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BFH-Urteil vom 13.12.1983 (VIII R 67/81) BStBl. 1984 II S. 511

Gegen Verwaltungsakte, durch die ein Antrag auf Berichtigung eines Steuerbescheides nach § 129 AO 1977 abgelehnt wird, ist der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben.

AO 1977 § 129, § 348 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden in den Streitjahren zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

Mit Schreiben vom 11. Mai 1977 beantragten die Kläger, die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre zu berichtigen und jährlich 20.915 DM als negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Die Kläger begründeten ihren Antrag damit, daß dem FA "offensichtlich ... auf der Gebäudeabschreibungsliste ein Fortschreibungs- bzw. Übertragungsfehler unterlaufen" sei. Den Klägern war zuvor vom Sachbearbeiter des FA mitgeteilt worden, daß AfA-Listen für die Gebäude nicht angelegt worden seien.

Mit Verwaltungsakt vom 1. Juni 1977 lehnte das FA den Antrag auf Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1974 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung des FA und den Ablehnungsbescheid vom 1. Juni 1977 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 1972, 1973 und 1974 dahin zu ändern, daß die Einkommensteuer für 1972 auf 50.054 DM und für 1973 und 1974 auf null DM herabgesetzt wird, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß das Einspruchsverfahren im Streitfall das richtige außergerichtliche Vorverfahren war. Das Vorliegen dieser Sachurteilsvoraussetzung (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 9 C a, m.w.N.).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), haben die Kläger beim FA sinngemäß eine Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 1972 bis 1974 gemäß § 129 AO 1977 beantragt. Das ergibt sich aus der Begründung ihres Antrags, mit der sie geltend machen, dem FA sei "offensichtlich ... auf der Gebäudeabschreibungsliste ein Fortschreibungs- bzw. Übertragungsfehler unterlaufen". Gegen den diesen Antrag ablehnenden Verwaltungsakt haben die Kläger - entsprechend der vom FA erteilten Rechtsbehelfsbelehrung - zu Recht Einspruch eingelegt. Der Senat teilt nicht die im Schrifttum vertretene Auffassung, gegen Bescheide, durch die ein Antrag auf Berichtigung nach § 129 AO 1977 zurückgewiesen werde, sei der Rechtsbehelf der Beschwerde gegeben (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 129 AO 1977 Anm. 6; Hofmann, Abgabenordnung 1977, 2. Aufl., § 129 Anm. 8, § 348 Anm. 4; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, § 129 Anm. 14; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 129 Anm. 73f.; unentschieden Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., 1979, § 129 Rzn. 16 u. 17; anderer Ansicht: Thiel in Der Betrieb - DB - 1978, 1611; Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 7. Aufl., S. 28; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 129 AO 1977 Tz. 11; Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Vorband 1, Rdnr. 1151; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 129 Anm. 6, und Fichtelmann, Systematik, Änderung und Aufhebung der Verwaltungsakte und Steuerbescheide, 2. Aufl., S. 38). Zwar ist es richtig, daß § 348 Abs. 2, 2. Alternative AO 1977 nur die Art des Rechtsbehelfs in den Fällen regelt, in denen ein Antrag auf Erlaß, Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts abgelehnt wird. Der Wortlaut der Vorschrift ist jedoch nicht eindeutig. Er läßt auch eine Auslegung des Begriffs "Änderung" zu, die die Berichtigung eines Verwaltungsakts nach § 129 AO 1977 umfaßt. In diesem weiten Sinn hat der Gesetzgeber der AO 1977 den Begriff der Änderung offenbar auch in verschiedenen anderen Vorschriften (vgl. z. B. §§ 171 Abs. 3 Satz 1, 175 Abs. 1 Nr. 1, 280 Abs. 1 AO 1977) gebraucht. Dieser weiten Auslegung des Begriffs "Änderung" in § 348 Abs. 2 AO 1977 ist der Vorzug zu geben, weil nur sie der Systematik der §§ 348, 349 AO 1977 gerecht wird. Aus diesen Vorschriften läßt sich der Grundsatz entnehmen, daß sich die Art des einzulegenden Rechtsbehelfs nach der Art des Bescheides bestimmt, den der Steuerpflichtige anfechten will oder dessen Erlaß er anstrebt. Handelt es sich dabei - wie hier - um einen Steuerbescheid, so ist stets der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben, gleichgültig, ob es sich bei dem angefochtenen oder erstrebten Bescheid um die ursprüngliche Veranlagung oder um einen Änderungs- oder Berichtigungsbescheid handelt.

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht nicht gegen diese Auslegung. Aus der amtlichen Begründung zu den §§ 348, 349 AO 1977 (§§ 331, 332 des Entwurfs; BT-Drucks. VI/1982 S. 188) ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber Steuerpflichtige, deren Antrag auf Berichtigung eines Steuerbescheides abgelehnt wurde, abweichend von dem Grundsatz der §§ 348, 349 AO 1977 und entgegen der bisher geltenden Regelung der Reichsabgabenordnung - AO - (vgl. §§ 229, 230 AO) auf den Rechtsbehelf der Beschwerde verweisen wollte.