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BFH-Urteil vom 4.7.1984 (I R 195/81) BStBl. 1984 II S. 842

1. Eine verdeckte Gewinnausschüttung löst als sonstiger Vorteil i. S. des § 43 Abs. 3 EStG 1974/75 Kapitalertragsteuer aus, wenn sie dem Empfänger im Sinne einer Vermögensmehrung zufließt.

2. Nimmt eine ausländische Muttergesellschaft von ihrer inländischen Tochtergesellschaft Waren zu einem unangemessen niedrigen Kaufpreis zurück oder verkauft eine ausländische Muttergesellschaft ihrer inländischen Tochtergesellschaft Waren zu einem unangemessen hohen Kaufpreis oder übernimmt eine inländische Tochtergesellschaft Aufwendungen, die ausschließlich den Belangen ihrer Muttergesellschaft dienen, so liegen hierin jeweils sonstige Vorteilsgewährungen der Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft.

3. Die Vorteilsgewährungen sind tatbestandsmäßig als Bruttobetrag (Roheinnahme) zu verstehen, d. h. sie fallen unabhängig von einem evtl. Rückgewähranspruch an.

4. Behält die inländische Tochtergesellschaft von den ihrer ausländischen Muttergesellschaft gewährten Vorteilen keine Kapitalertragsteuer ein, so haftet sie gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG 1974/75.

EStG 1974/75 § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 5, § 49 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, war in den Streitjahren 1974 bis 1976 die inländische Tochtergesellschaft einer dänischen Muttergesellschaft, einer A/S. Aufgrund einer Betriebsprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verdeckte Gewinnausschüttungen der Klägerin an ihre Muttergesellschaft aufgrund folgender Sachverhalte an:

1. Die Klägerin hatte in zahlreichen Fällen Kosten ihrer Muttergesellschaft getragen, ohne daß eine Ausgleichsverpflichtung vereinbart worden wäre. Bei den übernommenen Aufwendungen handelte es sich vor allem um Messe- und Werbungskosten.

2. Per 30. September 1975 gab die Klägerin ihren gesamten Warenbestand an die Muttergesellschaft zu Preisen zurück, die teilweise erheblich unter den Einkaufspreisen lagen. Die Waren waren ursprünglich von der Muttergesellschaft geliefert worden, und zwar teilweise erst kurz vor der Rückgabe im Jahre 1975.

3. Die Muttergesellschaft hatte der Klägerin auf die Listenpreise der gelieferten Waren einen Rabatt von 30 v. H. zugestanden. Dritten Abnehmern gestand sie nur einen Rabatt von 20 v. H. zu. Die Klägerin nahm jedoch den Rabatt nicht in voller Höhe in Anspruch, sondern zahlte - gemessen an der getroffenen Rabattvereinbarung - einen um 72.000 DM zu hohen Warengesamtkaufpreis. Diesen erfaßte das FA als verdeckte Gewinnausschüttung.

Das FA erließ am 19. März 1979 einen Haftungsbescheid, in dem es die Klägerin als Haftungsschuldner wegen nicht einbehaltener und nicht abgeführter Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe in Anspruch nahm.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragt, die Vorentscheidung und den Haftungsbescheid vom 19. März 1979 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin haftet für die von den verdeckten Gewinnausschüttungen nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe (§ 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 5, § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 4, § 49 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes i. d. F. vom 15. August 1974 - EStG 1974 -, BGBl I 1974, 1993, BStBl I 1974, 578, bzw. i. d. F. vom 5. September 1974 - EStG 1975 -, BGBl I 1974, 2165, BStBl I 1974, 733, und §§ 1 ff. des Ergänzungsabgabegesetzes vom 21. Dezember 1967 - ErgAbgG -, BGBl I, 1254, BStBl I, 484).

1. Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG 1974/75 wird Kapitalertragsteuer u. a. von sonstigen Vorteilen aus Anteilen an einer GmbH erhoben, wenn die Gesellschaft als Schuldner der Kapitalerträge ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Die Klägerin, die nach den Feststellungen des FG Vermögensvorteile an ihre Muttergesellschaft ausschüttete, ist eine GmbH. Ihr Sitz und ihre Geschäftsleitung befinden sich in H.

