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BFH-Urteil vom 4.4.1984 (II R 207/81) BStBl. 1984 II S. 494

1. Die Grunderwerbsteuervergünstigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStEigWoG darf nicht im Hinblick darauf versagt werden, daß dem erworbenen Gebäude zum Zeitpunkt des Erwerbs die Bezugsfertigkeit fehlte, sofern damals der Rohbau bereits vollendet war.

2. Eine Vollendung des Rohbaus in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das statisch-konstruktive Gefüge, die Schornsteine, die Brandwände, die Treppen und die Dachkonstruktion fertiggestellt sind, so daß das Bauwerk Gegenstand der landesrechtlich geregelten Rohbauabnahme sein kann.

GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

I.

Die Kläger sind Eheleute. 1978 kauften sie je zur ideellen Hälfte ein Grundstück, auf dem seinerzeit ein Einfamilienhaus errichtet wurde, zum Preis von ... DM, wovon ... DM auf das Bauwerk in seinem derzeitigen Zustand und ... DM auf den Grund und Boden entfielen. Zugleich traten sie an Stelle der Veräußerer in deren wegen der Gebäudeerrichtung mit einem Bauunternehmen geschlossenen Werklieferungsvertrag ein.

Dem Antrag der Kläger, den Erwerb nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG) freizustellen, entsprach das Finanzamt (FA) nicht, sondern setzte mit - geänderten - Bescheiden gegen jeden der beiden Kläger Grunderwerbsteuer fest. Hierbei ging das FA davon aus, daß von den Klägern nicht ein Einfamilienhaus, sondern ein Grundstück im Zustand der Bebauung erworben worden sei, so daß der Erwerb nach Maßgabe des auf den Grund und Boden entfallenden Gegenleistungsteils steuerfrei und im übrigen steuerpflichtig sei.

Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen, vom Finanzgericht (FG) verbundenen Klagen hat das FG die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, maßgebend für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG sei, daß zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages die Bauarbeiten wesentlich über den Zustand der Rohbaufertigstellung hinaus fortgeschritten gewesen seien.

Mit der - vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen - Revision beantragt das FA, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Das FA rügt Verletzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG und macht geltend, die Annahme, der Erwerb habe ein Einfamilienhaus zum Gegenstand, setze u. a. voraus, daß zum betreffenden Zeitpunkt überhaupt ein Gebäude vorhanden gewesen sei. Hierfür komme es gemäß § 74 des Bewertungsgesetzes (BewG) auf die Benutzbarkeit an, die mit der Bezugsfertigkeit gleichzusetzen sei. Bei fehlender Bezugsfertigkeit liege ein Grundstück im Zustand der Bebauung vor. Nichts Gegenteiliges ergebe sich aus dem BFH-Urteil vom 6. Mai 1981 II R 123/79 (BFHE 133, 316, BStBl II 1981, 585). Der BFH habe es in dieser Entscheidung nicht abgelehnt, zur Beantwortung der Frage, ob überhaupt ein Gebäude vorhanden sei, die betreffenden Vorschriften des BewG heranzuziehen.

Das GrEStEigWoG habe ausschließlich den Erwerb bebauter Grundstücke von der Besteuerung freistellen wollen (Hinweis auf BFH-Urteil vom 25. Juni 1980 II R 21/79, BFHE 131, 93, BStBl II 1980, 728). Dies gehe u. a. daraus hervor, daß durch das GrEStEigWoG nicht die Befreiung für den Erwerb von Grundstücken im Zustand der Bebauung gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. c des seinerzeit in Bremen geltenden Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer (GrESWG Bre) aufgehoben worden sei. Diese Ansicht stehe nicht in Widerspruch zu § 1 Abs. 1 Satz 2 GrEStEigWoG, wonach die Fünfjahresfrist für den Fall fehlender Fertigstellung beim Erwerb mit der Bezugsfertigkeit beginne. Hierunter fielen nur solche Sachverhalte, bei denen es der Veräußerer übernommen habe, das Gebäude in einen bezugsfertigen Zustand zu versetzen.

Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Kläger im Hinblick auf die ihnen zustehende - materiell vorläufige - Steuerbefreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 GrEStEigWoG nicht mit den angefochtenen Bescheiden hätten zur Grunderwerbsteuer herangezogen werden dürfen.

1. Die Kläger sind in den zwischen den Veräußerern und einem Bauunternehmen bestehenden Werklieferungsvertrag eingetreten. Unter diesen Umständen ist es nicht ausgeschlossen, daß der Kaufvertrag und der Werklieferungsvertrag zusammen als ein sachlich einheitliches Vertragswerk zu beurteilen sind, dessen Gegenstand ggf. das Grundstück mit einem fertigen Gebäude ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1983 II R 53/81, BFHE 138, 476, BStBl II 1983, 606, und vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609, jeweils mit weiteren Nachweisen) oder jedenfalls mit einem Bauwerk in einem solchen Zustand, der weit über die Fertigstellungsstufe des Rohbaus hinaus gediehen ist. Schon hierwegen könnte - bei entsprechenden Feststellungen durch das FG - ein Anspruch der Kläger auf die Vergünstigung aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStEigWoG zu bejahen sein. Aber auch dann, wenn diesem Gesichtspunkt nicht weiter nachgegangen wird, stellt sich die angefochtene Entscheidung als frei von Verstößen gegen Bundesrecht dar.

