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BFH-Urteil vom 8.3.1984 (VII R 43/83) BStBl. 1984 II S. 576

Hat das FA durch Duldungsbescheid einen Rückgewähranspruch nach Ablauf der Jahresfrist des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG geltend gemacht, so kann es sich nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe noch innerhalb der Jahresfrist denselben Rückgewähranspruch durch Haftungsbescheid geltend gemacht, den das FG aus materiell-rechtlichen Gründen ersatzlos aufgehoben hat.

AO 1977 § 191 Abs. 1; AnfG §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 9.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1 ist die Tochter, die Klägerin und Revisionsklägerin zu 2 die Ehefrau von X (Klägerin zu 1 bzw. zu 2 oder Klägerinnen). Von diesem forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) aufgrund nicht bestandskräftiger Haftungsbescheide vom 29. Juli und 19. August 1980 Mineralölsteuer in Höhe von 421.337 DM. Die Haftungsbescheide sind mit Klage angefochten; das Ruhen des Verfahrens ist angeordnet, bis im Strafverfahren, das sich inzwischen in der Revisionsinstanz befindet, eine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 28. März 1980 erwarb die Klägerin zu 1 von ihrem Vater dessen Miteigentumsanteil zu 1/2 an einem Hausgrundstück in Mainz. Als Kaufpreis war die Hälfte der Valutenstände der im Grundbuch eingetragenen Grundpfandrechte (600.000 DM) vereinbart. Die Valuten wurden im Vertrag mit ca. 550.000 DM angegeben. Im selben Vertrag vereinbarte die Klägerin zu 1 mit der Klägerin zu 2, welche den anderen Miteigentumsanteil an dem Grundstück hielt, die Miteigentümergemeinschaft aufzuheben und das Grundstück nunmehr als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) zu halten. Die Auflassung erfolgte dahin, daß das Grundstück an die Klägerinnen in Form einer GdbR übergehen sollte.

Dieses Kaufgeschäft focht das HZA mit "Haftungsbescheid" vom 22. Oktober 1980 nach §§ 3, 7 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) gegenüber der Klägerin zu 1 an und machte die gesetzlichen Rückgewähransprüche geltend. Dabei ging es davon aus, daß infolge der Einbringung in eine GdbR der Rückgewähranspruch nicht mehr in Natur erfüllt werden könne, so daß nur noch Wertersatz in Geld in Frage komme.

Das Finanzgericht (FG) hob diesen Haftungsbescheid mit Urteil vom 3. Dezember 1981 3 K 100/81 auf (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 391). Es legte dar, daß zwar anfechtbare Rechtshandlungen vorgekommen seien und die Grundstückshälfte zur Zeit der Übertragung auch noch einen Vollstreckungswert gehabt habe, daß aber die Rückgewähr in Form der Duldung der Zwangsvollstreckung rechtlich möglich sei, so daß ein Wertersatzanspruch auf eine Geldsumme nicht entstanden sei.

Mit Duldungsbescheid vom selben Tag (3. Dezember 1981) focht das HZA die Übertragung des Miteigentumsanteils auf die Klägerin zu 1 nach § 3 Abs. 1 AnfG sowie die Einbringung des Miteigentumsanteils durch die Klägerin zu 1 in die GdbR zwischen den beiden Klägerinnen nach §§ 3, 7, 11 AnfG an und verpflichtete die Gesellschafterinnen der GdbR, d. h. die beiden Klägerinnen, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück bis zum Wert des von der Klägerin zu 1 eingebrachten Anteils zu dulden. Die Vollstreckung des Bescheids machte das HZA davon abhängig, daß die gegen X ergangenen Haftungsbescheide bestandskräftig werden (§ 10 AnfG).

Die Anfechtungsklage gegen den Duldungsbescheid vom 3. Dezember 1981 wies das FG durch Urteil vom 16. Dezember 1982 3 K 184/82 (EFG 1983, 216) u. a. mit folgender Begründung ab:

Das HZA sei befugt gewesen, durch Duldungsbescheid den bürgerlich-rechtlichen Rückgewähranspruch nach § 7 AnfG geltend zu machen. Der entgegengesetzten Auffassung des FG München in dessen Urteil vom 16. Oktober 1981 VIII 311/78 (EFG 1982, 227) folge das FG nicht. Die Rechtsgrundsätze, die das FG im Urteil in EFG 1982, 391 zu den §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 7, 11 Abs. 2 Nr. 2 AnfG dargelegt habe, gälten auch im vorliegenden Verfahren. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils werde hingewiesen.

