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BFH-Urteil vom 20.5.1983 (VI R 111/81) BStBl. 1983 II S. 584

Unterläßt es ein Arbeitnehmer, Erstattungsansprüche wegen angeblich zu Unrecht einbehaltener Lohnsteuer nach Ablauf des Ausgleichsjahres im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs geltend zu machen, so kann er später, abweichend von dem BFH-Urteil vom 19. Februar 1971 VI R 97/68 (BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428) eine Erstattung nicht nach § 37 Abs. 2 AO 1977 begehren.

EStG § 42; AO 1977 § 37 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), von Beruf Steuerbeamter, erhielt in den Streitjahren 1977 und 1978 von seinem Dienstherrn einen Zuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 14 der Bremischen Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (BremBVO) vom 16. Januar 1962 in der Fassung des Gesetzes vom 18. Oktober 1976 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen - BremGBl - 1976, 224). Hiervon ließ der Arbeitgeber 312 DM steuerfrei. Den übersteigenden Betrag unterwarf er dem Lohnsteuerabzug. Für die Jahre 1977 und 1978 wurden keine Einkommensteuerveranlagungen durchgeführt; der Kläger stellte für diese Jahre auch keine Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich. Mit Schreiben vom 7. Mai 1980 beantragte er unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), die ihm auf den versteuerten Teil des Zuschusses entfallenden Steuerbeträge zu erstatten, da der Zuschuß auch insoweit steuerfrei gewesen sei. Dies wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 507 veröffentlichten Urteil u.a. aus:

Die Klage könne schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger seinen Erstattungsanspruch im Lohnsteuer-Jahresausgleich hätte geltend machen müssen. Die hierfür bestimmte Antragsfrist habe er jedoch versäumt. Er könne eine Erstattung daher nicht mehr nach § 37 Abs. 2 AO 1977 begehren. Denn die Vorschrift über den Lohnsteuer-Jahresausgleich sei entgegen der Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 19. Februar 1971 VI R 97/68 (BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428) lex specialis zu § 37 Abs. 2 AO 1977. Die Klage sei im übrigen auch deshalb unbegründet, weil dem Kläger materiell kein Erstattungsanspruch zustehe.

Der Kläger hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt. Er bringt u.a. vor:

Entgegen der Ansicht des FG sei § 42 des Einkommensteuergesetzes (EStG), der den Lohnsteuer-Jahresausgleich regele, nicht lex specialis zu § 37 Abs. 2 AO 1977. Rechtmäßig einbehaltene, nach der Jahreslohnsteuertabelle aber überzahlte Lohnsteuer könne im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, nicht aber nach § 37 Abs. 2 AO 1977 erstattet werden, weil die letztgenannte Vorschrift die Einbehaltung von Lohnsteuer ohne Rechtsgrund voraussetze. § 37 Abs. 2 AO 1977 behandle mithin eine andere Materie und sei eine besondere Vorschrift für spezielle Sachverhalte. § 37 Abs. 2 AO 1977 habe daher seinem Inhalt nach keine untergeordnete Bedeutung im Verhältnis zu § 42 EStG.

Die Zuschüsse seien im übrigen im vollen Umfang steuerfrei. Das FG habe bezüglich dieser Frage den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, die zu Unrecht gezahlten Lohnsteuern 1977 und 1978 nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zu erstatten.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Denn das FG hat die Klage zu Recht in erster Linie deshalb abgewiesen, weil dem Kläger kein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zustand und er keine Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für die Streitjahre 1977 und 1978 gestellt hat.

Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden oder ist der rechtliche Grund für die Zahlung später weggefallen, so hat der, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO 1977 einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages.

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob der Arbeitgeber vom Zuschuß zur freiwilligen Krankenversicherung Lohnsteuer ohne rechtlichen Grund einbehalten hat, soweit der Zuschuß den Betrag von 312 DM jährlich überstieg. Sollte der Zuschuß insoweit nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei gewesen sein, so hätte der Kläger einen solchen Erstattungsanspruch jedenfalls nach Ablauf der Streitjahre im Rahmen der Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren 1977 und 1978 verfolgen müssen. Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich hat er aber für die Streitjahre 1977 und 1978 nicht gestellt.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG wird den unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern, die nicht zur Einkommensteuer veranlagt werden, die für das abgelaufene Kalenderjahr (Ausgleichsjahr) einbehaltene Lohnsteuer insoweit erstattet, als sie die auf den Jahresarbeitslohn entfallende Jahreslohnsteuer übersteigt. Dieser sog. Lohnsteuer-Jahresausgleich wird nach Ablauf des Ausgleichsjahres auf Antrag des Arbeitnehmers vom FA durchgeführt, soweit er nicht nach § 42b EStG vom Arbeitgeber vollzogen wurde. Nach § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 27. September 1978 (BGBl I 1978, 1597, BStBl I 1978, 412) ist mit Wirkung ab dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bis spätestens 30. September des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahres zu stellen.

