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BFH-Urteil vom 24.11.1983 (IV R 94/79) BStBl. 1984 II S. 135

Anschaffungskosten für geringwertige Anlagegüter i. S. des § 6 Abs. 2 EStG sind nicht in die Bemessungsgrundlage für die Bildung einer steuerfreien Rücklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG einzubeziehen, wenn der Steuerpflichtige die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch nimmt. Eine bereits gebildete Rücklage ist bei nachträglicher Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit insoweit aufzulösen.

EntwHStG 1969 § 1 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 6 Abs. 2.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Inhaberin mehrerer Lichtspieltheater. Im Jahre 1972 wandte sie für Anlagen in Entwicklungsländern (es handelt sich um drei Hotelappartements in Gran Canaria) einen Betrag von insgesamt 165.000 DM auf.

Nach den Erläuterungen zum Jahresabschluß 31. Dezember 1972 setzt sich dieser Betrag wie folgt zusammen:

Zahlungen insgesamt

 

165.000 DM

./. geringwertige

   

Wirtschaftsgüter

24.000 DM

 

./. Zinsen

7.500 DM

 

./. Beraterhonorar

7.500 DM

39.000 DM

 

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Aktivposten "Anlagen in

   

Entwicklungsländern"

 

126.000 DM

Als Passivposten bildete die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1972 eine Rücklage gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes (EntwHStG) in Höhe von (60 v. H. von 150.000 DM =) 90.000 DM.

Im Anschluß an die Feststellungen einer Betriebsprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) davon aus, daß die geringwertigen Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungskosten bereits im Jahre 1972 gemäß § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in vollem Umfang als Betriebsausgaben abgesetzt worden waren, erst im Jahre 1973 angeschafft worden sind. Die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG könne daher erst für das Jahr 1973 beansprucht werden. Außerdem müsse die in Höhe von 90.000 DM gebildete Rücklage im Jahre 1973 insoweit gewinnerhöhend aufgelöst werden, als sie auf die Anschaffung der geringwertigen Wirtschaftsgüter entfalle (d. h. in Höhe von 60 v. H. von 24.000 DM = 14.400 DM). Zur Begründung seiner Auffassung bezog sich das FA auf die Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - FME - vom 10. Juli 1972 S 1981 - 18 - 31567 (ESt-Kartei der Oberfinanzdirektionen - OFD - München-Nürnberg, Entwicklungshilfe-Steuergesetz, Karte 7). Auf dieser Grundlage erließ das FA für die Einkommensteuer 1973 einen Änderungsbescheid.

Den Einspruch wies das FA zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Einkommensteuer 1973 dem Antrag der Klägerin entsprechend herab. Zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 293 veröffentlichten Entscheidung führte es aus, es sei nicht zulässig, wegen der Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter im Jahre 1973 die im Jahre 1972 gewinnmindernd nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG gebildete Rücklage anteilig gewinnerhöhend wieder aufzulösen. Eine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage sei nach § 5 Abs. 2 EntwHStG nur für den Fall vorgeschrieben, daß die Kapitalanlage mit dem niedrigeren Teilwert angesetzt werde. Eine ausdehnende Anwendung dieser Vorschrift auf den hier vorliegenden Fall der Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 EStG sei nicht geboten. Der Ansatz des niedrigeren Teilwerts nach § 6 Abs. 1 EStG und die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG seien verschiedene Rechtsinstitute.

Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen - Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 1 EntwHStG. Die genannte Vorschrift solle sicherstellen, daß die Höhe der steuerfreien Rücklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG vom Bilanzansatz der Kapitalanlage abhängig ist. Es verstoße gegen Sinn und Zweck des Gesetzes, eine Rücklage zuzulassen, wenn ein entsprechender Bilanzansatz der Kapitalanlage gemäß § 6 Abs. 2 EStG unterbleibe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. ...

2. Der Senat versteht den vom FG festgestellten Sachverhalt dahin, daß in dem von der Klägerin im Jahre 1972 gezahlten Betrag von 165.000 DM eine Vorauszahlung für die Anschaffung von geringwertigen Anlagegütern i. S. des § 6 Abs. 2 EStG in Höhe von 24.000 DM enthalten war und die Lieferung dieser Anlagegüter (und damit deren "Anschaffung" im Sinne des Einkommensteuerrechts; vgl. § 9 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -) erst im Jahre 1973 erfolgte.

