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BFH-Urteil vom 16.4.1984 (III R 82/81) BStBl. 1984 II S. 547

1. Bei der Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an einer GmbH nach dem sog. Stuttgarter Verfahren kommt ein Abschlag wegen Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR nur in Ausnahmefällen, und zwar dann in Betracht, wenn der Nutzungsberechtigte aufgrund konkreter Maßnahmen des Grundstücks-/Gebäudeeigentümers mit einer alsbaldigen Beendigung der Nutzungsmöglichkeit rechnen muß und dadurch der Betriebsablauf am maßgeblichen Feststellungszeitpunkt nachhaltig beeinträchtigt ist.

2. Ein Abschlag ist zu versagen, wenn GmbH und verpachtender Grundstücks-/Gebäudeeigentümer zu demselben Konzern gehören und am Stichtag keine Anzeichen dafür vorliegen, daß die Konzernverbindung nicht in der seitherigen Weise fortbestehen wird.

BewG § 11 Abs. 2 Satz 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Das voll eingezahlte Stammkapital der X-GmbH betrug an den streitigen Stichtagen 500.000 DM und wurde von der S-GmbH, der Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), auf die die X-GmbH 1972 unter Fortführung der Firma umgewandelt worden war, gehalten. Die X-GmbH übte seit ihrer Gründung im Jahre 1960 ihren Gewerbebetrieb auf gemieteten Betriebsgrundstücken und in gemieteten Betriebsgebäuden aus. Eigentümerin der Grundstücke und Gebäude war seit 1963 die A-OHG. Diese gehörte wie die X-GmbH und deren frühere Muttergesellschaft, die S-GmbH, zum A-Konzern.

Bei der Anteilsbewertung für die hier streitigen Stichtage (31. Dezember 1966 bis 1970) begehrte die Klägerin einen Abschlag von 30 v.H. gemäß Abschn. 79 Abs. 3 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) wegen Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und Betriebsgebäude. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte - auch im Einspruchsverfahren - den geltend gemachten Abschlag. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Das Fehlen eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude werde bereits bei der Ermittlung des Vermögenswerts und der Ertragsaussichten berücksichtigt und sei kein besonderer Umstand, der einen Abschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR rechtfertigen könnte. Als ein solcher Umstand, der in Vermögenswert und Ertragshundertsatz noch nicht hinreichend berücksichtigt sei, komme nur die Abhängigkeit des Betriebs vom Vermieter bzw. Verpächter in Betracht. Im Streitfall hätten die Voraussetzungen für einen Abschlag nicht vorgelegen, da ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der X-GmbH und dem Vermieter im Hinblick auf deren konzernmäßige Verbundenheit nur der Form, nicht aber dem wirtschaftlichen Gehalt nach bestanden habe.

Die Klägerin rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen die Grundsätze des § 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Sie trägt vor, das FG habe den gemeinen Wert der Anteile zu Unrecht unter Berücksichtigung der besonderen persönlichen Verhältnisse der Inhaber ermittelt. Maßgebend sei der Veräußerungspreis, den ein gedachter Erwerber für die Geschäftsanteile bezahlen würde. Ein solcher wäre bei dem streitigen Sachverhalt nicht bereit, einen Kaufpreis für die Anteile zu akzeptieren, der sich aus der Summe von Vermögenswert und Ertragshundertsatz ergibt. Er würde wegen Fehlens von Betriebsgrundstücken und -gebäuden nur einen niedrigeren Kaufpreis bezahlen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Kurswert i.S. von § 11 Abs. 1 BewG nicht gegeben ist, sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 11 Abs. 2 BewG). Liegen - wie im Streitfall - zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Im Streitfall hat das FA den gemeinen Wert der Anteile zutreffend nach den Grundsätzen des Stuttgarter Verfahrens ermittelt (Abschn. 77 f VStR). Dabei ist es von dem der Höhe nach nicht bestrittenen Vermögenswert ausgegangen. Die Ertragsaussichten hat das FA durch Ansatz des - der Höhe nach ebenfalls nicht in Zweifel gezogenen - Ertragshundertsatzes gemäß Abschn. 79 Abs. 1 und Abs. 2 VStR in die Schätzung einbezogen. Nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR dürfen darüber hinaus besondere Umstände, die bei der Ermittlung von Vermögenswert und Ertragshundertsatz sowie dem hieraus gebildeten gemeinen Wert nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen sind, durch einen Zu- oder Abschlag berücksichtigt werden. Zu Recht haben es jedoch FA und FG mit Rücksicht auf die in den streitigen Feststellungszeitpunkten vorliegenden tatsächlichen Verhältnisse abgelehnt, wegen Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude einen Abschlag gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR zu gewähren.