2. Die Kläger haben ein Grundstück mit einem Einfamilienhaus i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG erworben. In seinem Urteil vom 13. Juli 1983 II R 188/81 (BFHE 139, 99, BStBl II 1983, 685) hat sich der Senat mit der Frage befaßt, inwieweit ein erworbenes Bauwerk fertiggestellt sein muß, damit die Steuerfreiheit nach § 1 GrEStEigWoG in Anspruch genommen werden kann. Er hat entschieden, daß die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrEStEigWoG nicht ausgeschlossen ist, wenn jemand eine Eigentumswohnung erwirbt, zu deren Fertigstellung nur noch bestimmte Innenausbauarbeiten (Verlegen der Fußböden, Anbringen des Innenputzes, Anschließen vorhandener sanitärer Einrichtungsgegenstände und Malerarbeiten) erforderlich sind, die er selbst vornehmen will. Der Senat hat sich dabei zum einen von der Erwägung leiten lassen, daß anderenfalls die vom Gesetzgeber gewollte Anwendbarkeit der Befreiungsvorschriften auf Altbauten, die in unterschiedlichem Zustand Gegenstand eines Erwerbsvorgangs sein können, unangemessen eingeschränkt würde. Er hat zum anderen berücksichtigt, daß bei der Auslegung von § 1 Abs. 1 GrEStEigWoG eine Forderung des Inhalts, noch nicht fertiggestellte Bauwerke dürften nur im bezugsfertigen Zustand zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht werden, in einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats geraten würde, nach der Grundstücke mit Altbauten, die bisher keine Ein- oder Zweifamilienhäuser waren, trotz etwaiger Renovierungs- oder Umbauarbeiten als steuerbegünstigte Objekte angesehen werden (vgl. die Rechtsprechungsnachweise in dem zitierten Urteil in BFHE 139, 99, BStBl II 1983, 685). Der Senat hat schließlich den Einwand zurückgewiesen, das Fortbestehen von landesrechtlichen Steuervergünstigungen für Grundstücke im Zustand der Bebauung oder mit nicht für Wohnzwecke genutzten Gebäuden zwinge zur gegenteiligen Auffassung (BFHE 139, 99, 101, BStBl II 1983, 685). Die in dem zitierten Urteil in BFHE 139, 99, BStBl II 1983, 685 noch offengelassene Frage, von welchem Stadium im Ablauf des Errichtungsprozesses ab das Vorhandensein eines begünstigten Objekts i. S. des § 1 Abs. 1 GrEStEigWoG angenommen werden kann, wird nunmehr dahin beantwortet, daß es auf die Vollendung des Rohbaus ankommt (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., Anhang Rdnr. 1639). Das Abstellen auf diesen Zustand im Errichtungsprozeß wird sowohl dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch der Terminologie im Bauwesen gerecht und erlaubt es überdies, das betreffende Bauwerk, dessen charakteristische Gestaltung sich im Zeitpunkt der Rohbauvollendung bereits hinreichend deutlich abzeichnet, einem der in § 1 Abs. 1 GrEStEigWoG typenmäßig angegebenen begünstigten Objekte zuzuordnen oder die Möglichkeit einer solchen Zuordnung eindeutig auszuschließen. Die Maßgeblichkeit der Vollendung des Rohbaus macht ferner eine sinnvoll abgestimmte Abgrenzung bei Erwerben von Altbauten danach möglich, inwieweit diese - begünstigt - durch Renovierungs- oder Umbauarbeiten für die Nutzung als Ein- oder Zweifamilienhaus hergerichtet werden können (s. oben) und inwieweit ein - nichtbegünstigter - teilweiser Abriß vorliegt.

Im vorliegenden Fall kommt es mithin darauf an, ob zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erwerbsvorganges das Bauwerk so weit gediehen war, daß sein statisch-konstruktives Gefüge, die Schornsteine, die Brandwände, die Treppen und die Dachkonstruktion fertiggestellt waren (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl., 16. Bd., Stichwort: Rohbau; Frommhold, Bauwörterbuch, Düsseldorf, 1967, Stichwörter: Rohbau, Rohbauabnahme, Rohbauarbeiten und Rohbaufertig), so daß das Bauwerk Gegenstand der landesrechtlich geregelten Rohbauabnahme hat sein können (vgl. z. B. § 105 Abs. 1 und 2 der Bremischen Landesbauordnung vom 21. September 1971, Brem. Gesetzblatt 1971, 207). Das FG hat hierzu festgestellt, daß zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages die Errichtung wesentlich über das Stadium der Vollendung des Rohbaus hinaus fortgeschritten gewesen ist. Hiergegen sind keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden. Mithin war davon auszugehen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), daß die Kläger ein Einfamilienhaus erworben haben. Das angefochtene Urteil ist deshalb zu Recht erlassen worden.