Das FG sei in der genannten Entscheidung davon ausgegangen, daß die Grundstückshälfte zur Zeit des Übereignungsgeschäftes am 28. März 1980 ein i. S. von § 1 AnfG zur Befriedigung des Gläubigers taugliches Objekt gewesen sei, weil der Verkehrswert des Grundstücks wesentlich über der Valuta der eingetragenen Belastungen gelegen habe. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerinnen gingen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht fehl.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerinnen ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der angefochtenen Verwaltungsakte.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Verpflichtung der Klägerinnen zur Duldung der Zwangsvollstreckung aufgrund des AnfG durch Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 verfolgt werden konnte. Zur Begründung verweist der Senat auf seine Urteile vom 2. März 1983 VII R 120/82 (BFHE 138, 10, BStBl II 1983, 398) und vom 31. Mai 1983 VII R 7/81 (BFHE 138, 416, BStBl II 1983, 545).

Der Auffassung der Klägerinnen, die Anfechtung durch einen Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 verstoße gegen Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, ist nicht zu folgen. Den Verstoß begründen die Klägerinnen dem Sinne nach damit, daß die Anfechtung durch Hoheitsakt nicht eine Entscheidung in einem zivilgerichtlichen Verfahren gewährleiste. Die Klägerinnen verkennen dabei die Bedeutung der Regelung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, nach der ein Anspruch darauf besteht, daß eine Sache von einem Gericht gehört wird, "das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat". Mit dieser Regelung ist der Sachbereich bezeichnet, für den der Weg zum Gericht eröffnet sein muß, und nicht der Rechtsweg zu bestimmten Gerichten (vgl. Partsch, Die Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1966 S. 141 f.). Zumindest zweifelhaft ist auch, ob die Anfechtung zur Durchsetzung einer Steuerforderung überhaupt zu diesem Sachbereich gehört. Die Europäische Menschenrechtskommission hat entschieden, daß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht auf gewisse Verfahren steuerlicher Art anwendbar sei, da diese Verfahren eine in den Bereich des öffentlichen Rechts, nicht in den des privaten Rechts fallende Angelegenheit beträfen, wenngleich sich die gerügten Steuermaßnahmen auf das Vermögen des Beschwerdeführers auswirkten (vgl. Die Menschenrechte in der Praxis des Europarats, Nachschlagewerk der Rechtsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1955 bis 1967, Wien-Stuttgart 1972 S. 72 Nr. 142).

2. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG sind Verträge nur anfechtbar, wenn sie im letzten Jahr vor der Anfechtung geschlossen wurden. Das FG hat zu Unrecht - ohne weitere Begründung - entschieden, daß dieses gesetzliche Tatbestandsmerkmal im vorliegenden Fall erfüllt sei.

Die Jahresfrist des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG beginnt mit dem Vollzug des Zuwendungsvorgangs (vgl. Böhle-Stamschräder-Kilger, Anfechtungsgesetz, 6. Aufl., § 3 Anm. II 9; Jäger, Gläubigeranfechtung, 2. Aufl., § 3 AnfG Anm. 40). Das war im vorliegenden Fall die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 1981 VII R 49/80, BFHE 133, 501, 506, BStBl II 1981, 751, und Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 20. Oktober 1965 VIII ZR 168/83, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1966, 730). Wann dies geschah, hat das FG zwar nicht genau festgestellt. Den Feststellungen des FG sowie dem Vorbringen der Beteiligten ist jedoch zu entnehmen, daß der Zuwendungsvorgang (der Vertrag ist am 28. März 1980 abgeschlossen worden) mehr als ein Jahr vor dem Erlaß des angefochtenen Verwaltungsakts (der das Datum vom 3. Dezember 1981 trägt) vollzogen worden ist. Damit ist die genannte Jahresfrist nicht eingehalten worden.

Auf seinen ursprünglichen, innerhalb der Jahresfrist des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG erlassenen "Haftungsbescheid" vom 22. Oktober 1980 kann sich das HZA nicht mit Erfolg berufen. Dieser ist - einschließlich der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung des HZA vom 18. Februar 1981 - durch das Urteil des FG in EFG 1982, 391 ersatzlos aufgehoben worden. Er hat damit jede Wirksamkeit verloren. Er kann infolgedessen auch nicht als "Anfechtung" i. S. der Fristbestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG angesehen werden.

Die Wahrung der Jahresfrist des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG ist eine materiell-rechtliche Bedingung der Anfechtbarkeit (vgl. Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 13. Dezember 1932 VII 192/32, RGZ 139, 110, 111, für die insoweit gleichzubewertende Anfechtungsfrist des § 33 der Konkursordnung - KO -; Böhle-Stamschräder-Kilger, a. a. O., § 3 Anm. II 9; Jäger, a. a. O., § 3 AnfG Anm. 5, 38, § 12 Anm. 1). Das bedeutet, daß das Anfechtungsrecht erlischt, d. h. der Rückgewähranspruch nach § 7 AnfG nicht mehr gegeben ist, wenn nicht innerhalb der Jahresfrist angefochten worden ist (Jäger, a. a. O., § 3 AnfG Anm. 38).

