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BFH-Urteil vom 3.3.1982 (II R 153/80) BStBl. 1982 II S. 418

1. Eine Eigentumswohnung, die von einer Heimatvertriebenen zum Zwecke der Vermietung als Büro an ihren als Steuerberater tätigen Ehemann erworben wird, dient dann nicht der Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage oder zur Festigung einer bereits geschaffenen, aber noch nicht ausreichend gesicherten Existenz, wenn die Existenz ihres Ehemannes und damit auch ihre eigene Existenz durch dessen berufliche Tätigkeit und ihre eigene Tätigkeit in der Haushaltsführung bereits vor dem Erwerb gesichert war.

2. Offen bleibt, ob § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW überhaupt auf Personen anwendbar ist, die bereits als Kinder ohne eigene Existenzgrundlage infolge Vertreibung oder Flucht in das Bundesgebiet gelangt sind.

GrEStVertrG NW §§ 1, 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde 1939 in Ostpreußen geboren. Seit 1945 hat sie ihren ständigen Aufenthalt im Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland. Nach ihrer Schulausbildung und einer kaufmännischen Lehre war sie von 1959 bis 1961 als Verkäuferin tätig. Seit 1961 ist sie mit einem Steuerberater verheiratet.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom April 1976 kaufte die Klägerin eine in A belegene Eigentumswohnung, die sie an ihren Ehemann für dessen Steuerberaterpraxis vermietete. Die Klägerin ist Inhaberin des Ausweises A für Heimatvertriebene (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -). Im Zeitpunkt des Erwerbes der Eigentumswohnung war ein Vermerk über die Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen (vgl. § 13 BVFG) in den Ausweis nicht eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte Grunderwerbsteuer fest. Er lehnte es ab, der Klägerin auf Grund des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge, Verfolgte und politische Häftlinge vom 21. Mai 1970 - GrEStVertrG NW - (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GV NW - 399) einen Freibetrag zu gewähren.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage auf Herabsetzung der Grunderwerbsteuer. Sie machte geltend, daß der Erwerb der Sicherung ihrer Existenzgrundlage gedient habe (§ 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW). Hilfsweise stellte sie den Antrag auf Steuervergünstigung nach § 2 Nr. 2 GrEStVertrG NW. Die Wohnung könne später noch für eigene Wohnzwecke genutzt werden.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 612). Es hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Mit ihrer Revision hat die Klägerin ihren Klagantrag weiter verfolgt. Sie rügt fehlerhafte Anwendung des GrEStVertrG NW. Die Heranziehung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihres Ehemannes verstoße gegen Art. 3 und 6 des Grundgesetzes (GG).

Entscheidungsgründe

Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen ist dem Revisionsverfahren beigetreten.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Entgegen ihrer Auffassung war das Grunderwerbsteuerrecht des Landes Nordrhein-Westfalen im Erwerbszeitpunkt (1976) nicht insgesamt verfassungswidrig. Im übrigen erfüllt der Grundstückserwerb der Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW.

1. a) Daß das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) in der in Nordrhein-Westfalen geltenden Fassung nicht insgesamt verfassungswidrig ist, hat der Senat für das Jahr 1974 in seinem Urteil vom 19. März 1980 II R 23/77 (BFHE 130, 422, BStBl II 1980, 598) ausgesprochen. Der vorliegende Fall, bei dem es um einen Grundstückserwerb im Jahre 1976 geht, gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung (vgl. in diesem Zusammenhang auch den in einer Vollziehungsaussetzungssache ergangenen Beschluß des Senats vom 4. April 1979 II B 48/78, BFHE 127, 235, BStBl II 1979, 344, der einen Erwerbsvorgang des Jahres 1977 betraf). Wenn es auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich ist, eine Steuer durch ein Übermaß an Steuerbefreiungen im Laufe der Zeit so weit auszuhöhlen, daß die Verwirklichung des Grundtatbestandes nur noch in Ausnahmefällen zur Steuerpflicht führt, so war die verfassungsrechtliche Grenze 1976 noch nicht erreicht. Das Aufkommen an Grunderwerbsteuer war nicht so gering, daß es nicht mehr zur Deckung des Finanzbedarfs der Länder geeignet war. Im Jahre 1976 erbrachte die Grunderwerbsteuer im gesamten Bundesgebiet ein Aufkommen von 1.778 Mio DM.

