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BFH-Urteil vom 18.9.1984 (VIII R 119/81) BStBl. 1985 II S. 55

Entsteht durch den Erwerb weiterer GmbH-Anteile eine wesentliche Beteiligung, so kann diese nicht dadurch beseitigt werden, daß die erworbenen Anteile rückwirkend verschenkt werden.

AO 1977 § 38; EStG § 17 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zu 25 v.H. an der W-GmbH beteiligt. Am 15. April 1965 verstarb der Vater des Klägers. Der Kläger erbte von ihm weitere 8 1/3 v.H.-Anteile an der W-GmbH. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. August 1965 trat der Kläger den ererbten GmbH-Anteil rückwirkend auf den Todestag seines Vaters schenkweise an seinen ältesten Sohn (S) ab. Die für das Jahr 1965 auf den verschenkten 8 1/3 v.H.-Anteil entfallende Dividende in Höhe von 25.000 DM wurde in vollem Umfang dem S zugerechnet. Am 23. Juni 1969 veräußerte der Kläger den ihm verbliebenen Anteil an der W-GmbH (25 v.H.) an diese Gesellschaft zum Preis von 2.172.925 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, der Kläger sei in der Zeit vom 15. April 1965 bis zum 31. August 1965 an der W-GmbH wesentlich (33 1/3 v.H.) beteiligt gewesen. Er berücksichtigte daher nach vorangegangenem Einkommensteuerbescheid und berichtigtem Einkommensteuerbescheid in der Einspruchsentscheidung gemäß § 17 des Einkommensteuergesetz (EStG) einen Veräußerungsgewinn.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) nahm keine wesentliche Beteiligung des Klägers an, weil es der schenkweisen Anteilsabtretung an S durch Vertrag vom 31. August 1965 auch steuerrechtlich eine Rückwirkung auf den Todestag des Vaters des Klägers (15. April 1965) beigemessen hat. Dem Umstand, daß S die GmbH-Anteile nicht unmittelbar vom Erblasser, sondern vom Kläger erworben habe, der Kläger also am 15. April 1965 für eine "logische Sekunde" wesentlich Beteiligter der W-GmbH gewesen sei, hat das FG keine Bedeutung beigemessen, weil es sich dabei um eine gedankliche juristische Konstruktion handele, die wirtschaftlich nicht meßbar und steuerrechtlich daher unbeachtlich sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 17 Abs. 1 EStG. Zur Begründung wird vorgetragen: Der Kläger sei in dem nach § 17 Abs. 1 EStG maßgebenden Fünfjahreszeitraum wenigstens für eine "logische Sekunde" an der W-GmbH wesentlich beteiligt gewesen. Die Auffassung des FG, daß eine solche Beteiligung steuerrechtlich unbeachtlich sei, widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Im übrigen sei der Kläger nicht nur für eine logische Sekunde, sondern vom 15. April 1965 bis zum 31. August 1965 an der W-GmbH wesentlich beteiligt gewesen, weil die Rückwirkung der Anteilsschenkung steuerrechtlich nicht anerkannt werden könne. Die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen vom Rückwirkungsverbot seien auf den Streitfall nicht anwendbar, weil eine nur geringe zeitliche Rückwirkung nicht vorliege. Auch in dem Urteil vom 5. März 1981 IV R 150/76 (BFHE 132, 563, BStBl II 1981, 435) habe der Bundesfinanzhof (BFH) eine wesentliche Beteiligung bejaht und für die steuerrechtliche Anerkennung der Rückwirkung einer Genehmigung vorausgesetzt, daß es sich nur um eine kurze Zeitspanne handele und mit der Rückwirkung keine steuerrechtlichen Vorteile erstrebt würden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung am Kapital der Gesellschaft wesentlich, d.h. zu mehr als einem Viertel, beteiligt war und die innerhalb eines Veranlagungszeitraums veräußerten Anteile eins vom Hundert des Kapitals der Gesellschaft übersteigen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt; denn der Kläger war vom 15. April 1965 bis zum 31. August 1965 an der W-GmbH wesentlich beteiligt und er hat vor Ablauf der Fünfjahresfrist am 23. Juni 1969 25 v.H.-Anteile an der GmbH veräußert.

1. Aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG "... am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war ..." ist zu entnehmen, daß für die Anwendung dieser Vorschrift auf die dingliche Rechtsstellung des betreffenden Steuerpflichtigen abzustellen ist. Der Kläger ist durch den Erbfall Inhaber einer wesentlichen Beteiligung an der W-GmbH geworden. Er hat diese Rechtsstellung erst am Tage der Vollziehung des Schenkungsvertrages vom 31. August 1965 verloren.

