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BFH-Urteil vom 20.12.1983 (VII R 80/80) BStBl. 1984 II S. 419

1. Der Anspruch des Bankkunden aus dem Girovertrag auf Auszahlung des sich zwischen den Rechnungsabschlüssen ergebenden Tagesguthabens unterliegt der Pfändung (Anschluß an die Rechtsprechung des BGH).

2. Kontokorrentgebundene Habenposten begründen keine pfändbaren Auszahlungsansprüche.

AO 1977 § 319; ZPO § 851.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Beigeladene schuldet dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) Steuern und Nebenkosten in Höhe von 71.265,56 DM. Wegen dieser Steuerschulden erließ das FA gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Kreditinstitut, am 15. Februar 1979 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Nach erfolgloser Beschwerde erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung die Pfändungsverfügung des FA insoweit aufzuheben, als nicht nur der jetzige Saldo und die künftigen Salden aus den vereinbarten Kontokorrentabschlüssen gepfändet worden sind. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 9. Juni 1980 V 235/79 ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 533).

Entscheidungsgründe

Die Revision hat teilweise Erfolg.

Die Klägerin hat die Pfändungs- und Überweisungsverfügung des FA vom 15. Februar 1979 nur insoweit angegriffen, als damit weitergehende Forderungen des Vollstreckungsschuldners aus dem Kontokorrent- bzw. Giroverhältnis gepfändet worden sind als die gegenwärtigen und künftigen Kontokorrentsalden. Diese weitergehenden Pfändungen betreffen nach dem Wortlaut der Verfügung

1. "alle gegenwärtigen und künftigen aufgrund des Geschäftsverhältnisses (z. B. Giroverhältnis) bestehenden Ansprüche des Vollstreckungsschuldners auf Gutschrift der einzelnen Beträge, auf laufende Auszahlung der zwischen den Rechnungsabschlüssen auf seinem Kontokorrentkonto oder einem sonstigen Konto gutgeschriebenen Beträge einschließlich gutgeschriebener Kreditmittel sowie auf Durchführung von Überweisungen an Dritte", sowie

2. "die nach Eingang der Pfändungsverfügung eingehenden und in das Kontokorrent einzustellenden Zahlungen (Habenposten), soweit sie nicht zur Tilgung eines bestehenden, mit dem gepfändeten Kontokorrentkonto in rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Kredits zu verwenden sind".

1. Die unter Nr. 1 genannte Pfändung ist rechtmäßig. Die Revision ist insoweit unbegründet.

Die Vollstreckung des FA in Forderungen ist in den §§ 309 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) geregelt. Die Beschränkungen und Verbote der §§ 850 bis 852 ZPO gelten dafür sinngemäß (§ 319 AO 1977). Nach § 851 Abs. 1 ZPO hängt die Pfändbarkeit einer Forderung von deren Übertragbarkeit ab. Diese Vorschriften stehen der Rechtmäßigkeit der Pfändungsverfügung nicht entgegen.

a) Der Anspruch des Vollstreckungsschuldners auf Gutschrift "der einzelnen Beträge", d. h. aller Eingänge, kann nach wohl allgemeiner Meinung gepfändet werden. Nach dieser Pfändung wird jedoch nur sichergestellt, daß alle eingehenden Beträge dem Konto auch tatsächlich gutgebracht, also nicht Gegenstand von Verfügungen werden, die diese Beträge an dem Konto vorbeileiten. Diese Pfändung ist also lediglich eine Hilfspfändung. Sie bedeutet nicht etwa die Pfändung eines Anspruchs auf Auszahlung eines Guthabens oder gar des Gegenswerts eines Habenpostens (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Celle vom 18. Februar 1981 3 U 138/80, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZiP - 1981, 496; Werner-Machunsky, Zur Pfändung von Ansprüchen aus Girokonten, Betriebs-Berater - BB - 1982, 1581, 1583 und Fußnoten 14 und 15; Canaris, Großkommentar HGB, 3. Aufl., Bd. III/3 - Bankvertragsrecht, zweite Bearbeitung - 1981 Rdnrn. 189, 409).

b) Die unter Nr. 1 aufgeführte Pfändung betrifft im übrigen die Forderung des beigeladenen Vollstreckungsschuldners als Kontoinhaber aus dem Girovertrag gegen die Klägerin auf Auszahlung des zwischen zwei Rechnungsabschlüssen entstehenden Kontoguthabens (sog. Tagessaldo oder Tagesguthaben). Die Pfändung dieser Forderung ist rechtmäßig.