2. Der Reichsfinanzhof (RFH) hat allerdings bei einem Sachverhalt, bei dem ein Fabrikgrundstück nicht im Eigentum einer GmbH stand, sondern einigen Gesellschaftern der GmbH gehörte, einen Umstand gesehen, der den gemeinen Wert der Anteile mindert und bei der Bewertung nach dem sog. Berliner Verfahren durch einen Abschlag zu berücksichtigen ist (Urteil vom 27. November 1941 III 156/41, RStBl 1942, 93). Den Grund für die Gewährung eines Abschlags sah der RFH darin, daß ein fiktiver Erwerber der Geschäftsanteile über die für die Fortführung des Betriebs unentbehrlichen Wirtschaftsgüter nicht frei bestimmen könne. Das RFH-Urteil enthält keine näheren Ausführungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen ein solcher Abschlag zu gewähren ist. Der Rechtsauffassung des RFH hat der erkennende Senat in einem Fall, in dem Sudhaus und Mälzerei einer in der Rechtsform der GmbH betriebenen Brauerei nicht dieser, sondern ihren Gesellschaftern gehörte, zwar "grundsätzlich zugestimmt" (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Oktober 1964 III 359/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 153, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Bewertungsgesetz 1934, § 10, Rechtsspruch 27 unter 2d). Er sah jedoch die Gewährung eines Abschlags in dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt deshalb als rechtlich bedenklich an, weil sich am Stichtag ein neues Sudhaus bereits in Bau befunden hatte und eine Abhängigkeit der Gesellschaft von einem Dritten nur noch für eine verhältnismäßig kurze Zeit bestand. Der Senat hielt weitere Feststellungen des FG zu der Frage für erforderlich, ob am Stichtag nach den gegebenen Verhältnissen eine Kündigung des Pachtverhältnisses durch die Grundstückseigentümer möglich gewesen wäre. Er gab dem FG auf, aufzuklären, ob die gepachteten Grundstücke für den Betrieb der GmbH noch in einem solchen Umfang notwendig waren, daß von einer Beeinträchtigung des Betriebs im Falle einer Kündigung des Pachtverhältnisses durch die Grundstückseigentümer hätte gesprochen werden können. Mit diesem Urteil hat der Senat die durch das RFH-Urteil in RStBl 1942, 93 eröffneten Abschlagsmöglichkeiten eingeschränkt. Im Schrifttum ist die Senatsentscheidung in HFR 1965, 153 zum Teil dahin verstanden worden, daß ein Abschlag jedenfalls so lange nicht gerechtfertigt sei, als dadurch der Betrieb der GmbH nicht beeinträchtigt werde (Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 13. Aufl., § 113 BewG Anm. 65). Zum Teil wird im Anschluß an die Senatsentscheidung auch die Auffassung vertreten, es komme auf die Verhältnisse des Einzelfalles an, ob ein solcher Abschlag, besonders wenn Eigentümer des Fabrikgrundstücks Gesellschafter bzw. Anteilseigner der GmbH sind, überhaupt begründet sei (Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 11 BewG Anm. 96).

