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BFH-Urteil vom 27.1.1982 (II R 119/80) BStBl. 1982 II S. 425

1. Wird ein bereits erfüllter grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher gegenseitiger Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten, so erfüllt das allein noch nicht die Voraussetzungen des § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Das Ereignis i. S. dieser Vorschrift - der Wegfall des angefochtenen Vertrages - ist regelmäßig erst dann mit steuerlicher Wirkung eingetreten, wenn die Beteiligten des angefochtenen Vertrages die gegenseitigen Leistungen einander zurückgewährt haben. Das gilt auch dann, wenn tatsächliche oder rechtliche Gründe diese Rückgewähr hindern.

2. § 34 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG RP ist nicht anwendbar, wenn tatsächliche oder rechtliche Gründe den Rückerwerb des Grundstückes hindern.

3. Die Ansprüche aus § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und § 34 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG RP können neben der Anfechtung des zugrunde liegenden Steuerbescheides in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden (Anschluß an das Urteil vom 26. Februar 1975 II R 173/71, BFHE 116, 50, BStBl II 1975, 675).

AO 1977 § 41 Abs. 1, § 175 Satz 1 Nr. 2; GrEStG RP § 34 Abs. 2 Nr. 2 (= GrEStG 1940 § 17 Abs. 2 Nr. 2).

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darum, ob ein Grunderwerbsteuerbescheid gemäß § 175 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben oder ob die Steuer nach § 34 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 1. Juni 1970 - GrEStG RP - (= § 17 GrEStG 1940) nicht zu erheben ist.

Entscheidungsgründe

1. Der Senat folgt dem FG darin, daß der Kläger sein Begehren mit einer gesonderten Klage (neben der beim FG anhängigen Anfechtungsklage) verfolgen kann.

In dem vorgenannten Anfechtungsverfahren ist streitig, ob der angefochtene Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung und im Zeitpunkt des Erlasses dieser Einspruchsentscheidung rechtmäßig war. Unberührt davon bleibt die Frage, ob der Steuerbescheid zu einem späteren Zeitpunkt gemäß § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 wieder aufgehoben werden muß; denn bis zu dieser Aufhebung bleibt er wirksam (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Das gilt erst recht für den Fall, daß die Steuer gemäß § 34 Abs. 2 GrEStG RP (= § 17 Abs. 2 GrEStG 1940) lediglich "nicht erhoben oder erstattet" wird. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats unter bestimmten Voraussetzungen die Frage, ob die Steuer i. S. des § 17 GrEStG 1940 (= § 34 GrEStG RP) nicht erhoben werden darf oder erstattet werden muß, schon im Veranlagungsverfahren und damit auch im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid geprüft werden (Urteil vom 26. Februar 1975 II R 173/71, BFHE 116, 50, BStBl II 1975, 675). Das ändert jedoch nichts daran, daß voneinander unabhängige Fragen - hier die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides einerseits und die Anwendung des § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 oder § 34 Abs. 2 GrEStG RP andererseits - auch in getrennten Verfahren entschieden werden können.

2. Die Aufhebung des Steuerbescheides gemäß § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 kann der Kläger nicht mit Erfolg verlangen.

a) Die Anfechtungserklärung ist i. S. des § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 kein Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat.

Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß mit der genannten Erklärung der Vertrag wirksam gemäß § 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angefochten sei. Als Folge davon sei der Vertrag auch steuerrechtlich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen (§ 142 Abs. 1 BGB).

Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an. Entgegen der Ansicht des FG genügt es nicht, daß der Vertrag nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten wurde und deshalb gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen war. Vielmehr verlangt die Anwendung des § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ("... steuerliche Wirkung für die Vergangenheit ..."), daß der Vertrag rückgängig gemacht wurde. Nach § 41 Abs. 1 AO 1977 ist die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes für die Besteuerung aber unerheblich, solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäftes gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Unstreitig haben aber die Beteiligten des Vertrages diesen nicht rückgängig gemacht und damit dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen.

b) Der Kläger wendet ein, durch die Anfechtungserklärung drücke der Anfechtende unmißverständlich aus, er wolle das wirtschaftliche Ergebnis des Vertrages i. S. des § 41 Abs. 1 AO 1977 nicht "bestehen lassen". Man könne ihm (dem Kläger) nicht anlasten, daß die zwangsweise Rückabwicklung des Vertrages nicht möglich sei; Vollstreckungsversuche gegen den Vertragspartner seien bereits in anderer Sache vergeblich gewesen, so daß auch im vorliegenden Fall die Rückzahlung des Kaufpreises nicht zu erreichen wäre.

Dieser Einwand des Klägers hat keinen Erfolg.

§ 41 Abs. 1 AO 1977 ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und bestätigt den im Steuerrecht selbstverständlichen Grundsatz, daß die tatsächlichen Gegebenheiten maßgebend sind (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 41 AO 1977 Rdnr. 1). Dementsprechend kommt es nicht lediglich darauf an, ob ein Partner eines Vertrages diesen anficht und damit dessen wirtschaftliches Ergebnis nicht mehr bestehen lassen will. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob er diesen Willen durchsetzen kann, d. h. ob der angefochtene Vertrag tatsächlich (freiwillig oder zwangsweise) rückgängig gemacht wird. Geschieht dies nicht, so ist dementsprechend unerheblich, welche Gründe die Rückabwicklung des Vertrages hindern. Diesem Sinn des Gesetzes wird auch der Wortlaut des § 41 Abs. 1 AO 1977 gerecht. Der Begriff "eintreten und bestehen lassen" drückt einen bloßen Zustand bzw. ein tatsächliches - freiwilliges oder erzwungenes - Handeln oder Unterlassen der am Vertrag beteiligten Personen aus und nimmt auf die etwa abweichende, nicht verwirklichte Willensrichtung eines Vertragspartners keine Rücksicht.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, daß die Steuer für den Vertrag gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG RP nicht erhoben oder erstattet wird.

Die Vorschrift setzt voraus, daß der Veräußerer das Eigentum an dem Grundstück zurückerwirbt. Unstreitig ist das hier jedoch nicht geschehen. Das Grundstück wurde nicht zurückübertragen. Ob diese Rückübertragung nur deshalb unterblieb, weil sie an rechtlichen oder tatsächlichen Hindernissen scheiterte, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes unerheblich. Ebenso eindeutig ist der vom Wortlaut gedeckte Sinn der Vorschrift. Die Steuer soll ausnahmsweise nicht erhoben bzw. erstattet werden, wenn ein Grundstücksumsatz rückgängig gemacht wird. Maßgebend ist nur das Ergebnis, nämlich ob der Veräußerer die volle Verfügungsfreiheit über das Grundstück zurückerwirbt. Fehlt diese Voraussetzung, so nutzt selbst eine formelle Rückübertragung des Grundstückes auf den Verkäufer nichts (vgl. das BFH-Urteil vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253). Erst recht gilt das für den Fall, daß diese Rückübertragung ganz unterbleibt. Weshalb sie unterbleibt, ist ohne Bedeutung, ebenso wie umgekehrt der Tatbestand des § 2 GrEStG RP (= § 1 GrEStG 1940) nicht darauf abstellt, welche Umstände den Erwerb veranlaßt haben.