Das AnfG versteht unter "Anfechtung" i. S. der Fristbestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 die gerichtliche Geltendmachung des Rückgewähranspruchs durch Klage, Widerklage, Einrede oder Gegeneinrede (vgl. Jäger, a. a. O., § 12 AnfG Anm. 8; Böhle-Stamschräder-Kilger, a. a. O., § 12 Anm. 3). Es muß sich also um eine rechtsförmliche Geltendmachung des Anfechtungsrechts handeln, um die Transparenz sicherzustellen und einen unerträglichen Schwebezustand zu vermeiden (vgl. Jäger, a. a. O., § 1 AnfG Anm. 77; Gerhardt, Gläubigeranfechtung durch Duldungsbescheid des Finanzamts?, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZiP - 1983, 1301). Inwieweit etwa in entsprechender Anwendung des § 209 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die dort genannten Surrogate gerichtlicher Geltendmachung als eine fristwahrende Anfechtung angesehen werden können (bejahend Jäger, a. a. O., § 1 AnfG Anm. 78; Böhle-Stamschräder-Kilger, a. a. O., § 12 Anm. 3), kann hier unentschieden bleiben, da der vorliegende Sachverhalt für eine solche Entscheidung keinen Anlaß gibt.

Dem Erfordernis der rechtsförmlichen Geltendmachung nach dem AnfG ist indessen nicht zu entnehmen, daß der Erlaß eines Bescheids i. S. des § 191 Abs. 1 AO 1977 keine Anfechtung i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG sei. Wollte man solchen Bescheiden die fristwahrende Wirkung absprechen, liefe die Regelung des § 191 Abs. 1 AO 1977 für die Fälle des AnfG leer. Das widerspräche Sinn und Zweck der Regelung (vgl. auch BFHE 138, 416, 419, BStBl II 1983, 545). Durch Erlaß eines Bescheids nach § 191 Abs. 1 AO 1977 wird also grundsätzlich die Anfechtungsfrist gewahrt. Das gilt im Grundsatz auch für den - vom FG aufgehobenen - Bescheid des HZA vom 22. Oktober 1980. Nach den Ausführungen im Vorabsatz kann aber folgerichtig einer solchen, den Anforderungen an die Rechtsförmlichkeit des Anfechtungsaktes genügenden Verwaltungsverfügung keine weitergehende Wirkung als einer Klageerhebung nach § 9 AnfG zugesprochen werden. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob im Falle der Prozeßabweisung einer Anfechtungsklage i. S. des § 9 AnfG und im Falle der Rücknahme einer solchen Klage die Regelung des § 212 Abs. 2 BGB entsprechend anwendbar ist, also die Frist als mit der ersten Klageerhebung gewahrt gilt, falls binnen sechs Monaten erneut Klage erhoben wird (bejahend Jäger, a. a. O., § 12 AnfG Anm. 6; Böhle-Stamschräder-Kilger, a. a. O., § 12 Anm. 3; verneinend RG-Urteil vom 6. Juni 1916 VII 91/16, RGZ 88, 294), und ob Entsprechendes für den Bescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 gelten würde. Denn im vorliegenden Fall ist der ursprüngliche "Haftungsbescheid" des HZA nicht aus prozeßrechtlichen, sondern aus materiell-rechtlichen Gründen ersatzlos aufgehoben worden. Das ist einem fehlgeschlagenen Versuch der gerichtlichen Geltendmachung i. S. des § 9 AnfG gleichzusetzen. Ein solcher Versuch kann aber nicht als "Anfechtung" i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG angesehen werden.

Zu einer anderen Beurteilung vermag auch nicht die Überlegung zu führen, daß eine unschlüssig erhobene, später aber ausreichend ergänzte Anfechtungsklage die Frist des § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG zu wahren geeignet ist, wenn in der Klageschrift wenigstens der Sachverhalt angegeben worden ist, aus dem sich die Anfechtung herleitet (vgl. RG-Urteil vom 15. April 1931 V 219/30, RGZ 132, 284, 286). Denn dieser Fall entspricht dem zur Entscheidung stehenden nicht, weil der Duldungsbescheid vom 3. Dezember 1981 nicht nur als Fortsetzung und Präzisierung des ursprünglichen Bescheids vom 22. Oktober 1980 angesehen werden kann. Durch seine Aufhebung war der letztgenannte Bescheid vielmehr ersatzlos entfallen gewesen. Da die aufhebende Entscheidung des FG rechtskräftig geworden ist, kann es der Senat auch dahingestellt lassen, ob die Entscheidung des FG in EFG 1982, 391 zutreffend war.