2. a) Die von der Klägerin ausgeschütteten Vermögensvorteile stellen als verdeckte Gewinnausschüttungen sonstige Vorteile i. S. des § 43 Abs. 3 EStG 1974/75 dar. Der in § 43 Abs. 3 EStG 1974/75 verwendete Vorteilsbegriff entspricht dem des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG 1974/75. Er ist deshalb für beide Vorschriften einheitlich auszulegen. Durch seine Verwendung in den §§ 20 Abs. 2 Nr. 1 und 43 Abs. 3 EStG 1974/75 wird kein selbständiger Besteuerungstatbestand begründet, sondern lediglich klargestellt, daß es auf die Bezeichnung der Erträge aus dem Anteil an einer GmbH nicht ankommt (vgl. Gutachten des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 14. Dezember 1920 I D 4/20, RFHE 4, 222, 228). Deshalb muß der Begriff der Vorteilsgewährung mit Hilfe der allgemeinen Einnahmedefinition bestimmt werden. Gemäß § 8 Abs. 1 EStG ist eine Einnahme jeder Zufluß von Gütern in Geld oder Geldeswert im Rahmen bestimmter Einkunftsarten. Auf den Vermögensvorteil i. S. der §§ 43 Abs. 3, 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG 1974/75 übertragen bedeutet dies, daß der Vorteil in Geld oder in einem geldeswerten Gut bestehen muß. Er muß außerdem zufließen und in diesem Sinne beim Empfänger eine Vermögensmehrung auslösen. Die Vorteilsgewährung ist jedoch tatbestandsmäßig als Bruttobetrag (Roheinnahme) zu verstehen, d. h. die Annahme einer Vermögensmehrung hängt nicht davon ab, ob der zugeflossene Vorteil seinem Wert nach die Betriebsausgaben, Werbungskosten und Rückgewähransprüche übersteigt, die wirtschaftlich durch den Zufluß ausgelöst werden.

b) Dazu hat das FG festgestellt, daß die Klägerin von ihrer Muttergesellschaft Waren gegen ein unangemessen hohes Entgelt erwarb und außerdem Waren an die Muttergesellschaft gegen ein unangemessen niedriges Entgelt lieferte. Hierin ist die Gewährung typischer Vermögensvorteile zu sehen, weil die Entrichtung eines unangemessen hohen Entgelts wirtschaftlich gesehen die unentgeltliche Zuwendung einer Geldleistung ist, während bei einer Warenlieferung gegen ein unangemessen niedriges Entgelt der Vermögensvorteil in der teilweise unentgeltlichen Zuwendung der Waren liegt. Darauf, ob die Muttergesellschaft den zugeflossenen Vermögensvorteil zurückgewähren muß, kann es nicht ankommen, weil es sich bei der Vorteilsrückgewährung um einen selbständigen Geschäftsvorfall handelt. Soweit die Klägerin Aufwendungen übernahm, die ausschließlich den Belangen der Muttergesellschaft dienten, erbrachte sie eine Leistung gegenüber Dritten, deren Gegenwert ausschließlich und unentgeltlich der Muttergesellschaft zugute kam. Der unentgeltliche Zufluß des Gegenwerts stellt steuerlich gesehen die Vorteilsgewährung dar. Man spricht insoweit auch von einer verdeckten Gewinnausschüttung in der Form einer mittelbaren Zuwendung (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Februar 1967 I 220/64, BFHE 88, 545, BStBl III 1967, 495; vom 6. Dezember 1967 I 98/65, BFHE 91, 239, BStBl II 1968, 322; vom 1. April 1971 I R 129-131/69, BFHE 102, 79, BStBl II 1971, 538; vom 16. Februar 1977 I R 94/75, BFHE 122, 48, BStBl II 1977, 568). Auch hier schließt ein Rückgewähranspruch die Annahme eines Vermögensvorteils nicht aus.