3. Nach erneuter Prüfung der Rechtsfrage vertritt der erkennende Senat die Auffassung, daß wegen Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude ein Abschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR nur in Ausnahmefällen, nämlich dann in Betracht kommt, wenn der Nutzungsberechtigte aufgrund konkreter Maßnahmen des Grundstücks- bzw. Gebäudeeigentümers mit der alsbaldigen Beendigung der Nutzungsmöglichkeit rechnen muß und dadurch der Betriebsablauf am maßgeblichen Feststellungszeitpunkt nachhaltig beeinträchtigt ist. Eine Gefährdung des Betriebsablaufs durch die bloße Möglichkeit einer Auflösung des Nutzungsverhältnisses reicht für die Gewährung eines Abschlags nicht aus. Der Senat geht dabei von der Erwägung aus, daß sich das Fehlen eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude, wie das FG zutreffend ausführt, bei der Ermittlung des Vermögenswerts regelmäßig dadurch angemessen auswirkt, daß die Vermögensaufstellung entsprechende Besitzposten nicht ausweist. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Berechnung des Ertragshundertsatzes Erträge zugrunde liegen, die um die an die Grundstücks- und Gebäudeeigentümer gezahlten Nutzungsentgelte gekürzt sind. Ob das Fehlen eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude ausnahmsweise einen Abschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR zu rechtfertigen vermag, entscheidet sich nach den im maßgebenden Feststellungszeitpunkt vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles.

4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt, daß das FG den begehrten Abschlag zu Recht versagt hat. Die X-GmbH brauchte an den hier streitigen Stichtagen nicht aufgrund konkreter Maßnahmen mit der alsbaldigen Beendigung der Nutzungsmöglichkeit rechnen. Der Betriebsablauf war an den streitigen Stichtagen nicht infolge Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude beeinträchtigt. Nach den nicht angegriffenen und den Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bestanden an den hier streitigen Stichtagen keine Anzeichen dafür, daß die Konzernverbindungen nicht in der seitherigen Weise fortbestehen würden. Es waren auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Betriebsgrundstücke und -gebäude der X-GmbH nicht so lange zur Verfügung stehen würden, als sie diese Wirtschaftsgüter für ihre Produktion benötigte. Ein Abschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR wegen Fehlens eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude war daher im Streitfall nicht geboten.

5. Diese Rechtsauffassung steht im Einklang mit der Entscheidung des Senats vom 17. Dezember 1982 III R 92/80 (BFHE 137, 367, BStBl II 1983, 192). Dort ist entschieden, daß Vorteile, die eine Kapitalgesellschaft aus der konzernmäßigen Verbindung zu anderen Unternehmen der Anteilsinhaber zieht, bei der Anteilsbewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren nicht durch einen Abschlag berücksichtigt werden dürfen. Wie der Senat in jener Entscheidung ausgeführt hat, kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein fiktiver Erwerber der Anteile den wertsteigernden Einfluß der Vorteile, die die GmbH aus dem Konzernverbund zieht, als wertmindernden Umstand in seine Kaufpreisüberlegungen einbeziehen würde. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG bestimmt sich der gemeine Wert durch den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des zu bewertenden Wirtschaftsguts bei der Veräußerung erzielbar wäre. Dabei ist von der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts in seiner am Stichtag konkret vorhandenen Gestalt mit allen zu diesem Zeitpunkt für den Wert relevanten Eigenschaften auszugehen. Fiktiver Verkauf zwecks Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ist demnach ein Verkauf, bei dem unterstellt wird, daß die Kapitalgesellschaft unter Fortbestand der auf dem Konzernverbund beruhenden Vorteile wie bei den gegenwärtigen Anteilsinhabern fortgeführt wird. Diese Erwägungen gelten im Streitfall entsprechend. Die abweichende Auffassung der Klägerin läßt im übrigen außer acht, daß hier nicht der gemeine Wert der X-GmbH als solcher, sondern der der Anteile an ihr zu ermitteln ist. Es besteht kein Anlaß, das Ausscheiden aus einem bestehenden Konzernverbund, das den unveränderten Geschäftsablauf bei der X-GmbH möglicherweise stören könnte, bei der Schätzung des gemeinen Werts der Anteile der GmbH zu unterstellen, obwohl am maßgebenden Stichtag keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Änderung in der Konzerngestaltung bestehen.

6. Der Einwand der Klägerin, das FA habe den Wert der Anteile an der X-GmbH unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse ermittelt und damit § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG verletzt, trifft nicht zu. Auch zu dieser Frage hat der Senat bereits in BFHE 137, 367, BStBl II 1983, 192 Stellung genommen. Auf die dortigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.