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BFH-Urteil vom 27.6.1984 (II R 194/81) BStBl. 1984 II S. 854

1. Das Halten eines im Land Berlin zugelassenen Kfz-Anhängers (verkehrsrechtlich zulässiges Gesamtgewicht 20.000 kg, zwei Achsen), der auch bei Fahrten außerhalb des Landes Berlin mitgeführt wird, ist nicht von der Kraftfahrzeugsteuer befreit, wenn der Halter nicht das vom FA ausgegebene Kontrollbuch führt.

2. Das Führen eines solchen Kontrollbuches kann nicht ersetzt werden durch eine Sammlung von Belegen (Lieferscheinen, Warenbegleitscheinen, Wegekarten u. a.).

3. Zur Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer durch das FG.

GG Art. 2 Abs. 1; KraftStG 1972 § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 11 Abs. 1 Nr. 5; KraftStG 1979 § 8 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 3; Berliner KraftStÄndG 1950 Art. I Nr. 2, Art. II; Berliner DVO 1978 zum KraftStÄndG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; AO 1977 § 162; FGO § 100 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt mehrere Tankstellen in Berlin (West). Dort war für ihn u. a. ein Kfz-Anhänger (Sattelanhänger) mit dem amtlichen Kennzeichen ... (zulässiges Gesamtgewicht 20.000 kg, zwei Achsen) zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen worden. Für das Halten dieses Fahrzeugs hatte er im April 1978 Steuerbefreiung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung vom 8. Februar 1978 "zur Durchführung des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3. August 1950" - DVO 1978 - (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin - GVBl Bln - 1978, 745) und die Ausgabe eines Kontrollbuches beantragt. Daraufhin hatte ihm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 30. Mai 1978 ein Kontrollbuch zugesandt. In der Folgezeit waren dem FA zahlreiche Kontrollmitteilungen zugegangen, aus denen hervorging, daß der bezeichnete Anhänger in der Zeit von Mai 1978 bis März 1980 auch bei Fahrten außerhalb des Landes Berlin mitgeführt, aber bei der Ausfahrt aus dem und bei der Einfahrt in das Land Berlin der Berliner Grenzkontrollstelle das Kontrollbuch nicht vorgelegt worden war. Am 23. Januar 1979 hatte das FA einen Freistellungsbescheid erteilt.

Bei einer Außenprüfung im März 1980 wurde das Kontrollbuch nicht zur Prüfung vorgelegt. Der Prüfer wertete die mehr als 150 Kontrollmitteilungen aus und kam zu dem Ergebnis, daß der Kläger die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht in der vorgeschriebenen Weise nachgewiesen habe. Sonstige Aufzeichnungen und Belege des Klägers einzusehen, hielt er nicht für erforderlich. Denn das "Führen des Kontrollbuches und seine Vorlage bei der Berliner Grenzkontrollstelle" sei "Bestandteil der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung". Werde das Kontrollbuch nicht geführt, obwohl der Kfz-Anhänger im Berlin-Verkehr verwendet werde, oder werde das Kontrollbuch bei der Grenzkontrollstelle nicht vorgelegt, so führe das zur Versagung der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung, und zwar auch dann, wenn der Berlin-Verkehr zweifelsfrei feststehe.

Das FA folgte der Rechtsauffassung des Prüfers und setzte durch Bescheid vom 12. Mai 1980 die Kraftfahrzeugsteuer befristet für die Zeit vom 1. Mai 1978 bis 10. März 1980 (dem Tag des Beginns der Außenprüfung) auf 11.531,60 DM neu fest; den Einspruch wies es durch Entscheidung vom 28. Januar 1981 zurück. Am 3. Dezember 1980 hatte der Kläger das Fahrzeug vorübergehend stillgelegt, das Kennzeichen wurde entstempelt.

