| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 4.6.1982 (VI R 29/79) BStBl. 1982 II S. 733

Ein Kind wird auch dann nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Elternteil zugeordnet, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung gemeldet war, wenn dieser das Kind kurz vor Jahresbeginn an- und kurze Zeit später wieder abgemeldet hat. Für die Anwendung des § 42 AO 1977 ist in einem solchen Fall kein Raum.

EStG 1977 § 32 Abs. 4 Satz 2; AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist geschieden. Der Sohn und die Tochter aus der geschiedenen Ehe lebten in A im Haushalt der Mutter, die auch das Sorgerecht hat. Der Kläger wohnte in B. Am 6. Dezember 1977 meldete die geschiedene Ehefrau des Klägers ihren elfjährigen Sohn in A nach B ab; der Kläger meldete das Kind am gleichen Tage in B mit Hauptwohnsitz an. Infolge der Abmeldung des Kindes in A wurde die Lohnsteuerkarte der früheren Ehefrau des Klägers von II/2/Gs (für geschieden) in II/1/Gs geändert. Am 15. Januar 1978 meldete der Kläger seinen Sohn in B wieder ab.

Am 16. Dezember 1977 hatte der Kläger beantragt, den Sohn auf seiner Lohnsteuerkarte 1978 einzutragen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen mit folgender Begründung statt: Der Sohn sei unstreitig vom 6. Dezember 1977 bis zum 15. Januar 1978 mit seinem Hauptwohnsitz in B gemeldet gewesen. Damit habe der Kläger zwar die Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts mißbraucht. Der Gesetzgeber habe die Steuerermäßigungen, die an die Eintragungen von Kindern geknüpft seien, nicht der melderechtlich möglichen freien Gestaltung der Eltern übertragen wollen; vielmehr solle die steuerrechtliche Ermäßigung dem Elternteil zukommen, bei dem sich das Kind vorwiegend aufhalte. Das sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Das FA könne die mißbräuchliche Rechtsgestaltung dem Klagebegehren ausnahmsweise jedoch nicht entgegenhalten, weil es damit den Kläger von jeder Steuerentlastung wegen seiner Kinder ausschließe, was verfassungswidrig sei (Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8. Juni 1977 1 BvR 265/75, BStBl II 1977, 526).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG). Es meint, nachdem § 32 EStG durch das Steueränderungsgesetz 1979 (BGBl I 1978, 1849, BStBl I 1978, 479) keine Änderung erfahren habe, könne das FA nicht mehr verpflichtet werden, dem Kläger auf der Lohnsteuerkarte 1978 die Steuerklasse II/1/Gs zu bescheinigen, zumal auch das FG die Rechtsgestaltung des Klägers als mißbräuchlich angesehen habe. Der Gesetzgeber habe zwar aus Vereinfachungsgründen an den jeweiligen melderechtlichen Tatbestand angeknüpft. Es sei dabei aber nicht in Kauf genommen worden, daß melderechtliche Möglichkeiten nur aus steuerrechtlichen Überlegungen ausgenutzt würden.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten; er vertritt im wesentlichen folgende Auffassung:

Bei der Schaffung der Regelung über die steuerrechtliche Zuordnung von Kindern sei aus Gründen der Praktikabilität allein darauf abgehoben worden, bei welchem Elternteil das Kind mit Hauptwohnung gemeldet sei. Dies dürfe aber nicht dazu führen, ein Kind einem Elternteil auch in Fällen sachlich unzutreffender Anmeldungen zuzuordnen. Gerade dies sei aber im Streitfall anzunehmen. Denn die vorwiegend benutzte Wohnung und damit die Hauptwohnung des Kindes sei eindeutig die der Mutter gewesen.