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin stehen die BFH-Urteile vom 3. Februar 1971 I R 51/66 (BFHE 101, 501, BStBl II 1971, 408) und vom 28. Januar 1981 I R 10/77 (BFHE 133, 172, BStBl II 1981, 612) der Annahme eines Zuflusses der Vermögensvorteile nicht entgegen. Beide Entscheidungen betreffen Fälle unentgeltlicher Nutzungsüberlassungen. Bei unentgeltlichen Nutzungsüberlassungen besteht die Besonderheit, daß sie in der Bilanz des Vorteilsempfängers nicht in Erscheinung treten. Sie führen weder zu der Mehrung einer Position auf der Aktivseite noch zu der Minderung einer solchen auf der Passivseite der Bilanz. Aus diesem Grunde hat der BFH bis heute in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom 22. November 1983 VIII R 37/79, BFHE 140, 63) bei Kapitalgesellschaften die Einlagefähigkeit von Nutzungsvorteilen mit der Begründung abgelehnt, sie vollzögen sich im Gewinn- und nicht im Vermögensbereich. Aus der fehlenden Einlagefähigkeit hat er auf das Fehlen eines Zuflusses der verdeckten Gewinnausschüttung rückgeschlossen. Der Streitfall macht es nicht notwendig, die genannte Rechtsprechung erneut zu überprüfen. In den auch von der Klägerin zitierten Entscheidungen hat nämlich der erkennende Senat jeweils betont, daß an dem Zufluß der Vorteilszuwendung dann kein Zweifel bestehen könne, wenn es sich um die Übertragung einlagefähiger Werte handele (vgl. auch Urteil vom 21. Dezember 1972 I R 70/70, BFHE 108, 175, BStBl II 1973, 449). Sowohl ein unmittelbar in Geld bestehender Vorteil als auch verbilligt bezogene Waren bilden aber einlagefähige Wirtschaftsgüter. Sie gehen in die entsprechenden Positionen auf der Aktivseite der Bilanz der Muttergesellschaft ein. Ein entsprechender Zufluß ist auch für die Aufwendungen anzunehmen, die die Klägerin im Interesse ihrer Muttergesellschaft tätigte. Diese lösten nämlich einen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegenüber der Muttergesellschaft aus. Die Muttergesellschaft mußte in ihrer Bilanz eine entsprechende Verbindlichkeit ausweisen, die wegfiel, als die Klägerin auf die Erstattung ihrer Aufwendungen verzichtete (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1963 I 207/61 U, BFHE 78, 88, BStBl III 1964, 33).

4. Handelte es sich bei den von der Klägerin gewährten Vermögensvorteilen um Kapitalerträge der Muttergesellschaft i. S. von § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 4 EStG 1974/75, so hatte die Klägerin gemäß § 44 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG 1974/75 als Schuldner der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt einzubehalten, in dem die Vermögensvorteile der Muttergesellschaft zuflossen.

Dem steht nicht entgegen, daß der Zufluß der Vermögensvorteile sich bei der Muttergesellschaft wegen gleichhoher Rückgewährverbindlichkeiten gewinnmäßig nicht ausgewirkt haben muß. Die Muttergesellschaft war in der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1965) nur beschränkt steuerpflichtig, weil sie hier weder Sitz noch Geschäftsleitung hatte. Die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht erstreckte sich wegen § 6 KStG 1965, § 49 EStG 1974/75 nur auf die sog. inländischen Einkünfte. Zu diesen gehören gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1974/75 Kapitalerträge aus Anteilen an inländischen GmbH. § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1974/75 ist insoweit mit § 43 Abs. 4 EStG 1974/75 deckungsgleich. Die inländische Körperschaftsteuerpflicht wird gemäß § 20 KStG 1965, § 50 Abs. 5 EStG 1974/75 durch den Steuerabzug vom Kapitalertrag abgegolten.

Der Verpflichtung, die Kapitalertragsteuer einzubehalten, stehen auch nicht die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 30. Januar 1962 - DBA-Dänemark - (BGBl II 1963, 1311, BStBl I 1963, 756) entgegen. Dessen Art. 12 Abs. 5 verbietet für den Streitfall eine Reduzierung der Kapitalertragsteuer auf 15 v. H. Im übrigen wäre eine Reduzierung gemäß Art. 12 Abs. 7 DBA-Dänemark im Erstattungswege geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1968 I R 56/67, BFHE 93, 438, BStBl II 1968, 797).

War die Kapitalertragsteuer von der Klägerin einzubehalten, so war sie auch gemäß § 44 Abs. 3 Satz 2 EStG 1974/75 innerhalb eines Monats nach Einbehaltung an das FA abzuführen. Nach den Feststellungen des FG ist die Klägerin diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Damit haftet sie für die nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG 1974/75.

5. Ist der Zufluß von Kapitalerträgen bei der Muttergesellschaft unabhängig davon zu bejahen, ob die Klägerin einen Rückgewähranspruch gemäß §§ 30, 31 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung hatte bzw. ob sie im Zeitpunkt des Zuflusses der Vorteile überschuldet war, so hatte das FG keine Veranlassung, die Überschuldung der Klägerin zu bestimmten Zeitpunkten zu überprüfen. Soweit die Vorentscheidung dennoch entsprechende Ausführungen enthält, tragen diese das Urteil des FG nicht. Deshalb kann auch dahinstehen, ob das FG Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit zutreffend ausgelegt hat.