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BVerfG-Beschluß vom 4.10.1984 (1 BvR 789/79) BStBl. 1985 II S. 22

1. § 33a Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachungen vom 15. August 1961 (Bundesgesetzbl. I. S. 1253) und vom 1. Dezember 1971 (Bundesgesetzbl. I S. 1881) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig soweit im Jahre 1971 der Abzug zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen durch den Höchstbetrag von 1.200 DM beschränkt war.

2. ...

3. ...

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der einkommensteuerrechtlichen Regelung über den Abzug von Unterhaltszahlungen an den geschiedenen Ehegatten mit dem Inhalt, der sich aus der Auslegung und Anwendung durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit ergibt. Danach enthält § 12 Nr. 2 EStG 1971 ein allgemeines Abzugsverbot für Leistungen an den gesetzlich unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten. Dieses Verbot ist ohne seine Einschränkung durch § 33a Abs. 1 EStG nicht denkbar. Seit es eine allgemeine Einkommensteuer gibt, war der Grundsatz , daß private Aufwendungen das Einkommen nicht mindern dürfen, stets durch spezielle Vorschriften über private Abzüge durchbrochen, die darauf Rücksicht nahmen, daß die Leistungsfähigkeit durch besondere zwangsläufige Aufwendungen im privaten Bereich gemindert sein kann (vgl. BVerfGE 66, 214 (215 f.)). Die verfassungsrechtliche Prüfung der angegriffenen Entscheidungen betrifft daher die Frage, ob die in § 33a Abs. 1 EStG normierte Begrenzung des Abzugs von Unterhaltsaufwendungen auf einen Höchstbetrag von 1.200 DM zu beanstanden ist.

II.

1. Die Regelung des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG führt zu einer Verschiedenbehandlung von Steuerpflichtigen, deren disponibles Einkommen durch zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen an den geschiedenen Ehegatten gemindert ist, und von Steuerpflichtigen, die keine derartigen Belastungen tragen. Ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, diese Ungleichheit zu mildern oder zu beseitigen, ist am Maßstab des aus Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmenden Gebots der Steuergerechtigkeit zu prüfen, an das der Gesetzgeber gebunden ist. Die Besteuerung ist danach an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten (BVerfGE 61, 319 (343); 66, 214 (222 f.)).

Daraus ergibt sich, daß auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich von Bedeutung sind, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung - also im privaten Bereich - anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind (BVerfGE 61, 319 (344)). Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen ist ein besonderer, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Umstand. Diese unabweisbare Sonderbelastung darf der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen (vgl. BVerfGE, a. a. O.). Für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen darf er deshalb keine realitätsfremden Grenzen ziehen (BVerfGE 66, 214 (223)).

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügte § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der hier maßgebenden Fassung für das Streitjahr 1971 ebensowenig wie für das Jahr 1973 (vgl. BVerfGE 66, 214).

a) Unterhaltsleistungen an den geschiedenen Ehegatten gehören, soweit sie zwangsläufig sind, zu den im privaten Bereich anfallenden unvermeidbaren Ausgaben, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und deshalb vom Gesetzgeber nicht außer acht gelassen werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bereits für Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern (BVerfGE 61, 319 (344) und gegenüber einem Elternteil entschieden (vgl. BVerfGE 66, 214 (223)). Für zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen an den geschiedenen Ehegatten kann nichts anderes gelten. Es gibt keinen sachlichen Grund, bei der steuerlichen Behandlung von zwangsläufigen Unterhaltsaufwendungen je Empfänger zu differenzieren. Maßgeblich ist allein, ob die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gemindert ist; dies ist bei zwangsläufigen Unterhaltsaufwendungen immer der Fall.

b) § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG läßt im Streitjahr 1971 die Minderung der Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige Unterhaltslasten realitätsfremd außer acht. Dies wird dadurch bestätigt, daß nach der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung zwangsläufiger Unterhaltsleistungen im Jahre 1962 und wieder ab 1975 ungefähr im Umfang der Regelsätze der Sozialhilfe berücksichtigt werden. Diese Regelsätze waren in der Zeit zwischen 1962 und 1971 um über 75 v. H. angestiegen. Dagegen blieb die Regelung des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG, die im Jahre 1962 mit dem Betrag von 1.200 DM knapp den Regelsätzen der Sozialhilfe entsprochen hatte, 13 Jahre lang unverändert; sie vermochte daher nicht nur in den Jahren 1973 und 1974 (vgl. BVerfGE 66, 214 (224)), sondern auch 1971 und 1972 der durch zwangsläufige Unterhaltsverpflichtungen geminderten Leistungsfähigkeit nicht mehr nach den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Dafür gibt es keinen sachlichen Grund (BVerfGE 66, 214, (224 f.)).

c) Die unzureichende Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG im Streitjahr 1971 ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem für dieses Jahr maßgebenden Grundfreibetrag von 1.680 DM, der das Existenzminimum steuerfrei lassen soll (vgl. im einzelnen BVerfGE 66, 214 (225 f.)).

III.

Die von dem Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der verfassungsrechtlich zu beanstandenden Vorschrift des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der hier maßgebenden Fassung. Sie waren daher ohne weitere Prüfung aufzuheben.

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.