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BFH-Urteil vom 8.12.1982 (I R 142/81) BStBl. 1983 II S. 369

Ob ein gegenseitiger Vertrag am Bilanzstichtag voll oder nur teilweise erfüllt ist und daher noch ein zum Teil schwebendes Geschäft vorliegt, ist unter Berücksichtigung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu entscheiden, die für das jeweilige Rechtsgeschäft gelten. Erfüllt ist, wenn und soweit die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wurde.

EStG § 5; BGB §§ 320 ff.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Streitig ist, ob eine Forderung der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bei der Gewinnermittlung des Streitjahres 1972 gewinnerhöhend zu berücksichtigen ist.

Am 6. Februar 1971 hatte die A-GmbH (A) mit der B-GmbH (B) für die Dauer von 20 Jahren eine Vereinbarung getroffen über die entgeltliche Verwaltung des Einkaufszentrums, eines damals im Rohbau befindlichen Gebäudekomplexes auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche. Danach sollte die B für das gesamte Einkaufszentrum die Funktion einer Verwaltungs- und Betriebsgesellschaft ausüben und dafür eine Vergütung in Höhe von 230.000 DM erhalten. Die A sollte berechtigt sein, diesen Vertrag unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zu kündigen. In einem solchen Falle sollte an die B eine Entschädigung in Höhe von 400.000 DM gezahlt werden.

Am 5. März 1971 wurde die (inzwischen) in Liquidation befindliche Klägerin als GmbH & Co. KG gegründet. Gegenstand ihres Unternehmens war u. a. die Verwaltung des Einkaufszentrums. Insoweit trat sie in die Vereinbarung zwischen der A und der B vom 6. Februar 1971 ab 1. April 1971 ein. Komplementäre der Klägerin waren die C-GmbH und die B. Als Kommanditistin war u. a. die Beigeladene zu 1 beteiligt.

Mit Schreiben vom 29. November 1972 der A an die Klägerin nahm die Erstgenannte Bezug auf bereits abgeschlossene Vereinbarungen und den Schriftwechsel. Die A bestätigte als Ergebnis einer Unterredung, daß die zwischen der A und der Klägerin bestehenden Vereinbarungen und Verträge im gegenseitigen Einverständnis mit Wirkung vom 31. Dezember 1972 aufgehoben würden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Klägerin die Verwaltungstätigkeit entsprechend der Vereinbarung vom 6. Februar 1971 weiterführen. Ab 1. Januar 1973 werde die Verwaltung des Einkaufszentrums von der A übernommen. Entgegen den Bestimmungen der Vereinbarung vom 6. Februar 1971 sei eine an die Klägerin zu zahlende Entschädigung in Höhe von 180.000 DM vereinbart worden. Mit diesem Betrag sollten alle Forderungen und Verbindlichkeiten abgegolten sein. Der Betrag sollte in zwei Raten zu zahlen sein, und zwar 100.000 DM am 31. Dezember 1972 und 80.000 DM "nach durchgeführter Abrechnung, ordnungsgemäßer Übergabe aller Unterlagen und Einarbeitung unseres Mitarbeiters Ende Januar 1973". Mit Vereinbarung vom 1. Dezember 1972 wurden diese Absprachen schriftlich niedergelegt und ergänzt. Die Vertragspartner der A, insbesondere die Klägerin, hatten der A sämtliche ihnen gegenüber den Mietern des Einkaufszentrums zustehende Rechte und Ansprüche zu übertragen, ebenso sämtliche Rechte, die mit der Ausübung der Verwaltungstätigkeit durch die Klägerin zusammenhingen und die nach dem Sinn des Vertrages, nämlich der Übernahme der Verwaltung durch die A, "notwendigerweise oder zweckmäßigerweise auf diese übergehen" (Nr. 3 der Vereinbarung). Unter bestimmten Voraussetzungen sollten nach Nr. 6 der Vereinbarung "sämtliche Gesellschaftsbeteiligungen, und zwar sowohl die Kommanditbeteiligungen wie auch die Geschäftsanteile an den Gesellschaften mit beschränkter Haftung" übertragen werden müssen. Wörtlich wurde vereinbart: "Im Falle der Notwendigkeit einer solchen Übertragung wird der Teilbetrag von 80.000 DM auch erst unter der Voraussetzung fällig, daß diese Übertragung erfolgt ist."