Eine das Prüfungsrecht der Finanzbehörden ausschließende Bindungswirkung bestehe insoweit nicht. Weder die An- oder Abmeldung selbst noch die Entgegennahme einer Meldung durch die Behörde sei ein Verwaltungsakt. Es handle sich vielmehr um ein tatsächliches Verwaltungshandeln. Wollte man dennoch von einer Bindungswirkung ausgehen, hätte der eine Nachprüfung voraussetzende § 39 Abs. 3 Satz 4 EStG keinen Sinn.

Selbst wenn man dem nicht folge, müßte § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) Anwendung finden, der auch Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Rechts erfasse. Der Kläger habe mißbräuchlich i.S. dieser Vorschrift gehandelt, da für die von ihm gewählte rechtliche Gestaltung vernünftige außersteuerliche Gesichtspunkte nicht zu erkennen seien.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß der elfjährige Sohn des Klägers auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für 1978 einzutragen ist. Das ergibt sich aus § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift ist ein Kind eines unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaares, das geschieden ist und bei dem deshalb die Voraussetzungen zur Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, dem Elternteil zuzuordnen, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung gemeldet war.

Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfüllt; denn der Sohn des Klägers war am 1. Januar 1978 in der Wohnung des Klägers mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Dieser Tatbestand ist auch dann für die vorbezeichnete Zuordnung zu beachten, wenn die Anmeldung - wie hier - sachlich unrichtig ist; denn die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG kann nicht dahin ausgelegt werden, daß es auf die sachliche Richtigkeit der Anmeldung mit Hauptwohnung im Einzelfall ankäme und die Finanzbehörden dies zu überprüfen hätten. Die vom BMF vertretene gegenteilige Ansicht widerspricht dem Gesetzeswortlaut, der nur auf die Anmeldung abhebt. Sie würde aber auch zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen.

1. a) Nach den im Streitjahr und derzeit größtenteils noch geltenden Meldevorschriften der Länder würde eine derartige Nachprüfung jedenfalls in Fällen der Bestimmung von Haupt- und Nebenwohnung schon deshalb ins Leere gehen, weil die einzelnen Ländergesetze - so auch § 1 Abs. 2 des Meldegesetzes für Rheinland-Pfalz (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz - GVBl RP - 1958, 129) - insoweit ein Wahlrecht des Einwohners vorsehen (vgl. auch die Materialien zum Melderechtsrahmengesetz - MRRG - vom 16. August 1980, BGBl I 1980, 1429, BTDrucks 8/3825 S. 20). Der zu beurteilende melderechtliche Vorgang würde sich auf die Abgabe einer die Hauptwohnung bestimmenden Erklärung beschränken. Sinnvolle Ermittlungen der Finanzbehörden könnten sich dann lediglich auf die Richtigkeit von Meldungen beziehen, die den Wechsel der einzigen und damit notwendigerweise der Hauptwohnung eines Einwohners anzeigen. Eine Unterscheidung der vorerwähnten beiden Fallgruppen hinsichtlich der Bindungswirkung einer Anmeldung wäre jedoch mit dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unvereinbar.

b) Wegen des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bestehen Bedenken gegen eine differenzierende, vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung auch deshalb, weil eine Nachprüfung der tatsächlichen Haushaltszugehörigkeit des Kindes - jedenfalls wenn die gesetzliche Typisierung überhaupt einen Wert haben soll - auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben müßte, in denen das FA von einer sachlich unzutreffenden Anmeldung des Kindes erfährt. Ob das FA eine derartige Kenntnis erlangt, hängt jedoch allein vom Zufall ab und ist deshalb kein sachlicher Gesichtspunkt für eine unterschiedliche Handhabung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

c) Daß die tatsächliche Haushaltszugehörigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers nicht maßgebend sein soll, ergibt sich auch aus § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG. Sie soll nur unter den dort näher bestimmten Umständen den Ausschlag geben, nämlich wenn der Vater des Kindes von der Möglichkeit Gebrauch macht, durch eine Bescheinigung des Jugendamtes (jetzt: der zuständigen Behörde) die Zugehörigkeit des Kindes zu seinem Haushalt nachzuweisen.