a) Die Abtretung des ererbten GmbH-Anteils rückwirkend auf den Todestag des Vaters des Klägers konnte die dingliche Rechtsstellung des Klägers, die mit diesem GmbH-Anteil verknüpft ist, nicht rückwirkend beseitigen (Schneider, Archiv für die civilistische Praxis - AcP -, 1975, 279, 295 ff.). Sie hatte allenfalls die schuldrechtliche Wirkung, daß der Kläger und sein Sohn verpflichtet waren, einander zu gewähren, was sie gehabt hätten, wenn die Abtretung bereits am Todestag des Vaters des Klägers vorgenommen worden wäre (vgl. § 159 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Diese schuldrechtliche Wirkung entfaltet sich nur im Innenverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber eines GmbH-Anteils. Sie hat nicht die Kraft, dem Veräußerer im Verhältnis zu Dritten, insbesondere zur Gesellschaft selbst, rückwirkend die Rechtsstellung eines Gesellschafters der GmbH zu entziehen und sie dem Erwerber zu gewähren.

b) Zur Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 17 EStG genügt allerdings auch das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen an der Kapitalgesellschaft (vgl. BFHE 132, 563, BStBl II 1981, 435, und BFH-Urteil vom 30. Juni 1983 IV R 113/81, BFHE 138, 569, BStBl II 1983, 640). Der Kläger hat aber auch das wirtschaftliche Eigentum an dem ererbten GmbH-Anteil nicht rückwirkend verloren. Die Abtretung im Schenkungsvertrag vom 31. August 1965 änderte nichts daran, daß bis zu diesem Zeitpunkt der Kläger und nicht sein Sohn die tatsächliche Herrschaft über den GmbH-Anteil ausüben konnte. Dies zeigt sich auch darin, daß der Kläger in der Lage war, am 31. August 1965 über den GmbH-Anteil durch Schenkung an seinen Sohn zu verfügen. Sollten die Gewinnanteile, die auf den verschenkten GmbH-Anteil entfielen, dem Sohn des Klägers bereits seit dem Tag des Todes des Vaters des Klägers zustehen und auch steuerrechtlich zuzurechnen sein, so beruht dies auf einer von der Regel des § 101 Nr. 2 BGB abweichenden Vereinbarung, die auch steuerrechtlich zu beachten ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1982 VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540), die aber nicht ausreicht, um wirtschaftliches Eigentum an dem GmbH-Anteil zu begründen.

Durch die schuldrechtliche Rückwirkung des Schenkungsvertrags vom 31. August 1965, die allenfalls eintrat (s. oben Nr. 1a), konnte der Kläger auch nicht rückwirkend Treuhänder und sein Sohn Treugeber des GmbH-Anteils werden (§ 11 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Denn ein Treuhandverhältnis nach dieser Vorschrift kann nicht durch die Vereinbarung begründet werden, daß der Eigentümer eines Wirtschaftsguts dieses für die Zukunft als Treuhänder für einen anderen besitzt (BFH-Urteil vom 25. September 1968 I 52/64, BFHE 92, 444, BStBl II 1969, 18), und daher erst recht nicht durch die Vereinbarung, daß der Eigentümer das Wirtschaftsgut in der Vergangenheit als Treuhänder für einen anderen besessen habe.

2. Abgesehen von den Ausführungen unter 1. ist eine Rückwirkung des Abtretungsvertrags vom 31. August 1965 auch steuerrechtlich nicht anzuerkennen.

a) Grundsätzlich kann mit steuerrechtlicher Wirkung ein Sachverhalt nicht rückwirkend gestaltet werden, weil der Steuerpflichtige auf einen entstandenen Steueranspruch nicht rückwirkend Einfluß nehmen kann (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 38 AO 1977 Tz. 5; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 4 EStG Anm. 34a und 34b; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 38 AO 1977 Anm. 29; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 38 AO 1977 Anm. 2b). Eine solche Einflußnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in öffentlich-rechtliche Verhältnisse (Bescheid des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 27. September 1932 und Urteil vom 9. Mai 1933 VI A 434/30, RFHE 33, 277).

b) Entgegen der Auffassung des FG gilt das Rückwirkungsverbot auch hinsichtlich eines Merkmals, das zum Tatbestand eines Steueranspruchs gehört, mit dessen Verwirklichung aber der Tatbestand des Steueranspruchs noch nicht vollständig erfüllt ist. Denn auch in einem solchen Fall würde durch die steuerrechtliche Anerkennung einer zivilrechtlich zulässigen Rückwirkung in ein bestehendes öffentlich-rechtliches Verhältnis eingegriffen werden. Daher könnte eine Beteiligung an der Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG) steuerrechtlich nicht rückwirkend beseitigt werden.

