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BFH-Urteil vom 19.5.1982 (II R 166/80) BStBl. 1982 II S. 667

1. Zum Begriff der öffentlichen Waldanlage.

2. Die Grunderwerbsteuerbefreiung von Grundstückserwerben zur Errichtung öffentlicher Waldanlagen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GrEStG NW = § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG 1940) und die Befreiung von Erwerben für Zwecke des Naturschutzes (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG NW) schließen sich nicht gegenseitig aus.

GrEStG Nordrhein-Westfalen § 4 Abs. 1 Nr. 3a, 4.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Im Jahr 1967 kaufte der Landkreis A, der Rechtsvorgänger des jetzigen Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger), von einem Landwirt insgesamt 91 ha land- und forstwirtschaftliche Grundstücke. Für die forstwirtschaftlichen Flächen des Grundbesitzes - ca. 75 ha - beantragte der Landkreis Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1940, weil der Grunderwerb der Errichtung von Waldanlagen diene. Auf den Einspruch gegen einen zunächst ergangenen Steuerbescheid stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Erwerb der Waldflächen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG 1940 vorläufig von der Grunderwerbsteuer frei. Diese Flächen gehörten in ihrer Gesamtheit zum "Naturpark A-Wald". Die Ausgestaltung dieses Naturparks war seit 1961 Aufgabe eines Zweckverbandes, dem zunächst der Landkreis A und ab 1965 sein Rechtsnachfolger, der Kläger, angehörten. Dieser sollte das Landschaftsschutzgebiet "A-Wald" satzungsgemäß zu einem Naturpark als Erholungsgebiet für die Bevölkerung ausgestalten.

Mit vorläufigem Steuerbescheid versteuerte das FA den Erwerb der forstwirtschaftlich genutzten Flächen nach und setzte Grunderwerbsteuer fest. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG 1940 ist der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von öffentlichen Erholungs-, Wald- und sonstigen Grünanlagen von der Besteuerung ausgenommen. Der Senat geht mit der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zu dem im wesentlichen inhaltsgleichen § 8 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1919 davon aus, daß zwischen dem Begriff der Waldanlagen und den Wäldern allgemein unterschieden werden muß. Eine Waldanlage muß nach Größe und Lage erkennen lassen, daß für deren Schaffung die gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung im Vordergrund stehen, die wirtschaftliche Nutzung aber hintenansteht (RFH-Urteil vom 2. Februar 1927 II A 5/27, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Abs. 1 Ziff. 10 Satz 1, Rechtsspruch 18, RFH-Bescheid vom 28. Februar 1922 II A 41/22, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Abs. 1 Ziff. 10 Satz 1, Rechtsspruch 3 und § 8 Abs. 1 Ziff. 9, Rechtsspruch 6). Dabei steht die forstwirtschaftliche Nutzung für sich allein der Begünstigung noch nicht entgegen (vgl. RFH-Urteil vom 20. September 1927 II A 284/27, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Abs. 1 Ziff. 10 Satz 1, Rechtsspruch 20).

