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BFH-Urteil vom 29.9.1982 (II R 176/81) BStBl. 1983 II S. 53

Für die Steuervergünstigung nach § 2 Nr. 2 GrEStVertrG NW reicht die im Erwerbszeitpunkt vorhandene, durch Umstände und getroffene Anstalten erwiesene Absicht aus, Wohnraum für den Erwerber und die in seinem Haushalt lebenden Familienangehörigen zu schaffen. Eine spätere Aufgabe dieser Absicht ist unschädlich.

GrEStVertrG NW § 2 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Kläger - Eheleute, die beide Inhaber von Flüchtlingsausweien A sind - kauften 1974 ein unbebautes Grundstück je zur ideellen Hälfte. Sie erklärten, daß sie das Grundstück zum steuerbegünstigten Wohnungsbau verwenden wollten und beantragten Grunderwerbsteuerfreiheit nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG NW) i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. Juli 1970. Das beklagte Finanzamt (FA) sah daraufhin gemäß § 1 Nr. 1 GrEStWoBauG NW von der Erhebung der Grunderwerbsteuer vorläufig ab und erteilte die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Sodann teilten die Kläger dem FA 1977 mit, sie hätten das Grundstück verkauft. Nach ihren persönlichen Verhältnissen hätten sie es in absehbarer Zeit nicht bebauen können, weswegen sie sich für den Erwerb eines Altbaus entschieden hätten. Die Steuervergünstigung sei seinerzeit von ihnen als Vertriebene beantragt worden.

Daraufhin setzte das FA Grunderwerbsteuer einschließlich eines Zuschlags fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der Begründung abgewiesen, den Klägern stehe auch die beanspruchte Steuervergünstigung nach § 2 Nr. 2 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge, Verfolgte und politische Häftlinge (GrEStVertrG NW) vom 21. Mai 1970 nicht zu. Da sie keinen Wohnraum geschaffen hätten, könnten sie nach Sinn und Zweck des Gesetzes die Vergünstigung nur dann in Anspruch nehmen, wenn im Erwerbszeitpunkt eine durch die Umstände und die getroffenen Anstalten nachgewiesene ernste, verwirklichungsfähige Bebauungsabsicht vorgelegen hätte und wenn überdies das Unterbleiben der Schaffung von Wohnraum auf den späteren Eintritt eines unvorhersehbaren Ereignisses zurückzuführen sei. Letzteres sei nicht der Fall. Das arbeitsmarktbedingte Ausscheiden der Klägerin aus dem Berufsleben, der Geldwertschwund und der rapide Anstieg der Baukosten hätten nach der Überzeugung des Gerichts die Kläger nicht zur Aufgabe der Bebauungsabsicht gezwungen. Die Kläger hätten vielmehr angesichts der Kündigung ihrer Mietwohnung und der Möglichkeit, einen sofort beziehbaren Altbau zu erwerben, ihre Absicht freiwillig aufgegeben. Dem Einwand, daß sie schlechtergestellt würden als andere Erwerber, bei denen die Veräußerung des Grundstücks erst zeitlich auf die endgültige Anerkennung der Steuervergünstigung folge, sei entgegenzuhalten, daß regelmäßig die Zubilligung des Freibetrages bis zur Bebauung aufgeschoben werde. Aus etwaigen anderen Steuerfällen mit fehlerhafter Behandlung könnten die Kläger keine Rechte für sich herleiten. Mithin seien die Nachversteuerung und die Erhebung eines Zuschlages nicht zu beanstanden.

Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragen die Kläger, unter Aufhebung der Vorentscheidung die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Sie rügen Verletzung des § 2 Nr. 2 GrEStVertrG NW und machen geltend, die Steuerfreiheit stehe ihnen zu. Das Gesetz mache die Verwirklichung der Bebauungsabsicht nicht zur tatbestandsmäßigen Voraussetzung und sehe für den Fall unterlassener Verwirklichung keine Nachversteuerung vor. Das Absehen des Gesetzgebers von strengen Voraussetzungen habe der Erleichterung der Eingliederung dienen sollen. Ferner lasse sich nicht annehmen, daß der Gesetzgeber die Festlegung einer Nachversteuerung bei unterbliebener Zweckverwirklichung irrtümlich unterlassen habe, zumal in § 4 Abs. 2 GrEStVertrG NW für einen anderen Befreiungstatbestand die Nachversteuerung geregelt worden sei.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Auf die Klage werden die Einspruchsentscheidungen und die angefochtenen Bescheide aufgehoben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da den Klägern die in Anspruch genommenen Freibeträge zustehen.