3. Der Auffassung des FG, nach der die Anschaffungskosten für geringwertige Anlagegüter i. S. des § 6 Abs. 2 EStG auch dann in die Bemessungsgrundlage für die Bildung einer steuerfreien Rücklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG einzubeziehen sind, wenn die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch genommen wird, kann nicht gefolgt werden.

a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG können Steuerpflichtige, die den Gewinn aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermitteln, und die nach dem 31. Dezember 1962 und vor dem 1. Januar 1974 Entwicklungshilfe durch Kapitalanlagen in Entwicklungsländern leisten, für die Ermittlung des Gewinns eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden.

Bemessungsgrundlage für die Bildung einer solchen Rücklage sind grundsätzlich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Kapitalanlagen; die Rücklage kann bis zu 50 v. H. (unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 EntwHStG auch bis zu 60 v. H.) dieser Bemessungsgrundlage betragen.

b) Das Wesen der "den steuerlichen Gewinn mindernden Rücklage" i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG liegt in der Aufnahme eines Passivpostens in das Rechnungswesen des Steuerpflichtigen; mit der Bildung dieses Passivpostens wird es ihm ermöglicht; in dem Jahr, in dem die Entwicklungshilfe durch Kapitalanlagen geleistet wird, seinen Gewinn zu mindern, und zwar in einer Höhe, die von dem Umfang der geleisteten Kapitalanlage abhängt. Die Ertragsteuerlast wird hierdurch allerdings nicht endgültig aufgehoben, sondern nur für eine gewisse Zeit hinausgeschoben. Die Rücklagen sind vom sechsten Jahr ihrer Bildung an schrittweise gewinnerhöhend wieder aufzulösen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG).

c) Wenn auch bei der Bemessung der Rücklage grundsätzlich an die "Anschaffungs- und Herstellungskosten der Kapitalanlagen" anzuknüpfen ist, so sind diese Kosten doch nicht in jedem Fall für die Berechnung der Rücklage maßgebend. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Anschaffungs- und Herstellungskosten für geringwertige Anlagegüter i. S. des § 6 Abs. 2 EStG, die im Jahre der Anschaffung (Herstellung) in vollem Umfang als Betriebsausgaben abgesetzt werden.

Ein Teil des Schrifttums (Bopp/Richter in Rädler/Raupach, Handbuch der steuerbegünstigten Kapitalanlagen, S. 374 f.; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., Rdnr. 17 zu § 1 EntwLStG; Flick/Husmann, Das neue Entwicklungsländer-Steuergesetz, S. 47 ff.; Scheiterle, Betriebs-Berater - BB - 1972, 956; o. V., Der Betrieb - DB - 1972, 1364) vertritt allerdings die Auffassung, daß die für die Herstellung oder den Erwerb geringwertiger Anlagegüter verwendeten Mittel auch der Bemessung der steuerfreien Rücklage zugrunde gelegt werden können; dies werde jedenfalls vom Gesetz nicht ausgeschlossen. § 5 Abs. 2 EntwHStG sehe zwar für den Fall einer Teilwertabschreibung auf die Kapitalanlagen eine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage vor. Eine rechtsähnliche Anwendung dieser Vorschrift auf die Anschaffung oder Herstellung von geringwertigen Anlagegütern und deren sofortige Abschreibung gemäß § 6 Abs. 2 EStG sei indessen nicht möglich. Denn die Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 EStG sei ihrem Wesen nach etwas anderes als die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG.

Demgegenüber vertreten die Finanzverwaltung (FME vom 10. Juli 1972 S 1981 - 18 - 31567, ESt-Kartei der OFD München-Nürnberg, Entwicklungshilfe-Steuergesetz, Karte 7) sowie ein Teil des Schrifttums (Bordewin in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Anm. 48 im Anhang zu §§ 4 bis 5 EStG; Söffing, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1972, 385, 386) die Ansicht, die Geltendmachung der Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG komme im Ergebnis einer Teilwertabschreibung im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung auf null DM gleich. Da eine Teilwertabschreibung gemäß § 5 Abs. 2 EntwHStG zu einer vorzeitigen gewinnerhöhenden Auflösung der Rücklage führe, dürften auch geringwertige Anlagegüter, für die die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch genommen worden sei, bei der Bemessung der steuerfreien Rücklage nicht berücksichtigt werden.

