niederlande gestützten Antrag auf Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuerbeträge entschieden wird, das gesetzliche Merkmal der "Festsetzung" einer Abgabenschuld oder Steuer erfüllt.

Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312). Die Auslegung gesetzlicher Vorschriften und Begriffe beginnt mit der Erschließung ihres Wortsinns. Läßt ein Gesetz oder ein vom Gesetzgeber verwendeter Begriff nach dem möglichen Wortsinn mehrere Deutungen zu, verdient diejenige Auslegung den Vorzug, die in Übereinstimmung mit dem Sinnzusammenhang des Gesetzes steht und damit die Wahrung der sachlichen Übereinstimmung mit anderen Bestimmungen ermöglicht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Oktober 1976 III R 162/73, BFHE 120, 438, BStBl II 1977, 168).

Art. 13 Abs. 3 DBA-Niederlande begrenzt den Steuersatz für Dividenden, die an eine in den Niederlanden ansässige Person ausgeschüttet werden, grundsätzlich auf 15 v. H. der Ausschüttung. Er ist damit niedriger als der in § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgesehene Steuersatz von 25 v. H. Wie dem Abkommen verfahrensmäßig Rechnung zu tragen ist, ist dort nicht näher bestimmt. Im Einvernehmen mit der niederländischen Finanzverwaltung hat der Bundesminister der Finanzen (BdF) mit Erlaß vom 30. September 1961 (BStBl I 1961, 690) Verwaltungsvorschriften erlassen. Danach hat der deutsche Schuldner der Ausschüttung die Kapitalertragsteuer grundsätzlich in voller Höhe (25 v. H.) einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Der niederländische Empfänger der Ausschüttung hat, wenn er die Vergünstigung des Abkommens in Anspruch nehmen will, einen Antrag auf Erstattung der nach dem Abkommen zuviel einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer zu stellen. Die für die Bearbeitung des Antrags zuständige deutsche Finanzbehörde prüft den Antrag. Im Falle der Ablehnung der Erstattung ist ein rechtsmittelfähiger Bescheid zu erteilen. Diese Regelung widerspricht nicht dem Abkommen. Nach Art. 13 Abs. 2 DBA-Niederlande bleibt das Recht eines jeden Staates zum Steuerabzug an der Quelle unberührt. Die nationale Verfahrenshoheit und das gesetzte Verfahrensrecht gelten ungeschmälert weiter. Nach dem zum DBA-USA ergangenen Urteil des Senats vom 18. September 1968 I R 56/67 (BFHE 93, 438, BStBl II 1968, 797) ist in einem solchen Falle der inländische Schuldner der Kapitalerträge nicht befugt, bei Erfüllung seiner Abzugsverpflichtung nach §§ 43, 44 EStG von sich aus zu berücksichtigen, daß der ausländische Gläubiger nur 15 v. H. des Bruttobetrags der Dividende als Kapitalertragsteuer schuldet.

Soll die Entlastung des niederländischen Beziehers der Dividende von einem Teil der inländischen Kapitalertragsteuer erreicht werden, sind somit zwei besondere Verfahren zu durchlaufen. Das erste Verfahren besteht in der Einbehaltung und Abführung der Steuer in Höhe von 25 v. H. der Ausschüttung durch den inländischen Schuldner der Kapitalerträge (§ 44 EStG). In der Entgegennahme der Steuerabzugsbeträge durch die Finanzbehörde war auch schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) die Erteilung eines stillschweigenden Steuerbescheids zu sehen (vgl. BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1967 VI B 72/67, BFHE 91, 138, BStBl II 1968, 287). Das zweite Verfahren setzt der niederländische Gläubiger in Gang. Er muß bei der deutschen Finanzbehörde beantragen, die 15 v. H. der Ausschüttung übersteigende Kapitalertragsteuer zu erstatten. Es bleibt damit dem in den Niederlanden ansässigen Gläubiger überlassen, seine Rechte aus dem Abkommen bei den deutschen Finanzbehörden durchzusetzen, um die Korrektur der Steuer, die ihn mit mehr als 15 v. H. der ausgeschütteten Dividende belastet, zu erreichen. Das besondere Verfahren auf Erstattung von 10 v. H. der ausgeschütteten Dividende erweist sich als das technische Mittel, auf den im Abkommen vorgesehenen Steuersatz von 15 v. H. zu gelangen. Erst in diesem Verfahren prüfen die deutschen Finanzbehörden die Abkommensberechtigung des ausländischen Gläubigers. Lehnen sie wie im Streitfall die Erstattung ab, bleibt es bei der schon einbehaltenen und abgeführten Steuer von 25 v. H. der ausgeschütteten Dividende. In der Ablehnung des Erstattungsantrags liegt damit zugleich eine Steuerfestsetzung insoweit, als die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Festsetzung für Rechnung des ausländischen Gläubigers durch Verwaltungsentscheidung bestätigt wird. Diese Auslegung ist durch den möglichen Wortsinn der im Streitfall anzuwendenden Verzinsungsvorschriften des § 111 FGO a. F. gedeckt.

Nimmt der ausländische Gläubiger diese Verwaltungsentscheidung nicht hin und erreicht er durch eine Klage vor dem FG, daß die Behörde durch Urteil zur Erstattung von 10 v. H. der ausgeschütteten Dividende verpflichtet wird und kommt die Verwaltungsbehörde dann erst ihrer Verpflichtung nach, liegt darin folgerichtig eine Herabsetzung der ursprünglich festgesetzten Steuer aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Sinne der Verzinsungsvorschriften. Der Senat schließt sich damit der überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung an, nach der auch die Ablehnung eines Antrags auf Erstattung von Kapitalertragsteuer dem Festsetzungsverfahren angehört (vgl. Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 155 AO Anm. 2; Koch, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 236 Tz. 5; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 236 AO 1977 Nr. 7).

Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des Gesetzes. Die Verzinsung nach § 111 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung a. F. ist darin begründet, daß der Abgabepflichtige, der eine überhöht festgesetzte Steuer gezahlt hat, ab Rechtshängigkeit für die entgangene Nutzung des zuviel entrichteten Betrags entschädigt werden soll. Im Streitfall ist die gleiche Sachlage gegeben. Der inländische Schuldner der Kapitalerträge hatte für Rechnung des ausländischen Gläubigers eine Steuer einzubehalten und abzuführen, deren Herabsetzung der Gläubiger erst aufgrund eines gerichtlichen Verfahrens erstreiten konnte.

Die Revision ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.