1. Der Grundstückserwerb durch die Kläger unterliegt zwar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer. Er ist jedoch gemäß § 2 Nr. 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 und 4 GrEStVertrG NW im vollen Umfang von der Grunderwerbsteuer befreit. Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld Rechte und Vergünstigungen nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) nicht oder nicht mehr hätten in Anspruch nehmen können (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 GrEStVertrG NW), liegen nicht vor. Angesichts dessen und des Umstandes, daß die übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unstreitig erfüllt sind, hängt die Gewährung des Freibetrages davon ab, daß ein entsprechender Antrag gestellt (§ 1 Abs. 6 GrEStVertrG NW) und daß das Grundstück zur Schaffung von Wohnraum für den Erwerber und die in seinem Haushalt lebenden Familienangehörigen erworben worden ist (§ 2 Nr. 2 Satz 1 GrEStVertrG NW).

Entsprechende Anträge der Kläger liegen vor. Sie konnten bis zur "Rechtskraft" der Steuerbescheide gestellt werden (§ 1 Abs. 6 Satz 2 GrEStVertrG NW), so daß es unschädlich ist, wenn die Kläger zunächst Steuerfreiheit nach Normen eines anderen Gesetzes geltend gemacht und sich erst später auf den u. a. für Vertriebene vorgesehenen Freibetrag berufen haben.

2. Auch die Voraussetzung aus § 2 Nr. 2 Satz 1 GrEStVertrG NW ist erfüllt. Insofern reicht die ernstliche Absicht im Erwerbszeitpunkt aus, Wohnraum zu schaffen (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 1981 II R 15/79, BFHE 133, 101, BStBl II 1981, 490; Urteil des FG Köln vom 28. Juli 1980 XI (VI) 135/76 Verk, Entscheidungen der Finanzgerichte 1981, 38; siehe auch Lange in Schultze/Förger/Hofmann, Grunderwerbsteuer-Kommentar, II. Teil, Grunderwerbsteuer Nordrhein-Westfalen, 6. Aufl., Tz. 287). Dagegen kann aus dem Gesetz nicht hergeleitet werden, daß der Freibetrag nicht in Anspruch genommen werden dürfe, wenn der Erwerber später diese Absicht aufgibt. Hätte der Gesetzgeber eine Regelung dieses Inhalts treffen wollen, so würde ihm dies auf zweierlei Art möglich gewesen sein. Er hätte die Verwirklichung der Absicht zum Tatbestandsmerkmal erheben oder für den Fall unterbliebener Verwirklichung eine Nachversteuerung vorsehen können. Beides ist indessen nicht geschehen. Der Wortlaut des § 2 Nr. 2 Satz 1 GrEStVertrG NW gibt keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme her, der steuerbegünstigte Zweck müsse verwirklicht sein, sollte die Steuervergünstigung gewährt werden. Das Gesetz sieht auch keine Nachversteuerung vor, obwohl eine derartige Regelung bei entsprechendem gesetzgeberischen Willen zu erwarten gewesen wäre, zumal der Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 GrEStVertrG NW für einen anderen Vergünstigungstatbestand die Möglichkeit einer Nachversteuerung geschaffen hat.

3. Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus der Entscheidung des Senats vom 23. Juli 1975 II R 117/74 (BFHE 117, 92, 95, BStBl II 1976, 28) zu § 1 Nr. 5 GrESWG NW. Aus ihr läßt sich nicht entnehmen, § 2 Nr. 2 GrEStVertrG NW müsse dahin ausgelegt werden, daß bei einer Zweckaufgabe die Steuervergünstigung nicht gewährt werde, sofern nicht die Aufgabe der Bebauungsabsicht auf ein späteres, nicht voraussehbares Ereignis zurückzuführen sei. In der zitierten Entscheidung ist zu einer im gewissen Umfang vergleichbaren Vorschrift zwar der Frage, ob ein späteres, nicht voraussehbares Ereignis den Eigenbezug der Eigentumswohnung nach vorübergehender Fremdvermietung verhindert hat, Bedeutung beigemessen worden. Dies beruht jedoch nicht darauf, daß der Senat bei der Auslegung dieser Vorschrift zu dem Ergebnis gekommen wäre, das Gesetz enthalte ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal. Der Gesichtspunkt des Eintritts eines nicht voraussehbaren Ereignisses wurde vielmehr im Rahmen der Erörterung angeführt, aufgrund welcher Indizien der Tatrichter zu der sicheren Feststellung kommen könne, die Eigentumswohnung sei zum Bewohnen durch den Eigentümer oder seine Angehörigen bestimmt gewesen.

Im vorliegenden Fall ist das FG zu der ungerügt gebliebenen und damit den Senat bindenden Feststellung gelangt, es könne davon ausgegangen werden, daß die Kläger im Erwerbszeitpunkt den ernstlichen Willen gehabt hätten, Wohnraum i. S. des § 2 Nr. 2 Satz 1 GrEStVertrG NW zu schaffen. Das FG hat dabei nicht verkannt, daß von einem diesbezüglichen ernsten Willen nur dann die Rede sein kann, wenn der Erwerber aller Voraussicht nach auch dazu in der Lage sein werde, seinen Willen zu verwirklichen. Angesichts dessen hätte den Klägern die beanspruchte Steuervergünstigung nicht versagt werden dürfen.

 

 

 

   
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