Der Senat hält diese Auffassung - jedenfalls im Ergebnis - für zutreffend. Bei der Anschaffung oder Herstellung geringwertiger Anlagegüter i. S. des § 6 Abs. 2 EStG besteht für den Steuerpflichtigen die Wahl, diese Wirtschaftsgüter entweder zu aktivieren und sie dann gemäß § 7 EStG entsprechend ihrer tatsächlichen Nutzungs- oder Verwendungsdauer im Wege regelmäßiger Absetzung für Abnutzung (AfA) abzuschreiben oder die Kosten der Anschaffung (Herstellung) sofort in vollem Umfang als Betriebsausgaben abzuziehen. Entschließt sich der Steuerpflichtige zur sofortigen Absetzung nach § 6 Abs. 2 EStG, so wird sein Gewinn schon im Jahre der Anschaffung (Herstellung) in Höhe der vollen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gemindert. Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten treten in der Bilanz nicht (oder allenfalls als Erinnerungsposten) in Erscheinung. Mit der buchmäßigen Behandlung als Betriebsausgaben können diese Kosten auch in anderen Zusammenhängen nicht mehr als "Anschaffungs- und Herstellungskosten" angesetzt werden. Insbesondere können sie nicht mehr als Grundlage für die Bemessung von Steuervorteilen herangezogen werden, die nach dem Gesetz an die Anschaffungs- und Herstellungskosten anknüpfen.

Diese Rechtsfolge steht in Einklang mit den Vorschriften, nach denen die Anschaffungs- und Herstellungskosten für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern als Grundlage für die Bemessung einer Rücklage insoweit ausscheiden sollen, als ihr Ansatz in der Bilanz durch Ausübung gesetzlicher Bewertungswahlrechte herabgesetzt wird. Macht z. B. der Steuerpflichtige auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten der Kapitalanlagen einen Bewertungsabschlag nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 EntwHStG (in Höhe von bis zu 15 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten) geltend, so entfällt der auf den Bewertungsabschlag entfallende Teil dieser Kosten als Grundlage für die Bemessung der Rücklage; nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG kann die Rücklage nur bis zur Höhe von 50 v. H. der um den Bewertungsabschlag verminderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten gebildet werden. Ähnliches gilt auch nach der in § 5 Abs. 2 EntwHStG vorgesehenen Regelung. § 5 Abs. 2 EntwHStG schreibt vor, daß eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG gebildete Rücklage im Jahre des Ansatzes des niedrigeren Teilwerts (§ 6 EStG) der Kapitalanlagen in Höhe des Anteils, der dem Unterschied zwischen dem Wert, mit dem die Kapitalanlagen bisher angesetzt waren und dem niedrigeren Teilwert entspricht, vorzeitig gewinnerhöhend aufzulösen ist. Daraus folgt, daß die Rücklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG nur auf der Grundlage des niedrigeren Teilwerts bemessen werden kann, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter bereits im Jahre der Anschaffung oder Herstellung mit ihrem niedrigeren Teilwert angesetzt werden. Denn wenn eine in den Folgejahren vorgenommene Teilwertabschreibung nach dem Gesetz zu einer gewinnerhöhenden Auflösung der Rücklage führt, dann kann bei einer bereits im Jahr der Anschaffung oder Herstellung durchgeführten Teilwertabschreibung der abgeschriebene Teil der Anschaffungs- und Herstellungskosten gar nicht erst als Bemessungsgrundlage für die Rücklage in Betracht kommen.

Wird - wie im Streitfall - für die Anschaffung von geringwertigen Anlagegütern i. S. des § 6 Abs. 2 EStG eine Vorauszahlung geleistet, ohne daß zunächst die Lieferung dieser Wirtschaftsgüter erfolgt, so wird in der Bilanz des Steuerpflichtigen für das Jahr der Zahlung in Höhe des Vorauszahlungsbetrags die Forderung auf Lieferung aktiviert. Dieser Forderungsbetrag kann auch als Grundlage für die Bemessung der Rücklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 EntwHStG dienen (vgl. § 1 Abs. 4 EntwHStG); denn bis zum Jahr der Lieferung und der Ausübung des Bewertungswahlrechts nach § 6 Abs. 2 EStG bleibt zunächst offen, ob von der Möglichkeit des sofortigen Abzugs der Anschaffungskosten Gebrauch gemacht wird. Entscheidet sich der Steuerpflichtige nach der Lieferung für eine Aktivierung dieser Wirtschaftsgüter, so bleibt die Rücklage in ihrer bisherigen Höhe erhalten. Setzt der Steuerpflichtige dagegen die Anschaffungskosten nach Lieferung der geringwertigen Anlagegüter gemäß § 6 Abs. 2 EStG als Betriebsausgaben ab, dann erweist sich die Rücklagenbildung, soweit sie die Anschaffungskosten dieser Wirtschaftsgüter zur Bemessungsgrundlage hat, als ungerechtfertigt. Die Rücklage ist deshalb insoweit im Jahr der Lieferung (und der Ausübung des Bewertungswahlrechts nach § 6 Abs. 2 EStG) gewinnerhöhend aufzulösen.

4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben. Da der angefochtene Bescheid in der hier streitigen Frage zu einem zutreffenden Ergebnis gekommen ist, war die Klage abzuweisen.