3. a) Die Rechtsprechung hat allerdings von dem unter Nr. 2 dargestellten Rückwirkungsverbot Ausnahmen zugelassen, so z.B. früher, wenn ein Vorgang rückgängig gemacht worden war, weil die Beteiligten sich über steuerliche Auswirkungen geirrt hatten, Manipulationen nicht in Frage kamen und der Vorgang sich nicht bereits anderweit steuerrechtlich ausgewirkt hatte (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1953 IV 278/53 U, BFHE 58, 176, BStBl III 1953, 359, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des RFH, und vom 22. Juni 1967 I 192/64, BFHE 90, 114, BStBl II 1968, 4). Der Senat hat aber in seinem Urteil vom 2. August 1983 VIII R 15/80 (BFHE 139, 79, BStBl II 1983, 736) diese Auffassung aufgegeben.

b) Die Rechtsprechung läßt auch heute noch eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot zu, wenn die Rückwirkung sich nur über eine kurze Zeit erstreckt und den Umständen des Falles nach vertretbar erscheint (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1969 I R 120/67, BFHE 97, 27, BStBl II 1969, 742), insbesondere wenn mit der Rückwirkung kein steuerlicher Vorteil erstrebt wird (BFH-Urteil vom 24. Januar 1979 I R 202/75, BFHE 128, 33, BStBl II 1979, 581). Dieser Rechtsprechung liegt jedoch, worauf in der letztgenannten Entscheidung ausdrücklich hingewiesen wird, der Gedanke zugrunde, daß die Rückbeziehung lediglich der technischen Vereinfachung der Besteuerung dient und daß sich in der Zwischenzeit nichts ereignet haben darf, was möglicherweise für die Besteuerung noch erheblich ist. Beide Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Rückbeziehung der Schenkung an S dient nicht lediglich der technischen Vereinfachung. Als Ereignis in der Zwischenzeit ist die Zurechnung der geerbten Anteile beim Kläger anzusehen, durch die beim Kläger eine wesentliche Beteiligung entstanden ist.

c) Auf das Urteil in BFHE 132, 563, BStBl II 1981, 435 kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil es sich dort um die Frage gehandelt hat, ob eine zivilrechtlich vorgeschriebene Rückwirkung (§ 184 BGB) - an der es im Streitfall fehlt - auch steuerrechtlich anzuerkennen ist. Außerdem sieht es diese Entscheidung als Hindernis für die steuerrechtliche Rückwirkung an, wenn mit ihr besondere steuerliche Vorteile erstrebt werden, was hier der Fall ist; denn mit der Rückwirkung wird die Vermeidung einer Besteuerung nach § 17 EStG erstrebt.

b) Es trifft zu, daß eine Rückwirkung dann eingetreten wäre, wenn der Kläger die Erbschaft nach seinem Vater ausgeschlagen hätte; denn die Ausschlagung einer Erbschaft bewirkt, daß der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt gilt (§ 1.953 Abs. 1 BGB). Hätte der Kläger die Erbschaft nach seinem Vater ausgeschlagen, so wäre er nicht Inhaber der ererbten 8 1/3 v.H.-Anteile an der W-GmbH geworden, der Kläger wäre niemals an der W-GmbH wesentlich beteiligt gewesen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine solche Rechtsfolge nicht dadurch eingetreten, daß er den ererbten GmbH-Anteil innerhalb der Ausschlagungsfrist des § 1.944 BGB an seinen Sohn rückwirkend schenkweise übertragen hat; denn - wie bereits dargelegt - erzeugt, anders als eine Ausschlagung der Erbschaft, die rückwirkende schenkweise Übertragung eines zu einer Erbmasse gehörenden Wirtschaftsguts keine dingliche Wirkung mit rückwirkender Kraft. Das gilt auch dann, wenn die Schenkung innerhalb der Ausschlagungsfrist erfolgt.

Die unterschiedlichen Auswirkungen zwischen einer Ausschlagung der Erbschaft und einer rückwirkenden Schenkung ergeben sich aus dem Gesetz. Die dingliche Rückwirkung bei der Ausschlagung einer Erbschaft folgt aus der gesetzlichen Fiktion des § 1.953 Abs. 1 BGB. Eine entsprechende Regelung für den Fall einer rückwirkenden Schenkung gibt es nicht. Im übrigen besteht zwischen der Ausschlagung einer Erbschaft und einer Schenkung auch insofern ein wesentlicher Unterschied, als die Ausschlagung sich auf die gesamte Erbschaft, eine Schenkung sich hingegen nur auf einen Vermögensbestandteil (s. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 516 Anm. 2) bezieht. Eine Schenkung liegt nicht vor, wenn jemand zum Vorteil eines anderen eine Erbschaft ausschlägt (§ 517 BGB).

e) Unerheblich ist auch, daß - wie der Kläger vorträgt - die Testamentseröffnung erst am 5. August 1965 erfolgt ist; denn die Testamentseröffnung hat keinen Einfluß auf den Zeitpunkt des Erbanfalls und damit auch keinen Einfluß auf den Beginn einer wesentlichen Beteiligung i. S. des § 17 EStG. Im übrigen würde die Anwendung des § 17 EStG auch dann nicht ausgeschlossen sein, wenn der Kläger die 8 1/3 v.H. GmbH-Anteile erst am 5. August 1965 erworben hätte.

4. Der Senat konnte nicht abschließend entscheiden, weil das FG - von seinem Standpunkt aus zutreffend - nicht geprüft hat, ob der nach § 17 EStG steuerpflichtige Gewinn vom FA richtig ermittelt worden ist. Das FG wird diese Prüfung bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.