d) Entgegen der vom BMF geäußerten Auffassung ist es für die Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG unerheblich, ob die An- und Abmeldung bzw. die Entgegennahme einer solchen durch die Meldebehörde als tatsächliches Verwaltungshandeln oder als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Denn das Gesetz stellt nicht auf die der Anmeldung zugrunde liegenden Vorgänge, sondern auf die Anmeldung des Kindes mit Hauptwohnung selbst ab. Diese ist nicht lediglich ein bei besonderer Sachverhaltsgestaltung durch die tatsächlichen Wohnverhältnisse zu entkräftendes Beweismittel für die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der betreffenden Person, sondern das in den vom Gesetz erwähnten Fällen allein entscheidende Tatbestandsmerkmal.

e) Der Senat hält daher an seiner Rechtsprechung fest, daß der Gesetzgeber, um einen einfachen Vollzug der Regelung zu gewährleisten, in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in typisierender Form allein auf den leicht nachweisbaren Umstand der Anmeldung des Kindes mit Hauptwohnung bei einem der beiden Elternteile abgestellt hat. Er hat dabei in Kauf genommen, daß im Einzelfall die Erklärung der Wohnung zur Hauptwohnung vor der Meldebehörde von Anfang an unzutreffend sein oder vor Beginn des Jahres sachlich unrichtig werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 14. August 1981 VI R 33/78, BFHE 134, 277, BStBl II 1982, 111).

2. a) Der vom Gesetzgeber betonte formale Charakter der Regelung über die steuerrechtliche Zuordnung von Kindern in § 32 Abs. 4 EStG läßt es auch nicht zu, von der grundsätzlichen Berücksichtigung sachlich unrichtiger Anmeldungen diejenigen Fälle auszunehmen, bei denen diese - wie hier - bewußt nur wegen der damit verbundenen Inanspruchnahme der sog. Kinderadditive bewirkt wurden. Für die Anwendung des § 42 AO 1977 ist vielmehr in einem solchen Fall kein Raum. Dies leitet der Senat aus der Entstehungsgeschichte des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ab, aus der er entnimmt, daß es dem Gesetzgeber schließlich nur noch darum ging, im Wege eines leicht handhabbaren Verfahrens eine Doppelberücksichtigung von Kindern auszuschließen.

Im Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes war zunächst beabsichtigt gewesen, mit einem über die Einkommensteuer abzuwickelnden Kinderlastenausgleich das Nebeneinander von Direktzahlung und Steuerermäßigung weitgehend durch ein einheitliches Ausgleichssystem mit vom Einkommen der Eltern unabhängigen Entlastungsbeträgen vom ersten Kind an zu ersetzen (vgl. die allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 7/1470 S. 212). Gleichzeitig wurde die Anregung (vgl. auch Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, S. 205 Tz. 619 f.) aufgegriffen, diese einheitliche Entlastung nur einem Elternteil zu gewähren. Damit sollte vermieden werden, wie es die bis zum Inkrafttreten des EStG 1975 bestehende Rechtslage zugelassen hatte, daß für die ehelichen Kinder geschiedener oder getrennt lebender Ehegatten der Kinderfreibetrag doppelt und für nichteheliche Kinder bei der Mutter der volle Freibetrag und beim Vater die Aufwendungen gemäß § 33a EStG berücksichtigt werden konnten. Zum Zwecke der Zuordnung wurde in § 99 des Regierungsentwurfs im Prinzip auf die Haushaltszugehörigkeit zurückgegriffen. Die vorgesehenen Regelungen lauteten:

"(3) Besteht das maßgebende Kindschaftsverhältnis zu mehreren Steuerpflichtigen, so wird das Kind dem Steuerpflichtigen zugeordnet, zu dessen Haushalt es gehört. Gehört das Kind nicht zum Haushalt eines dieser Steuerpflichtigen oder gehört es zum gemeinsamen Haushalt dieser Steuerpflichtigen, so wird es demjenigen von ihnen zugeordnet, den sie gemeinsam zum Berechtigten bestimmen.

