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BFH-Urteil vom 8.7.1982 (V R 138/81) BStBl. 1983 II S. 282

Ein - übereignungsfähiges - Unternehmen Im Sinne des § 116 RAO (§ 75 AO 1977) liegt nicht vor, wenn die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des veräußernden Unternehmers mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Konkursmasse abgelehnt worden ist (§ 107 KO) und sich die wesentlichen verwertbaren Betriebsgegenstände im Veräußerungszeitpunkt im Eigentum Dritter befunden haben.

RAO § 116; AO 1977 § 75.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Das beklagte Finanzamt hat den Kläger wegen rückständiger Umsatzsteuer für die Jahre 1973 und 1974 als Übernehmer des Unternehmens der Frau X als Haftungsschuldner in Anspruch genommen (§ 116 der Reichsabgabenordnung - RAO -).

Frau X führte unter der Firma Y bis zum 30. Juni 1974 in gemieteten Räumen einen Maschinen- und Stahlbaubetrieb, in dem der Kläger als Prokurist tätig war. Da sich die wirtschaftliche Lage dieses Unternehmens seit Anfang 1974 ständig verschlechterte, hatte Frau X die wesentlichen Betriebsgegenstände - Maschinen und Fahrzeuge - an verschiedene Gläubiger zur Sicherung übereignet, außerdem ein Bankdarlehen in Höhe von 60.000 DM aufgenommen. Am 5. Juli 1974 meldete sie beim städtischen Ordnungsamt, sie habe ihren Betrieb zum 30. Juni 1974 eingestellt.

Anträge der Allgemeinen Ortskrankenkasse und der Stadt Z vom Juli 1974 auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Frau X lehnte das Amtsgericht Anfang August 1974 wegen Fehlens einer zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichenden Konkursmasse ab.

Am 1. August 1974 meldete der Kläger die Eröffnung eines gleichartigen Unternehmens zum 1. Juli 1974 in den bisherigen Räumen an. Er erwarb die zur Sicherung übereigneten Betriebsgegenstände von den Sicherungsnehmern. Außerdem stellte er 29 Arbeitnehmer der Firma Y ein.

Das beklagte Finanzamt hatte gegen den Kläger als Übernehmer eines Unternehmens im ganzen einen Haftungsbescheid wegen rückständiger Umsatzsteuer 1973 und rückständiger Umsatzsteuer 1974 erlassen.

Das Finanzgericht hat den Haftungsbetrag der Umsatzsteuer für das Jahr 1973 herabgesetzt und die Klage im übrigen abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil und der Haftungsbescheid waren aufzuheben.

Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Frau X ist mangels einer die Kosten des Konkursverfahrens deckenden Konkursmasse abgelehnt worden (§ 107 KO). In solchem Fall ist ein lebendes Unternehmen, das im Sinne des § 116 RAO (§ 75 AO 1977) übertragen werden könnte, jedenfalls dann nicht mehr vorhanden, wenn - wie hier - sich die wesentlichen verwertbaren Betriebsgegenstände nicht im Eigentum des Unternehmers, sondern im Eigentum Dritter befinden. Aus dem Fehlen einer die Kosten des Konkursverfahrens deckenden Konkursmasse und der Tatsache, daß der Unternehmer im wesentlichen über keine eigenen Betriebsgegenstände mehr verfügen kann, ergibt sich, daß der Erwerber einen gleichartigen Betrieb nicht ohne nennenswerte eigene Investitionen fortsetzen kann. Es handelt sich daher um ein nicht mehr lebensfähiges Unternehmen (vgl. Urteil des BFH vom 28. November 1973 I R 129/71, BFHE 111, 17, BStBl II 1974, 145 mit Hinweisen), das nicht im Sinne des § 116 RAO (§ 75 AO 1977) übereignungsfähig ist. Soweit aus dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 14. Januar 1930 VA 513/29 (RStBl 1930, 130) eine andere Auffassung über die Bedeutung einer die Kosten des Verfahrens nicht deckenden Konkursmasse für die Übernehmerhaftung abzuleiten ist, wird an dieser nicht festgehalten.

Daß der Erwerb eines Unternehmens aus einer Konkursmasse in § 116 Abs. 3 RAO (§ 75 Abs. 2 AO 1977) ausdrücklich als nicht haftungsbegründend geregelt ist, spricht nicht gegen die hier vertretene Auffassung. Die Regelung des § 116 Abs. 3 RAO setzt begrifflich voraus, daß ein lebensfähiges Unternehmen vorhanden ist. Andernfalls hätte es der Ausnahmeregelung, die die Verwertung eines vom Konkurs erfaßten Vermögens erleichtern soll, nicht bedurft. Ist ein lebensfähiges Unternehmen - wie im Streitfall - nicht mehr vorhanden, fehlt es bereits an den Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 RAO, so daß die Haftung schon aus diesem Grunde entfällt. § 116 Abs. 3 RAO läßt daher einen Rückschluß auf den hier vorliegenden Fall der Nichtdurchführung eines Konkursverfahrens wegen Fehlens einer die Kosten des Verfahrens nicht deckenden Konkursmasse nicht zu. Der gegenteiligen Ansicht des Hessischen Finanzgerichts (Urteil vom 21. November 1967 VI 1667/66, EFG 1968, 327) schließt sich der Senat nicht an.