Der Girovertrag gibt dem Kunden das Recht, die Auszahlung des Tagesguthabens zu verlangen. Diese Geldforderung ist wie jede andere Geldforderung grundsätzlich übertragbar und pfändbar. Der personengebundene Charakter des Girovertrages steht dem nicht entgegen, da es sich um den Anspruch auf Auszahlung einer Geldsumme und nicht um jenen auf eine Dienstleistung handelt. Ein etwaiges Verbot der Abtretung des Guthabens im Girovertrag ist nach § 851 Abs. 2 ZPO ohne Bedeutung. Auch die Kontokorrentabrede führt nicht zur Unpfändbarkeit der Forderung. Sie hat zwar die Unpfändbarkeit der kontokorrentzugehörigen Einzelforderungen zur Folge. Da aber das Kreditinstitut dem Girokunden einen vertraglichen Anspruch auf Auszahlung des Tagesguthabens einräumt, ist dieser Anspruch der Kontokorrentabrede nicht unterworfen. Die Interessen der Beteiligten sprechen nicht gegen die Zulassung dieser Pfändung.

Damit teilt der erkennende Senat voll die Auffassung des BGH (Urteile vom 30. Juni 1982 VIII ZR 129/81, BGHZ 84, 325, und vom 8. Juli 1982 I ZR 148/80, BGHZ 84, 371). Auf die Begründung der beiden Urteile wird verwiesen. Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der Auffassung der Klägerin, die Zulassung einer solchen Pfändung belaste sie als Kreditinstitut in unzumutbarer Weise. Der BGH hat ausführlich seine Auffassung begründet, warum dem Kreditinstitut kein schutzwürdiges Interesse daran zuzuerkennen ist, sich dem Anspruch der Pfändbarkeit des Tagesguthabens zu entziehen (BGHZ 84, 325, Abschn. II Nr. 2d; BGHZ 84, 371, Nr. 2).

c) Es bedarf keiner Entscheidung der Frage, ob Ansprüche des Vollstreckungsschuldners auf Kreditgewährung pfändbar sind (zum Problem vgl. z. B. Canaris, a. a. O., Rdnrn. 1222 ff.; Werner-Machunsky, BB 1982, 1581, 1583). Denn das FA hat durch seine Verfügung vom 15. Februar 1979 lediglich die Tagesguthaben "einschließlich gutgeschriebener Kreditmittel" gepfändet. Damit hat es nicht einen etwaigen Anspruch des Kontoinhabers auf Kreditgewährung gepfändet, sondern lediglich dessen Forderung auf Auszahlung eines Tagesguthabens. Indem das Kreditinstitut etwaige Kreditmittel dem Konto gutschreibt, tut es dar, daß der Kontoinhaber darüber verfügen kann, wie über das sonstige etwa aus anderen Quellen gespeiste Guthaben. Der Kontoinhaber hat also insoweit eine in der Übertragbarkeit nicht beschränkte oder allenfalls eine nur vertraglich beschränkte Forderung. Diese ist daher auch pfändbar (§ 319 AO 1977 i. V. m. § 851 Abs. 1 und 2 ZPO).

2. Das FG hat zusätzlich die oben unter Nr. 2 genannte Pfändung ausgebracht. Es bedarf hier keines Eingehens auf die Bedeutung der Einschränkung dieser Pfändung auf "Habenposten", die "nicht zur Tilgung eines ... Kredits zu verwenden sind". Denn die genannte Pfändung ist schlechthin unrechtmäßig, kann also auch durch diese Einschränkung nicht geheilt werden.

Diese Maßnahme unterscheidet sich von der Pfändung der Forderung auf Auszahlung eines Tagesguthabens. Sie hat grundsätzlich das Ziel, das Kreditinstitut zur Überweisung sämtlicher Kontogutschriften (positiven Posten oder Habenposten) an das FA selbst dann zu verpflichten, wenn sie nicht zu einem Tagesguthaben führen (vgl. Werner-Machunsky, BB 1982, 1583). Diese Pfändung ist aber nicht zulässig.