Mit seiner Klage hat der Kläger begehrt, den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Beide Verwaltungsakte seien rechtswidrig. Er könne auf andere Weise als durch das Kontrollbuch nachweisen, "daß mit dem Anhänger zahlreiche Fahrten von und nach Berlin durchgeführt" worden seien. Zum Beispiel könne er "zahlreiche Monatsübersichten, Lieferscheine, Wegekarten, TKW-Berichte, Warenbegleitscheine und Ladelisten für den Werkverkehr ... dem Gericht im Original in gesondertem Leitz-Ordner einreichen". Die Finanzbehörde handele "ermessensmißbräuchlich", wenn sie die Steuerbefreiung verneine, nur weil "die Kontrollbestimmungen nicht erfüllt" worden seien, sie aber genau wisse, "daß Berlinfahrten durchgeführt" worden seien. Sie habe in Fällen dieser Art "die ... Steuerfolgen ... korrekt zu schätzen". Die DVO 1978 habe nicht rechtswirksam die maßgebende Rechtsgrundlage, das Berlinförderungsgesetz (BerlinFG), ändern können.

Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 17. September 1981 den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung "dahin geändert, daß die Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug ... erst ab 24. Januar 1979 erhoben wird". Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Begründet sei die Klage nur "für die Zeit bis zum 23. Januar 1979 ..., weil der zuständige Finanzbeamte an diesem Tag die Erteilung eines Freistellungsbescheides verfügt" habe, obwohl ihm an diesem Tag bekannt gewesen sei, "daß für den Anhänger bis dahin in großem Umfang kein Kontrollbuch vorgelegt" worden sei. Das FG hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 199 der Abgabenordnung (AO 1977). Diese Vorschrift verpflichte das FA, "Verwaltungsakte und Entscheidungen auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ermitteln und anzuwenden".

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Steuerbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet, wenn auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Halten des bezeichneten Anhängers der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG 1979 -) und nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO 1978 von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist. Die Befreiungsvorschrift kann ihre Wirkung nicht entfalten, weil der Kläger die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nicht in der vorgeschriebenen Form nachgewiesen hat. Da der Kläger den Anhänger auch bei Fahrten außerhalb des Landes Berlin mitgeführt hat, hatte er "ein Kontrollbuch zu führen und der Berliner Grenzkontrollstelle ... vorzulegen, die darin den Tag der Ausfahrt aus dem und den Tag der Einfahrt in das Land Berlin bestätigt" (§ 1 Abs. 3 Satz 1 DVO 1978). Diese Form des Nachweises durfte der Verordnungsgeber anordnen, ohne damit den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung zu überschreiten. Insbesondere hat der Verordnungsgeber dadurch nicht etwa das aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Übermaßverbot verletzt, zu dem auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört. Nach diesem Grundsatz muß das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Geeignet ist das Mittel, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; erforderlich ist es, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27. Januar 1983 1 BvR 1008/79, 322/80, 1091/81, BVerfGE 63, 88, 115). Das Kontrollbuch ist ein geeignetes Mittel, um den vom Gesetzgeber erstrebten Zweck zu erreichen, nämlich Standortnachteile der Westberliner Fuhrunternehmer auszugleichen. Denn wenn es so geführt wird, wie dies § 1 Abs. 3 DVO 1978 vorschreibt, ermöglicht es dem zuständigen Finanzbeamten die sichere Beurteilung, ob der Kfz-Anhänger bei Benutzung außerhalb des Landes Berlin überwiegend und regelmäßig (d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechungen) bei Fahrten von und nach dem Land Berlin mitgeführt worden ist und somit die vom Verordnungsgeber erstrebte zeitliche und räumliche Bindung des Kfz-Anhängers an eine Berliner Betriebsstätte besteht. Erforderlich hierzu ist das ordnungsmäßig geführte Kontrollbuch deshalb, weil eine andere Form des Nachweises, insbesondere die vom Kläger angebotene Vorlage von Monatsübersichten, Lieferscheinen, Wegekarten, Warenbegleitscheinen und Ladelisten nicht gleichermaßen wirksam wäre. Durch die Vorlage solcher Belege könnten die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht "eindeutig und leicht nachprüfbar" nachgewiesen werden. Würde der Verordnungsgeber darauf verzichten, die tatsächliche Nutzung der Kfz-Anhänger im Berlin-Verkehr durch amtliche Bestätigungen nachweisen zu lassen, bestünde die Gefahr, daß die Steuerbefreiung auch von solchen Fahrzeughaltern in Anspruch genommen wird, bei denen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht gegeben sind. Dadurch würde der Gesetzeszweck verfehlt.

