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BFH-Beschluß vom 18.5.1984 (VI B 156/83) BStBl. 1984 II S. 567

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG i. d. F. des Haushaltsbegleitgesetzes vom 20. Dezember 1982 (Lohnsteuerpauschalierung mit einem Nettosteuersatz) auch auf solche Sachverhalte anwendbar ist, bei denen die Lohnsteuer vor dem 1. Januar 1983 nicht vorschriftsmäßig einbehalten worden war.

EStG §§ 40 Abs. 1 Satz 2, 52 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Bei der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), die bis zum 31. Dezember 1980 ein Speditionsgeschäft betrieb, fand mit mehreren zeitlichen Unterbrechungen in der Zeit vom 3. Dezember 1981 bis zum 28. Januar 1983 (Tag der Schlußbesprechung) eine Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 1976 bis 1980 statt. Noch im Jahre 1982 beantragte die Antragstellerin gegenüber dem Prüfer, die nachzuerhebende Lohnsteuer gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit einem Pauschsteuersatz festzusetzen. In seinem Vorbericht vom 22. November 1982 ermittelte der Prüfer demgemäß Pauschsteuersätze in Höhe von 75,1 v. H., 50,1 v. H. bzw. 28,2 v. H.; hierbei handelt es sich um Nettosteuersätze (Steuer auch auf die Steuer). In der Schlußbesprechung vom 28. Januar 1983 hielt die Antragstellerin ihren Pauschalierungsantrag aufrecht. Dem wurde von seiten des FA nicht widersprochen. Wie im Vorbericht berechnete der Prüfer auch im endgültigen Prüfungsbericht die nachzuerhebende Steuer mit den vorbezeichneten Nettosteuersätzen. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) folgte dem Prüfer und setzte in dem Steuerbescheid vom 15. März 1983 entsprechend die pauschalierte Lohnsteuer gegen die Antragstellerin fest.

Mit ihrer Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat, begehrt die Antragstellerin die Herabsetzung der pauschalierten Lohnsteuer um 41.559,64 DM. Hierbei handelt es sich um den Differenzbetrag, um den die nachgeforderte Steuer die sich bei Anwendung eines Bruttosteuersatzes ergebende Steuer übersteigt. Den Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Pauschalierungssteuerbescheides in Höhe des vorgenannten Betrages auszusetzen, wies das FG mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 47 veröffentlichten Gründen ab.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde beantragt die Antragstellerin, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung des Pauschalierungssteuerbescheides in Höhe von 41.559,64 DM auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Pauschalierungssteuerbescheides.

Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (z. B. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, und vom 19. Juni 1974 VI B 27/74, BFHE 113, 1, BStBl II 1974, 640). Ernstliche Zweifel können auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist und in der Literatur zu der Streitfrage unterschiedliche Auffassungen bestehen (BFH-Beschluß vom 28. November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl II 1975, 239). Im Streitfall ist ernstlich zweifelhaft, ob das FA befugt war, die von der Antragstellerin übernommene und auf die in der Zeit von 1976 bis 1980 gezahlten laufenden Arbeitslöhne und sonstigen Bezüge entfallende Lohnsteuer als eine in Geldeswert bestehende Einnahme (Nettosteuersatz) zu behandeln.

1. In der Literatur ist umstritten, ob § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG i. d. F. des Haushaltsbegleitgesetzes vom 20. Dezember 1982 - EStG n. F. - (BGBl I 1982, 1857, BStBl I 1982, 972) auf laufenden Arbeitslohn, der für einen vor dem 1. Januar 1983 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt worden ist, und auf sonstige Bezüge anzuwenden ist, die vor dem 1. Januar 1983 zugeflossen sind. Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, welche Vorschrift den zeitlichen Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. regelt. Die Vorinstanz hat bei ihrer Entscheidung auf § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG abgestellt. Demgegenüber besteht im Schrifttum weitgehend Einigkeit im Ausgangspunkt darüber, daß für den zeitlichen Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. nicht die Vorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG, sondern § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG maßgebend ist (Konietzko, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1983, 286, 289 ff.; Söffing, Der Betrieb - DB - 1983, 1459, 1461; Offerhaus, Steuerberater-Jahrbuch - StbJB - 1983/84, 291, 304; Reinhart, DB 1983, 1889, 1892; Popp, DB 1983, 2107; Borggreve, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1984, 84, 87 ff.; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., Stand: Mai 1983, § 40 EStG, grüne Blätter S. 11).

Aus § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG wird von einem Teil der Literatur gefolgert, daß sich die Anwendung eines Nettosteuersatzes auf vor dem 1. Januar 1983 zugeflossenen Arbeitslohn unabhängig davon verbietet, wann ein Pauschalierungsantrag gestellt, wann diesem Antrag vom FA stattgegeben und wann der Pauschalierungssteuerbescheid zugestellt worden ist (Konietzko, a. a. O.; Söffing, a. a. O.; Borggreve, a. a. O.; im Ergebnis ebenso Nissen in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand: Oktober 1983, § 40 Rz. 33, am Ende).