Die Pfändung einer Forderung auf Auszahlung eines Geldbetrages setzt voraus, daß dem Vollstreckungsschuldner eine solche Forderung gegen den Drittschuldner auch zusteht. Die in das Kontokorrent einzustellenden Habenposten bringen jedoch keinen Auszahlungsanspruch des Kontoinhabers gegen das Kreditinstitut zur Entstehung. Sie führen allenfalls zur Entstehung eines Verrechnungsanspruchs und - möglicherweise - zur Entstehung eines Tagesguthabens; die Forderung auf Auszahlung eines solchen Guthabens hat das FA aber - zu Recht (vgl. oben Nr. 1) - gesondert gepfändet. Soweit auch nach Gutschrift des Habenpostens ein Sollsaldo oder ein ausgeglichenes Konto verbleibt, entsteht keine Auszahlungsforderung des Vollstreckungsschuldners gegen das Kreditinstitut, die Gegenstand einer Pfändung sein könnte (vgl. Urteil des OLG Oldenburg vom 29. November 1978 5 U 19/78, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1979, 591, 594; Schlegelberger-Hefermehl, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl., § 357 Anm. 16; Werner-Machunsky, BB 1982, 1583; Herz, Pfändung von Forderungen aus dem Bankkontokorrent, Der Betrieb - DB - 1974, 1851; Canaris, a. a. O., Rdnr. 190 und Bd. III/2, § 335 Anm. 25 und § 357 Anm. 6).

Auch aus den zitierten BGH-Urteilen in BGHZ 84, 325 und 371, sowie aus dem BGH-Urteil vom 13. März 1981 I ZR 5/79 (BGHZ 80, 172) ergibt sich, daß in ein Kontokorrent einzustellende Habenposten nicht pfändbar sind. Der BGH hatte zwar die Frage der Rechtmäßigkeit der Pfändung hinsichtlich von Habenposten in diesen Urteilen nicht zu entscheiden. In den beiden erstgenannten Urteilen war aber das maßgebende Argument des BGH für die Bejahung der Pfändbarkeit der Ansprüche auf Auszahlung der Tagesguthaben, daß der Girovertrag das Kreditinstitut verpflichtet, ein Guthaben auf Wunsch des Kunden sofort auszuzahlen. Eine gleiche Verpflichtung ergibt sich nicht hinsichtlich reiner Habenposten, deren Gutschrift zu keinem Guthaben führt. Überdies gehen alle drei zitierten BGH-Urteile unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH davon aus, daß kontokorrentgebundene Einzelforderungen nicht pfändbar sind.

Das FG hat sich für seine andere Auffassung im wesentlichen auf Forgach (Die Doppelpfändung beim Bankkontokorrent und das Verfügungsrecht des Schuldners während der Rechnungsperiode, DB 1974, 809 ff., 1852 ff.) gestützt. Dieser ist allerdings, soweit ersichtlich, der einzige Autor, der diese Auffassung vertritt. Die übrigen von Werner-Machunsky (BB 1982, 1581, 1583, Fußnote 16) für diese Meinung zitierten Stimmen haben sich nicht zu diesem Problem geäußert, sondern allein zur Frage der Zulässigkeit der Pfändung der Tagesguthaben.

Forgach begründet seine Auffassung im wesentlichen damit, daß zwar das Kreditinstitut aufgrund des vereinbarten Verrechnungsrechts Habenposten mit Sollposten zu verrechnen befugt ist, gegenüber diesem Verrechnungsrecht aber das Pfändungspfandrecht des Gläubigers nach dem Grundsatz des § 851 Abs. 2 ZPO Vorrang habe. Forgach übersieht, daß Voraussetzung für eine Pfändung das Bestehen eines Auszahlungsanspruchs ist. Durch das Eingehen allein des Habenpostens beim Kreditinstitut ergibt sich noch kein Auszahlungsanspruch des Kunden, denn das Kreditinstitut ist zur Verrechnung mit Sollposten befugt. Der Grundsatz des § 851 Abs. 2 ZPO, auf den sich Forgach beruft, kann keine Grundlage für die Annahme abgeben, es sei mit dem Eingang des Habenpostens beim Kreditinstitut - gewissermaßen eine logische Sekunde vor der Verrechnung mit Sollposten - ein Auszahlungsanspruch des Vollstreckungsschuldners gegen das Institut entstanden. Diese Vorschrift kann keinen Tatbestand für die Entstehung einer solchen Forderung abgeben. Ob dem Kontoinhaber eine Forderung auf Auszahlung eines Geldbetrages gegen das Kreditinstitut zusteht, kann sich allein aus dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis ergeben. Dieses sieht aber die Verrechnung vor, also gerade nicht die Entstehung eines Auszahlungsanspruchs in Höhe des Habenpostens, wenn entsprechende Sollposten entgegenstehen.

Die Pfändung selbst kann schließlich eine solche Forderung auch nicht zur Entstehung bringen.