b) Kommt danach eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Hinblick auf die behauptete Verfassungswidrigkeit des Grunderwerbsteuerrechts des Landes Nordrhein-Westfalen insgesamt nicht in Betracht, so bleibt noch die Frage zu prüfen, ob eine Vorlage wegen etwaiger Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW i. V. m. § 13 BVFG erforderlich sein könnte. Zweifel hat der Senat an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung deshalb, weil ein eingegliederter Vertriebener erst dann nicht mehr zu dem durch das GrEStVertrG NW begünstigten Personenkreis gehört, wenn die zuständige zentrale Dienststelle des Landes oder die von ihr bestimmte Behörde über die Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen entschieden hat (§ 13 Abs. 3 BVFG), wobei diese Entscheidung steuerrechtlich nicht zurückwirkt (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BVFG).

Nach Sachlage muß damit gerechnet werden, daß Entscheidungen über die Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen auch dann nicht ergehen, wenn der einzelne Vertriebene seit langem i. S. des § 13 Abs. 1 Satz 1 BVFG eingegliedert ist. Die Klägerin lebt seit mehr als 35 Jahren im Bundesgebiet, ohne daß eine Entscheidung über die Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen getroffen worden ist. Dadurch ist der tatsächliche Anwendungsbereich des GrEStVertrG NW erheblich weiter, als es dem aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStVertrG NW i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erschließenden Gesetzeszweck entspricht. Es fragt sich, ob dadurch eingegliederte und nicht eingegliederte Vertriebene zu Unrecht gleichbehandelt, eingegliederte Vertriebene und nicht vertriebene Personen zu Unrecht ungleich behandelt werden.

Der Senat braucht diese Fragen, die sich noch dadurch verschärft haben, daß die absolute Befristung der Steuervergünstigung durch § 1 Abs. 3 GrEStVertrG NW im Jahre 1975 weggefallen ist, nicht abschließend zu prüfen, da die Verfassungsfrage im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist.

Bei Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW i. V. m. § 13 BVFG erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 für die Anwendung des GrEStVertrG NW. Ihre Revision scheitert in diesem Fall aber an der Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW, wie unter 2, ausgeführt ist. Sollte § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStVertrG NW i. V. m. § 13 BVFG verfassungswidrig sein, so wäre äußerstenfalls eine gesetzliche Neuregelung denkbar, wonach die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 GrEStVertrG NW erfüllen würde. Dies würde jedoch nichts daran ändern, daß sie auch dann nicht in den Genuß der Steuervergünstigung kommen könnte, weil sie die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW nicht erfüllt. Ihre Revision könnte deshalb weder bei Verfassungsmäßigkeit noch bei Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW i. V. m. § 13 BVFG Erfolg haben. Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach einer etwaigen Entscheidung, daß die genannte Vorschrift verfassungswidrig wäre (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 80 Tz. 138, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG), käme unter diesen Umständen nicht in Betracht (vgl. in diesem Zusammenhang auch Binz, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1977, 130, 132 re. Sp.).

2. Die Revision der Klägerin ist auch bei Verfassungsmäßigkeit des GrEStVertrG NW unbegründet.

Die Gewährung einer Steuervergünstigung u. a. für Vertriebene setzt nach § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW voraus, daß ein Grundstück zur Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage oder zur Festigung einer bereits geschaffenen, aber noch nicht ausreichend gesicherten Existenz erworben wird.

Der Senat hat Zweifel, ob diese Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck auch auf Personen anwendbar ist, die vor der Vertreibung noch über keine eigene Existenzgrundlage verfügt haben, weil sie z. B. als Kinder ohne Vermögen und Einkommen in ihrer Existenz von ihren Eltern abhängig waren. Diese Personen erlangen erstmals eine eigene Existenzgrundlage im Bundesgebiet. Insoweit unterscheiden sie sich vielfach nicht von ihren nichtvertriebenen Altersgenossen, die nur dann eine bessere Startposition haben, wenn ihre Eltern in der Lage sind, sie bei der Erlangung der eigenen Existenzgrundlage entsprechend zu unterstützen. Eine solche günstigere Startposition hängt aber nicht davon ab, ob die Eltern Vertriebene sind, sondern allein von den finanziellen Verhältnissen der Eltern. Dies alles spricht deshalb dafür, § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW nur auf diejenigen Vertriebenen anzuwenden, die eine eigene Existenzgrundlage durch die Vertreibung verloren haben.