Die Gegenmeinung lehnt diese Auffassung mit dem Hinweis darauf ab, der mit der Pauschalierung verbundene Vorteil des Arbeitnehmers - die Befreiung von seiner Lohnsteuer - sei selbst als sonstiger Bezug anzusehen, der erst mit der Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber zufließe. Erfolge dieser Zufluß nach dem 31. Dezember 1982, so sei insgesamt ein pauschaler Nettosteuersatz anzuwenden. Denn beide Zuflüsse - erst der zunächst unversteuert gebliebene Vorteil, sodann der in der Steuerübernahme liegende sonstige Bezug - bildeten eine Einheit, weil der pauschale Nettosteuersatz nach § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. überhaupt nur wegen der Verbindung dieser beiden Vorteilszuwendungen entstehen könne. Wegen der Verbindung dieser beiden Vorteile des Arbeitnehmers sei auch einheitlich für beide der Nettosteuersatz maßgebend (Offerhaus, a. a. O., S. 304; Reinhart, a. a. O.; im Ergebnis ebenso Popp, a. a. O.; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., in diesem Sinne auch Abschn. 93 Abs. 4 der Lohnsteuer-Richtlinien 1984).

Gegen die vorstehende Auffassung bestehen bei summarischer Prüfung die folgenden Bedenken: Der Senat hat in seinem Urteil vom 5. November 1982 VI R 219/80 (BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91) entschieden, daß wegen der Rechtskonstruktion des § 40 Abs. 3 EStG die Unternehmenssteuer originär in der Person des Arbeitgebers entsteht, der Arbeitgeber damit etwas schuldet, was der Arbeitnehmer vorher selbst so nie geschuldet hatte, und aus diesem Grunde ein evtl. sich hieraus für den Arbeitnehmer ergebender Vorteil bei der Ermittlung des Pauschalsteuersatzes nicht berücksichtigt werden darf. Diese Rechtslage hat sich erst durch § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. geändert. Erstmals aus dieser Vorschrift ergibt sich die Rechtsfolge, daß im Fall der Pauschalierung die Übernahme der pauschalen Lohnsteuer einen sonstigen Bezug darstellt und damit ein Nettosteuersatz anzuwenden ist. Bestimmt § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG die zeitliche Anwendung dieser Vorschrift, so erscheint es bei summarischer Betrachtung unzulässig, den Vorteil, den der Arbeitnehmer aus der Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber hat, als sonstigen Bezug im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG anzusehen. Denn damit würde zur Klärung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift eine Rechtsfolge den Ausschlag geben, die sich erst aus der Vorschrift ergibt, um deren zeitlichen Anwendungsbereich es gerade geht.

Damit ist ernstlich zweifelhaft, ob § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. bei einer pauschalen Lohnsteuernacherhebung (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) anzuwenden ist, die eine nicht vorschriftsmäßige Lohnsteuereinbehaltung vor dem 1. Januar 1983 betrifft.

2. Der Senat hat allerdings im Urteil in BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91 die Auffassung vertreten, daß die Steuerschuldnerschaft des Arbeitgebers nicht durch die "Übernahme"-Erklärung, sondern durch einen auf das Pauschalierungsverfahren hin ergehenden Bescheid über nachzuerhebende Lohnsteuer begründet wird. Dagegen ist im Schrifttum geltend gemacht worden, daß die Pauschalierung tatbestandsmäßig schon mit dem Antrag bzw. der Übernahmeerklärung durch den Arbeitgeber (so Gail/Binder, Betriebs-Berater - BB - 1983, 1466), mit der Genehmigung bzw. Zulassung durch das FA (so Popp, a. a. O., S. 2109) oder aber erst mit der tatsächlichen Durchführung der Pauschalierung in Form der Lohnsteuer-Anmeldung oder des Pauschalierungssteuerbescheides (so Offerhaus, a. a. O., S. 304, Fußnote 36; Reinhart, a. a. O., S. 1892; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O.) abgeschlossen sei. Auch diese Einwände rechtfertigen die Aussetzung der Vollziehung.

3. Schließlich werden im Schrifttum noch Bedenken erhoben, ob eine Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG n. F. auf nicht vorschriftsmäßige Lohnsteuereinbehaltungen vor dem 1. Januar 1983 nicht gegen den Gleichheitssatz und gegen das Verbot der rückwirkenden Anwendung steuerverschärfender Gesetze verstoße.

Dies wird mit dem Hinweis darauf begründet, daß es weitgehend vom Zufall abhänge, ob der Pauschalierungssteuerbescheid vor dem 1. Januar 1983 oder nach diesem Zeitpunkt ergeht (Offerhaus, a. a. O., S. 306 oben; Söffing, a. a. O., S. 1461). Aus diesem Grunde war auch der Erlaß einer Übergangsregelung angeregt worden (Offerhaus, DB 1983, 257). Gerade der Streitfall mit der sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hinziehenden Lohnsteuer-Außenprüfung für Prüfungszeiträume bis Ende 1980 zeigt deutlich, von welchen Zufälligkeiten es dann u. U. abhängen würde, ob es noch zur günstigen Bruttosteuererhebung oder schon zur Anwendung des Nettosteuersatzes kommt.