(4) Besteht das maßgebende Kindschaftsverhältnis zu einem Elternpaar, so wird unterstellt, daß das Kind zum Haushalt der Mutter gehört, solange der Vater nicht nachweist, daß das Kind zu seinem Haushalt gehört. Der Nachweis ist durch eine Bescheinigung des Jugendamtes zu erbringen."

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens stellte es sich jedoch als zweckmäßig heraus, die Kinderentlastung hauptsächlich durch die Arbeitsämter in der Form der Kindergeldzahlung abzuwickeln (vgl. erster Bericht des Finanzausschusses - 7. Ausschuß -, BTDrucks 7/2180 S. 9 und 11). Mit Rücksicht auf diese Änderung ging es dem Gesetzgeber dann nur noch darum, im Bereich der verbleibenden kinderbezogenen Vergünstigungen eine mehrfache Berücksichtigung auszuschließen, ohne dadurch mit dem Gebot der Verwaltungsvereinfachung in Konflikt zu geraten. Denn gerade der letztgenannte Gesichtspunkt hatte die gesetzgebenden Organe zu einer Befürwortung der Kindergeldzahlung durch die Arbeitsämter bewogen. Aus diesem Grund wurde sogar ein eigenständiger steuerrechtlicher Kinderbegriff (vgl. Ausschußbericht, BTDrucks 7/2180 S. 9) in Kauf genommen, und die Gemeinden wurden in die Lage versetzt, die Eintragung in die Lohnsteuerkarte weiterhin ohne Abstimmung mit den Behörden der Arbeitsverwaltung anhand leicht nachprüfbarer melderechtlicher Tatbestände vorzunehmen.

Wie sehr Vereinfachungsgesichtspunkte bei der letztendlichen Regelung der steuerrechtlichen Kinderentlastung im Vordergrund standen, ergibt sich auch aus § 32 Abs. 6 EStG. Dort ist - im Gegensatz zu der bis dahin geltenden Rechtslage - aus Vereinfachungsgründen auf den Nachweis der Belastung durch Unterhaltsleistungen verzichtet worden (vgl. auch Ausschußbericht, Einzelbegründung, BTDrucks 7/2180 S. 19).

b) Es liegt auf der Hand, daß es dem Vereinfachungsgedanken widersprechen würde, wenn - über § 42 AO 1977 - mit einem entsprechenden Vorsatz des Steuerpflichtigen ein subjektives Kriterium, das naturgemäß oft nicht leicht feststellbar ist, zu beachten wäre. Eine Beschneidung des Vereinfachungseffekts durch § 42 AO 1977 würde deshalb nach Auffassung des Senats dem Bestreben des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Dieser geht vielmehr offensichtlich davon aus, daß der Steuerpflichtige ohne Rücksicht auf die tatsächliche Zugehörigkeit des Kindes zu seinem Haushalt den formalen Gehalt der gesetzlichen Regelung voll ausschöpfen darf, um in den Genuß der Kinderadditive zu kommen.

c) Gegen diese Auffassung des Senats spricht nicht, daß die freie Dispositionsmöglichkeit, wie sie in § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes vorgesehen ist, für das Steuerrecht nicht Gesetz geworden ist. Eine derartige Regelung war bereits von der Steuerreformkommission (vgl. Gutachten der Steuerreformkommission, a.a.O., S. 206 Tz. 625) für bestimmte Fälle positiv beurteilt worden (vgl. auch den obenstehenden § 99 Abs. 3 des Regierungsentwurfs des Dritten Steuerreformgesetzes). Daß der Gesetzgeber letztlich doch auf eine entsprechende Regelung verzichtet hat, dürfte nach Auffassung des Senats darauf beruhen, daß diese - unter Berücksichtigung der nur noch geringen steuerlichen Auswirkung der Kinderadditive - für das Massenverfahren der Einkommensbesteuerung als zu kompliziert empfunden wurde.