Der hierdurch umschriebene Begriff der Waldanlage als Landschaftsbestandteil unterliegt zwar ebenso einem Wandel wie die Nutzung der Landschaft. Natur und Landschaft wurden und werden durch die immer noch zunehmende Technisierung und Industrialisierung, die veränderten Methoden der Bodenbewirtschaftung und die wachsende Mobilität der Bevölkerung immer stärker beansprucht. Dazu kommt das ebenfalls stark steigende Bedürfnis der Bevölkerung nach landschaftsgebundener Erholung. Gerade die Erschließung großer Waldgebiete durch die Anlage von Naturparks ist geeignet, der landschaftsgebundenen Erholung und damit den gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Gleichwohl muß auch ein Naturpark noch die weiteren Voraussetzungen erfüllen, die für eine Anerkennung als Waldanlage unerläßlich sind. Das setzt zunächst voraus, daß ein solcher Naturpark nicht nur öffentlich zugänglich sein muß, also von jedermann ohne besondere Zulassung benutzt werden darf (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Juli 1975 II R 187/66, BFHE 116, 286, BStBl II 1975, 745) und daß die Öffentlichkeit für eine gewisse Dauer gewährleistet ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. November 1966 II 168/63, BFHE 87, 259, BStBl III 1967, 91). Darüber hinaus muß eine Waldanlage im Unterschied zum Wald im allgemeinen erkennen lassen, daß sie einem Doppelzweck als Daueraufgabe, nämlich als Forst- und Erholungsanlage dient. Dieser Doppelzweck offenbart sich insbesondere durch Maßnahmen, die allein oder überwiegend der erholungssuchenden Bevölkerung zugute kommen, wie die Anlage befestigter Wege und deren Markierung, die Aufstellung von Ruhebänken und eine forstliche Bewirtschaftung, die die Erholungsfunktion des Waldes berücksichtigt.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG kann mit diesem davon ausgegangen werden, daß der Kläger bis zum Ablauf der Nachversteuerungsfrist eine öffentliche Waldanlage geschaffen hat. Unbestritten ist das erworbene Waldgelände jedermann ohne besondere Zulassung (= öffentlich) zugänglich und diese Öffentlichkeit durch die öffentlich-rechtliche Bindung des Klägers im Rahmen des Zweckverbandes A-Wald auch langfristig gewährleistet. Auch hat der Kläger Maßnahmen ergriffen, die den Doppelzweck der Waldanlage augenfällig machen. Er hat einen Parkplatz und Rundwege angelegt sowie mit der Aufstellung von Ruhebänken ebenso wie bei Anpflanzungen und Abholzungen auf den Erholungszweck Rücksicht genommen.

Demgegenüber greifen die Revisionsrügen des FA nicht durch.

Der Einwand des FA, der Erwerb des Waldes sei von Anfang an nur deswegen erfolgt, weil sonst die einer Bebauung zuzuführenden landwirtschaftlichen Flächen nicht hätten erworben werden können, womit die Errichtung der Waldanlage nur Nebenzweck gewesen sei, muß unberücksichtigt bleiben. Mit dem auf den Einspruch des Klägers erlassenen Freistellungsbescheid hat das FA zu erkennen gegeben, daß es die Voraussetzungen für eine Grunderwerbsteuerbefreiung im Erwerbszeitpunkt für gegeben erachtet hat. Eine spätere Erhebung der Steuer mit der Begründung, der ursprüngliche Erwerbsvorgang sei nicht befreit gewesen, ist jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) möglich (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., Anhang Ziff. 1198, 1201).

Das Nebeneinander der Befreiungen des Erwerbs zur Errichtung öffentlicher Waldanlagen und des Erwerbs für Zwecke des Naturschutzes zeigt nur, daß der Gesetzgeber zwischen den beiden Befreiungsmöglichkeiten unterschieden hat, nicht aber, daß diese sich gegenseitig ausschließen. Diese Auffassung entspricht auch der Regierungsbegründung zum GrESt-Änderungsgesetz vom 21. Mai 1970 (Landtag Nordrhein-Westfalen, Sechste Wahlperiode, Drucks. 1145, S. 33). Sie geht davon aus, daß das öffentliche Interesse am Erwerb von Grundstücken in Naturschutzgebieten deshalb besteht, weil auf diese Weise die Erhaltung des natürlichen Zustands der Grundstücke am ehesten gefördert werden kann. Der Gesetzgeber hat hier den Erwerb von zu schützenden Grundstücken von der Steuer befreit, auch ohne daß diese Grundstücke durch Erschließung und Widmung der Öffentlichkeit für Erholungszwecke zugänglich gemacht werden müssen. Dem steht aber eine Kombination von Naturschutzzwecken und Erschließung für Erholungszwecke, wie sie gerade durch Naturparks verwirklicht wird, nicht entgegen.