Der Kläger ist der Ansicht, es sei "ermessensmißbräuchlich", wenn die Behörde, obwohl ihr ein entsprechender Sachverhalt "nachgewiesen" sei, dennoch auf der "Führung formalrechtlicher Nachweise" bestehe. Diese Ansicht ist schon deshalb unzutreffend, weil es nicht im Ermessen der Finanzbehörden liegt, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung für gegeben zu halten, auch wenn sie nicht in der vorgeschriebenen Form nachgewiesen sind.

Der Kläger meint schließlich, es liege "insoweit dieselbe Rechtslage vor wie bei der Schätzung mangels geeigneter Besteuerungsgrundlagen". Sei "der Behörde ein Sachverhalt in seinen wesentlichen Einzelheiten bekannt", so habe "sie die sich daraus ergebenden Steuerfolgen auch dann korrekt zu schätzen, wenn Steuererklärungen nicht abgegeben und Nachweise nicht geliefert" worden seien. Dieser Auffassung stimmt der erkennende Senat nicht zu. Schätzen (§ 162 AO 1977), ob und in welchen Steuerentrichtungszeiträumen der Kläger seinen Anhänger überwiegend und regelmäßig (d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechungen) bei Fahrten von und nach dem Land Berlin mitgeführt hat, darf das FA nicht, weil Wortlaut und Sinn des § 1 Abs. 3 DVO 1978 dies ausschließen. Nach dieser Vorschrift hängt die beantragte Steuerbefreiung davon ab, daß der Kläger das vom FA ausgegebene Kontrollbuch führt und der Berliner Grenzkontrollstelle vorlegt, die darin den Tag der Ausfahrt aus dem und den Tag der Einfahrt in das Land Berlin bestätigt. Nur "wenn die tatsächliche Nutzung der Kraftfahrzeuganhänger im ... Berlin-Verkehr durch amtliche Bestätigungen nachgewiesen wird", wird nach Ansicht des Verordnungsgebers "einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Steuerbefreiung wirksam begegnet" (vgl. Abschn. A b Nr. 4 der Begründung der Vorlage vom 17. Februar 1978 über die DVO 1978, Drucksache 7/1149 des Abgeordnetenhauses von Berlin).

2. Aufgehoben werden muß das Urteil des FG aber, weil es auf einer Verletzung des § 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beruht. Nach dieser Vorschrift kann das FG den Steuerbetrag selbst festsetzen, falls sich - wie im vorliegenden Fall - die Klage gegen einen Steuerbescheid (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) richtet und das FG einen anderen Steuerbetrag feststellt, als das FA festgesetzt hat. Verletzt hat das FG diese Vorschrift insofern, als es das ihm eingeräumte Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt, die Steuer nicht selbst festgesetzt hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 16. Dezember 1968 GrS 3/68, BFHE 94, 436, 442, BStBl II 1969, 192). Seine Aussage, "daß die Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug ... erst ab 24. Januar 1979 erhoben wird", ist keine Steuerfestsetzung in diesem Sinne, weil. sie den Steuerbetrag nicht erkennen läßt (vgl. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Das angefochtene Urteil beruht auf der bezeichneten Gesetzesverletzung, denn es läßt sich nicht ausschließen, daß das FG anders entschieden hätte, wenn es den Rechtsmangel erkannt hätte.

3. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit es die Steuerfestsetzung nachhole (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).