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BFH-Urteil vom 17.9.1982 (VI R 86/79) BStBl. 1983 II S. 9

Kinder eines unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaares, bei dem die Voraussetzungen zur Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, werden nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auch dann dem Elternteil zugeordnet, in dessen Wohnung sie erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung gemeldet waren, wenn dieser Elternteil kurz nach Beginn des Veranlagungszeitraums stirbt und der andere Elternteil von diesem Zeitpunkt an die Kinder in seinen Haushalt aufnimmt.

EStG 1975 § 32 Abs. 4 Satz 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat drei Kinder aus einer im Jahre 1972 geschiedenen Ehe. Die Kinder lebten zu Beginn des Jahres 1975 (Streitjahr) bei ihrer Mutter und waren dort auch gemeldet. Die Mutter starb Ende Januar 1975. Der Kläger nahm die Kinder kurz darauf zu sich und führte mit ihnen einen gemeinsamen Haushalt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte es bei der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1975 ab, die Kinder dem Kläger steuerrechtlich zuzuordnen. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG). Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Die Regelung des § 32 Abs. 4 EStG solle in erster Linie die mehrfache steuerliche Berücksichtigung von Kindern ausschließen. Außerdem werde mit dieser Vorschrift lediglich die erstmalige Zuordnung im Kalenderjahr festgelegt. Diese könne selbst dann geändert werden, wenn das Gesetz es nicht ausdrücklich vorsehe. Denn die damit zusammenhängenden Fragen müßten nicht in allen Einzelheiten vom Gesetzgeber geregelt werden. Ihre Bewältigung sei vielmehr Sache der Verwaltung. Dieser sei eine Handhabung zuzumuten, wie sie beispielsweise in § 33b Abs. 5 Satz 5 EStG 1979 vorgeschrieben sei. Auch in dieser Vorschrift würde - ebenso wie bei den Ausbildungsfreibeträgen (§ 33a Abs. 2 Satz 5 EStG 1979) - darauf zurückgegriffen, welcher Elternteil nachweislich die betreffenden Aufwendungen für das Kind getragen habe. Selbst wenn die Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG durch das Finanzgericht (FG) zutreffe, sei jedenfalls Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Denn er - der Kläger - sei sonst von der kinderbedingten Vergünstigung des Haushaltsfreibetrags völlig ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und in Änderung der angefochtenen Entscheidungen des FA bei der Festsetzung des Ausgleichsbetrages für 1975 ihm die Kinder zuzuordnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist ein Kind eines unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaares, das geschieden ist und bei dem deshalb die Voraussetzungen zur Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, dem Elternteil zuzuordnen, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung gemeldet war. Danach hat das FG die Kinder dem Kläger zu Recht nicht zugeordnet.

1. Es ist nicht entscheidend, daß der Kläger seine Kinder während der weitaus überwiegenden Teile des Streitjahres in seinen Haushalt aufgenommen und unterhalten hat.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 14. August 1981 VI R 33/78 (BFHE 134, 277, BStBl II 1982, 111) auch dann auf den melderechtlichen Tatbestand abgestellt, wenn das Kind schon seit Jahren in der Wohnung des anderen Elternteils gelebt hat. Dies hat er damit begründet, daß der Gesetzgeber nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift bewußt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung nicht auf die Haushaltszugehörigkeit, sondern auf den leicht nachweisbaren Umstand abgehoben habe, in welcher Wohnung der beiden Elternteile das Kind mit Hauptwohnung erstmals im Kalenderjahr gemeldet gewesen sei. Der Gesetzgeber hat die mit dieser stichtagsbezogenen Regelung verbundenen Härten (vgl. auch Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 5. Aufl., § 32 Rdnr. 28) offensichtlich in Kauf genommen. Solche Härten können beispielsweise dann entstehen, wenn die von der Anmeldung mit Hauptwohnung abhängende Zuordnung der Kinder nicht mit der tatsächlichen Haushaltszugehörigkeit und der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastung während des ganzen Kalenderjahres übereinstimmt. Um die beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung zu gewährleisten, müssen sogar solche Meldungen des Kindes mit Hauptwohnung bei einem Elternteil berücksichtigt werden, die sich als sachlich unrichtig erweisen. Mit der sich hieraus ergebenden formalen Zuordnung der Kinder aufgrund der polizeilichen Meldung (vgl. auch das Urteil des Senats vom 4. Juni 1982 VI R 29/79, BFHE 136, 230) wäre es unvermeidbar, in Fällen wie dem vorliegenden die Kinder bei einem im Laufe eines Kalenderjahres eintretenden Wechsel der Haushaltszugehörigkeit zunächst dem einen und dann dem anderen Elternteil oder nur demjenigen zuzuordnen, bei dem sich das Kind überwiegend aufgehalten hat. Aus der Berücksichtigung der zwischen den Eltern bestehenden tatsächlichen Lastenverteilung an anderer Stelle des Gesetzes - etwa in § 33b Abs. 5 Satz 5 oder § 33a Abs. 2 Satz 5 EStG 1979 - läßt sich nichts zur Begründung der vom Kläger vertretenen Auffassung ableiten. Denn dem Gesetzgeber erschien im Rahmen des § 32 Abs. 4 EStG der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung offensichtlich gewichtiger als in den erwähnten anderen Regelungen des EStG 1979.