Für eine derartige Auslegung spricht auch, daß es andernfalls äußerst schwierig wäre, im Einzelfall zu bestimmen, wann ein vertriebenes Kind eine gesicherte Existenzgrundlage erlangt hat: bereits mit Beendigung der Ausbildung oder erst eine bestimmte Zeit nach Beendigung der Ausbildung. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß der Gesetzgeber den Verlust der früheren Existenzgrundlage nicht ausdrücklich zum Tatbestand des § 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW gemacht hat, wie dies z. B. bei § 10a des Einkommensteuergesetzes der Fall ist.

Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Erwerbs der Eigentumswohnung bereits über eine eigene gesicherte Existenzgrundlage verfügte. Sie hatte 1961 geheiratet und ist seitdem als Hausfrau tätig. Durch ihre Haushaltsführung (vgl. § 1356 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), die der Senat als berufliche Tätigkeit anerkannt hat (vgl. das Urteil vom 26. März 1980 II R 152/78, BFHE 130, 557, BStBl II 1980, 594), leistet sie ihren Beitrag zum Familienunterhalt (vgl. § 1360 BGB) und sichert dadurch auch ihre eigene Existenz. Ihr Ehemann leistet seinen Beitrag zum Familienunterhalt durch seine auf Gelderwerb gerichtete Tätigkeit als Steuerberater. Durch die Tätigkeit beider Ehegatten ist damit die Existenz beider Ehegatten gesichert, da das Einkommen, das der Ehemann als Steuerberater erzielt (durchschnittlich 80.000 DM im Jahr), nicht nur seine Existenz, sondern auch die Existenz der Klägerin sichert.

Eine ausreichende Sicherung der Existenzgrundlage der Klägerin ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Ehemann der Klägerin seine berufliche Tätigkeit im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs in gemieteten Räumen ausübte.

Es ist davon auszugehen, daß freiberuflich tätige Personen ihre berufliche Tätigkeit in erheblichem Umfang in gemieteten Räumen ausüben, ohne daß dadurch ihre Existenzgrundlage beeinträchtigt wird.

Aus dem Urteil des Senats vom 17. Oktober 1979 II R 135/75 (BFHE 129, 80, BStBl II 1980, 27) lassen sich keine anderen Schlußfolgerungen für freiberuflich tätige Personen ziehen. Der Senat hat in diesem Urteil die besonderen Verhältnisse eines Produktionsbetriebs in gemieteten Räumen berücksichtigt, der bei einer Kündigung nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten in andere Räume verlegt werden kann. Dieser Fall kann deshalb nicht verallgemeinert werden.

Es ist auch unerheblich, daß die Existenz einer freiberuflich tätigen Person besonderen Risiken ausgesetzt ist. Denn hier handelt es sich um das allgemeine Lebensrisiko, dem alle Angehörigen dieses Berufes ausgesetzt sind.

3. Der Senat sieht in seiner Entscheidung keinen Verstoß gegen Art. 3, 6 GG. Die Klägerin wird weder als Frau noch als Ehefrau benachteiligt. Da sie nach ihrer Heirat ihren Beitrag zum Familienunterhalt durch die Haushaltsführung leistet, zu der auch die Erziehung der Kinder gehört, bedeutet es keine Benachteiligung der Familie, wenn für die Frage der Existenzsicherung auf die finanziellen Verhältnisse beider Ehegatten abgestellt wird. Mag es auch zu begrüßen sein, wenn die haushaltsführende Ehefrau eigenes Vermögen erwirbt, so fordert Art. 6 GG gleichwohl keine steuerrechtliche Norm, die ihr für den Erwerb dieses Vermögens Grunderwerbsteuerfreiheit gewährt. Angesichts des Umstandes, daß der verdienende Ehegatte nicht nur den gegenwärtigen Unterhalt der Familie zu sichern, sondern auch die Kosten der Alterssicherung beider Eheleute zu tragen hat, kann nicht angenommen werden, daß eine Ehefrau, die die Haushaltsführung übernommen hat, in ihrer Existenz ungesichert ist.