Die A zahlte an die Klägerin am 28. Januar 1973 100.000 DM, den Rest im Juli und Dezember 1973. Ab Mitte Januar 1973 wurde von der Klägerin in Erfüllung der Vereinbarung vom 1. Dezember 1972 u. a. mit der Übergabe der Geschäftsunterlagen und des Büroinventars sowie mit der Einarbeitung der Mitarbeiter der A begonnen.

Die Klägerin hatte die Forderung gegen die A in ihrem Jahresabschluß auf den 31. Dezember 1972 nicht aktiviert. Auf den Einspruch der Beigeladenen zu 1 erhöhte das FA den einheitlich festgestellten Gewinn der Klägerin für das Jahr 1972 von 36.261 DM auf 196.821 DM. Das FA war der Auffassung, die Forderung der Klägerin gegen die A sei auf den 31. Dezember 1972 in Höhe von 180.000 DM zu aktivieren und die Gewerbesteuerrückstellung entsprechend zu erhöhen.

Mit ihrer Klage vertrat die Klägerin die Ansicht, die Forderung von 180.000 DM gegen die A dürfe sich erst im Jahre 1973 gewinnerhöhend auswirken.

Die Klage hatte im ersten Rechtsgang keinen Erfolg. Auf die Revision der Klägerin hob der erkennende Senat durch Urteil vom 26. März 1980 I R 111/79 (BFHE 130, 477, BStBl II 1980, 587) das Urteil des Finanzgerichts (FG) auf und verwies die Sache aus verfahrensrechtlichen Gründen (mangels Beiladung eines früheren Gesellschafters) an das FG zurück. Im zweiten Rechtsgang hat das FG nach Beseitigung des verfahrensrechtlichen Mangels die Klage erneut abgewiesen.

Das FG ging davon aus, der Betrag von 180.000 DM sei entsprechend der Vereinbarung vom 1. Dezember 1972 aufgrund des Umstandes gezahlt worden, daß der frühere Vertrag vom 6. Februar 1971 aufgehoben und die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1973 von der gewinnversprechenden entgeltlichen Verwaltung des Einkaufszentrums ausgeschlossen worden sei. Die Übertragung einzelner Rechte, wie sie die Klägerin dargelegt habe, sei nicht Grund und Anlaß der Zahlung gewesen. Aufgrund des ursprünglichen Vertrages vom 6. Februar 1971 habe der Klägerin eine jährliche Vergütung von netto 230.000 DM zugestanden, die ihr auf die Dauer von 20 Jahren - vorbehaltlich einer Kündigung der A bei Zahlung einer Entschädigung von sogar 400.000 DM - gesichert gewesen sei. Die Klägerin habe ihre Leistung am 31. Dezember 1972 durch Abstandnahme ihrer Verwaltungstätigkeit erbracht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. In materieller Hinsicht habe das FG § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unrichtig angewandt. Die Entscheidung des FG verstoße gegen das Realisationsprinzip. Es handele sich hier um ein schwebendes Geschäft "im engeren Sinne", da am 31. Dezember 1972 weder Leistung noch Gegenleistung erbracht gewesen seien (BFH-Urteil vom 16. September 1970 I R 184/67, BFHE 100, 443, BStBl II 1971, 85).

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Gewinn der Klägerin für das Jahr 1972 wie im Gewinnfeststellungsbescheid 1972 vom 19. August 1974 festzustellen und zu verteilen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie aus Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

1. Die Verfahrensrügen (mangelnde Aufklärung des Sachverhalts durch das FG durch Nichtvernehmung genannter Zeugen) greifen nicht durch. Dies bedarf gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861) i. d. F. des Gesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I, 1147) keiner Begründung.

