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BFH-Beschluß vom 18.1.1984 (I R 196/83) BStBl. 1984 II S. 441

Ein Prozeßbevollmächtigter hat seinen Bürobetrieb durch Führung eines Fristenkontrollbuches oder durch vergleichbare Einrichtungen sowie durch entsprechende Anweisungen an sein Büropersonal so zu organisieren, daß eine notierte Frist frühestens gelöscht werden darf, wenn das fristwahrende Schriftstück unterzeichnet und postfertig gemacht worden ist.

FGO § 56 Abs. 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 10. Mai 1983 zugestellt.

Durch Schriftsatz vom 6. Juni 1983 - beim FG eingegangen am 7. Juni 1983 - legte die Klägerin gegen das Urteil des FG Revision ein.

Mit Verfügung vom 3. August 1983 - dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 5. August 1983 zugestellt - teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit, daß die Revisionsbegründungsfrist am 11. Juli 1983 abgelaufen sei und daß die Begründung der Revision bisher nicht vorliege.

Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist der Ansicht, daß wegen des Fristversäumnisses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei (Schriftsatz vom 8. August 1983, eingegangen am 9. August 1983).

Für die Rechtsmittel sei in seiner Kanzlei ein qualifizierter Angestellter (Steuerbevollmächtigter) zuständig. Dieser konzipiere die Rechtsmittel, fertige sie an und unterschreibe sie. Die Rechtsmittelfristen würden von ihm persönlich überwacht. Er habe sich bis jetzt immer als höchst zuverlässig erwiesen. Auch Revisionen an den Bundesfinanzhof (BFH) würden von ihm vorbereitet.

Dieser Angestellte habe am 5. Juli 1983 ein Schreiben an den BFH entworfen, in welchem beantragt worden sei, die Revisionsbegründungsfrist bis zum 16. August 1983 zu verlängern. Das Konzept sei am 5. Juli in dreifacher Ausfertigung geschrieben worden. Das Sekretariat habe zwei Exemplare auf seinen, des Prozeßbevollmächtigten, Schreibtisch zur Unterschrift gelegt; das dritte Exemplar sei dem Angestellten für dessen Rechtsmittelakt mit der Zusicherung ausgehändigt worden, daß die anderen Exemplare am selben Tage nach Unterzeichnung zur Post gegeben würden. Der Angestellte habe sich nach Treu und Glauben darauf verlassen können, daß der Postversand ordnungsgemäß stattfinden werde. Er habe sich nicht mehr verpflichtet gefühlt, den Postausgang weiterhin persönlich zu überwachen.

Er, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, habe am späten Nachmittag des 5. Juli, nachdem er von einem Mandantenbesuch zurückgekehrt sei, sämtliche Ausgangspost unterschrieben.

Nachforschungen hätten ergeben, daß am 5. Juli 1983 auch mehrere Mandantenakten auf seinem Schreibtisch gelegen hätten. Ein Lehrling habe während seiner Abwesenheit diese nicht mehr benötigten Akten eingeordnet und in der Registratur abgelegt. Dabei seien versehentlich die beiden für den BFH bestimmten Schriftsätze in einem Akt abgelegt worden; nunmehr (am 5. August 1983) seien die nicht unterschriebenen Schriftstücke wieder aufgefunden worden. Es stehe somit fest, daß der Fehler auf ein Büroversehen zurückzuführen sei.

Zur Organisation seines Büros erklärte der Prozeßbevollmächtigte, daß sämtliche Eingangspost seiner Kanzlei mittels einer EDV-Anlage erfaßt werde; danach würden die eingegangenen Schriftsätze dem jeweils zuständigen Sachbearbeiter ausgehändigt.

Daneben führe der für die Rechtsmittel zuständige Angestellte ein handschriftliches Loseblattregister "Eingangspost Rechtsabteilung". Dieses Register erfasse den Namen des Mandanten, den Sachverhalt, was zu tun sei und wann die Frist ende. Sobald eine Sache erledigt sei, streiche der Angestellte diese in seinem Register durch. Sei ein Blatt aus diesem Register vollständig erledigt, werde es abgeheftet und aufbewahrt.

Mit am 16. August 1983 eingegangenem Schriftsatz begründete die Klägerin die Revision.

Die Klägerin beantragt, ihr wegen der Nichteinhaltung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Vorentscheidungen aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt sinngemäß, die Revision zu verwerfen, hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unzulässig; sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden (vgl. § 124 FGO).

1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.

Im Streitfall wurde das Urteil des FG dem Bevollmächtigten der Klägerin am 10. Mai 1983 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief demnach am 11. Juli 1983, einem Montag, ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am 16. August 1983 beim BFH ein, ohne daß die Klägerin, wie es § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich vorschreibt, vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beantragt hatte, diese Frist zu verlängern.

2. Der Klägerin kann nicht gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, da der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Revisionsbegründungsfrist schuldhaft versäumt hat.

Dieses Verschulden, das sich die Klägerin zurechnen lassen muß (vgl. § 155 FGO, § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), besteht darin, daß der Ablauf von Fristen und der Ausgang von Schriftstücken im Büro des Prozeßbevollmächtigten nicht ordnungsgemäß überwacht wurden (Organisationsmangel).

Ein Prozeßbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist unerläßlich, daß ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung der Fristen geführt wird. Im Fristenkalender muß der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein; die Einhaltung der laufenden Fristen muß durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden. Die notierte Frist darf frühestens gelöscht werden, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück tatsächlich abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 1961 I 237/60 S, BFHE 73, 491, BStBl III 1961, 445; Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 22. März 1983 VI ZB 1/83, Versicherungsrecht 1983, 589).

Das von dem Prozeßbevollmächtigten vorgelegte Loseblattregister "Eingangspost Rechtsabteilung" genügt nicht diesen Voraussetzungen. Unter der Rubrik "Ende RB-Frist" ist, wie auch in anderen Fällen, für die Revision der Klägerin lediglich der - offenbar als Bearbeitungshinweis gedachte - Vermerk "bald" eingetragen. Dieser Vermerk ist durchgestrichen und durch die Datumsangabe "16.8.83" ersetzt; das ist der Tag, an dem die verlängerte Frist, wäre sie - wie beabsichtigt - beantragt und gewährt worden, geendet hätte. Diese Angaben lassen den Zeitpunkt des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist in keiner Weise erkennen.

Neben dieser unzulänglichen Fristenkontrolle fehlt auch eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die sichergestellt wird, daß Schriftstücke tatsächlich unterzeichnet und dann ordnungsgemäß abgesandt werden.

Hätte der Prozeßbevollmächtigte die Fristen- und Ausgangskontrolle in seinem Büro so organisiert, daß die Revisionsbegründungsfrist notiert und erst gestrichen worden wäre, wenn das Schriftstück postfertig, also auch unterschrieben, vorgelegen hätte, so wäre aufgefallen, daß der Antrag auf Fristverlängerung noch nicht abgesandt worden war. Der Antrag hätte dann noch rechtzeitig gestellt werden können.