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BFH-Urteil vom 22.4.1983 (VI R 27/80) BStBl. 1983 II S. 623

Der der deutschen Einkommensteuer nicht unterliegende, für eine Tätigkeit in Berlin (West) bezogene Arbeitslohn eines Beamten des Europäischen Patentamtes scheidet als Bemessungsgrundlage für die Zulagen nach § 28 BerlinFG aus.

BerlinFG § 28 Abs. 2 letzter Satz; Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation Art. 16 Abs. 1; EStG § 32b.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Streitig ist, ob einem Beamten des Europäischen Patentamtes eine Zulage nach § 28 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) zusteht.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist bei der Berliner Zweigstelle des Europäischen Patentamtes (Hauptsitz: München) als Beamter beschäftigt. Von seinen Bezügen (Grundgehalt plus Zulagen) wurden bestimmte Beträge für eine interne Steuer zugunsten der Europäischen Patentorganisation einbehalten. Nach Art. 16 Abs. 1 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation (BGBl II 1976, 985) sind die Dienstbezüge von der deutschen Einkommensteuer befreit.

Den Antrag des Klägers, ihm die Zulage nach § 28 BerlinFG zu gewähren, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit der Begründung ab, daß auf steuerfreie Einnahmen keine Zulage gewährt werden könne (§ 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG).

Auch die dagegen nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte in seinem Urteil im Ergebnis die Rechtsauffassung des FA.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, die er im wesentlichen mit der Zielsetzung des BerlinFG begründet. Danach sei der Senat von Berlin bemüht, qualifizierte Arbeitskräfte nach Berlin (West) zu holen bzw. dort zu halten und die Berliner Wirtschaft durch Einrichtung von Arbeitsstätten zu stärken. Dazu gehöre in besonderem Maße die Einrichtung supranationaler Behörden mit Blick auf die Einbeziehung von Berlin (West) in das Wirtschafts-, Rechts- und Finanzsystem der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) sowie der Europäischen Gemeinschaften (EG).

Die Frage, ob Arbeitnehmer, die dem (Besteuerungs-) Recht der Europäischen Organisationen unterlägen, in das Subventionssystem für Berlin (West) einzubeziehen seien, habe auch für die Gewinnung geeigneten Personals in Berliner Dienststellen dieser Organisation Bedeutung. Es sei daher grob unbillig, wenn die Bediensteten supranationaler Behörden von der erstrebten Berlin-Vergünstigung ausgenommen würden, zumal hierfür auch vom Gesetzgeber her kein Anlaß bestehe. Zwar besage § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG u. a., daß - von einigen Ausnahmen abgesehen - steuerfreie Einnahmen für die Bemessung der Zulage außer Betracht blieben. Bei der Beurteilung dessen, was eine "steuerfreie Einnahme" sei, habe das FG jedoch zu Unrecht seine Entscheidung auf § 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgestellt. Demgegenüber sei vielmehr davon auszugehen, daß sich die "Steuerfreiheit" seiner - des Klägers - Bezüge nicht aus dem Enumerationskatalog des § 3 EStG ergebe, sondern eine Folge supranationalen Rechts sei. Darüber hinaus seien die Bezüge der Bediensteten des Europäischen Patentamtes nicht "steuerfrei", sondern zugunsten der europäischen Organisation steuerpflichtig und unterlägen dem Progressionsvorbehalt des deutschen Einkommensteuerrechts (§ 32 b EStG). Für eine sachgerechte Beurteilung des Begriffs "steuerfreie Einnahmen" in § 28 BerlinFG sei auf den Sinn und Zweck der Vorschrift abzustellen. Dies führe jedoch zur Gewährung der hier beantragten Zulage. Denn bereits früher habe die Steuerrechtsprechung und ihr folgend die Gesetzgebung bestimmte, von der Einkommensbesteuerung ausgenommene Einnahmen gleichwohl bei der Bemessung der Berlin-Zulage berücksichtigt, wie z. B. die vermögenswirksamen Leistungen von Arbeitnehmern. Als "steuerfreie Einnahmen" i. S. von § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG verblieben damit praktisch nur solche, die neben steuerpflichtigem Arbeitslohn steuerfrei gezahlt würden, also etwa Reise- und Umzugskostenvergütungen, steuerfreie Entschädigungen oder Jubiläumsgeschenke. Der rechtfertigende Grund liege dabei darin, daß es sich um Auslagenersatz bzw. um Zahlungen mit Ausnahmecharakter handele, die durch die Steuerfreiheit als genügend begünstigt angesehen würden.

Bei seinen - des Klägers - Bezügen handele es sich dagegen um normales, laufendes Gehalt, das, wenn auch nicht nach deutschem Einkommensteuerrecht, "steuerbelastet" sei. Der Subventionsgedanke des § 28 BerlinFG, der den "Standortnachteil" Berliner Arbeitnehmer ausgleichen solle, treffe in vollem Umfang auf seinen Fall zu.