Da die Verfahrensrügen nicht durchgreifen, ist der BFH an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Dazu gehört auch der Vertrag vom 1. Dezember 1972, auf den sich das FG bezogen hat, und zwar auch insoweit, als das FG sich mit den Vertragsbestimmungen im einzelnen nicht auseinandergesetzt hat.

2. Das FG hat die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung (§ 5 EStG) im Streitfall nicht ohne Rechtsirrtum angewandt.

Die Vereinbarung vom 1. Dezember 1972, durch die der Vertrag vom 6. Februar 1971 im gegenseitigen Einverständnis aufgehoben wurde, war ein gegenseitiger Vertrag i. S. der §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Klägerin ihrerseits hat sich verpflichtet, ihre Verwaltungstätigkeit am 1. Januar 1973 zu beenden und im Zusammenhang damit eine Reihe weiterer Verpflichtungen zu erfüllen. Andererseits verpflichtete sich die A zur Zahlung eines Betrags von 180.000 DM, von dem ein Teilbetrag von 100.000 DM am 31. Dezember 1972, ein Teilbetrag von 80.000 DM erst nach Erfüllung weiterer Verpflichtungen der Klägerin zu zahlen war. Soweit die Klägerin ihre Tätigkeit mit Ablauf des 31. Dezember 1972 beendet hat, hatte sie einen Teil ihrer Verpflichtung erfüllt. In Höhe von 100.000 DM hatte sie zu diesem Zeitpunkt einen Gewinn realisiert, der in der Bilanz auf den 31. Dezember. 1972 auszuweisen war. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gewinn erst "eine logische Sekunde" nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses verwirklicht worden sei (vgl. das zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89 b des Handelsgesetzbuches - HGB - ergangene BFH-Urteil vom 26. März 1969 I R 141/66, BFHE 95, 497, BStBl II 1969, 485). Soweit die Klägerin ihre Verpflichtungen noch nicht erfüllt hatte, bestand am 31. Dezember 1972 noch ein teilweise gegenseitig nicht erfüllter (schwebender) Vertrag.

a) Die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung werden u. a. von dem Vorsichtsprinzip, dem Realisationsprinzip und dem Imparitätsprinzip beherrscht. Nicht verwirklichte Gewinne dürfen nicht ausgewiesen werden, nicht verwirklichte Verluste müssen ausgewiesen werden. In diesem Rahmen sind auch die Grundsätze über sog. schwebende Geschäfte zu sehen. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften werden nicht bilanziert, solange und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen, auch wenn sie am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden sind. Aktivierungen und Passivierungen unterbleiben, solange das Gleichgewicht solcher Vertragsbeziehungen nicht durch schuldrechtliche Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände gestört ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261, BStBl II 1976, 622, und vom 26. Juni 1980 IV R 35/74, BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506). Ob ein Vertrag zum Teil erfüllt ist, ist unter Berücksichtigung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu entscheiden, die für das jeweilige Rechtsgeschäft gelten (vgl. Döllerer, Zur Bilanzierung des schwebenden Vertrags, Betriebs-Berater - BB - 1974, 1541 ff., 1543 f.). Erfüllt ist, wenn und soweit die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt worden ist (§ 362 Abs. 1 BGB). Erscheint der Anspruch auf den Teil der Gegenleistung, der auf die Teilerfüllung entfällt, gesichert, so bestehen gegen die Aktivierung dieses Anspruchs keine Bedenken.

