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BFH-Urteil vom 13.10.1983 (I R 155/79) BStBl. 1984 II S. 286

1. Der Übernehmer eines Vermögens, das aus einem Grundstück besteht, haftet gemäß § 419 Abs. 1 BGB für Schulden, die vor Eingang des Antrags auf Umschreibung oder auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt entstanden sind.

2. Bei einem Grundstückskaufvertrag wird die Steuerschuld "im Keim" begründet mit dem Übergang von Besitz und Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber.

BGB § 419 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Gesellschafter der B-GmbH.

Durch Gesellschafterbeschluß vom 20. März 1969, eingetragen im Handelsregister am 1. April 1969, wurde die GmbH zum 31. März 1969 aufgelöst und am 27. August 1970 im Handelsregister gelöscht.

Die GmbH veräußerte mit notariellem Kauf- und Auflassungsvertrag vom 20. März 1969 ihr gesamtes aus einem mit 16 Wohnungen und fünf Garagen bebauten Grundstück bestehendes Vermögen an ihre bisherigen Gesellschafter, die aus diesem Anlaß eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet hatten. Die Grundbucheintragung datiert vom 30. Juli 1969.

Bei einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß die Grundstücksübertragung eine verdeckte Kapitalrückzahlung an die Gesellschafter darstelle, weil ein ungerechtfertigt niedriger Kaufpreis vereinbart worden sei.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ daraufhin einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für den Abwicklungszeitraum 1969/1970, demzufolge die GmbH noch Körperschaftsteuer in Höhe von 40.146 DM und Ergänzungsabgabe in Höhe von 1.204 DM schuldete. Der Bescheid, der einem Liquidator zugestellt wurde, wurde bestandskräftig.

Wegen dieser Steuerschuld nahm das FA - wie das Finanzgericht (FG) ausführt - auch die Klägerin als Erbin ihres Ehemannes durch Haftungsbescheid vom 31. März 1977 in Anspruch, da die Gesellschafter der GmbH nach § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), § 120 der Reichsabgabenordnung (AO) als Gesamtschuldner hafteten.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung sachlichen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen des § 419 BGB vorliegen.

a) Der Übernehmer eines Vermögens, das aus einem Grundstück besteht, haftet gemäß § 419 Abs. 1 BGB für Schulden, die vor Eingang des Antrags auf Umschreibung oder auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt entstanden sind (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 13. Juli 1960 V ZR 19/59, BGHZ 33, 123, und vom 18. Dezember 1970 IV ZR 1082/68, BGHZ 55, 105; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 42. Aufl., 1983, Anm. 4 a zu § 419).

Das FG hat dagegen darauf abgestellt, ob der Körperschaftsteueranspruch der GmbH bis zur Eintragung im Grundbuch entstanden war.

b) Weiterhin läßt sich den Ausführungen des FG nicht entnehmen, welcher Sachverhalt seiner Auffassung nach die Entstehung der Körperschaftsteuer hinsichtlich der Kapitalrückzahlung in Form der verbilligten Grundstücksübertragung begründete und wann dieser Sachverhalt verwirklicht wurde.

Nach der Rechtsprechung des BGH und auch bereits des Reichsgerichts - RG - (vgl. BGH-Urteile vom 22. Mai 1981 V ZR 111/80, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 2306; vom 15. Mai 1963 V ZR 128/61, BGHZ 39, 275, und vom 8. Mai 1963 VIII ZR 12/62, Monatsschrift für Deutsches Recht, 1963, 670; RG-Urteile vom 12. Januar 1933 IV 353/32, RGZ 139, 199, und vom 12. November 1908 VI 633/07, RGZ 69, 416) genügt es für die Anwendung des § 419 BGB, daß der fragliche Anspruch vor dem maßgeblichen Zeitpunkt nur bedingt entstanden oder sonst "im Keim" begründet war.

Die Körperschaftsteuer entstand erst mit Ablauf des Abwicklungszeitraums (vgl. § 3 Abs. 5 Nr. 1 c des Steueranpassungsgesetzes, § 14 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - a. F.); die einzelnen steuerbegründenden Tatbestände wurden jedoch während des Veranlagungszeitraums nach und nach verwirklicht und begründeten die später entstehende Steuerschuld "im Keim".

Bei einem Grundstückskaufvertrag wird der Gewinn realisier - und damit der Steuertatbestand verwirklicht und der Steueranspruch begründet - mit dem Übergang von Besitz und Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. Oktober 1972 I R 213/69, BFHE 107, 418, BStBl II 1973, 209; Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1983, Anm. 61 zu § 5).

c) Für die Frage, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes für die Körperschaftsteuerschuld der GmbH gemäß §§ 191 Abs. 1, 45 Abs. 1, 37 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) haftet, ist daher entscheidend, wann der Antrag auf Umschreibung des Grundstücks bzw. auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung gestellt wurde und ob zu diesem Zeitpunkt das Grundstück wirtschaftlich bereits auf die Erwerber übergegangen war.

Ist das der Fall, ist § 419 BGB anzuwenden, da sich das Grundstück noch in der Hand der GmbH befand, als der Steueranspruch begründet wurde. Wurde der Steuertatbestand dagegen erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt verwirklicht, scheidet eine Haftung gemäß § 419 BGB aus.

2. Zur Frage, ob die Klägerin in bezug auf den Haftungsanspruch Verjährung geltend machen kann, ist folgendes zu beachten:

a) Aus der Regelung des Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) folgt im Umkehrschluß, daß die Verjährung von Haftungsansprüchen, deren Tatbestand vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht worden ist, nach den Vorschriften der AO zu beurteilen ist.

Nach § 97 Abs. 2 AO gelten die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, also auch die Vorschriften über die Verjährung (§§ 143 ff. AO), sinngemäß - nur - für die Personen, die nach den Steuergesetzen haften. Haftet jemand dagegen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, so gelten diese Vorschriften, soweit § 330 AO, der lediglich das Haftungsverfahren regelt, nichts anderes vorschreibt (§ 120 Abs. 1 Satz 2 AO; vgl. auch § 191 Abs. 4 AO 1977). Zu diesen Vorschriften gehören aber auch die Verjährungsvorschriften (vgl. §§ 194 ff. BGB). Die Ausführungen des FG sind insoweit nicht zu beanstanden.

b) Ebenso aber wie der nach den Steuergesetzen Haftende gemäß § 149 AO nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, wenn - von den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift abgesehen - der Anspruch gegen den Abgabenpflichtigen verjährt ist, kommt auch die Haftung nach bürgerlichem Recht nicht mehr zum Zuge, wenn der Anspruch gegen den Erstschuldner erloschen ist (vgl. Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., 1963, Anm. 2 zu § 149; vgl. auch § 191 Abs. 5 AO 1977).

Das FG wird daher zu prüfen haben, ob bei Erlaß des Haftungsbescheides der gegen die GmbH gerichtete Steueranspruch bereits verjährt war.

3. Mit der Zurückverweisung erlangt die Klägerin auch die Möglichkeit, Einwendungen gegen die Steuerschuld der GmbH (vgl. § 119 AO, § 166 AO 1977) und gegen ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin vorzutragen.