Der Lohnsteuer-Jahresausgleich ist ein besonderes, in einem Einzelsteuergesetz geregeltes Erstattungsverfahren im Sinne des § 37 Abs. 1 AO 1977 (vgl. z.B. Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 37 Anm. 5; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 37 AO 1977 Anm. 28). Er ist auf Erstattung der zuviel einbehaltenen Lohnsteuer des Ausgleichsjahres gerichtet. Er geht daher als lex specialis dem allgemeinen, nicht auf bestimmte Steuerarten beschränkten Steuererstattungsanspruch des § 37 Abs. 2 AO 1977 im Range vor, soweit hiervon die Erstattung von Lohnsteuern betroffen wird, die von Anfang an ohne rechtlichen Grund einbehalten wurden oder bei denen der rechtliche Grund für die Zahlung bis zum Ablauf der vorgenannten Antragsfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG weggefallen ist.

Der Lohnsteuer-Jahresausgleich geht zwar grundsätzlich vom rechtmäßigen Lohnsteuerabzug während des abgelaufenen Kalenderjahres aus; denn er soll einen Ausgleich bewirken, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, daß die im Laufe des Kalenderjahres bei den einzelnen täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Lohnzahlungen rechtmäßig einbehaltene Lohnsteuer die auf den Jahresarbeitslohn entfallene Jahreslohnsteuer etwa deshalb übersteigt, weil der Arbeitnehmer in einzelnen Lohnzahlungszeiträumen des Ausgleichsjahres weniger oder gar nichts verdient hat (vgl. BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428). Andererseits soll durch den Lohnsteuer-Jahresausgleich aber die Lohnsteuererstattung für das Ausgleichsjahr endgültig abgeschlossen werden (vgl. Urteil des Senats vom 10. September 1982 VI R 110/79, BFHE 136, 419, BStBl II 1983, 58). Dieser besondere Charakter des Lohnsteuer-Jahresausgleichs wird auch dadurch verdeutlicht, daß das FA nach § 42 Abs. 5 EStG über diesen Ausgleich einen besonderen Bescheid zu erteilen hat. Ein endgültiger Abschluß der Lohnsteuererstattung ist aber nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer in diesem Verfahren auch die Erstattung solcher Lohnsteuerbeträge geltend zu machen hat, die der Arbeitgeber von vornherein ohne Rechtsgrund einbehalten hat oder bei denen der Rechtsgrund nachträglich bis zum Ablauf der Antragsfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG weggefallen ist. Das FA ist im Lohnsteuer-Jahresausgleich auch in der Lage, diesem Begehren der Steuerpflichtigen im vollen Umfange zu entsprechen, da es in diesem Verfahren ohnehin zu einer selbständigen Prüfung aller für die Ermittlung der Jahreslohnsteuer wesentlichen Umstände zugunsten und zu Lasten des Steuerpflichtigen berechtigt und verpflichtet ist (§ 88 AO 1977).

Diese Auffassung vom Verhältnis des Erstattungsverfahrens nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zum Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren entspricht im Ergebnis der von Ranft/Carstens (Lohnsteuer, 7. Aufl., S. 161 ff.), Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., Rdnr. 54 zu §§ 42 bis 42c EStG) und Schmidt/Drenseck (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42 Anm. 5 d). Soweit der Senat im Urteil in BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428 zu den damals maßgeblichen § 152 der Reichsabgabenordnung (AO) und § 42 EStG 1958 teilweise einen anderen Standpunkt vertreten hat (ihm folgend Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42 Anm. 69 und Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Lohnsteuer-Jahresausgleich, Abschn. I 4 Abs. 1), hält er hieran jedenfalls für die Vorschriften der AO 1977 und des EStG i.d.F. ab 1975 nicht mehr fest.

Da die Revision somit schon deshalb, weil der Kläger Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 und 1978 nicht gestellt hat, keinen Erfolg haben kann, ist es dem Senat verwehrt zu prüfen, ob das FG zu Recht die streitigen Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung als lohnsteuerpflichtig beurteilen konnte und ob es bezüglich dieser Frage den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt hat.