2. Von diesem Ergebnis kann auch nicht mit Rücksicht darauf abgewichen werden, daß die Mutter der Kinder schon im Januar des Streitjahres verstorben ist.

Der Kläger und seine frühere Ehefrau, bei denen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorlagen, waren im Streitjahr unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und hatten aus ihrer geschiedenen Ehe drei Kinder. Zwar ist die Steuerpflicht der Ehefrau Ende Januar 1975 mit ihrem Tod erloschen. Maßgebend für das Wirksamwerden der Zuordnungsregelung des § 32 Abs. 4 EStG ist indessen der Zeitpunkt, an dem die im Gesetz aufgeführten Merkmale erstmals im Kalenderjahr vorliegen; Änderungen, die danach eintreten, sind unbeachtlich (vgl. auch Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Kinderermäßigung (Kinderfreibeträge), C II 1; Oeftering/Görbing, a.a.O.; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 32 S. 19). Deshalb ist es für die Zuordnung der Kinder auch ohne Belang, daß die unbeschränkte Steuerpflicht der Mutter der Kinder im Laufe des Jahres 1975 endete.

Eine andere Auslegung würde beiden Elternteilen die Inanspruchnahme der sog. Kinderadditive im Streitjahr ermöglichen. Den Eltern würde beispielsweise der Haushaltsfreibetrag nach § 32 Abs. 3 Nr. 2 EStG jeweils ohne Rücksicht auf die Dauer ihrer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht als Jahresbetrag zustehen. Eine solche doppelte Berücksichtigung soll aber durch die vorbezeichnete Zuordnung der Kinder bei einem Elternteil gerade vermieden werden. Hätte der Gesetzgeber Sachverhalte, bei denen die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht eines Elternteils nur für kurze Zeit im Kalenderjahr bestanden hatte, von der Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausnehmen wollen, so hätte er dies im Gesetz ausdrücklich erwähnt. Hiervon hat er nach Auffassung des Senats aber deshalb abgesehen, weil er eine Mehrfachgewährung der Kinderadditive möglichst vermeiden wollte und weil sich die kinderbezogenen Steuervergünstigungen im Einzelfall auch bei einem Steuerpflichtigen auswirken können, dessen unbeschränkte Einkommensteuerpflicht kurz nach Beginn des Veranlagungszeitraums entfällt.

3. Von den vorstehenden Grundsätzen kann im Streitfall selbst dann keine Ausnahme gelten, wenn sich die kinderbezogenen Vergünstigungen bei der verstorbenen Mutter der Kinder steuerlich nicht oder geringer als beim Vater (Kläger) ausgewirkt haben sollten. Denn nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genügt es, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die steuerrechtliche Zuordnung der Kinder bei einem Elternteil zu Beginn des Veranlagungszeitraums gegeben waren bzw. in seinem Verlauf erstmals eingetreten sind. Ist dies - wie hier - der Fall, so werden die Folgerungen aus den formalen Zuordnungsmerkmalen unabhängig davon gezogen, ob sie tatsächlich zu einer günstigeren Besteuerung führen. Dieses Ergebnis begegnet auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es dem System des Einkommensteuerrechts immanent ist, daß sich beispielsweise ein Freibetrag bei Fehlen eines steuerbaren Einkommens nicht auswirkt (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 1977 1 BvR 265/75, BStBl II 1977, 526, 533 linke Spalte oben).

Die in § 32 Abs. 4 EStG geregelte Maßgeblichkeit des - formalen - melderechtlichen Tatbestands für die Zuordnung der Kinder verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG. Denn der Gesetzgeber konnte im Rahmen der hier notwendigen Typisierung für den Regelfall davon ausgehen, daß der Elternteil, bei dem das Kind mit Hauptwohnung gemeldet ist, den Unterhalt des Kindes überwiegend trägt (vgl. Urteil in BFHE 134, 277, BStBl II 1982, 111) und deshalb auch z.B. durch den Ansatz eines sog. Haushaltsfreibetrages (§ 32 Abs. 3 Nr. 2 EStG) begünstigt werden soll.