Ergänzend hierzu sei noch auf das Schreiben des Senators für Finanzen in Berlin vom 1. November 1973 III C 1-S 1977 b-22/73 verwiesen. Dadurch werde den amerikanischen Lehrern der X-Schule die genannte Zulage gewährt, obwohl auch sie nicht der deutschen Einkommensbesteuerung unterlägen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG erhalten Arbeitnehmer, denen Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis i. S. des § 23 Nr. 4 Buchst. a BerlinFG zufließt, eine Vergünstigung durch Gewährung von Zulagen. Nach § 28 Abs. 2 BerlinFG ist Bemessungsgrundlage für diese Zulage grundsätzlich der aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis bezogene Arbeitslohn des Lohnabrechnungszeitraums. Dabei bleiben jedoch nach § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG steuerfreie Einnahmen mit Ausnahme der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit außer Betracht.

Das FG hat die zuletzt genannte Vorschrift zu Recht dahin ausgelegt, daß für die dem Kläger gezahlten Gehälter keine Berlin-Zulage zu gewähren ist, weil sie nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen (so auch Urteil des FG Berlin vom 15. Februar 1980 III 348/78, nicht veröffentlicht). Im gleichen Sinne hat der Senat durch sein Urteil vom 10. Dezember 1982 VI R 35/79 (BFHE 137, 335, BStBl II 1983, 188) hinsichtlich der Arbeitslöhne entschieden, bei denen die auf sie entfallende Einkommensteuer nach dem sog. Montageerlaß erlassen worden ist. Das muß nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG erst recht für Gehälter und Bezüge gelten, die nach Art. 16 Abs. 1 des vorgenannten Protokolls von der staatlichen Einkommensteuer befreit sind. Art. 16 dieses Protokolls ist eine Steuerbefreiungsvorschrift nach deutschem Steuerrecht. Denn hierdurch wird das bis dahin geltende und im wesentlichen inhaltsgleiche Protokoll ersetzt, das als Anlage zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) nach dessen Art. 239 Bestandteil des Vertrages gewesen war (vgl. hierzu Thiesing in Groeben/Boecker/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Baden-Baden 1983, nach Anm. 9 zu Art. 218). Nach Art. 189 Abs. 2 EWGV sind die zur Ausführung des Vertrages durch die zuständigen Organe der Gemeinschaft erlassenen Verordnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht. Einem Protokoll, das von den Vertretern aller Staaten unterzeichnet und als Bestandteil des EWGV anzusehen ist, kann daher rechtlich keine geringere Bedeutung zukommen. Auch hinsichtlich Berlin (West) gilt nichts anderes. Denn der EWGV ist in Berlin (West) geltendes Recht (Gesetz vom 12. Dezember 1957, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBI - 1957, 1791).

Dieser vom FG am Gesetzeswortlaut orientierten Auslegung steht der Sinn und Zweck des Gesetzes nicht entgegen. Zwar hat sich die Regelung über die Berlin-Zulagen für Arbeitnehmer ursprünglich aus einer Lohnsteuerermäßigungsvorschrift entwickelt (vgl. dazu die Schilderung der gesetzlichen Maßnahmen bei Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Berlin 1973, Anm. 1 ff. zu § 28). Diese brachte aber für den Arbeitnehmer dann keinen oder nur einen geringfügigen Vorteil, wenn er entweder gar keine oder nur eine geringe Steuer zu zahlen hatte. Daher wurde das Steuerermäßigungsverfahren durch eine Zulagenregelung ergänzt, die auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung ist. Danach ist Bemessungsgrundlage für die Arbeitnehmerzulage nach § 28 Abs. 1 i. V. m. § 23 Nr. 4 Buchst. a BerlinFG grundsätzlich der Bruttoarbeitslohn, und zwar auch dann, wenn bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen an seine Stelle andere Bezüge getreten sind (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 3 BerlinFG). Ausdrücklich sind jedoch - wie schon erwähnt - nach § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG als Bemessungsgrundlage für die Zulage solche Einnahmen ausgenommen, die - wie hier die Dienstbezüge des Klägers - nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Es mag zutreffen, daß - wie der Kläger darlegt - der gesetzgeberische Grund für die Zulagen, nämlich die Gewinnung qualifizierter Arbeitnehmer für Berlin (West), insbesondere auch in bezug auf die supranationalen Organisationen gilt. Der Senat sieht sich jedoch außerstande, entgegen dem vorstehend erwähnten eindeutigen Gesetzeswortlaut in die Bemessungsgrundlage auch solche Gehälter und Bezüge einzubeziehen, die der Gesetzgeber gerade nicht berücksichtigt wissen wollte. Daran vermag der Inhalt des vom Kläger vorgelegten Erlasses des Senators für Finanzen in Berlin vom 1. November 1973 nichts zu ändern; denn dieser betrifft nicht den Kläger, sondern nur die dort näher bezeichneten amerikanischen Lehrkräfte.

Endlich ist auch der Hinweis des Klägers, daß seine nach alledem nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte sich nach § 32 b EStG gleichwohl auf den anzuwendenden Steuerprogressionssatz auswirkten, für das Ergebnis ohne Bedeutung. Denn dadurch werden die betreffenden Einkünfte nicht der deutschen Einkommensteuer unterworfen, sondern führen nur dazu, daß sich durch ihren Bezug für den Steuerpflichtigen der Steuersatz hinsichtlich seines der deutschen Einkommensteuer unterliegenden (Rest-)Einkommens unter Umständen erhöht.