b) Das FG durfte seine Ansicht, der Vertrag sei bereits am 31. Dezember 1972 beiderseits voll erfüllt gewesen, nicht auf die Erwägung stützen, nach dem ursprünglichen Vertrag hätte der Klägerin ein weit höherer Abfindungsbetrag (400.000 DM) zugestanden. Denn unstreitig wäre dieses Ereignis nur bei Kündigung des Vertrags durch die A eingetreten. Der Vertrag wurde aber nicht gekündigt, sondern im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben. Warum man diesen - für die Klägerin ungünstigeren Weg - gegangen ist, ist nicht aufgeklärt, muß aber vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die wirtschaftliche Stärke von Vertragspartnern, die einen Vertrag begründen oder auflösen, von unterschiedlichem Gewicht sein kann. Der Schluß, daß der Klägerin - wenn ihr schon ein Betrag von 400.000 DM nicht zugestanden wurde - wenigstens der volle Betrag von 180.000 DM allein für die Beendigung ihrer Tätigkeit als Verwalter des Einkaufszentrums bezahlt worden sei, ist unter diesem Gesichtspunkt nicht haltbar. Der erkennende Senat verkennt nicht, daß die Klägerin selbst den Sachverhalt in dieser Weise dargestellt hat. Als pauschale Aussage über das wirtschaftliche Ergebnis der Vertragsauflösung ist diese Darstellung auch zutreffend. Entscheidend muß aber sein, was die vertragschließenden Parteien tatsächlich (gewollt) vereinbart haben und wie die Vereinbarungen vollzogen worden sind. Den vertragschließenden Parteien hätte es freigestanden zu bestimmen, daß der Betrag von 180.000 DM in vollem Umfang an die Stelle des bei Kündigung zu zahlenden Betrags von 400.000 DM trete. Derartiges wurde jedoch nicht vereinbart. Vielmehr haben die Vertragsparteien in der Vereinbarung vom 1. Dezember 1972 durch die Regelungen über die Fälligkeit zum Ausdruck gebracht, welche Teilbeträge aus dem Gesamtbetrag von 180.000 DM auf die Beendigung der Tätigkeit der Klägerin entfielen und welche den übrigen Verpflichtungen der Klägerin zuzuordnen waren. Es besteht kein Grund, von diesen Zuordnungen im Vertrag bei der Bilanzierung abzugehen. Maßgebend bei der Beurteilung dieses Vertrages ist nicht, in welcher Höhe die Klägerin noch Mittel zur Erfüllung ihrer restlichen Verpflichtungen aufzubringen hatte. Entscheidend ist vielmehr im Streitfall, welches Gewicht die vertragschließenden Parteien im Vertrag vom 1. Dezember 1972 den von der Klägerin noch zu erbringenden Leistungen selbst beigemessen haben. Dabei darf nicht einseitig nur auf das Schreiben der A vom 29. November 1972 abgestellt werden. Denn der Vertrag vom 1. Dezember 1972 enthält zusätzliche Anhaltspunkte über den Umfang der von der Klägerin noch zu erfüllenden Verpflichtungen. Während es nach dem Schreiben der A vom 29. November 1972 den Anschein hatte, der noch ausstehende Teilbetrag von 80.000 DM werde "nach durchgeführter Abrechnung, ordnungsmäßiger Übergabe aller Unterlagen und Einarbeitung unserer Mitarbeiter Ende 1973" gezahlt (zur Zahlung fällig), knüpft der Vertrag vom 1. Dezember 1972 die Zahlung des Restbetrags an weitere Voraussetzungen. Das gilt insbesondere für die in Ziff. 6 des Vertrags getroffene Vereinbarung (mögliche Verpflichtung zur Übertragung von Gesellschaftsbeteiligungen an die A). Auch von der Erfüllung dieser (möglicherweise in Betracht kommenden) Verpflichtungen wurde die Zahlung des Restbetrags von 80.000 DM ausdrücklich abhängig gemacht. Die Bedeutung einer solchen, für die Klägerin einschneidenden Vereinbarung hätte das FG nicht übergehen oder ohne nähere Begründung außer acht lassen dürfen. Die A hätte bei Nichterfüllung der im Vertrag vom 1. Dezember 1972 eingegangenen Verpflichtungen der Klägerin die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB) geltend machen können; mindestens hätte die Klägerin, selbst unter der Voraussetzung, daß es sich nur um Nebenpflichten handelte, mit der Möglichkeit einer solchen Einrede rechnen müssen (vgl. Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 320 Rdnr. 9). Bei dieser Rechtslage verbietet es schon der Grundsatz kaufmännischer Vorsicht, den Betrag von 80.000 DM bereits in der Bilanz auf den 31. Dezember 1972 zu aktivieren (vgl. zum Gesichtspunkt der Vorsicht bei schwebenden Verträgen Döllerer, BB 1980, 1333, 1335).